
Aktenzeichen: App_100/2024 UPC_CoA_4/2024
Anordnung
des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 18. Januar 2024 betreffend einen Antrag auf aufschiebende Wirkung
ANTRAGSGEGENERINNEN UND BERUFUNGSKLÄGERINNEN
1. Meril GmbH
Bornheimer Straße 135-137, 53119 Bonn, Deutschland
2. Meril Life Sciences Pvt Ltd.
M1-M2, Meril Park, Survey No 135/2/B & 174/2, Muktanand Marg, Chala, Vapi 396 191, Gujarat, Indien vertreten durch: Dr. Andreas von Falck, Dr. Roman Würtenberger und Beatrice Wilden, Rechtsanwälte (Hogan Lovells International LLP)
ANTRAGSTELLERIN UND BERUFUNGSBEKLAGTE
Edwards Lifesciences Corporation
1 Edwards Way, Irvine, 92614 Kalifornien, USA
vertreten durch: Boris Kreye und Anika Boche, Rechtsanwälte (Bird&Bird)
VERFÜGUNGSPATENT
EP 3 763 331
ENTSCHEIDENDE RICHTER
Peter Blok, rechtlich qualifizierter Richter und Berichterstatter
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
BEANSTANDETE ANORDNUNG DES GERICHTS ERSTER INSTANZ
□ München, vom 19. Dezember 2023
Anordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts, Lokalkammer
□ Aktenzeichen des Gerichts erster Instanz:
UPC_CFI_249/2023
ACT_550921/2023
ORD_577734/2023
SACHVERHALT UND ANTRÄGE DER PARTEIEN
Die Antragstellerin und Berufungsbeklagte (nachfolgend: Berufungsbeklagte) hat die Antragsgenerinnen und Berufungsklägerinnen (nachfolgend: Berufungsklägerinnen) am 19. Juni 2023 wegen Verletzung des Europäischen Patents 3 763 331 betreffend eine Crimpvorrichtung zum Crimpen von stentbasierten Klappenprothesen, insbesondere Herzklappenprothesen, abgemahnt. Mit Schreiben vom 30. Juni 2023 informierte die Berufungsbeklagte die Berufungsklägerinnen darüber, dass der Antrag auf Erteilung einer einheitlichen Wirkung für das Verfügungspatent zurückgenommen worden sei und das Verfügungspatent nunmehr als herkömmliches europäisches Patent durchgesetzt werde. Die letzte vorgerichtlich gesetzte Frist lief am 13. Juli 2023 erfolglos ab.
Am 18. Juli 2023 hat die Berufungsbeklagte den Erlass einstweiliger Maßnahmen bei der Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts beantragt. Die Berufungsklägerinnen haben hiergegen am 25. August 2023 Einspruch mit 107 Seiten schriftsätzlichen Ausführungen nebst 49 Anlagen eingelegt. Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 10. Oktober 2023 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 11. September 2023 hat die Berufungsbeklagte auf den Einspruch mit 69 Seiten schriftsätzlichen Ausführungen nebst 5 Anlagen erwidert. Mit Schriftsatz vom 25. September 2023 haben die Berufungsklägerinnen innerhalb der ihnen eingeräumten Stellungnahmefrist eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben. Die Berufungsbeklagte hat diese Erklärung mit Schriftsatz vom 29. September 2023 angenommen.
Im Rahmen einer Videokonferenz am 2. Oktober 2023 haben beide Parteien übereinstimmend erklärt, dass das Verfahren im Sinne der Regel 360 VerfO nunmehr erledigt sei und es einer mündlichen Verhandlung nicht mehr bedürfe. Uneinig waren sich die Parteien hingegen nach wie vor in Bezug auf die Frage, wer die Kosten zu tragen hat. Der Termin vom 10. Oktober 2023 wurde mit Anordnung des Vorsitzenden Richters (und Berichterstatters) vom 2. Oktober 2023 abgesetzt und die Frage der Kostentragung dem vollständig besetzten Spruchkörper zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Anordnung vom 19. Dezember 2023 hat das Gericht erster Instanz, Lokalkammer München:
-
- festgestellt, dass der Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen durch die Abgabe der
- Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung durch die Berufungsklägerinnen am 25.
September 2023 gegenstandslos geworden ist und sich das Verfahren damit erledigt hat;
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- das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen abgetragen;
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- angeordnet, dass die Berufungsklägerinnen die Kosten des Rechtsstreits sowie die sonstigen Kosten der Berufungsbeklagte bis zu einer Obergrenze von € 200.000,00 zu tragen haben;
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- im Übrigen die Anträge der Berufungsbeklagte als derzeit verfrüht und die Anträge der Berufungsklägerinnen als unbegründet abgewiesen;
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- den Streitwert auf € 1.500.000,00 festgesetzt;
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- die Berufung zugelassen.
Zur Begründung der Kostenentscheidung zu Ziffer 3 hat das Gericht erster Instanz, Lokalkammer München, Folgendes angeführt:
' Die Erledigung und Abtragung beruhen vorliegend auf außergewöhnlichen Umständen, nämlich der Erledigung des Rechtsstreits aufgrund der Abgabe der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung durch die Antragsgegner am 25.09.2023 und deren Annahme durch die Klägerin.
Unter den Umständen des vorliegenden Verfahrens wäre es unbillig, der Antragstellerin die entstandenen Kosten aufzuerlegen. Die Antragsgegner haben die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung zwar 'ohne Anerkennung einer Rechtspflicht' abgegeben. Dies bedeutet aber nicht, dass der Umstand, dass sie sich insoweit faktisch in die Position des Unterlegenen begeben haben und der Zeitpunkt, an dem dies geschehen ist, unberücksichtigt zu bleiben haben. Im Gegenteil, diese beiden Umstände sind zu berücksichtigen.
Denn unabhängig von der Frage, ob der Antrag der Antragstellerin im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses in vollem Umfang zulässig und begründet war, hätten die Antragsgegner die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung wesentlich kostenschonender bis kurz vor Ablauf der letzten vorgerichtlich im Rahmen der Abmahnung bis zum 13.07.2023 gesetzten Frist abgegeben können. Sie haben nicht erklärt, warum sie die aus ihrer Sicht nicht geschuldete Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung nicht bereits zu diesem Zeitpunkt abgegeben haben. Im Rahmen einer Abmahnung steht es ihnen frei, eine Unterlassungserklärung eigenständig zu formulieren. Der Vorschlag des Abmahnenden braucht insoweit nicht übernommen zu werden. Dass die Antragsgegner um diese Möglichkeit wussten, ergibt sich aus dem Umstand, dass die nunmehr abgegebene Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung von dem von der Antragstellerin vorgeschlagenen Text abweicht. Die Vorgänge um den zunächst gestellten und später wegen des 'Malta-Problems' zurückgenommenen Antrag auf Erlangung eines einheitlichen Schutzes für das Verfügungspatent stellte insoweit kein Hindernis dar. Denn die Antragstellerin hat die Antragsgegner insoweit stets auf dem Laufenden gehalten. Hätten die Antragsgegner die nunmehr abgegebene Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung bereits zum 13.7.2023 abgegeben, dann wären diejenigen Kosten, über die nun dem Grunde nach zu entscheiden ist, nicht entstanden.
Denn mangels Vortrags anderweitiger Anhaltspunkt ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin diese Erklärung trotz der textlichen Abweichungen von der selbst vorgeschlagenen Erklärung ebenfalls angenommen und von der Stellung eines Antrags auf Erlass einstweiliger Maßnahmen Abstand genommen hätte. Mithin haben die Antragsgegner der Antragstellerin unnötig Kosten in Form der Kosten des Rechtsstreits sowie der sonstigen Kosten der Antragstellerin verursacht.
Das Verhalten der Antragsgegner bis zur Abgabe der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung am 25.09.2023 gebietet keine anderweitige Beurteilung. Die Antragsgegner haben zunächst am 25.8.2023 mit 107 Seiten und 49 Anlagen einen sehr umfangreichen Einspruch eingereicht. Die Antragstellerin musste hierauf ebenso umfangreich erwidern. Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 10.10.2023 bestimmt. Die Beauftragung von Simultandolmetschern wurde seitens des Gerichts für diesen Termin in die Wege geleitet. Die Abgabe der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung kam vor diesem Hintergrund für alle anderen Beteiligten vollkommen überraschend. Bis zu diesem Zeitpunkt sind der Antragstellerin und dem
Gericht erhebliche Kosten entstanden. Erhebliche Arbeiten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung waren bereits geleistet worden.
Insoweit entspricht es der Billigkeit, den Antragsgegner ungeachtet der Erfolgsaussichten des Antrags auf Erlass einstweiliger Maßnahmen die gesamten Kosten aufzuerlegen .'
Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2024 haben die Berufungsklägerinnen gegen die Anordnung der Lokalkammer München des Gerichts erster Instanz vom 19. Dezember 2023 Berufung eingelegt (APL_83/2024, UPC_CoA_2/2024). In der Berufungsschrift beantragen sie:
- I. die Anordnung der Lokalkammer München in Bezug auf die Anordnung zu Ziffer 3 aufzuheben und der Berufungsbeklagte die Kosten des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz einschließlich der Kosten, die durch die und im Zusammenhang mit der Einreichung von auf das Europäische Patent EP 3 763 331 B1 bezogenen Schutzschriften entstanden sind, mit der Maßgabe aufzuerlegen, dass die erstattungsfähigen Kosten für die Vertretung auf einen Betrag in Höhe von 200.000,00 begrenzt sind;
- II. die aufschiebende Wirkung der Berufung gegen die vorgenannte Anordnung in Bezug auf die Anordnung zu Ziffer 3 unverzüglich anzuordnen;
- III. der Berufungsbeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen.
Zusätzlich haben die Berufungsklägerinnen am 2. Januar 2024 einen Antrag beim Berufungsgericht eingereicht, in dem sie erneut beantragten, ihrer Berufung gegen die Anordnung des erstinstanzlichen Gerichts aufschiebende Wirkung zu verleihen. Mit der vorliegenden Anordnung wird das Berufungsgericht über den letztgenannten Antrag entscheiden.
Berufungsklägerinnen führen an, dass ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Berufung statthaft sei. Soweit der Wortlaut von Regel 223.5 VerfO dem entgegenstehe, sei dieser teleologisch zu reduzieren. Dem Antrag sei auch zu entsprechen, weil, zusammengefasst, die Anordnung sich aus einer Vielzahl von Gründen als grob rechtsfehlerhaft zeigen und das Kostenfestsetzungsverfahren unnötige weitere Kosten aufseiten der Berufungsklägerinnen verursachen würde.
Berufungsbeklagte hat am 12. Januar 2024 schriftlich auf den Antrag geantwortet. Sie führt an, dass der Antrag nicht statthaft sei, weil, zusammengefasst, ein vollstreckbarer Titel, aus dem auch der Umfang der geschuldeten Leistung hervorgehe, derzeit nicht vorliege. Außerdem rechtfertigten die Interessen der Berufungsklägerinnen keine Ausnahme von der Regel, dass Berufungen keine aufschiebende Wirkung haben.
BEGRÜNDUNG DER ANORDNUNG
1. Der Antrag ist statthaft.
Die Berufungsklägerinnen können einen Antrag auf aufschiebende Wirkung nach Artikel 74 EPGÜ und Regel 223.1 VerfO stellen. Dem steht Regel 223.5 VerfO nicht entgegen, da die hiesige Berufung keine Berufung im Sinne der Regeln 220.2, 220.3 oder 221.3 ist.
Nach Regel 363.2 VerfO sind Entscheidungen, die gemäß den Regeln 360, 361 und 362 VerfO erlassen worden sind, Endentscheidung im Sinne von Regel 220.1(a) VerfO. Eine Entscheidung nach Regel 360 VerfO, mit der das Gericht eine Klage wegen Erledigung der Hauptsache abgewiesen hat, umfasst auch die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens. Entsprechend ist die Anordnung des Gerichts erster Instanz zu Ziffer 3, gegen die die Berufungsklägerinnen
Berufung eingelegt haben, als Endentscheidung im Sinne von Regel 220.1(a) VerfO anzusehen und nicht als eine Entscheidung im Sinne von Regel 223.5 VerfO.
2. Der Antrag ist nicht begründet.
Laut Artikel 74(1) EPGÜ hat die Berufung keine aufschiebende Wirkung, sofern das Berufungsgericht auf begründeten Antrag einer der Parteien nicht etwas anderes beschließt.
Das Berufungsgericht kann daher dem Antrag nur stattgeben, wenn die Umstände des Falles eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigen, dass die Berufung keine aufschiebende Wirkung hat. Dabei ist zu prüfen, ob auf der Grundlage dieser Umstände das Interesse des Berufungsklägers an der Aufrechterhaltung des Status quo bis zur Entscheidung über seine Berufung das Interesse des Berufungsbeklagten ausnahmsweise überwiegt.
Die Berufungsklägerinnen machen geltend, dass ein Kostenfestsetzungsverfahren weitere Kosten für sie verursachen würde. Ein solches Interesse überwiegt jedoch in der Regel nicht das Interesse der obsiegenden Partei im Sinne von Regel 151 VerfO (im vorliegenden Fall der Berufungsbeklagten) an einer schnellen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens. Das kommt in Nr. 7 der Präambel VerfO zum Ausdruck, der zufolge die Fallbearbeitung so zu organisieren ist, dass Kostenentscheidungen gleichzeitig mit oder so bald wie möglich nach der Hauptsache ergehen, und wird in Regel 151 VerfO bestätigt, wonach die obsiegende Partei nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach der Entscheidung die Möglichkeit hat, einen Antrag auf Kostenfestsetzung zu stellen. Die Verfahrensordnung nimmt mit diesen Regelungen grundsätzlich zugunsten einer schnellen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in Kauf, dass durch das Kostenfestsetzungsverfahren weitere Kosten entstehen können, die sich bei einem Erfolg des Berufungsverfahrens als unnötig herausstellen können. Außerdem hat das Gericht erster Instanz die Möglichkeit, durch Aussetzung des Kostenfestsetzungsverfahrens bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens, das Entstehen unnötiger Kosten zu vermeiden.
Die Gewährung der aufschiebenden Wirkung kann allerdings ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn die Anordnung, gegen das sich die Berufung richtet, evident fehlerhaft ist. Das ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
Die Klägerin meint, dass die Anordnung des Gerichts erster Instanz vom 19. Dezember 2023 aus einer Vielzahl von Gründen grob rechtsfehlerhaft sei. Ob die in der Berufungsschrift angeführten Fehler tatsächlich Fehler sind, kann offenbleiben. Sollten sie Fehler sein, handelt es sich jedenfalls nicht um Fehler, die zu einer evident fehlerhaften Anordnung geführt haben.
ANORDNUNG
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Berufung wird zurückgewiesen.
Diese Anordnung wurde erlassen am 18. Januar 2024.