
Lokalkammer München
ORD_576853/2023 UPC_CFI_15/2023 Anordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts vom 29/09/2023
LEITSATZ:
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- Nach Regel 4.1 Satz 2 VerfO sind die Parteien gehalten, die online verfügbaren amtlichen Formulare zu verwenden. Zu diesen Formularen zählen auch die gesonderten Workflows innerhalb des CMS.
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- Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag auf Leistung einer Sicherheit nach Regel 158.1 VerfO ist die Darlegung, dass die Vermögensverhältnisse der anderen Partei befürchten lassen, dass ein etwaiger Kostenerstattungsanspruch nicht bedient werden kann oder dass trotz ausreichender finanziellen Mittel eine Vollstreckung einer Kostenentscheidung als unmöglich oder mit besonderen Schwierigkeiten behaftet erscheint.
KEYWORDS: amtliche Formulare, gesonderte Workflows, Zulässigkeit, Sicherheit
REFERENCE CODE ECLI: …
Parteien
1) Edwards Lifesciences Corporation
(Klagepartei)
- 1 Edwards Way - 92614 - Irvine - US
Vertreten durch Elsa Tzschoppe
2) Meril Gmbh
(Beklagte zu 1)
- Bornheimer Straße 135-137 - 53119 - Bonn - DE
Klagezustellung am 07/07/2023
Vertreten durch Dr Andreas von Falck
3) Meril Life Sciences Pvt Ltd.
(Beklagte zu 2) - M1-M2, Meril Park, Survey No 135/2/B & 174/2 Muktanand Marg, Chala, Vapi - 396 191 Gujarat - Vapi - IN
Klagezustellung am 01/08/2023
Vertreten durch
Dr Andreas von Falck
Klagepatent
Patent N r. |
Inhaber |
EP3646825 |
Edwards Lifesciences Corporation |
BERICHTERSTATTER
Vorsitzender Richter
Matthias Zigann
VERFAHRENSSPRACHE:
Deutsch
SACHVERHALT
Die Klagepartei hat am 1. Juni 2023 gegen die beiden Beklagten Verletzungsklage mit folgenden Anträgen erhoben:
- I. die Beklagten dazu verurteilt, es zu unterlassen,
ein System enthaltend: eine prothetische Klappe, enthaltend: einen zusammenklappbaren und expandierbaren ringförmigen Rahmen, der so konfiguriert ist, dass er in einen radial zusammengeklappten Zustand zum Befestigen an einer Zuführvorrichtung zusammengeklappt werden kann und in einen radial expandierten Zustand im Inneren des Körpers expandiert werden kann; wobei der Rahmen mehrere Reihen von gewinkelten Streben enthält, wobei die gewinkelten Streben so miteinander verbunden sind, dass sie mehrere Reihen von hexagonalen Zellen bilden, wobei der Rahmen vollständig aus hexagonalen Zellen besteht und wobei jede der hexagonal geformten Zellen durch sechs Streben definiert ist, die das Folgende umfassen: zwei gegenüberliegende Seitenstreben, die sich parallel zu einer Strömungsachse der Klappe erstrecken, ein Paar untere gewinkelte Streben, die sich von den jeweiligen unteren Enden der Seitenstreben nach unten erstrecken und aufeinander zulaufen, und ein Paar obere gewinkelte Streben, die sich von den jeweiligen oberen Enden der Seitenstreben nach oben erstrecken und aufeinander zulaufen; und einen Zuführkatheter, der einen aufblasbaren Ballon enthält;
wobei die prothetische Klappe in ihrem radial komprimierten Zustand auf den Ballon der Zuführvorrichtung gecrimpt ist, und wobei der Ballon so konfiguriert ist, dass er aufgeblasen werden kann, um sich zu expandieren, um die prothetische Klappe an der gewünschten Einsatzstelle, vorzugsweise innerhalb einer körpereigenen Aortenklappe, radial zu expandieren
(unabhängiger Anspruch 1 des Klagepatents), im Geltungsbereich des Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 3 ausgenommen in Malta 3, hilfsweise in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Schweden und Slowenien anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
insbesondere, wenn der Rahmen aus einem plastisch expandierbaren Material besteht, das vorzugsweise aus einer Gruppe ausgewählt ist, die rostfreien Stahl, eine Legierung auf Nickelbasis, eine Nickel-KobaltChrom-Legierung, Polymere oder eine Kombination davon enthält; (abhängiger Anspruch 5 des Klagepatents),
und/oder das System ferner eine Segelstruktur enthält, die mehrere Segel enthält, und eine Dichtungsschürze; (abhängiger Anspruch 6 des Klagepatents),
und/oder ein System nach dem abhängigen Anspruch 6, wobei jedes Segel einen an einer oberen freien Kante des Segels benachbarten Laschenabschnitt aufweist; (abhängiger Anspruch 11 des Klagepatents),
und/oder ein System nach dem abhängigen Anspruch 11, welches ferner mindestens einen Verstärkungsstreifen, der den Laschenabschnitt eines entsprechenden Segels abdeckt, enthält;
(abhängiger Anspruch 12 des Klagepatents), und/oder
ein System nach einem der abhängigen Ansprüche 6 und/oder 11 und/oder 12, wobei die Schürze aus einem Gewebe besteht, wobei das Gewebe vorzugsweise aus PET oder UHMWPE besteht;
(abhängiger Anspruch 13 des Klagepatents), insbesondere, wenn das System
a) eine Transkatheterherzklappenprothese mit der Bezeichnung >Myval Octacor< wie
nachfolgend abgebildet

und/oder
b) eine Zuführvorrichtung des Typs >Navigator< und/oder >Navigator Inception< wie nachfolgend abgebildet
~Navigator Inception" 1

enthält;
II. die Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Ziff. I. mit an das Gericht zu zahlenden Zwangsgeldern belegt, welche in angemessenem Verhältnis zu der Bedeutung der zu vollstreckenden Anordnung durch das Gericht festzusetzen sind, wobei ein Betrag von EUR 20.000 für jeden Fall der Zuwiderhandlung und pro Stück angeregt wird;
- III. feststellt, dass das Klagepatent durch die Beklagten im Hinblick auf die vorstehend unter Ziff. I bezeichneten Erzeugnisse verletzt wurde;
- IV. die Beklagten dazu verurteilt, unter Androhung eines für jeden Tag der Verzögerung wiederholt zu zahlenden Zwangsgeldes in Höhe von EUR 1.000, innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen nach Zustellung der Entscheidung der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die vorstehend unter Ziff. I. bezeichneten Handlungen seit dem 17. März 2021 begangen haben, und zwar unter Angabe:
- des Ursprungs und der Vertriebswege der verletzenden Erzeugnisse, 2) der erzeugten, hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Mengen und der Preise, die für die verletzenden Erzeugnisse gezahlt wurden und 3) der Identität aller an der Herstellung oder dem Vertrieb von verletzenden Erzeugnissen beteiligten dritten Personen;
- V. die Beklagten dazu verurteilt, unter Androhung eines für jeden Tag der Verzögerung wiederholt zu zahlenden Zwangsgeldes in Höhe von EUR 1.000, innerhalb eines Zeitraums von einer Woche nach Zustellung der Entscheidung die vorstehend unter Ziff. I. bezeichneten, seit dem 17. März 2021 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Erzeugnisse und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen, mit der Maßgabe, diese im Anschluss endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen;
- VI. die Beklagten dazu verurteilt, unter Androhung eines für jeden Tag der Verzögerung wiederholt zu zahlenden Zwangsgeldes in Höhe von EUR 1.000, innerhalb eines Zeitraums von einer Woche nach Zustellung der Entscheidung die in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziff. I. bezeichneten Erzeugnisse und/oder der betreffenden Materialien (einschließlich aller Produkte und/oder Materialien, die gemäß Ziff. IV oder anderweitig in ihren direkten und/oder indirekten Besitz und/oder ihr Eigentum gelangen) zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben;
VII. der Klägerin gestattet, die Entscheidung des Gerichts ganz oder teilweise, einschließlich der Bekanntmachung der Entscheidung, in fünf öffentlichen Medien und Fachzeitschriften ihrer Wahl zu veröffentlichen;
VIII. die Beklagten dazu verurteilt, den Tenor der Entscheidung des Gerichts auf deren Webseiten zu veröffentlichen;
- IX. feststellt, dass die Beklagten dazu verpflichtet sind, der Klägerin denjenigen Schaden (einschließlich Zinsen) zu ersetzen, der der Klägerin durch die vorstehend unter Ziff. I. bezeichneten, seit dem 17. März 2021 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
- X. die Beklagten dazu verurteilt, an die Klägerin vorläufigen Schadenersatz zu zahlen, wobei die Höhe des Betrages in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, wobei zumindest die
voraussichtlichen Kosten für das Schadenersatz- und Entschädigungsverfahren auf Seiten der Klägerin abgedeckt werden müssen und ein Betrag von mindestens EUR 663.000,00 angeregt wird;
XI. den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, einschließlich der Kosten für die in Ziff. I. bis VIII. beantragten Maßnahmen;
XII. der Entscheidung eine Anordnung zur sofortigen Vollstreckung beifügt,
hilfsweise,
für den Fall der Anordnung einer Sicherheitsleistung der Klägerin gestattet, diese durch Bank- oder Sparkassenbürgschaft zu erbringen und die Höhe der Sicherheitsleistung für jeden zuerkannten Anspruch sowie für die Kostengrundentscheidung gesondert feststellt,
hilfsweise,
der Klägerin nachlässt, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung abzuwenden;
XIII. eine Versäumnisentscheidung für den Fall erlässt, dass die Beklagten eine Handlung innerhalb der in dieser Verfahrensordnung vorgesehenen oder vom Gericht festgesetzten Frist versäumen oder nach ordnungsgemäßer Ladung nicht zu einer mündlichen Verhandlung erscheinen.
Die beklagte Partei hat unter dem 1. September 2023 - innerhalb der verlängerten Einspruchsfrist - im Workflow des Verletzungsverfahrens ACT_459987/2023 UPC_CFI_15/2023 als 'Klageer w iderung' einen Einspruch gem. Regel 19. 1 VerfO erhoben sowie weitere Anträge gestellt.
Die Klagepartei hat hierauf mit Schriftsatz vom 26. September 2023 im Workflow des Verletzungsverfahrens ACT_459987/2023 UPC_CFI_15/2023 als 'Replik' erwidert.
Die beklagte Partei macht geltend, dass das Gericht unzuständig sei, soweit die Klägerin eine Entscheidung mit Wirkung "im Geltungsbereich des Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung -ausgenommen in Malta" begehre, weil diese Staaten im Zeitpunkt der Klageeinreichung noch gar nicht Vertragsmitgliedstaaten seien. Das Gericht sei ferner unzuständig, soweit sich die Anträge, insbesondere die Anträge zu Ziffer IV., V., VI., IX. und X., auf Zeiträume vor dem 1. Juni 2023 bezögen. Das Gericht sei nicht befugt, über Ansprüche vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens zu entscheiden. Dem Einspruch sei ferner stattzugeben und die Klage abzuweisen, sofern sich die geltend gemachten Ansprüche auf eine angebliche Verletzung des Klagepatents durch ein System enthaltend die Transkatheterherzklappe "Myval Octacor" und das Zuführsystem "Navigator" stützten. Die Lokalkammer München sei nicht zuständig, über diesen Streitgegenstand zu entscheiden. Aus dem eigenen Vortrag der Klägerin heraus sei offensichtlich, dass die Klägerin keine Verletzungshandlungen durch ein System enthaltend die "Myval Octacor" und den "Navigator" durch die Beklagte zu 1) im Zuständigkeitsbereich der Lokalkammer aufzeigen könne. Der eigene Vortrag der Klägerin belege vielmehr, dass weder Erstbegehungs- noch Wiederholungsgefahr gegeben sei. Die "Myval Octacor" werde in Deutschland ausschließlich mit dem dazugehörigen "Navigator Inception" vertrieben. Die Beklagte zu 1) stelle weder ein vermeintlich patentverletzendes System enthaltend die "Myval Octacor" und den "Navigator" im Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland her noch biete sie dort ein solches an, bringe es in Verkehr oder gebrauche es oder führe es zu diesen Zwecken ein oder besitze es. Vielmehr habe die Beklagte zu 1) den "Navigator" in Deutschland nicht mehr vertrieben, seit die Beklagten Anfang 2021 eine Vielzahl von strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen abgegeben haben. Die Zuständigkeit der Lokalkammer München sei auch nicht aufgrund des Sitzes der Beklagten zu 1) in Bonn gemäß Art. 33 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) S. 1 EPGÜ (Sitzkammer) gegeben, sofern sich die Klageanträge auf eine angebliche Verletzung des Klagepatents durch ein System enthaltend die "Myval Octacor" und den "Navigator" bezögen. Das insoweit maßgebliche deutsche Recht (§§ 12 ff. ZPO) begründe nicht die Zuständigkeit speziell der Lokalkammer München. Vielmehr sei allenfalls die Lokalkammer Düsseldorf zuständig. Für die Beklagte zu 2) gelte dies entsprechend. Sie habe ihren Sitz unstreitig nicht in Deutschland. Entgegen der Ansicht der Klägerin könne eine Zuständigkeit auch nicht aus Satz 2 des Art. 33 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) EPGÜ hergeleitet werden, wonach eine gemeinsame Klage gegen mehrere Beklagte möglich ist, wenn zwischen diesen eine Geschäftsbeziehung besteht und die Klage denselben Verletzungsvorwurf betrifft. Da der Ankergerichtsstand (Lokalkammer München als Sitzkammer betreffend die Beklagte zu 1)) nicht gegeben sei könne eine daran anknüpfende Zuständigkeit im Hinblick auf die Beklagte zu 2) im Umfang des Einspruchs nicht begründet werden. Die Klage betreffe auch nicht "denselben Verletzungsvorwurf" in Bezug auf sonstige nationale Teile des Klagepatents. Da die Klägerin für die Beklagte zu 1) als Ankerbeklagte für keinen weiteren Vertragsmitgliedstaat, in denen das Klagepatent Wirkung hat, eine tatsächliche oder drohende Verletzung überhaupt vortrage, fehle es an einem anknüpfungsfähigen Verletzungsvorwurf. Es sei allenfalls die Zentralkammer zuständig.
Das weitere Hauptverfahren werde die Lokalkammer nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß Regel 295(l) VerfO i.V.m. Art. 30 Abs. 1, 3 der VO (EU) Nr. 1215/2012 als später angerufenes Gericht auszusetzen haben, weil in verschiedenen Mitgliedstaaten Gerichtsverfahren betreffend das praktisch schutzumfangsgleiche Europäische Patent EP 3 583 920 B1 ("EP 920") anhängig seien, die mit dem hier gegenständlichen Verfahren im Zusammenhang stünden. Daneben sei die Aussetzung im Sinne einer ordnungsgemäßen Rechtspflege erforderlich (R. 295 (m) VerfO). Die Meril Italy S.r.l. habe eine zentrale Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent EP 825 eingereicht, die bei der Zentralkammer Paris anhängig sei (ACT_551308/2023). Die stark verwandten Europäischen Patente EP 920 und EP 3 583 922 B1 ("EP 922") seien Gegenstand von Einspruchsbeschwerdeverfahren. EP 922 ist bereits widerrufen worden. Die Entscheidung über den Einspruch, hinsichtlich dessen eine Zwischenentscheidung außerhalb des Hauptverfahrens angeregt worden sei, bleibe von der Aussetzungsbitte unberührt.
Der Klägerin sei auf den Antrag der Beklagten hin die Erbringung einer Prozesskostensicherheit gemäß Art. 69 Abs. 4 EPGÜ, Regel 158.1 VerfO aufzugeben. Die Beklagten befürchteten, dass ihnen eine etwaige Durchsetzung ihres Kostenerstattungsanspruchs ohne den Schutz durch eine Prozesskostensicherheit erheblich erschwert werden würde, weil die Antragstellerin ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union (konkret: USA) habe. In den USA sei eine Entscheidung des Gerichts, anders als in den Vertragsmitgliedstaaten, nicht gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 1 EPGÜ vollstreckbar, sondern bedürfe zunächst der Anerkennung. Da in Bezug auf Entscheidungen und Anordnungen des Gerichts durch US-amerikanische Gerichte noch kein Präzedenzfall existiere, bestehe diesbezüglich große Rechtsunsicherheit. Unerheblich sei es in diesem Zusammenhang, ob ein Kläger vermögend ist.
Die beklagte Partei stellt folgende Anträge:
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- dem Einspruch im beantragten Umfang stattzugeben und die Klage teilweise als unzulässig
abzuweisen wegen
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- der Unzuständigkeit des Gerichts (R. 19.1(a) VerfO) hinsichtlich sämtlicher Anträge, soweit die Klägerin eine Entscheidung mit Wirkung "im Geltungsbereich des Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung -ausgenommen in Malta" begehrt;
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- der Unzuständigkeit des Gerichts (R. 19.1(a) VerfO), soweit sich die Anträge, insbesondere die Anträge zu Ziffer IV., V., VI., IX. und X., auf Zeiträume vor dem 1. Juni 2023 beziehen;
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- der Unzuständigkeit der Lokalkammer München (R. 19.1(b) VerfO) hinsichtlich sämtlicher Anträge, sofern sie sich auf eine angebliche Verletzung des Klagepatents EP 3 646 825 B1 durch ein System enthaltend die Transkatheterherzklappe "Myval OctacorTM" und das Zuführsystem "NavigatorTM" beziehen;
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- über den Einspruch im Rahmen einer Zwischenentscheidung gemäß Regel 20.1 VerfO zu entscheiden;
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- das weitere Hauptverfahren auszusetzen;
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- dass die Lokalkammer München den Präsidenten des Gerichts erster Instanz ersuchen möge, ihr gemäß Art. 18 Abs. 3 EPGÜ aus dem Richterpool einen zusätzlichen technisch qualifizierten Richter zuzuweisen, der über eine Qualifikation und Erfahrung auf dem Gebiet der
- Medizintechnik, vorzugsweise über Fachkenntnisse auf dem Gebiet des TranskatheterHerzklappenersatzes, verfügt (Art. 8 Abs. 5 S. 1 EPGÜ)
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- der Klägerin aufzugeben, binnen einer von der Lokalkammer festzulegenden Frist für die
- Kosten des Rechtsstreits und sonstigen den Beklagten entstandenen und noch entstehenden Kosten, die die Klägerin möglicherweise tragen muss, angemessene Sicherheit zu leisten (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ; R. 158.1 VerfO);
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- für den Fall, dass die Klägerin innerhalb der festgelegten Frist keine angemessene Sicherheit leistet, eine Versäumnisentscheidung gegen die Klägerin nach R. 355 VerfO zu erlassen (R. 158.5 VerfO);
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- für den Fall, dass die Klägerin eine Handlung innerhalb der in der Verfahrensordnung vorgesehenen oder von der Lokalkammer festgesetzten Frist versäumt oder nach ordnungsgemäßer Ladung nicht zu einer mündlichen Verhandlung erscheint, eine Versäumnisentscheidung gegen die Klägerin zu erlassen.
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- den Rechtsstreit bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV gemäß Regeln 295 lit. i), 266.5 S. 1 VerfO auszusetzen.
Die Klagepartei stellt folgende Anträge:
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- Den Einspruch zurückzuweisen,
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- hilfsweise, über den Einspruch im Hauptverfahren zu entscheiden,
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- weiter hilfsweise, die Parteien in einer mündlichen Verhandlung zu hören.
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- Den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurückzuweisen.
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- Den Antrag auf Leistung einer Prozesskostensicherheit zurückzuweisen,
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- hilfsweise, der Klägerin nachzulassen, die Sicherheit durch eine Bürgschaft zu erbringen.
Die Klagepartei macht Folgendes geltend:
An der temporalen Zuständigkeit des Gerichts sowie der internationalen und örtlichen Zuständigkeit der Lokalkammer München bestünden keinerlei Zweifel. Innerhalb der zuständigen deutschen Lokalkammern habe der Kläger ein Wahlrecht. Vorlagen an den Unionsgerichtshof sowie eine Aussetzung des Verfahrens seien nicht veranlasst. Insbesondere gäbe es keine ausländischen Parallelverfahren betreffend das Klagepatent. Auch die später vor der Zentralkammer Paris eingereichte Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent (ACT_551308/2023
UPC_CFI_255/2023) gebiete keine Aussetzung. Diese sei aufgrund der Zwischenschaltung eines Strohmanns, der Meril Italy S.R.L., zur Umgehung der Konzentrationsmaxime des Art. 33.4 S.2 EPGÜ unzulässig. Den Beklagten stünde nur der Weg der Nichtigkeitswiderklage vor der Lokalkammer München offen. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Klagepartei sei unzweifelhaft gegeben. Die Vereinigten Staaten von Amerika würden ausländische Urteile regelmäßig anerkennen. Da Urteile des Gerichts wie Urteile eines Gerichts eines der Mitgliedsstaaten zu behandeln seien, bestünden keine Bedenken.
Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die zitierten Schriftsätze Bezug genommen.
GRÜNDE
A.
Der Einspruch sowie die weiteren Anträge werden nunmehr innerhalb des neu eröffneten Workflows ORD_576853/2023 UPC_CFI_15/2023 behandelt.
Insoweit wird aufgrund der besonderen Herausforderungen, die das neue System für alle Verfahrensbeteiligten bereitstellt, diesmal noch davon abgesehen, den Einspruch sowie die weiteren Anträge nur deswegen als unzulässig zu behandeln, weil sie als 'Klageerwiderung' im Workflow des Verletzungsverfahrens eingereicht worden sind (Art. 42.2 EPGÜ). Richtig wäre gewesen, den Einspruch in einem gesonderten Workflow als 'pr eliminary objectio n' einzureichen.
Es ist jedoch festzustellen, dass eine solche Handhabung eigentlich aufgrund der Regel 4.1 Satz 2 VerfO veranlasst gewesen wäre. Hiernach sind die Parteien gehalten, die online verfügbaren amtlichen Formulare zu verwenden. Zu diesen Formularen zählen auch die gesonderten Workflows innerhalb des CMS.
Die Einreichung als 'Klageerwiderung' hatte vorliegend zur Folge, dass die Klagepartei ihre Erwiderung als 'Replik' eingereicht hat und das CMS nach der Einreichung des nächsten Schriftsatzes als 'Duplik' davon ausgehen wird, dass das schriftliche Verfahren i n der Hauptsache abgeschlossen ist. Ob und wie dieses Chaos von den Systemadministratoren repariert werden kann, ist derzeit offen.
B.
Der damit form- und fristgerecht eingelegte Einspruch ist im Hauptverfahren zu behandeln (Regel 20.2 VerfO). Im Einzelnen:
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- der Unzuständigkeit des Gerichts (R. 19.1(a) VerfO) hinsichtlich sämtlicher Anträge, soweit die Klägerin eine Entscheidung mit Wirkung "im Geltungsbereich des Übereinkommens über das Einheitliche Patentgericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung -ausgenommen in Malta" begehrt;
- a. Der Antrag der beklagten Partei ist dahingehend zu verstehen, dass für den Fall, dass zwischen der Einreichung der Klageschrift am 1. Juni 2023 und dem Tag der mündlichen Verhandlung weitere Mitgliedsstaaten, in denen das Klagepatent validiert ist, das EPGÜ ratifizieren sollten, eine 'automatische' Klageerweiterung eintr itt, die sie, die beklagte Partei, für unzulässig erachtet.
b. Derzeit handelt es sich um eine rein hypothetische Fragestellung. Konkrete Ratifizierungsschritte weiterer Vertragsstaaten sind derzeit nicht bekannt. Diese Frage kann daher im Hauptverfahren geklärt werden (Regel 20.2 VerfO), sollte sie sich stellen.
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- der Unzuständigkeit des Gerichts (R. 19.1(a) VerfO), soweit sich die Anträge, insbesondere die Anträge zu Ziffer IV., V., VI., IX. und X., auf Zeiträume vor dem 1. Juni 2023 beziehen;
- a. Der Antrag der beklagten Partei ist dahingehend zu verstehen, dass davon ausgegangen wird, dass das Einheitliche Patentgericht keine Zuständigkeit zur Entscheidung über Verletzungshandlungen habe, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht am 1. Juni 2023 begangen worden sind.
- b. Diese Auffassung ist aus Sicht des Berichterstatters rechtsirrig. Das Einheitliche Patentgericht ist zuständig für Entscheidungen über Verletzungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht am 1. Juni 2023 begangen worden sind. Dies folgt aus Art. 3 c) und 32.1. a) EPGÜ und dem Fehlen entgegenstehender intertemporaler Anordnungen.
- c. Jedenfalls aber betrifft der Einwand nur einen Teil des Klagevorwurfs. Selbst bei Erfolg wäre das Hauptverfahren fortzusetzen. Mithin ist es sachgerecht, den Einwand im Hauptverfahren zu behandeln (Regel 20.2 VerfO).
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- der Unzuständigkeit der Lokalkammer München (R. 19.1(b) VerfO) hinsichtlich sämtlicher Anträge, sofern sie sich auf eine angebliche Verletzung des Klagepatents EP 3 646 825 B1 durch ein System enthaltend die Transkatheterherzklappe "Myval OctacorTM" und das Zuführsystem "NavigatorTM" beziehen;
- a. Der Antrag der beklagten Partei ist dahingehend zu verstehen, dass sie der Ansicht ist, dass die Zuständigkeitsfrage differenziert nach einzelnen angegriffenen Ausführungsformen oder Kombinationen solcher angegriffenen Ausführungsformen zu beantworten ist.
b. Diese Auffassung ist aus Sicht des Berichterstatters rechtsirrig. Im Rahmen des Art. 33.1 b) EPGÜ ist danach zu fragen, ob derselbe Verletzungsvorwurf betroffen ist. Hierzu ist das Klagebegehren auszulegen. Das Klaghebegehren geht vorliegend dahin, dass das Gericht den Beklagten ganz allgemein die weitere Benutzung der technischen Lehre des Klagepatents verbieten möge. Dies zeigt die Wiederholung des Wortlauts der erteilten Ansprüche im Antrag. Die 'insbesondere' - Bezugnahme auf konkrete, als verletzend angesehene Produkte bzw. Sets im Antrag sowie die Erläuterungen in der Klagebegründung dienen lediglich der Veranschaulichung. Mithin betreffen sämtliche konkret benannten Produkte oder Sets denselben Verletzungsvorwurf im Sinne des Art. 33.1.b) EPGÜ.
Daher ist die Lokalkammer München mindestens deswegen für die Beklagte zu 1) zuständig, weil diese in Bonn und damit in der Bundesrepublik Deutschland ihren Sitz hat. Die von der beklagten Partei insoweit bemühte Argumentation, dass für eine Auswahl innerhalb der zuständigen deutschen Lokalkammern nicht der Wille der Klagepartei, sondern aufgrund einer Normenarmut des EPG-Rechts nationales Recht zur Anwendung käme, ist abwegig. Dies zeigt schon die Überlegung, dass mit diesem Ansatz die Zuständigkeitsfrage für Beklagte mit Wohnsitz in den Ländern ohne Lokalkammer, insbesondere im Osten Deutschlands, nicht beantwortet werden
könnte.
Hiervon ausgehend ist die Lokalkammer München mindestens gem. Art. 33.1 b) EPGÜ auch für die Beklagte zu 2) zuständig. Denn diese steht mit der Beklagten zu 1) betreffend die Verletzungsgegenstände in ständiger Geschäftsbeziehung und es handelt sich um denselben Verletzungsvorwurf, nämlich die Verletzung des Klagepatents. Die Beklagte zu 1) ist eine einhundertprozentige Tochter der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) fung iert als 'European Headquater' des Firmenverbundes und wird von der Beklagten zu 2) mit angegriffenen Ausführungsformen beliefert.
c. Jedenfalls aber ist zu berücksichtigen, dass der Einwand nur einen Teil des Klagevorwurfs betrifft und selbst bei Durchgreifen die Klage nicht vollständig abzuweisen, sondern -je nach Sachlage - zum Teil an die von der Klagepartei noch (hilfsweise) zu bestimmende zuständige Lokalkammer oder Regionalkammer zu verweisen wäre. Mithin ist es sachgerecht, den Einwand insgesamt im Hauptverfahren zu behandeln (Regel 20.2 VerfO).
C.
Ein Vorlage an den Unionsgerichtshof und eine Aussetzung des Verfahrens ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht veranlasst.
Zunächst ist aber festzustellen, dass die weiteren gestellten Anträge in ihrer üppigen Fülle (eigentlich) nicht zum Gegenstand eines vorläufigen Einspruchs gemacht werden können. Die möglichen Gegenstände eines vorläufigen Einspruchs sind in Regel 19.1 a) VerfO abschließend aufgezählt. Fragen der Aussetzung wegen anhängiger Parallelverfahren zählen zum Beispiel nicht dazu.
Die oben genannten Einwendungen sowie die weiteren Einwendungen werden im Hauptverfahren von der Kammer behandelt werden. Im Rahmen dieser Behandlung wird die Frage der Vorlage bestimmter Fragen an den Unionsgerichtshof sowie der Aussetzung des Verfahrens erneut einer Prüfung unterzogen werden.
D.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung für die Prozesskosten durch die Klagepartei ist nicht veranlasst.
Zunächst ist aber erneut festzustellen, dass ein solcher Antrag (eigentlich) nicht zum Gegenstand eines vorläufigen Einspruchs gemacht werden kann. Die möglichen Gegenstände eines vorläufigen Einspruchs sind in Regel 19.1 a) VerfO abschließend aufgezählt. Anträge nach Regel 158.1 VerfO zählen nicht dazu.
Eine solche Anordnung steht im Ermessen des Gerichts (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ; Regel 158.1 VerfO). Der Berichterstatter übt das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend aus, über den Antrag sogleich innerhalb dieser Anordnung zu entscheiden und keine Sicherheitsleistung anzuordnen.
Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag wäre die Darlegung, dass die Vermögensverhältnisse der anderen Partei befürchten lassen, dass ein etwaiger Kostenerstattungsanspruch nicht bedient werden kann oder dass trotz ausreichender finanziellen Mittel eine Vollstreckung einer Kostenentscheidung als unmöglich oder mit besonderen Schwierigkeiten behaftet erscheint.
Die beklagte Partei argumentiert allein mit der Überlegung, dass in Bezug auf Entscheidungen und Anordnungen des Gerichts durch US-amerikanische Gerichte noch kein Präzedenzfall existiere und daher eine große Rechtsunsicherheit bestehe. Unerheblich sei es in diesem Zusammenhang, dass die Klagepartei nach eigenen Angaben vermögend sei.
Diese Argumentation überzeugt nicht. Da das Gericht seine Tätigkeit erst am 1. Juni 2023 aufgenommen hat, existieren naturgemäß keine Erfahrungen mit der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des Gerichts im Ausland. In den Vereinigten Staaten von Amerika können Urteile ausländischer Gerichte sowie damit einhergehende Kostenentscheidungen grundsätzlich anerkannt und vollstreckt werden. Dass dies mit Entscheidungen und Anordnungen dieses Gerichts anders sein könnte oder ernsthaft zu erwarten ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
E.
Ein technischer Richter ist auf Antrag der beklagten Partei beizuziehen (Art. 8 Abs. 5 S. 1 EPGÜ ).
Es ist aber erneut festzustellen, dass ein solcher Antrag (eigentlich) nicht zum Gegenstand eines vorläufigen Einspruchs gemacht werden kann. Die möglichen Gegenstände eines vorläufigen Einspruchs sind in Regel 19.1 a) VerfO abschließend aufgezählt. Anträge nach Art. 8 Abs. 5 S. 1 EPGÜ zählen nicht dazu.
ANORDNUNGEN
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- Der Einspruch ist im Hauptverfahren zu behandeln.
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- Das Verfahren wird derzeit nicht ausgesetzt.
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- Der Antrag der beklagten Partei, der Klagepartei aufzuerlegen, für die Prozesskosten Sicherheit zu leisten, wird abgewiesen.
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- Die Parteien können zum Gegenstand des Einspruchs innerhalb des regulären Fristenregimes weiter vortragen. Hierzu wird ihnen -soweit das im CMS möglich ist -die Option 'to amend pleadings' eröffnet werd en.
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- Die Präsidentin des Gerichts erster Instanz wird ersucht, aus dem Richterpool einen technisch qualifizierten Richter zuzuweisen, der über eine Qualifikation und Erfahrung auf dem Gebiet der Medizintechnik, vorzugsweise über Fachkenntnisse auf dem Gebiet des Transkatheter-Herzklappenersatzes, verfügt. Die Verfahrenssprache ist Deutsch.
HINWEIS ZU RECHTSMITTELN
Die Anordnungen Nr. 2 bis 4 können auf begründeten Antrag einer Partei vom Spruchkörper überprüft werden. Der Antrag auf Überprüfung muss innerhalb von 15 Tagen ab Zustellung dieser Anordnung eingelegt werden.
DR. ZIGANN VORSITZENDER RICHTER UND BERICHTERSTATTER