
Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_463/2023
Verfahrensanordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Düsseldorf erlassen am 11. März 2024 betreffend EP 2 697 391 B1
LEITSÄTZE:
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- Gemäß R. 262A.6 VerfO darf die Zahl der Personen, denen Zugang zu geheimhaltungsbedürftigen Informationen gewährt wird, nicht größer sein als für die Einhaltung des Rechts der Verfahrensparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren erforderlich, wobei der Kreis der Zugangsberechtigten mindestens eine natürliche Person jeder Partei sowie die jeweiligen Anwälte oder Vertreter umfassen muss.
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- Grundsätzlich obliegt es der jeweiligen Partei, die Personen zu benennen, für die sie Zugang begehrt. Kommt sie dem nach, kann der Ausschluss einer Person nicht allein damit begründet werden, die benannte Person sei auf dem technischen Gebiet tätig, das mit dem betreffenden Patent zusammenhängt. Gerade deshalb ist die betreffende Person häufig erst in der Lage, ihrem Unternehmen und dessen Vertretern die für eine wirksame Rechtsverfolgung erforderlichen Informationen zu liefern. Die als vertraulich eingestuften Informationen sind trotz eines solchen Zugangs nicht ungeschützt. Auch wenn die betroffenen Personen Zugang zu den betreffenden Informationen haben, müssen sie die ihnen auferlegten Geheimhaltungspflichten beachten, die falls notwendig über die Verhängung von Zwangsgeldern durchgesetzt oder nach nationalem Recht vollstreckt werden können.
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- Nachdem der Personenkreis, welchem Zugang zu den (vermeintlich) geheimhaltungsbedürftigen Informationen gewährt wird, den für die Einhaltung des Rechts der Verfahrensbeteiligten auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren notwendigen Umfang nicht überschreiten darf, ist der Kreis der zugangsberechtigten Personen stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen und, falls notwendig und geboten, an die Anforderungen des jeweiligen Verfahrens anzupassen.
SCHLAGWÖRTER:
Geheimnisschutz; Geheimnisschutzantrag; Geschäftsgeheimnisse; 262A-Antrag; Geheimnisschutzanordnung; Eilverfahren
ANTRAGSSTELLERIN:
10x Genomics, Inc. , 6230 Stoneridge Mall Road, 94588-3260 Pleasanton, CA, USA, gesetzlich vertreten durch das Board of Directors, dieses vertreten durch den CEO …, ebenda, vertreten durch:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Tilman Müller-Stoy, Rechtsanwalt Dr. Martin Drews, Patentanwalt Dr. Axel Berger, Prinzregentenplatz 7, 81675 München, elektronische Zustelladresse:
…
ANTRAGSGEGNERIN:
Curio Bioscience Inc., 4030 Fabian Way, Palo Alto, CA 94303, USA, vertreten durch ihren CEO …, ebenda, vertreten durch:
Rechtsanwältin Agathe Michel-de Cazotte, Europäischer Patentanwalt Cameron Marschall, 1 Southampton Row WC1B 5HA London, United Kingdom, elektronische Zustelladresse:
…
VERFÜGUNGSPATENT:
EUROPÄISCHES PATENT NR. EP 2 697 391 B1
SPRUCHKÖRPER/KAMMER:
Spruchkörper der Lokalkammer Düsseldorf
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter Thomas als Berichterstatter erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND: R. 262A VerfO - Schutz vertraulicher Informationen
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:
Die Parteien stehen sich derzeit in einem Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen gegenüber. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2024 hat die Antragsgegnerin einen Antrag auf Schutz vertraulicher, in der Einspruchsschrift nebst Anlagen enthaltener Informationen gestellt.
Nach Auffassung der Antragsgegnerin ist der Zugang zu den durch sie als vertraulich eingestuften Informationen zu beschränken. Diese seien rein kommerzieller und nichttechnischer Natur, so dass Patentanwälte keinen Zugang zu diesen Informationen benötigten. Der Umfang der von der Antragsgegnerin als vertraulich eingestuften Informationen sei gering. Auch seien diese Informationen begrenzt, spezifisch, geschäftlich hochsensibel und so beschaffen, dass Mitarbeiter der Antragstellerin keinen Zugang benötigten. Falls ein Mitarbeiter der Antragstellerin Zugang erhalte, müsse dieser der Rechtsabteilung angehören und dürfe nicht an kommerziellen Entscheidungen beteiligt sein. Darüber hinaus müsse die Antragstellerin das Gericht davon überzeugen, dass sie
über Verfahren verfüge, die sicherstellen, dass der Zugang zu den von der Antragsgegnerin als vertraulich eingestuften Informationen auf die namentlich benannten Personen beschränkt sei. Um sicherzustellen, dass die betreffenden Informationen nicht außerhalb des vorliegenden Verfahrens verwendet werden, dürften die weiteren Rechtsvertreter, die zusätzlich zu den im bisherigen Verfahren benannten rechtsanwaltlichen Vertretern Zugang zu den betreffenden Informationen erhalten, nicht an anhängigen EPG-Verfahren beteiligt sein, die von der Antragstellerin auf demselben Gebiet geführt werden.
Mit einer Verfahrensanordnung vom 16. Februar 2024 hat die Lokalkammer Düsseldorf zunächst den bisher im Verfahren benannten Verfahrensbevollmächtigten Zugang zur ungeschwärzten Fassung der vorgelegten Dokumente gewährt und diese unter Androhung von Zwangsgeldern zur Geheimhaltung - auch gegenüber der Antragstellerin - verpflichtet. Zugleich hat die Lokalkammer den Parteien Gelegenheit dazu gegeben, ergänzend zu dem Personenkreis vorzutragen, dem bis zur endgültigen Entscheidung über den Geheimhaltungsantrag Zugang gewährt werden soll. Mit Anordnung vom 23. Februar 2024 hat die Lokalkammer Düsseldorf den Kreis der Zugangsberechtigten nach Anhörung der Parteien auf insgesamt vier rechtsanwaltliche Vertreter, zwei Rechtsanwaltsfachangestellte und einen Mitarbeiter der Antragstellerin erweitert und der Antragstellerin zugleich Gelegenheit gegeben, zum Geheimhaltungsantrag der Antragsgegnerin Stellung zu nehmen.
ANTRÄGE DER PARTEIEN:
Die Antragsgegnerin beantragt,
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- anzuordnen, dass der Zugang zu dem in roter Schriftfarbe gehaltenen Text in der vertraulichen Einspruchsschrift gegen den Antrag auf vorläufige Maßnahmen und in der vertraulichen eidesstattlichen Erklärung von Herrn … (siehe vertrauliche Anlage CR3) auf insgesamt höchstens vier namentlich bekannte Rechtsvertreter von 10x persönlich beschränkt wird, die sich verpflichten, 5 Jahre lang an keinen Lizenzverhandlungen im Bereich der räumlichen Transkriptomatik teilzunehmen; oder
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- hilfsweise anzuordnen, dass der Zugang zu dem in roter Schriftfarbe gehaltenen Text in der vertraulichen Einspruchsschrift gegen den Antrag auf vorläufige Maßnahmen und in der vertraulichen eidesstattlichen Erklärung von Herrn … (siehe vertrauliche Anlage CR-3) beschränkt ist auf:
- i. insgesamt höchstens vier namentlich genannte Rechtsvertreter von 10x persönlich; und
- ii. einen namentlich genannten Mitarbeiter von 10x aus der Rechtsabteilung, der ebenfalls an keinen geschäftlichen Entscheidungen beteiligt ist; und
- iii. in beiden vorgenannten Fällen auf Personen, die sich verpflichten, 5 Jahre lang an keinen Lizenzvertragsverhandlungen in der Branche der räumlichen Transkriptomatik teilzunehmen.
Die Antragstellerin beantragt,
Zugang zu den von der Antragsgegnerin als vertraulich bezeichneten Informationen zumindest für den Personenkreis gemäß Anordnung zu Ziffer 1. der Verfahrensanordnung
vom 23. Februar 2024 zu gewähren.
Darüber hinaus stellt es die Antragstellerin in das Ermessen des Gerichts zusätzlich in den Kreis der bereits gemäß Verfahrensanordnung vom 23. Februar 2024 zugangsberechtigten Personen folgende Personen aufzunehmen:
RAin und Vertreterin vor dem EPG Dr. …,
PA, European Patent Attorney und Vertreter vor dem EPG Dr. …,
European Patent Attorney Dr. …, sowie zwei weitere zuverlässige Personen bei der Antragstellerin, namentlich
Herrn …, Chief Legal Officer der Antragstellerin,
…, Senior Director Intellectual Property der Antragstellerin.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Der auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und sonstiger vertraulicher Informationen gerichtete Antrag ist zulässig und hat im tenorierten Umfang Erfolg.
I. Gegen die Zulässigkeit des Antrages bestehen keine Bedenken.
Nach Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a) der Richtlinie (EU) 2016/943 ist vorgesehen, dass in einem gerichtlichen Verfahren auf Antrag der Zugang zu von den Parteien oder Dritten vorgelegten Dokumenten, die Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse enthalten, ganz oder teilweise auf eine begrenzte Anzahl von Personen beschränkt werden kann. Der Schutz vertraulicher Informationen ist im EPGÜ in Artikel 58 vorgesehen und in der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts in Regel 262A implementiert (vgl. UPC_CFI_54/2023 (LK Hamburg), Anordnung v. 3. November 2023).
Die durch R. 262A.2 und .3 VerfO normierten formellen Anforderungen sind gewahrt. Auch wurden die Vertreter der Antragstellerin, wie von R. 262A.4 VerfO gefordert, vor dem Erlass der Schutzanordnung gehört. Sie haben von der ihnen eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht.
II.
Dass es sich bei den durch die Antragsgegnerin als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen um Geschäftsgeheimnisse oder zumindest sonstige vertrauliche Informationen handelt, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen in Abrede gestellt. Von einer Schutzbedürftigkeit der in Rede stehenden Informationen ist daher auszugehen. Der Zugang zu den betroffenen Informationen war daher gemäß R. 262A.6 VerfO auf bestimmte Personen zu beschränken.
Grundsätzlich obliegt es der jeweiligen Partei, die Personen zu benennen, deren Zugang sie begehrt. Um den Besonderheiten des Eilverfahrens Rechnung zu tragen, ist im Regelfall eine Beschränkung auf vier rechtsanwaltliche Vertreter (zwei Partner und zwei Associates zu deren Un-
terstützung), zwei patentanwaltliche Vertreter sowie drei Vertreter der Mandantin gestattungsfähig (UPC_CFI_463/2023 (LK Düsseldorf), Verfahrensanordnung v. 14. Februar 2024), wobei dieser Personenkreis bei Bedarf um zwei Rechtsanwaltsfachangestellte erweitert werden kann (UPC_CFI_463/2024 (LK Düsseldorf), Verfahrensanordnung v. 23.02.2024).
Hat eine Partei von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch gemacht, kann der Ausschluss einer Person nicht allein damit begründet werden, diese sei auf dem technischen Gebiet tätig, das mit dem betreffenden Patent zusammenhängt. Gerade wegen dieser Sachnähe ist die betreffende Person häufig erst in der Lage, ihrem Unternehmen und dessen Vertretern die für eine wirksame Rechtsverfolgung erforderlichen Informationen zu liefern. Dies bedeutet nicht, dass die als vertraulich eingestuften Informationen ungeschützt wären. Auch wenn die betroffene Person Zugang zu den betreffenden Informationen hat, muss sie die ihr auferlegten Geheimhaltungspflichten beachten, die falls notwendig über die Verhängung von Zwangsgeldern durchgesetzt oder nach nationalem Recht vollstreckt werden können (UPC_CFI_355/2023 (LK Düsseldorf), Verfahrensanordnung v. 26. Februar 2024; vgl. auch Tilmann/Plassmann/v. Falck/Stoll, EPGVerfO R. 262A, Rz. 19 f.).
Nachdem der Personenkreis, welchem Zugang zu den (vermeintlich) geheimhaltungsbedürftigen Informationen gewährt wird, gemäß R. 262.6 S. 1 VerfO den für die Einhaltung des Rechts der Verfahrensbeteiligten auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren notwendigen Umfang nicht überschreiten darf, ist der Kreis der zugangsberechtigten Personen gleichwohl stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen und, falls notwendig und geboten, an die Anforderungen des jeweiligen Verfahrens anzupassen (UPC_CFI_463/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 23. Februar 2024).
a) Auf den vorliegenden Fall gewendet bedeutet dies, dass Patentanwälte keinen Zugang zur ungeschwärzten Version der Einspruchsschrift nebst Anlagen benötigen. Sämtliche von der Antragsgegnerin als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen sind kommerzieller und nichttechnischer Natur. Darüber hinaus erscheint es unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens beider Parteien angemessen und geboten, die Zahl der zugangsberechtigten Mitarbeiter auch weiterhin auf die sowohl in der Richtlinie (EU) 2016/943 als auch in R. 262A.6 VerfO vorgesehene Mindestzahl und damit auf eine natürliche Person zu beschränken.
b) Soweit die Antragstellerin angeregt hat, den Zugang auf zwei weitere Mitarbeiter der Antragstellerin zu erstrecken, hat sie sich mit den durch die Antragsgegnerin im Hinblick auf diese Mitarbeiterin geäußerten Bedenken nicht auseinandergesetzt. Ebenso wenig hat sie im Einzelnen dazu vorgetragen, weshalb diesen Mitarbeitern trotz dieser Bedenken Zugang gewährt werden soll. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, den Kreis der Zugangsberechtigten zu erweitern.
ANORDNUNG:
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- Der Zugang zur ungeschwärzten Fassung des Einspruchsschriftsatzes vom 15. Februar 2024 sowie zur ungeschwärzten Fassung der Anlage CR-3 wird auf Seiten der Antragstellerin auf folgende Personen beschränkt:
Rechtsanwalt und Vertreter vor dem EPG Prof. Dr. …;
Rechtsanwalt und Vertreter vor dem EPG Dr. …;
Rechtsanwalt und Vertreter vor dem EPG Dr. …;
Rechtanwältin und Vertreterin vor dem EPG … LL.M.;
Rechtsanwaltsfachangestellte …;
Rechtsanwaltsfachangestellte …;
Herr …, Vice President Intellectual Property der Antragstellerin.
Die vorgenannten Personen sind auch gegenüber der Antragstellerin zur Geheimhaltung der in den ungeschwärzten Fassungen der vorgenannten Unterlagen enthaltenen Informationen verpflichtet.
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- Die von der Antragsgegnerin als vertraulich bezeichneten Informationen sind von den unter Ziffer 1. namentlich genannten Personen als geheimhaltungsbedürftig zu behandeln. Sie dürfen nicht außerhalb dieses Gerichtsverfahrens verwendet oder offengelegt werden, es sei denn, sie sind der empfangenden Partei außerhalb dieses Verfahrens zur Kenntnis gelangt. Diese Ausnahme greift allerdings nur dann, wenn diese Informationen von der empfangenden Partei auf nicht vertraulicher Basis aus anderer Quelle als von der Antragsgegnerin oder den mit ihr verbundenen Unternehmen erlangt wurden, vorausgesetzt, diese Quelle ist ihrerseits nicht durch eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Antragsgegnerin oder den mit ihr verbundenen Unternehmen oder durch eine sonstige Geheimhaltungspflicht gegenüber dieser gebunden.
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- Der Antragstellerin wird aufgegeben, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die von Herrn … erlangten, dieser Vertraulichkeitsanordnung unterliegenden Informationen vertraulich bleiben und nicht außerhalb dieses Verfahrens verwendet werden. Insbesondere hat die Antragstellerin sicherzustellen, dass die der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Informationen bei der Antragstellerin ausschließlich in gesicherten elektronischen Dateien enthalten sind, auf die nur Herr … Zugriff hat. Soweit die der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Informationen in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin durch Herrn … gedruckt werden, ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ausschließlich Herr … auf diese Ausdrucke Zugriff hat.
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- Bei schuldhafter Zuwiderhandlung gegen diese Anordnung kann das Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessendes Zwangsgeld verhängen.
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- Im Übrigen wird der auf den Schutz vertraulicher Informationen gerichtete Antrag der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2024 zurückgewiesen.
DETAILS DER ANORDNUNG:
App_8500/2024 zum Hauptaktenzeichen ACT_590953/2023
UPC-Nummer: UPC_CFI_463/2023
Verfahrensart: Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen
Erlassen in Düsseldorf am 11. März 2024
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Vorsitzender Richter Thomas