
Wien - Lokalkammer
Aktenzeichen:
UPC_CFI_182/2023
Antragsnummer:
ACT_528738/2023
Art des Antrags:
Antrag auf einstweilige Maßnahmen
Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen
Entscheidung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Wien
mündlich verkündet am
13.9.2023
betreffend EP 3 398 487 B1
Datum des Eingangs des Antrages: 27.6.2023
LEITSATZ:
- · Ein Antrag auf einstweilige Maßnahmen macht -wie eine Klage -die Inanspruchnahme der Ausnahmeregel nach R 5 der VerfO ('Opt out') unwirksam. -Der Blockademechanismus bewirkt, dass die Zuständigkeit des EPG nicht mehr entzogen werden kann.
- · Der Schutzbereich eines europäischen Patents ist anhand von Art 69 Abs 1 EPÜ samt seinem Auslegungsprotokoll in Verbindung mit Art 24 Abs 1 lit c EPGÜ auszulegen.
- · In einem Verfahren auf einstweilige Maßnahmen können der obsiegenden Antragsgegnerin auf Antrag endgültig Verfahrenskosten zugesprochen werden. Die Antragstellerin kann selbst bei Prozesserfolg im Verfahren in der Hauptsache die Kosten dieses Verfahrens als unterliegende Partei nicht erfolgreich geltend machen.
SCHLAGWÖRTER:
'Opt out' nach Antrag auf einstweilige Maßnahmen; Auslegung von Patentansprüchen -; Verletzung (nein)
ECLI-REFERENCE-CODE:
ANTRAGSTELLERIN:
CUP&CINO Kaffeesystem-Vertrieb GmbH & Co. KG ,
Paderborner Straße 33, D-33161 Hövelhof, Deutschland
vertreten durch:
TaylorWessing e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH, Mag. Thomas Adocker, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, Österreich
Patentanwalt DI Dr. Andreas Gehring, c/o Puchberger & Partner Patentanwälte, Reichsratsstraße 13, 1010 Wien
ANTRAGSGEGNERIN:
ALPINA COFFEE SYSTEMS GmbH
,
Tiroler Straße 32, 6322 Kirchbichl Österreich , vertreten durch:
Dr. Markus Gangl und Dr. Florian Robl, European Patent Litigators, c/o Torggler & Hofmann Patentanwälte GmbH & Co KG, Wilhelm-Greil-Straße 16, 6020 Innsbruck
VERFÜGUNGSPATENT:
EUROPÄISCHES PATENT NR. 3 398 487 B1
Spruchkörper/Kammer:
Spruchkörper der Lokalkammer Wien
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Entscheidung wurde getroffen durch den Vorsitzenden Richter Schober und die rechtlich qualifizierten Richter Haedicke und Kupecz.
ENTSCHEIDUNG:
-
- Der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Maßnahme, der Antragsgegnerin werde ab sofort bis zur Rechtskraft eines anhängig zu machenden Verfahrens in der Hauptsache untersagt, in den Staaten Österreich, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, Niederlande und Portugal Vorrichtungen gemäß Anspruch 2 des EP 3 398 487 B1, sohin Vorrichtungen zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 des EP 3 398 487 B1, umfassend eine Pumpe (20) zum Fördern von Milch aus mindestens einem Behälter (12, 14) in [eine] Leitung (16, 34) zu einem Auslass (36), eine Luftzufuhr (22) zum Zuführen von Luft in die Leitung (16), einen Durchlauferhitzer (28) und eine Drosseleinrichtung (32), dadurch gekennzeichnet, dass der Durchlauferhitzer (28) druckseitig der Pumpe (20) und die Drosseleinrichtung (32) stromabwärts des Durchlauferhitzers (28) angeordnet sind, wobei der Durchlauferhitzer (28) als eine Dickschichtheizung mit einem elektrischen Widerstandselement ausgebildet ist, dessen Temperatur regelbar ist und [der] Innendurchmesser der Leitung (16) stromaufwärts und eines Leitungsabschnitts (34) stromabwärts der Drosseleinrichtung (32) verschieden sind, insbesondere
Milchaufschäumer der Type ALPINA Latte Perfetto Duo herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wird abgewiesen .
-
- Die Anträge, der Antragsgegnerin werde angedroht, dass für jeden einzelnen Fall und jeden Tag eines Zuwiderhandelns gegen Punkt 1. ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 3.000 verhängt werde, und dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, sämtliche in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Milchschäumer, die unter Punkt 1. fallen, insbesondere sämtliche Milchschäumer des Typs ALPINA Latte Perfetto Duo, binnen 14 Tagen herauszugeben, um deren Inverkehrbringen und Umlauf auf den Vertriebswegen zu verhindern, werden abgewiesen.
-
- Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auf Erlassung einstweiliger Maßnahmen in Höhe von EUR 25.600 binnen 14 Tagen vorläufig zu ersetzen.
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:
Die Antragstellerin ist Inhaberin des europäischen Patents EP 3 398 487 B1 mit der Bezeichnung ' Verfahren und Vorrichtung zur Erzeugung von Milchschaum' (kurz: Verfügungspatent), das am 3.5.2017 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 7.11.2018 veröffentlicht. Der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents erfolgte am 9.3.2022; es steht in Kraft in verschiedenen EPGÜ Mitgliedsstaaten.
Das Verfügungspatent betrifft ein Verfahren zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur und eine Vorrichtung zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur. Der Patentanspruch 1 lautet:
Verfahren zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur, wobei Milch aus mindestens einem Behälter (12, 14) und zugeführte Luft von einer Pumpe (20) als ein Milch-/Luftgemisch angesaugt, durch einen Durchlauferhitzer (28) gefördert und dabei erwärmt wird, und anschließend in einer Drosseleinrichtung (32) zu einem Milchschaum umgewandelt und zu einem Auslass (36) gefördert wird, dadurch gekennzeichnet , dass das Milch-/Luftgemisch druckseitig der Pumpe (20) in einem als Dickschichtheizung mit einem elektrischen Widerstandselement, dessen Temperatur regelbar ist, ausgebildeten Durchlauferhitzer (28) erwärmt und zu Milchschaum umgewandelt wird, und in dem Durchlauferhitzer (28) in dem Milch-/Luftgemisch durch die Drosseleinrichtung (32) ein Gegendruck erzeugt wird, wobei die Strömungscharakteristik stromabwärts der Drosseleinrichtung (32) durch einen
Leitungsabschnitt (34) mit einem Innendurchmesser anpassbar ist, welcher von demjenigen der Leitung (16) stromaufwärts der Drosseleinrichtung (32) verschieden ist.
Der (Vorrichtungs)Anspruch 2 des Verfügungspatents lautet wie folgt und kann in folgende Merkmale unterteilt werden (Hinweis: Gliederung der Merkmale wurde von den Parteien vorgenommen und war nicht strittig):
- (a) Vorrichtung (1) zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1, umfassend
- (b) eine Pumpe (20) zum Fördern von Milch aus mindestens einem Behälter (12, 14) in [eine] Leitung (16, 34) zu einem Auslass (36),
- (c) eine Luftzufuhr (22) zum Zuführen von Luft in die Leitung (16),
- (d) einen Durchlauferhitzer (28) und
- (e) eine Drosseleinrichtung (32),
dadurch gekennzeichnet, dass
- (f) der Durchlauferhitzer (28) druckseitig der Pumpe (20) und
- (g) die Drosseleinrichtung (32) stromabwärts des Durchlauferhitzers (28) angeordnet sind, wobei
- (h) der Durchlauferhitzer (28) als eine Dickschichtheizung mit einem elektrischen Widerstandselement ausgebildet ist, dessen Temperatur regelbar ist und
- (i) [der] Innendurchmesser der Leitung (16) stromaufwärts und eines Leitungsabschnitts (34) stromabwärts der Drosseleinrichtung (32) verschieden sind.
Nach der Beschreibung ist es Aufgabe des Verfügungspatents, die im Stand der Technik bekannten Vorrichtungen zur Erzeugung von Milchschaum zu verbessern, und zwar insbesondere in Hinblick auf die Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur. Die Konsistenz und die Qualität des erzeugten Milchschaums soll unabhängig von der Temperatur gegenüber den bekannten Vorrichtungen verbessert sein ([0011]), wobei dies die Erzeugung eines homogenen und stabilen Milchschaums voraussetzt, d.h. eines Milchschaums mit möglichst gleichmäßiger Blasenverteilung ([0012]).
Die nachstehend (verkleinert) wiedergegebenen Figur 1 zeigt schematisch eine Vorrichtung 1 zur Erzeugung von Milchschaum mit einer einstellbaren Temperatur; sie erläutert die technische Lehre des Verfügungspatents anhand einer bevorzugten Ausführungsform.

Die Antragsgegnerin stellt Kaffeemaschinen mit Milchaufschäumer her, unter anderem den Milchaufschäumer vom Typ ALPINA Latte Perfetto Duo, auf den sich der Antrag auf Erlassung einstweiliger Maßnahmen bezieht. Auf der folgenden Abbildung sind die wesentlichen Bauteile des geöffneten Geräts der Antragsgegnerin erkennbar (Hinweis: Bezugszeichen sind von der Antragstellerin eingefügt worden):

Spulleitungen
Aus den nicht näher bestrittenen Messungen der Antragstellerin geht hervor, dass die Leitung stromaufwärts einen Innendurchmesser von etwa 2mm hat; das Koppelteil hat einen Innendurchmesser von etwa 4mm:

Die folgende Abbildung der Antragsgegnerin zeigt die Milch/Luftgemisch-Strecke der angegriffenen Ausführungsform (Hinweis: Bezugszeichen sind von der Antragsgegnerin eingefügt worden):

Aus der folgenden Abbildung ergibt sich, dass die Leitung stromabwärts der Drossel über einen Knieverbinder mit dem Koppelteil verbunden ist (Hinweis: Bezugszeichen sind von der Antragstellerin eingefügt worden):

Unter Berücksichtigung des Leitungsbereichs im Knieverbinder ergibt sich eine Streckenlänge mit erweitertem Durchmesser stromabwärts der Drosseleinrichtung von etwa 10 cm, wie in der folgenden Abbildung demonstriert wird (Hinweis: Bezugszeichen und Längenbestimmung sind von der Antragstellerin eingefügt worden):
Drossel

VORBRINGEN DER PARTEIEN:
Die Antragstellerin brachte im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin verwirkliche mit dem Milchschäumer ALPINA Latte Perfetto Duo alle Merkmale des Anspruchs 2 des Verfügungspatents. Die Erlassung der einstweiligen Maßnahmen sei aus dem Grund dringlich, weil die Antragsgegnerin auf der vom 13.10. bis 17.10.2023 in Italien stattfindenden Messe 'HOST Milano', eine der bedeutendsten Konsumgütermessen weltweit, ihr patentverletzendes Produkt im großen Stil promoten möchte. Es sei daher dringend geboten, die Antragsgegnerin vor dieser Messe mit einer Unterlassungsverfügung zu belegen. Es liege auf der Hand und entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Promotion eines patentverletzenden Produkts in großem Stil auf einer der bedeutendsten Konsumgütermessen weltweit schwerwiegende und irreversible Auswirkungen auf den Markt und die Marktanteile habe. Der Umstand, dass das Produkt angeblich schon früher auf anderen Messen ausgestellt worden sei und angeblich schon seit Jahren auf dem Markt sein solle, ändere nichts an den Gefahren, die durch die Bewerbung auf der HOST Milano 2023 -und auch durch die offenbar geplante Bewerbung auf dem diesjährigen Münchner Oktoberfest als dem weltweit wohl größten Freizeitevent -drohen. Weder aus den Aufnahmen, wie sie in der schriftlichen Zeugenaussage (Beilage./8) enthalten seien, noch aus sonst vorgelegten Beweismitteln der Antragsgegnerin, wie etwa den YouTube-Videos, sei ersichtlich, dass die auf
früheren Messen beworbenen ALPINA Latte Perfetto Duo Produkte tatsächlich bereits in der nunmehr angegriffenen Ausführung vorgelegen haben.
Die Untersuchung der Kaffeemaschine der Antragsgegnerin habe ergeben, dass alle Merkmale des Anspruchs 2 des Verfügungspatents wortsinngemäß verwirklicht seien. Es werde auch nicht bestritten, dass beim Verletzungsgegenstand eine Drosseleinrichtung stromabwärts eines als Dickschichtheizung mit einem regelbaren elektrischen Widerstandselement ausgeführten Durchlauferhitzers angeordnet sei. Die Antragsgegnerin mache sich also jedenfalls die im Verfügungspatent in den Absätzen [0019] -[0020] diskutierten vorteilhaften technischen Wirkungen (Erzeugung eines Gegendrucks im Durchlauferhitzer, feinporiger Schaum, schnellere Temperaturregelung) zunutze. Bestritten werde allein die Realisierung des Merkmals (i). Dabei gehe das Verfügungspatent keinesfalls davon aus, dass sich der Leitungsabschnitt (34) zwingend von der Drosseleinrichtung bis zum Auslass erstrecken müsste. Zudem setze die Erzielung der im Verfügungspatent in den Absätzen [0026] und [0027] diskutierten technischen Wirkung des Leitungsabschnitts nach der Drosseleinrichtung, wonach dieser eine 'Beruhigungsstrecke' darstelle, in der die Luft im Milch/Luft-Gemisch in feine Blasen dispergiere und gleichzeitig der laminare Anteil der Strömung erhöht werde, keine Mindestlänge des Leitungsabschnitts voraus. Auch ein vergleichsweiser kurzer Leitungsabschnitt wie der Knieverbinder und das Koppelteil im Verletzungsgegenstand, die gesamt eine Länge von etwa 10 cm aufweisen, führe zweifellos zu einer 'Beruhigung' der Strömung nach der Drosseleinrichtung. Der Druck im Knieverbinder und Koppelteil des Verletzungsgegenstands müsse niedriger sein als in dem stromaufwärts liegenden Leitungsabschnitt, weil dieser einen geringeren Innendurchmesser aufweise. Daraus ergebe sich, dass im Knieverbinder und Koppelteil des Verletzungsgegenstands der in Absatz [0027] des Verfügungspatents geforderte 'graduelle Druckabfall' vor dem Auslass vorliege. Die Behauptung der Antragsgegnerin, ein Knieverbinder oder Koppelteil könne ' aufgrund seiner geringen Länge ' nicht als Beruhigungsstrecke dienen, sei deshalb unrichtig. Tatsache sei, dass durch den Übergang vom 2mm-Kunststoffschlauf auf das 4mm-Koppelteil eine Beruhigungsstrecke gebildet werde, die unmittelbar vor dem Auslass liege, und in der ein gradueller Druckabfall des Milch/Luft-Gemisches erfolge, sodass die Schaumqualität des erzeugten Milchschaums verbessert werde; das sei patentgemäß.
Das Verfügungspatent sei rechtsbeständig; es liege kein Fall der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung vor. Auch sei die Lehre des Verfügungspatents gegenüber dem Stand der Technik erfinderisch und nicht aus der Kombination der Druckschriften DE 20 2011 110 158 U1 und EP 0 335 250 A1 nichtig im Sinne des Art 138 Abs 1 lit a EPÜ.
Die Antragsgegnerin wendete ein, es fehle an der zeitlichen Dringlichkeit. Das angegriffene Produkt sei seit mehreren Jahren, konkret seit 2019 auf dem Markt. Der demnächst erfolgende Messeauftritt könne daher nicht die Notwendigkeit der Erlassung von einstweiligen Maßnahmen begründen. Es drohe auch kein unumkehrbarer Preisverfall und/oder eine unumkehrbare Verschiebung von Marktanteile. Es liege auch keine Verletzung des geltend gemachten Anspruchs 2 vor, weil das Anspruchsmerkmal (i) ' Innendurchmesser der Leitung (16) stromaufwärts und eines Leitungsabschnitts (34) stromabwärts der Drosseleinrichtung (32) verschieden sind ' von der angegriffene Ausführungsform nicht verwirklicht werde. Der Fachmann müsse insbesondere das Merkmal des ' Leitungsabschnitts stromabwärts der Drosseleinrichtung ' so verstehen, dass damit der gesamte Abschnitt der Leitung von der Drossel (32) bis zum Auslass gemeint sei. Denn nur so sei sichergestellt, dass sich eine ausreichende Länge für die Funktion der Beruhigungsstrecke ergebe.
Das Verfügungspatent gehe davon aus, dass sich der Leitungsabschnitt von der Drosseleinrichtung bis zum Auslass mit einem konstanten Innendurchmesser erstrecke und eine solche Länge aufweise, dass ein gradueller (dh nur allmählicher/in kleinen Schritten/langsamer) Druckabfall mit einer geringen Druckdifferenz pro Längeneinheit stattfinde. Es genüge daher nicht, nur einen sehr kleinen Teil (Knieverbinder und Koppelteil) des ohnehin sehr kurz ausgebildeten Leitungsabschnitts (34) mit einem vom Innendurchmesser der stromaufwärts der Drosseleinrichtung (32) verschiedenen Innendurchmesser auszustatten.
Zudem sei das Verfügungspatent wegen einer unzulässigen Erweiterung nichtig; insbesondere liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor. Der Gegenstand des Verfügungspatents sei auch gegenüber der DE 20 2011 110 158 U1 nicht erfinderisch.
Die Antragstellerin könne wegen dem 'Opt out' keine Klage in der Hauptsache erheben, sodass -die einstweiligen Maßnahmen schon deshalb nicht erteilt werden können. Ein Widerruf vom 'Opt -Out' sei für die Antragstellerin nicht mehr möglich, weil bereits eine Klage bei einem nationalen Gericht anhängig sei (Art. 83 Abs 4 EPGÜ und Regel 5 Abs 8 VerfO).
ANTRÄGE DER PARTEIEN:
Die Antragstellerin beantragt, die Erlassung folgender einstweiliger Maßnahmen:
-
- Der Antragsgegnerin werde ab sofort bis zur Rechtskraft eines anhängig zu machenden Verfahrens in der Hauptsache untersagt, in den Staaten Österreich, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, Niederlande und Portugal Vorrichtungen gemäß Anspruch 2 des EP 3 398 487 B1, sohin Vorrichtungen zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 des EP 3 398 487 B1, umfassend eine Pumpe (20) zum Fördern von Milch aus mindestens einem Behälter (12, 14) in [eine] Leitung (16, 34) zu einem Auslass (36), eine Luftzufuhr (22) zum Zuführen von Luft in die Leitung (16), einen Durchlauferhitzer (28) und eine Drosseleinrichtung (32), dadurch gekennzeichnet, dass der Durchlauferhitzer (28) druckseitig der Pumpe (20) und die Drosseleinrichtung (32) stromabwärts des Durchlauferhitzers (28) angeordnet sind, wobei der Durchlauferhitzer (28) als eine Dickschichtheizung mit einem elektrischen Widerstandselement ausgebildet ist, dessen Temperatur regelbar ist und [der] Innendurchmesser der Leitung (16) stromaufwärts und eines Leitungsabschnitts (34) stromabwärts der Drosseleinrichtung (32) verschieden sind, insbesondere Milchaufschäumer der Type ALPINA Latte Perfetto Duo herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
-
- Der Antragsgegnerin werde angedroht, dass für jeden einzelnen Fall und jeden Tag eines Zuwiderhandelns gegen Punkt 1. ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 3.000 verhängt wird.
-
- Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, sämtliche in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Milchschäumer, die unter Punkt 1. fallen, insbesondere sämtliche Milchschäumer des Typs ALPINA Latte Perfetto Duo, binnen 14 Tagen herauszugeben, um deren Inverkehrbringen und Umlauf auf den Vertriebswegen zu verhindern.
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- Die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auf Erlassung einstweiliger Maßnahmen in Höhe von EUR 21.800 zuzüglich EUR 11.000 an Gerichtsgebühr, sohin insgesamt EUR 32.800, binnen 14 Tagen vorläufig zu ersetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt:
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- Den Antrag auf einstweilige Maßnahmen abzuweisen.
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- Die Antragstellerin habe der Antragsgegnerin die Kosten der Vertretung zu erstatten.
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- Hilfsweise, für den Fall der Antragstattgebung:
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3.1 Die Antragstellerin habe eine angemessene Sicherheit in Höhe von EUR 500.000 zu leisten
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3.2 Vorsorglich werde die Aufhebung der einstweiligen Maßnahmen beantragt, wenn die Antragstellerin nicht rechtzeitig bei Gericht das Verfahren in der Hauptsache einleitet.
-
3.3 Die Antragsgegnerin beantragt, der Antragstellerin keine Kosten des Verfahrens auf Erlassung einstweiliger Maßnahmen vorläufig ersetzen zu müssen.
-
3.4 Die Antragstellerin habe der Antragsgegnerin angemessenen Ersatz für alle auf Grund dieser einstweiligen Maßnahmen entstandenen Schäden zu leisten.
TATSÄCHLICHE UND RECHTLICHE STREITPUNKTE
- A. Opt-out nach dem eingereichten Antrag auf Erlassung einstweiliger Maßnahmen; fehlende Zuständigkeit für das Verfahren in der Hauptsache (Rechtfertigungsklage)
- B. Klärung der Verletzungsfrage durch Auslegung des Anspruchs 2 des Verfügungspatents
- C. Frage der Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Maßnahmen
- D. Frage der eingewendeten Nichtigkeit des Verfügungspatents
GRÜNDE DER ENTSCHEIDUNG:
Dem Antrag auf Erlassung von einstweiligen Maßnahmen ist im Ergebnis der Erfolg zu versagen.
A .
Die Antragstellerin hat nach der am 27.6.2023 erfolgten Einleitung des gegenständlichen Verfahrens am 6.7.2023 einen Antrag auf Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung nach Regel 5 VerfO gestellt. Mit Schriftsatz vom 24.8.2023 hat sie dann einen Antrag auf Entfernung des 'Opt -outs' aus dem Register gestellt (Regel 5A VerfO). Dazu hat sie vorgetragen, dass der Patentanwalt, der den 'Opt out' vorgenommen habe, hierzu keine Vollmacht gehabt -habe.
Die Entscheidung von dem Kanzler über den Entfernungsantrag des 'Opt outs' ist noch offen. -
Der Antrag auf Erlassung einstweiliger Maßnahmen ist ungeachtet des von der Antragstellerin gestellten Antrags auf Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung nach Regel 5 VerfO zulässig. Er bewirkt jedoch, dass d as 'Opt out' -vom 6.7.2023 unwirksam ist (siehe Regel 5 Abs 6 der VerfO). Die angerufene Lokalkammer Wien des Einheitlichen Patentgerichts bleibt zur Entscheidung, auch für ein späteres Verfahren in der Hauptsache (Rechtfertigungsklage) zuständig.
Die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung nach Regel 5 VerfO war der Antragstellerin deshalb nicht mehr möglich, weil sie vorher einen Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen vor dem Einheitlichen Patentgericht erhoben hat. Dieser Antrag ist unter den Begriff 'Klage' im Sinne von Regel 5 und 5A der VerfO (oder Art 83 Abs 3 EPGÜ) zu subsumieren. Dies ergibt sich zum einen aus der englischen und der französischen Sprachfassung der VerfO ('Action' / 'action'). Unter 'action' fallen sowohl Verfahren, die auf Deutsch als Klage bezeichnet werden, als auch solche, die einstweilige Maßnahmen zum Gegenstand haben. Zum anderen wird gleiches auch durch einen Blick auf Art 32 Abs 1 EPGÜ deutlich: Sowohl die englische als auch die französische Sprachfassung des EPGÜ sprechen in Bezug auf 'actions' sowohl von Verletzungs -, Feststellungsund Nichtigkeitsklagen u.w. (siehe Art 32 Abs 1 lit a, b und d EPGÜ) als auch in Art 32 Abs 1 lit c EPGÜ von 'actions for provisional and protective measures and injunctions' bzw. 'les actions visant à obtenir des mesures provisoires et conservatoires et des injonctions'. Verwenden daher Regel 5 und 5A VerfO sowie Art 83 Abs 3 EPGÜ ohne weitere Konkretisierung den Begriff 'action', sind damit - dem Wortlaut entsprechend - auch einstweilige Verfügungsverfahren umfasst.
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der genannten Regelungen. Der Blockademechanismus bewirkt, dass das anhängige Gerichtsverfahren nicht mehr der Zuständigkeit des Gerichts entzogen werden kann. Dies ist nicht nur prozessökonomisch sinnvoll, sondern verhindert auch, dass ein 'O pt-out ' beispielsweise zur Verhinderung eines sich andeutenden negativen Verfahrensausgangs erklärt werden könnte. Andernfalls würde es dem 'O pt-out-Erklärenden freistehen, beliebig über das gerichtliche Verfahren zu verfügen und sich ' diesem entziehen zu können.
Dieses Ergebnis wird nicht zuletzt auch von Regel 265 VerfO gestützt, die als allgemeine Verfahrensvorschrift auch für Anträge auf einstweilige Maßnahmen gilt. Danach kann eine Klage oder ein Antrag auf einstweilige Maßnahmen nicht ohne Weiteres zurückgenommen werden, sondern die Rücknahme muss vom Gericht zugelassen werden. Dies erfolgt nicht, wenn die andere Partei ein berechtigtes Interesse daran hat, dass das Gericht über die Klage entscheidet. Wäre ein 'O pt-out auch nach Anhängigkeit des Antrags auf eine einstweilige Maßnahme möglich, könnten ' damit die Voraussetzungen einer Klage-/Antragsrücknahme umgangen werden, indem das Verfahren dem Gericht entzogen würde.
Klärung der Verletzungsfrage durch Auslegung des Anspruchs 2 des Verfügungspatents
Das Verfügungspatent beschreibt ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur. Die Erzeugung von Milchschaum, d.h. eines relativ stabilen Gemischs aus Milch bzw. Milchersatz und Luft oder Gas, welches gegebenenfalls erwärmt ist, ist allgemein bekannt und in vielfältiger Weise in diversen Kaffeemaschinen eingesetzt.
Die im Stand der Technik bekannten Systeme zur Erzeugung von Milchschaum variierender Temperatur umfassen im Allgemeinen (vgl auch Beschreibung des Verfügungspatents) eine Förderpumpe zum Ansaugen von Milch oder allgemein der aufzuschäumenden Flüssigkeit aus einem Behälter und Fördern derselben durch ein Leitungssystem zu einem Auslass. Ferner sind eine beispielsweise regelbare Luftzufuhreinrichtung und eine Temperiereinrichtung vorgesehen, um die Milch bzw. das Milch-Luftgemisch nach Bedarf auf eine einstellbare Temperatur zu temperieren. [0009]
Im Allgemeinen findet schon beim Zuführen von Luft in einen Milchfluss ein erster Schaumbildungsschritt statt, welcher einen groben, polydispersen Vorschaum erzeugt. Zur Erzeugung eines möglichst homogenen, monodispersen Schaums sind Druckerhöhungselemente bzw. Drosseleinrichtungen oder Widerstandsdurchlasselemente bekannt, welche eingerichtet sind, um durch Erzeugung von Gegendruck aus einem Milch-Luftgemisch einen Schaum zu erzeugen, in dem die Luft in Form von Blasen mit einer gewissen Größenverteilung dispergiert. Anstelle eines Druckerhöhungselements kann ein Mischelement vorgesehen sein, welches den durchfließenden Strom in Teilströme aufteilt und eine Vermischung der Teilströme derart vorsieht, dass ein Milchschaum entsteht [0010].
Vor dem Hintergrund des so beschriebenen Standes der Technik formuliert es das Verfügungspatent als Aufgabe und Erfindung, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Erzeugung von Milchschaum mit einstellbarer Temperatur zur Verfügung zu stellen, wobei auf einfache Weise unabhängig von der Temperatur die Konsistenz und die Qualität des erzeugten Schaums gegenüber den bekannten Verfahren und Vorrichtungen verbessert ist [0011].
Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren zur Erzeugung von Milchschaum gemäß Anspruch 1 gelöst sowie durch eine Vorrichtung gemäß Anspruch 2 [0013]. Die Vorrichtung laut Anspruch 2
untergliedert sich in die Merkmale laut der eingangs wiedergegebenen Aufgliederung (Seite 4 der Entscheidung).
Im Hinblick auf die Prozessstandpunkte der Parteien war zu prüfen, ob auch das Merkmal (i) ( [der] Innendurchmesser der Leitung (16) stromaufwärts und eines Leitungsabschnitts (34) stromabwärts der Drosseleinrichtung (32) verschieden sind. ) in der angegriffenen Ausführungsform der Antragsgegnerin wortsinngemäß verwirklicht ist (beide Parteien haben zu Recht nicht in Abrede gestellt, dass der Verletzungsgegenstand die anderen Merkmale erfüllt). Insbesondere war in diesem Zusammenhang strittig, welche Beschaffenheit und Länge der Leitungsabschnitt (34), der stromabwärts der Drosseleinrichtung angeordnet ist, patentgemäß aufzuweisen hat.
Da der Anspruch 2 als solcher keine zwingenden Vorgaben für die Länge dieses Leitungsabschnitts macht, ist zur näheren Konkretisierung die Auslegung des Patentanspruchs erforderlich. Der Schutzbereich eines europäischen Patents ist anhand von Art 69 Abs 1 EPÜ samt dem Auslegungsprotokoll zu Art 69 EPÜ in Verbindung mit Art 24 Abs 1 lit c EPGÜ zu ermitteln. Danach wird der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung auch die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Die Auslegung der Patentansprüche dient insoweit nicht nur der Behebung etwaiger Unklarheiten, sondern auch zur Erläuterung der darin verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung. Die Patentbeschreibung ist das Ausgangsmaterial für die Ermittlung der technischen Lehre, die vom Patentanspruch unter Schutz gestellt wird. Diese Form der Auslegung verbindet einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit einer ausreichenden Rechtssicherheit für Dritte. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit verlangt, dass interessierte Dritte erkennen können, ob eine erwogene, geplante oder bereits verwirklichte konkrete Ausführungsform in den Schutzbereich des Patentanspruchs fällt.
Ausgangspunkt für die Bestimmung des Schutzbereichs des Verfügungspatents ist die der einschlägigen Fachperson -als solche ist ein Ingenieur mit Fachhochschuloder Hochschulabschluss anzusehen, der sich auf die Herstellung von Kaffeemaschinen und deren Zubehör spezialisiert hat und auf diesem Gebiet mehrjährige Erfahrung aufzuweisen hat -bekannte Tatsache, dass der zur Beimischung zum Kaffee hergestellte Milchschaum dann in Konsistenz und Qualität des erzeugten Milchschaums besonders vorteilhaft ist, wenn die Bläschen besonders fein und gleichmäßig ausgestaltet sind.
Die Fachperson entnimmt dem Verfügungspatent, dass druckseitig der Pumpe durch die Drosseleinrichtung ein Gegendruck in dem Milch-/Luftgemisch erzeugt wird. Die so optimale Komprimierung des Milch-/Luftgemisches bewirkt die Erzeugung eines feinporigen Schaums. Dies basiert zumindest teilweise auf die in dem Durchlauferhitzer eintretende Wirkung des von der nachgeschalteten Drosseleinrichtung erzeugten Gegendrucks, welcher der Bildung größerer Luftblasen in dem zu erwärmenden Milch-/Luftgemisch entgegensteht [0015]. Das Verfügungspatent führt weiters aus, dass druckseitig der Pumpe der als Dickschichtheizung mit einem elektrischen Widerstandselement, dessen Temperatur regelbar ist, ausgebildete Durchlauferhitzer und stromabwärts des Durchlauferhitzers die Drosseleinrichtung angeordnet sind und der Innendurchmesser der Leitung stromaufwärts und eines Leitungsabschnitts stromabwärts der Drosseleinrichtung verschieden sind. Durch diese erfindungsgemäße Anordnung wird erreicht, dass der in der Drosseleinrichtung erzeugte Gegendruck sich vorteilhaft in dem Durchlauferhitzer auswirkt. Insbesondere kann so feinere Luftblasen auch in dem erwärmten Milch-/Luftgemisch erzielt werden. Durch die erfindungsgemäße Anordnung der Drosseleinrichtung stromabwärts des Durchlauferhitzers wird in diesem ein Gegendruck erzeugt, so dass sich die in dem erwärmten Milch-/Luftgemisch vorhandenen Luft- bzw. Gasblasen nicht ungehindert ausdehnen können. Der entstehende Schaum ist feinporiger [0020].
Das Verfügungspatent lehrt, dass die Erzeugung eines hochwertigen, feinporigen Schaums auf einem abgestimmten Zusammenwirken von Pumpe, Drosseleinrichtung, Leitungsquerschnitt und Leitungslänge basiert, wobei insbesondere die stromabwärts der Drosseleinrichtung bestehenden Druckverhältnisse von Bedeutung für die Schaumqualität sind, wobei die Drücke in einem Bereich zwischen 4 und 15 bar liegen [0024].
Vor diesem Hintergrund beschreibt das Verfügungspatent die Beschaffenheit der Leitungen näher, die zur Erzeugung eines hochwertigen Schaums als erforderlich angesehen werden. Hierzu liegt der Durchmesser des Durchflussquerschnitts an der Drosselstelle in einem Bereich von 0,5 bis 2 mm [0022]. Weiters führt das Patent aus, dass stromabwärts der Drosseleinrichtung ein Leitungsabschnitt vorgesehen ist, dessen Querschnitt und Länge bis zum Auslass derart gewählt ist, dass die Schaumqualität des Milchschaums weiter verbessert wird. Dieser Leitungsabschnitt stellt dazu eine Art Beruhigungsstrecke dar, in der die Luft in dem Milch-/Luftgemisch, die zumindest teilweise noch in Form von großen Blasen vorliegen kann, in feine Blasen dispergiert. Darüber hinaus beeinflusst der Leitungsabschnitt stromabwärts der Drosseleinrichtung auch die
Strömung des Milch-/Luftgemischs, die noch teilweise turbulente Anteile aufweist, in dem der laminare Anteil der Strömung des Gemisches erhöht wird [0026]. Diese Beruhigungsstrecke wird im Verfügungspatent dahingehend konkretisiert, dass dieser Leitungsabschnitt mit einem konstanten Innendurchmesser ausgebildet ist, der von dem stromaufwärts vorliegenden Innendurchmesser verschieden ist, und sich über eine Länge zwischen 0,5 m bis 2 m erstreckt, bevorzugt bei ca. 1,5 m. Diese Länge hält das Verfügungspatent deshalb für nötig, weil in diesem Leitungsabschnitt patentgemäß ein gradueller Druckabfall mit geringer Druckdifferenz pro Längeneinheit stattfindet [0026].
Die Fachperson entnimmt der Patentbeschreibung, dass es für die Erlangung des patentgemäßen Ziels, besonders feinen Milchschaum herzustellen, gerade auf das Zusammenspiel zwischen Drosseleinrichtung und deren Durchschnittsdicke, Dickschichtheizung und der Länge der Beruhigungsstrecke ankommt. Die Fachperson nimmt weiters zur Kenntnis, dass die Beruhigungsstrecke im Verfügungspatent durch ihre Funktion bei der Erzeugung des verbesserten Milchschaums definiert ist. Sie weist einen graduellen Druckabfall mit geringer Druckdifferenz pro Längeneinheit auf. Die Patentbeschreibung konkretisiert den Begriff des Leitungsabschnitts (34) dahingehend, dass dieser sich über eine Länge zwischen 0,5 m bis 2 m erstreckt, und bevorzugt eine Länge von ca. 1,5 m aufweist. Der Fachmann erkennt, dass es nach der Lehre des Verfügungspatents auf eine entsprechende Länge ankommt, damit der gewünschte Druckabfall erfolgt, der wiederum zu einem verbesserten Milchschaum führt.
Auf dieser Grundlage geht der Senat (sowie die Antragstellerin) davon aus, dass der Leitungsabschnitt (34) eine Beruhigungsstrecke bilden soll, die darüber hinaus die Strömung des Milch-/Luftgemischs beeinflusst. Um die gewünschte ' Beruhigung" und ' Strömungsbeeinflussung" zu erreichen, muss nach der Patentbeschreibung ein ' gradueller Druckabfall" vorhanden sein. Was unter diesem ' graduellen Druckabfall" zu verstehen ist, ergibt sich aus der Patentbeschreibung. Absatz [0027] macht deutlich, dass der Leitungsabschnitt (34) sich über eine Länge zwischen 0,5 bis 2 m, bevorzugt bei ca. 1,5 m erstreckt. In diesem Leitungsabschnitt findet ein gradueller Druckabfall mit geringer Druckdifferenz pro Längeneinheit statt. Die Beschreibung definiert also funktional und strukturell, was unter einem ' graduellen Druckabfall" zu verstehen ist, und steht dem Standpunkt der Antragstellerin entgegen, der im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass der Leitungsabschnitt (34) keine Mindestlänge hat und demzufolge jeder noch so geringe Druckabfall ausreicht, um eine Beruhigungsstrecke im Sinne des
Patents zu bilden. Eine solche Auslegung ist mit der dargelegten technisch sinnvollen Auslegung einer Fachperson auf der Grundlage der Patentbeschreibung nicht in Einklang zu bringen und wäre nicht vereinbar mit einer ausreichenden Rechtssicherheit für (betroffene) Dritte.
In den Angaben zur Höchstund Mindestlänge des als Beruhigungsstrecke dienenden Leitungsabschnitts liegt nach dem Verständnis der Fachperson somit eine Längenangabe, die zur Auslegung des Begriffs des Leitungsabschnitts (34) heranzuziehen ist. Dabei erkennt die Fachperson, dass der als Zahlenangabe gefassten Längenangabe ein hoher Grad an Eindeutigkeit und Klarheit zukommt. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil hier neben einem zahlenmäßig festgelegten Höchstwert (2 m) und einem Mindestwert (0,5 m) ein Vorzugswert der Beruhigungsstrecke von 1,5 m als besonders vorteilhaft genannt ist. Die Fachperson wird dabei vor dem Hintergrund der patentgemäßen Lehre davon ausgehen, dass die optimale Dispersion des Milchschaums nur dann zu erreichen ist, wenn der Schaum durch einen längeren Leitungsabschnitt fließt und sich auf diese Weise 'beruhigt'. Die Fachperson wird nicht davon ausgehen, dass sehr kurze Abschnitte, die im erheblichen Maße von den Längenangaben in der Patentbeschreibung abweichen, das gleiche Ziel verwirklichen können.
Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Antragstellerin lässt die Erwähnung des zahlenmäßig festgelegten Höchstwertes (2 m) und des zahlenmäßig festgelegten Mindestwertes (0,5 m) in Unteranspruch 8 nicht die Schlussfolgerung zu, dass auch ein sehr kurzer Leitungsabschnitt von etwa 10 cm vom Schutzbereich des Verfügungspatents in Anspruch 2 erfasst ist. Der unselbstständige (Unter-)Anspruch 8 konkretisiert den (Haupt-)Anspruch 2 gemäß den in der Beschreibung genannten Grenzwerten. Der Antragstellerin kann zwar zugestanden werden, dass Anspruch 2 nicht genau auf eine Länge von 0,5 m -2 m beschränkt ist. Jedoch ist die Schlussfolgerung nicht zulässig, Anspruch 2 hätte keine wesentliche Untergrenze. Die Fachperson geht in der Regel davon aus, dass geringfügige Abweichungen um die bevorzugten Werte immer noch unter die Lehre des Patents fallen können. Zusätzlich versteht sie anhand der Beschreibung, dass derartige Abweichungen eher sich auf die längeren als kürzeren Werte beziehen, weil der bevorzugte Wert von 1,5 m auf das obere Ende des genannten Bereichs hinweist. Ein Leitungsabschnitt von etwa 10 cm fällt auf jeden Fall nicht darunter.
Ausgehend von diesen Prämissen ist bei der angegriffenen Ausführungsform kein Leitungsabschnitt (34) laut Anspruch 2 des Verfügungspatents vorhanden. Damit macht die
angegriffene Ausführungsform von dessen Lehre keinen Gebrauch. Knieverbinder und Koppelteil der angegriffene Ausführungsform, die gemeinsam eine Länge von etwa 10 cm aufweisen (siehe Bild Seite 7), sind kein verfügungspatentgemäßer Leitungsabschnitt (34); das Merkmal (i) wird nicht verwirklicht. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob ein Knieverbinder und ein Koppelteil am Ende der Leitung, die zum Auslass führt, überhaupt ein Leitungsabschnitt (34) im Sinn von Patentanspruch 2 sein können. Selbst wenn man das annehmen würde, entspricht die Länge dieses Leitungsabschnitts nicht den Vorgaben des Verfügungspatents. Die Länge von etwa 10 cm ist zu entfernt von den Anforderungen, die das Verfügungspatent an den Leitungsabschnitt (34) stellt; auch der Mindestwert von 0,5 m wird deutlich verfehlt.
Im Ergebnis liegt keine Verletzung des Verfügungspatents vor und es sind die darauf abzielenden einstweiligen Maßnahmen daher nicht berechtigt. Eine Abwägung der jeweiligen Interessen der Parteien ist daher nicht mehr notwendig.
C. und D.
Die Klärung dieser strittigen Punkte konnte aufgrund des Ergebnisses, dass keine Patentrechtsverletzung vorliegt, dahingestellt bleiben.
KOSTENENTSCHEIDUNG
Nach Art 69 des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht bestimmt, dass die Kosten des Rechtsstreits und sonstige Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar sind, bis zu einer gemäß der VerfO festgelegten Obergrenze von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.
Die Regeln 150 ff VerfO bestimmen die Vorgehensweise bei einem Kostenfestsetzungsverfahren.
Der Senat kann bei Anordnung bezüglich des Antrags aus einstweilige Maßnahmen nach Regel 211.1 (d) VerfO eine vorläufige Kostenerstattung anordnen.
Beide Parteien haben bei Schluss der mündlichen Verhandlung eine Kostennote gelegt, was impliziert, dass sie je nach Prozesserfolg den Zuspruch der von ihnen aufgelisteten Kosten
beantragt haben. Eine Vereinbarung über einen allfälligen gegenseitigen Kostensatz wurde nicht getroffen.
Da die Antragstellerin mit ihrem Antrag nicht durchgedrungen ist, ist mit der gegenständlich getroffenen Entscheidung das Verfahren über den Antrag auf einstweilige Maßnahmen in erster Instanz beendet, wodurch einer vorläufigen Kostenerstattung der Boden entzogen ist. Dies aus dem Grund, weil die Antragstellerin selbst bei Prozesserfolg im Verfahren in der Hauptsache die Kosten dieses Verfahrens als unterliegende Partei nicht erfolgreich geltend machen kann. Sie hat daher der Antragsgegnerin endgültig die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.
Die Antragsgegnerin hat als obsiegende Partei ihre Kosten mit EUR 25.600 beziffert. Da gegen die Angemessenheit und Zumutbarkeit der aufgelisteten Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, keine Bedenken bestehen, Billigkeitsgründe gegen die Höhe nicht vorgetragen wurden, und die Antragsgegnerin in diesem Verfahren voll obsiegt hat, waren sie antragsgemäß (endgültig) zuzusprechen.
Wien am 13.9.2023
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Vorsitzender Richter Schober
Rechtlich qualifizierter Richter: Haedicke und Kupecz
für den Hilfskanzler: Clerk Svetly
INFORMATIONEN ÜBER DIE BERUFUNG
Die Antragstellerin kann gegen diese Anordnung innerhalb von 15 Tagen nach ihrer Zustellung Berufung einlegen (Art 73 (2) (a), 62 EPGÜ, Regel 220.1 (c), 224.2 (b) VerfO).
INFORMATIONEN ZUR VOLLSTRECKUNG (ART. 82 EPGÜ, ART 37(2) EPGS, REGEL 118.8, 158.2, 354, 355.4 VERFO)
Eine beglaubigte Kopie der vollstreckbaren Entscheidung oder der vollstreckbaren Anordnung wird vom Hilfskanzler auf Antrag der vollstreckenden Partei ausgestellt, Regel 69 RegR.