
Lokalkammer München UPC_CFI_9/2023
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts in dem Hauptsacheverfahren betreffend die Europäischen Patente 3 611 989 und 3 678 321 erlassen am 18/01/2024
Leitsätze:
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- Zur Zulässigkeit der Erweiterung der Klage um Ansprüche aus einem weiteren Klagepatent nach Abschluss eines Beschränkungsverfahrens.
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- Den Beklagten sind zur inhaltlichen Erwiderung auf eine Klageerweiterung dieselben Schriftsatzfristen zur Verteidigung einzuräumen, die auch bei Einreichung als separate Klage zu gewähren gewesen wären, aber auch nicht mehr. Die (unverlängerte) Klageerwiderungsfrist beginnt in Bezug auf den Gegenstand einer Klageerweiterung mit Zulassung der Klageerweiterung zu laufen.
Keywords:
Regel 333; Überprüfung durch den Spruchkörper; Klageerweiterung; weiteres Klagepatent; Beschränkungsverfahren; Möglichkeit der Abtrennung; Klageerwiderungsfrist
Antragsteller
1) NETGEAR Deutschland GmbH
(Beklagte des Hauptverfahrens) - Konrad-Zuse-Platz 1 - 81829 - München - DE
vertreten durch Stephan Dorn
2) Netgear Inc.
(Beklagte des Hauptverfahrens) - 350 E Plumeria Dr - 95134 - San Jose - US
vertreten durch Stephan Dorn
3) Netgear International Limited
(Beklagte des Hauptverfahrens) - First Floor Building 3, University Technology Centre, Curraheen Road - T12K516 - Cork - IE
vertreten durch Stephan Dorn
Antragsgegnerin
1) Huawei Technologies Co. Ltd
(Klägerin des Hauptverfahrens) - Bantian Huawei Base Longgang District Shenzhen 518129 - Shenzhen - CN
vertreten durch Tobias J. Hessel
Klagepatente
Patent N r . |
Inhaberin |
EP3611989 EP3678321 |
Huawei Technologies Co. Ltd Huawei Technologies Co. Ltd |
ZUSAMMENSETZUNG DES SPRUCHKÖRPERS
Vorsitzender Richter und
Berichterstatter
Matthias Zigann
rechtlich qualifizierter Richter
Tobias Pichlmaier
rechtlich qualifizierter Richter
Edger Brinkman
technisch qualifizierter Richter
Patrice Vidon
Diese Anordnung wurde vom vollständig besetzten Spruchkörper erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
GEGENSTAND DES VERFAHRENS
Patentverletzung
hier: Antrag nach Regel 333.1 VerfO auf Überprüfung der Anordnung des Berichterstatters vom 11/12/2023 gem. Regel 263 VerfO auf Zulassung der Erweiterung der Klage um Ansprüche aus dem Europäischen Patent 3 678 321.
ANTRÄGE
Die Antragsteller (Beklagte im Hauptsacheverfahren) beantragen,
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- den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Klageerweiterung vom 23. November 2023 zurückzuweisen.
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- hilfsweise, die Berufung zuzulassen.
Die Antragsgegnerin (Klägerin im Hauptsacheverfahren) beantragt, die anhängige Klage gemäß Regel 263.1 VerfO um die nachfolgend spezifizierten Anträge basierend auf dem weiteren Klagepatent EP 3 678 321 zu erweitern.
SACHVERHALT
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung der Europäischen Patente 3 611 989 und 3 678 321 in Anspruch. Sie erhob zunächst am 01/06/2023 Klage gestützt allein auf das Europäische Patent 3 611 989. Mit Schriftsatz vom 23/11/2023 beantragte sie die Zulassung der Erweiterung der Klage auf Ansprüche aus dem Europäischen Patent 3 678 321.
Die Klägerin trägt vor, dass sie wegen eines Beschränkungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt betreffend das Europäische Patent 3 611 989, das im Zeitraum 13/04/2023 bis 20/10/2023 stattgefunden habe, gehindert gewesen sei, Ansprüche gestützt auf dieses Patent bereits mit der Klage vom 01/06/2023 geltend zu machen. Die Klageerweiterung richte sich gegen dieselben Verletzungshandlungen rund um die WiFi6-Funktionalität der Verletzungsformen. Die Erweiterung sei daher prozessökonomisch. Die Beklagten würden durch die Zulassung nicht unangemessen benachteiligt. Hätte sie die Klage zugleich auch auf das Europäische Patent 3 611 989 gestützt wäre sie unabhängig vom geltend gemachten Patentanspruch Gefahr gelaufen, dass die Beklagten mit Nichtigkeitswiderklagen den Bestand des Patents wie erteilt umfänglich angreifen, obwohl die Patentinhaberin am Patent im Umfang wie erteilt ohnehin nicht mehr festhalten will.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass das Vorliegen der Voraussetzungen der Regel 263 VerfO bereits nicht hinreichend dargetan sei. Im Beschränkungsverfahren seien lediglich die Merkmale des Unteranspruchs 6 (bezogen auf den Verfahrensanspruch) bzw. des identischen Unteranspruchs 14 (bezogen auf den Vorrichtungsanspruch) in die ursprünglichen Hauptansprüche 1, 2, 9 und 10 mit aufgenommen worden. Diese Ansprüche seien nunmehr die neuen Ansprüche 1 bis 4 der B3 Schrift des EP 321. Alle anderen Ansprüche seien gestrichen worden. Neue Merkmale seien den Ansprüchen hingegen nicht hinzugefügt worden. Mithin hätte die Klägerin die nun beschränkte Fassung bereits am 01/06/2023 zum Gegenstand einer Klage machen können. Es sei ihr ohne weiteres möglich gewesen, den Verletzungsvorwurf auf die ursprünglichen Hauptansprüche und ursprünglichen Unteransprüche 6 und 14 des EP 321 zu stützen. Auch eine nachträgliche Beschränkung der geltend gemachten Ansprüche, um diese dem Ausgang des vor dem Europäischen Patentamts anhängigen Beschränkungsverfahrens anzupassen, wäre ihr nach Regel 263.3 VerfO ohne weiteres möglich gewesen. Der Klägerin gehe es mit dem gestellten Antrag einzig und allein darum, die erneute Zustellung einer Klageschrift an die Beklagten zu vermeiden. Darüber hinaus würden die Beklagten durch die Klageerweiterung unangemessen in ihrer Verfahrensführung behindert.
Der Berichterstatter hat am 11/12/2023 folgende Anordnung getroffen:
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- Dem Antrag der Antragstellerin (Klägerin des Hauptsacheverfahrens) vom 23/11/2023 auf Zulassung der Erweiterung der Klage gemäß Regel 263.1 VerfO um die im Schriftsatz vom 23/11/2023 spezifizierten Anträge basierend auf dem weiteren Klagepatent EP 3 678 321 wird stattgegeben.
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- Der Streitwert wird nach Klageerweiterung auf insgesamt 2 Mio. € festgesetzt, davon entfallen auf den Gegenstand der Klageerweiterung 1 Mio. €.
Zur Begründung hat er ausgeführt:
Der Antrag auf Zulassung der Klageänderung ist zulässig und begründet.
Nach Regel 263.1 VerfO kann eine Partei zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens beim Gericht die Zulassung einer Klageänderung oder Klageerweiterung, einschließlich einer Widerklage, beantragen. In dem Antrag ist zu begründen, weshalb die Änderung oder Ergänzung nicht schon in dem ursprünglichen Schriftsatz enthalten war. Vorbehaltlich des Absatzes 3 wird die Zulassung abgelehnt, wenn die Partei, welche die Änderung beantragt, unter Berücksichtigung aller Umstände das Gericht nicht davon überzeugen kann, dass (a) die in Rede stehende Änderung bei gebotener Sorgfalt nicht früher vorgenommen werden konnte und (b) die Änderung die andere Partei in ihrer Verfahrensführung nicht unangemessen behindert.
Der Antrag wurde zulässig gestellt. Die Antragstellerin hat zu allen Tatbestandsmerkmalen vorgetragen.
Die Voraussetzungen für eine Ablehnung der Zulassung liegen nicht vor.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass die in Rede stehende Änderung bei gebotener Sorgfalt nicht früher vorgenommen werden konnte. Das Beschränkungsverfahren lief bis zum 20/10/2023. Der Antrag auf Klageänderung stammt vom 23/11/2023. Der zeitliche Verzug ist durch die Notwendigkeit der anwaltlichen Aufbereitung erklärbar. Ein sorgfältiger Kläger war auch nicht gehalten, während des laufenden Beschränkungsverfahrens bereits Klage einzureichen. Denn ungeachtet des Umstandes, dass die Gerichte mancher EPÜ-Staaten die Geltendmachung eines beschränkten Patentanspruchs vor Abschluss eines Beschränkungsverfahrens nicht zulassen und noch zu klären sein wird, wie es sich beim Einheitlichen Patengerichts verhält, wäre die Klägerin im Falle eines solchen Vorgehens je nach Ausgang des Beschränkungsverfahrens gezwungen gewesen, im Wege der Klageänderung die Klage an die Geschehnisse im Beschränkungsverfahren anzupassen. Die Notwendigkeit der einen Klageänderung würde demnach durch die Notwendigkeit einer anderen Klageänderung ersetzt. Die Ablehnung der Zulassung brächte daher keinerlei Gewinn für die Verfahrensökonomie.
Das Gericht ist darüber hinaus davon überzeugt, dass die Änderung die andere Partei in ihrer Verfahrensführung nicht unangemessen behindert. Ein gewisses Maß an Behinderung steht der Zulassung bereits nach dem Gesetz nicht entgegen. Darüber hinaus ist das Gericht im Falle der gemeinsamen Führung beider Patente innerhalb desselben Verletzungsverfahrens verpflichtet, der Beklagten in Bezug auf das zweite Patent weitgehend dieselben Verteidigungsmöglichkeiten einzuräumen, wie im Falle einer neuen, weiteren Klage. Dies kann durch Einräumung bzw. Verlängerung von
Stellungnahmefristen geschehen. Im Falle der Abtrennung des Gegenstandes der Klageerweiterung würde dies sogar noch vereinfacht.
Die Parteien werden zu der Frage, ob der Gegenstand der Klageerweiterung abgetrennt werden kann oder soll, in einem gesonderten Workflow angehört werden.
Die Antragsteller (Beklagte des Hauptsacheverfahrens) haben mit Schriftsatz vom 22/12/2023 einen Überprüfungsantrag nach Regel 333.1 VerfO eingereicht. Die Antragsgegnerin (Klägerin des Hauptsacheverfahrens) hat mit Schriftsatz vom 04/01/2024 hierzu Stellung genommen.
GRÜNDE
Der Antrag ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
Die Anordnung des Berichterstatters vom 11/12/2023 wird daher vom Spruchkörper bestätigt.
- I. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag vom 22/12/2023 ist binnen der Frist nach Regel 333.2 VerfO gestellt, die Gebühr entrichtet. Die Klägerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme nach Regel 333.2 VerfO, die sie mit Schriftsatz vom 04/01/2024 wahrgenommen hat.
Bei der Anordnung des Berichterstatters im schriftlichen Verfahren, eine Klageerweiterung zuzulassen, handelt es sich um eine in den Anwendungsbereich der Regel 333.1 VerfO fallende Anordnung.
Nach Regel 333.1 VerfO sind alle verfahrensleitenden Entscheidungen oder Anordnungen des Berichterstatters oder des Vorsitzenden Richters (Englische Fassung: 'Case management decisions or orders made by the judgerapporteur or the presiding judge'; Französische Fassung: 'Les décisions ou ordonnances relatives au traitement des affaires rendues par le jugerapporteur ou le président') auf begründeten Antrag durch den Spruchkörper überprüfbar. Die Zulassung einer Klageerweiterung gestalten den Verfahrensgang aus und ist mithin verfahrensleitend.
Nach Regel 220.2 VerfO steht es der beschwerten Partei offen, entweder die Beanstandung im Rahmen der Berufung gegen die Endentscheidung vorzubringen oder sie bereits im noch laufenden Verfahren zu erheben. Zunächst ist jedoch eine Überprüfung der Entscheidung des Berichterstatters durch den Spruchkörper nach Regel 333 VerfO herbeizuführen, bevor das Berufungsgericht eine Entscheidung nach Regeln 220.2. und .3 VerfO trifft (Regel 333.5 VerfO).
Dieses Procedere soll dem Spruchkörper die Gelegenheit geben, der Beanstandung selbst abzuhelfen und so eine überflüssige Berufung zu vermeiden.
II. Der Antrag ist unbegründet.
Der Spruchkörper verweist zur Begründung zunächst auf die oben wiedergegebene Begründung des Berichterstatters und macht sich diese zu eigen.
Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Parteien ist ergänzend auszuführen, dass sich die Beurteilung der Zulässigkeit der Klageerweiterung allein nach Regel 263 VerfO richtet und nicht nach nationalen Rechtsvorschriften.
Der Klägerin war eine frühere Geltendmachung der beschränkten Ansprüche vor dem Abschluss des Beschränkungsverfahrens auch aufgrund der Gefahr einer weiteren Widerklage auf Nichtigerklärung des zweiten Patents nicht zumutbar. Als eigenes Angriffsmittel ist die Widerklage nicht auf eine im Verletzungsverfahren ggf. beschränkt geltend gemachte Anspruchsfassung beschränkt. Die Beklagten hätten somit ohne Weiteres den Rechtsbestand des EP 3 678 321 in seiner ursprünglich erteilten Fassung mit einer Widerklage angreifen können, obwohl diese überhaupt nicht mehr relevant sein wird. Da noch keine Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts zur Zulässigkeit solcher Nichtigkeitswiderklagen sowie zur Kostenfolge existieren musste sich die Patentinhaberin auf ein derartiges Wagnis nicht einlassen. Sie durfte den Ausgang des Beschränkungsverfahrens abwarten.
Den Beklagten sind im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bzw. im Rahmen eines abgetrennten Verfahrens dieselben Schriftsatzfristen zur Verteidigung einzuräumen, die auch bei Einreichung als separate Klage zu gewähren gewesen wären, aber auch nicht mehr. Dies bedeutet, dass die unverlängerte Klageerwiderungsfrist in Bezug auf den Gegenstand der Klageerweiterung mit Zulassung der Klageerweiterung am 11/12/2023 zu laufen begonnen hat. Den Beklagten wird noch mitgeteilt werden, in welchem Workflow die Klageerwiderung einzureichen sein wird.
Die Berufung ist zuzulassen, weil die Frage der klageerweiternden Geltendmachung weiterer Schutzrechte eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.
ANORDNUNG
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- Die Anordnung des Berichterstatters vom 11/12/2023 (App_587438/2023) wird vom Spruchkörper bestätigt.
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- Die Klagerwiderungsfrist in Bezug auf den Gegenstand der Klageerweiterung hat am 11/12/2023 begonnen und wird (unverlängert) am 11/03/2024 enden.
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- Die Berufung wird zugelassen.
Dr. Zigann
Vorsitzender Richter und Berichterstatter
Pichlmaier
rechtlich qualifizierter Richter
Brinkman rechtlich qualifizierter Richter
Vidon
technisch qualifizierter Richter
DETAILS DER ANORDNUNG
UPC Nummer:
UPC_CFI_9/2023
Aktenzeichen der Verletzungsklage:
ACT_459771/2023
Aktenzeichen der Widerklagen:
CC_588071/2023; CC_588080/2023
Aktenzeichen der zu überprüfenden Anordnung:
App_587438/2023
Gegenstand der zu überprüfenden Anordnung:
R 263
Aktenzeichen dieser Anordnung:
App_595631/2023
Gegenstand dieser Anordnung:
R 333
INFORMATIONEN ÜBER DIE BERUFUNG
Gegen die vorliegende Anordnung kann entweder
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- durch jede Partei, die ganz oder teilweise in ihren Anträgen erfolglos war, zusammen mit der Berufung gegen die Endentscheidung des Gerichts erster Instanz in der Hauptsache Berufung eingelegt werden, oder
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- nach Zulassung der Berufung durch das Gericht erster Instanz binnen 15 Tagen nach Zustellung der entsprechenden Entscheidung Berufung durch jede Partei, die ganz oder teilweise in ihren Anträgen erfolglos war, eingelegt werden (Art. 73 (2) (b) EPGÜ, R. 220.2, 224.1 (b) VerfO).