
Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_363/2023
Verfahrensanordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Düsseldorf erlassen am 22. April 2024 betreffend EP 3 926 698 B1
LEITSATZ:
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- Hat eine Nichtigkeitswiderklage Erfolg, wird das Streitpatent rückwirkend für nichtig erklärt. Dadurch verliert auch ein einfacher Lizenznehmer seine Vorzugsstellung gegenüber NichtLizenznehmern. Er kann daher dem Rechtsstreit auf Klägerseite beitreten und versuchen, eine solche Nichtigerklärung zu verhindern.
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- Hat sich eine Lokalkammer dazu entschieden, sowohl über die Verletzungsklage als auch über die Nichtigkeitswiderklage zu verhandeln, entscheidet sie auf der Grundlage einer einheitlichen Auslegung sowohl über die Verletzungsfrage als auch über den Rechtsbestand. In einer solchen Konstellation kann der Lizenznehmer nicht nur isoliert der Nichtigkeitswiderklage, sondern dem gesamten Rechtsstreit beitreten.
SCHLAGWÖRTER:
Streithilfe; Zulässigkeit der Streithilfe; Verletzungsklage; Nichtigkeitswiderklage; rechtliches Interesse; isolierter Beitritt; Lizenznehmer; einfache Lizenz; einfacher Lizenznehmer
KLÄGERIN UND WIDERBEKLAGTE:
Seoul Viosys Co., Ltd., gesetzlich vertreten durch ihre vertretungsberechtigten Vorstände ChungHoon Lee und Young Ju Lee, 65-16, Sandan-ro 163 beon-gil, Danwon-gu, Ansan-si, Gyeonggi-do, 15429, Republik Korea,
vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Bolko Ehlgen, Rechtsanwältin Dr. Julia Schön- bohm, Kanzlei Linklaters LLP, Taunusanlage 8, 60329 Frankfurt am Main, Deutschland,
unterstützt durch:
Patentanwalt Dr. Dipl.-Phys. Olaf Isfort, Kanzlei Schneiders & Beh- rendt, Huestraße 23, 44787 Bochum,
elektronische Zustelladresse:
bolko.ehlgen@linklaters.com
STREITHELFERIN:
Seoul Semiconductor Co., Ltd., gesetzlich vertreten durch ihre vertretungsberechtigten Vorstände und CEOs Chung-Hoon Lee und Myeong-gi Hong, Building 0: 97-11, Sandan-ro 163 beon-gil, Danwon-gu, Ansan-si, Gyeonggi-do, 15429, Republik Korea vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Bolko Ehlgen, Rechtsanwältin Dr. Julia Schönbohm, Kanzlei Linklaters LLP, Taunusanlage 8, 60329 Frankfurt am Main, Deutschland, elektronische Zustelladresse:
bolko.ehlgen@linklaters.com
BEKLAGTE ZU 1):
expert e-Commerce GmbH , gesetzlich vertreten durch ihre Geschäftsführer Dr. Stefan Müller und Michael Grandin, Bayernstraße 4, 30855 Langenhagen,
vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Dirk Jestaedt, Kanzlei Krieger Mes & Graf von der Groeben Part mbB, Bennigsen-Platz 1, 40474 Düsseldorf,
elektronische Zustelladresse:
info@krieger-mes.de
unter Mitwirkung von:
Patentanwalt Bernhard Ganahl, HGF Europe LLP, Neumarkter Straße 18, 81673 München,
BEKLAGTE ZU 2) UND WIDERKLÄGERIN:
expert klein GmbH, gesetzlich vertreten durch ihre Geschäftsführer Jens Oerter und Thomas Jacob, Jägerstraße 32, 57299 Burbach,
vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Dirk Jestaedt, Kanzlei Krieger Mes & Graf von der Groeben Part mbB, Bennigsen-Platz 1, 40474 Düsseldorf,
elektronische Zustelladresse:
info@krieger-mes.de
unter Mitwirkung von:
Patentanwalt Bernhard Ganahl, HGF Europe LLP, Neumarkter Straße 18, 81673 München.
STREITPATENT:
Europäisches Patent Nr. 3 926 698 B1
SPRUCHKÖRPER/KAMMER:
Spruchkörper der Lokalkammer Düsseldorf
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter Thomas als Berichterstatter erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND: R. 313 f. RoP - Anordnung bezüglich des Streithilfeantrages der Seoul Semiconductor Co., Ltd.
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents EP 3 926 698 B1 (nachfolgend: Streitpatent). Sie hat der Streithelferin, bei der es sich um ihre Muttergesellschaft handelt, mit Wirkung vom 4. Januar 2023 eine einfache Lizenz am Streitpatent einschließlich aller nationalen Teile erteilt. Die Lizenz steht in Kraft. Hinsichtlich der Einzelheiten des Lizenzvertrages wird auf die Anlagen SH 1 / SH 1a Bezug genommen.
Als Lizenznehmerin des Streitpatents stellt die Streithelferin selbst in den Schutzbereich des Streitpatents fallende Produkte her und vertreibt diese im Geltungsbereich des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ). Daneben übt die Streithelferin ihre Lizenz zur Nutzung des Streitpatents auch mittelbar durch ihre 100 %-ige Tochtergesellschaft, die Seoul Semiconductor Europe GmbH, Frankfurter Str. 80 - 82, 65760 Eschborn, aus. Dabei handelt es sich um eine 100 %-ige Vertriebsgesellschaft der Streithelferin.
Mit einer am 12. Oktober 2023 eingereichten Klage (ACT_579244/2023) nimmt die Klägerin die Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch. Am 22. Dezember 2023 hat die Streithelferin in Bezug auf diese Verletzungsklage einen Streithilfeantrag gestellt (App_598403/2023). Nachdem die Beklagte zu 2) am 23. Januar 2024 eine Nichtigkeitswiderklage erhoben hat (CC_3580/2024), erweitere die Streithelferin ihren Streithilfeantrag mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28. Februar 2024 auf diese Widerklage.
Die Lokalkammer Düsseldorf hat mit Anordnung vom 31. Januar 2024 (ORD_3923/2024) entschieden, sowohl über die Klage als auch über die Nichtigkeitswiderklage zu verhandeln (Art. 33 Abs. 3 lit. a) EPGÜ).
ANTRÄGE DER PARTEIEN:
Die Streithelferin beantragt,
den Beitritt zu dem Verletzungsverfahren mit dem Aktenzeichen 579244/2023 (UPC_CFI_363/2023) auf Seiten der Klägerin, um die Klägerin bei den in der Klageschrift vom
- Oktober 2023 gestellten Anträgen in Bezug auf EP 3 926 698 (Anträge Ziffer A. und C.) zu unterstützen, sowie den Beitritt zu der Nichtigkeitswiderklage mit dem Aktenzeichen CC_3580/2024, um die Klägerin bei der Verteidigung von EP 3 926 698 zu unterstützen.
Die Klägerin hat sich dem Vorbringen der Streithelferin angeschlossen.
Die Beklagten beantragen,
den Streithilfeantrag der Seoul Semiconductor Co., Ltd. zurückzuweisen.
TATSÄCHLICHE UND RECHTLICHE STREITPUNKTE:
Nach Auffassung der Klägerin und der Streithelferin hat Letztere aufgrund ihrer Stellung als Lizenznehmerin am Streitpatent ein rechtliches Interesse am Ausgang des Verfahrens. Als Lizenznehmerin stelle sie Produkte her, die von der technischen Lehre des Streitpatents Gebrauch machen, und vertreibe diese im Geltungsbereich des EPGÜ. Es bestehe daher die Möglichkeit, dass sich der Ausgang des Verfahrens unmittelbar auf die rechtliche Position der Streithelferin als Lizenznehmerin auswirke. Ebenso wie die Klägerin werde die Streithelferin durch den Vertrieb der streitgegenständlichen Produkte betroffen. Die Streithelferin habe ein Interesse daran, die Klägerin und Patentinhaberin dabei zu unterstützen, eine Fortsetzung der Verletzung zu verhindern, um selbst uneingeschränkt in den Genuss der rechtlichen Vorteile aus dem Lizenzvertrag zu kommen.
Unabhängig davon folge das rechtliche Interesse am Streitbeitritt auch daraus, dass sich die Lokalkammer für eine gemeinsame Verhandlung von Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage entschieden habe. Es sei zu erwarten, dass sich Rechtsbestands- und Verletzungsfragen, etwa bei der Auslegung des Streitpatents, inhaltlich überschneiden.
Die Beklagte ist einem Beitritt der Streithelferin zum Verletzungsverfahren entgegengetreten. Sie stellt ein rechtliches Interesse der Streithelferin am Ausgang des Verfahrens in Abrede. Die Stellung als (einfache) Lizenznehmerin sei für ein solches rechtliches Interesse nicht ausreichend. Dieses begründe nicht einmal ein, für die Zulässigkeit der Streithilfe ohnehin irrelevantes, wirtschaftliches Interesse.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Der Streithilfeantrag ist zulässig.
Gemäß R. 314.2 VerfO ist ein solcher Antrag vor Abschluss des schriftlichen Verfahrens zu stellen. Dieser Anforderung hat die Streithelferin entsprochen. Sie hat ihren Antrag bereits vor Eingang der Klageerwiderung gestellt und ihn nach Erhebung der Nichtigkeitswiderklage auch auf diese erstreckt.
Die Streithelferin verfügt über ein rechtliches Interesse am Ausgang des Verfahrens, R. 313.1
Ein solches rechtliches Interesse ist gegeben, wenn der Streithelfer über ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Erlass der von der unterstützten Partei beantragen Anordnung oder Entscheidung verfügt. Nicht ausreichend ist ein sich lediglich auf die Klagegründe beziehendes In-
teresse. Dabei ist zwischen potenziellen Streithelfern, die ein unmittelbares Interesse an der Entscheidung über den konkreten Antrag der unterstützten Partei haben, und solchen, die nur ein mittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nachweisen können, zu unterscheiden. Ähnelt die Position des Streithelfers lediglich derjenigen einer der Parteien, ist dies für ein rechtliches Interesse nicht ausreichend (UPC_CoA_404/2024, Anordnung v. 10.01.2024, App_584498/2023, Rz. 10).
b)
Ausgehend von diesen Grundsätzen besitzt die Streithelferin ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Verfahrens.
aa)
Hat die Nichtigkeitswiderklage Erfolg, wird das Streitpatent gemäß Art. 65 Abs. 2 und 4 EPGÜ rückwirkend für nichtig erklärt. Dadurch verliert die Streithelferin als Lizenznehmerin ihre auch mit einer einfachen Lizenz verbundene Vorzugsstellung gegenüber Nicht-Lizenznehmern. Sie kann daher dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beitreten und versuchen, eine derartige Nichtigerklärung zu verhindern (Bopp/Kircher/Lux, Handbuch Europäischer Patentprozess, 2. Aufl., § 11 Rz. 30; Bopp/Kircher/Burrichter/Kirchhofer, a.a.O., § 14 Rz. 167).
bb) Ein solcher Beitritt ist nicht nur isoliert in Bezug auf die Nichtigkeitswiderklage zulässig. Hat sich die Lokalkammer, wie hier, für eine gemeinsame Verhandlung von Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage entschieden (Art. 33 Abs. 3 (a) EPGÜ), muss sie sowohl über die Verletzung als auch über den Rechtsbestand auf der Grundlage einer einheitlichen Auslegung des Streitpatents befinden (UPC_CFI_16/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 15.04.2024). Verletzungsklage und Nichtigkeitswiderklage sind daher inhaltlich eng miteinander verknüpft. Jede Änderung bei der Auslegung und der Bestimmung des Schutzbereichs kann nicht nur die Beantwortung der Verletzungsfrage, sondern auch die Beurteilung der Validität des Streitpatents unmittelbar beeinflussen. Vor diesem Hintergrund kann die Streithelferin ihr Interesse an einer Verhinderung der Nichtigerklärung des Streitpatents nur dann effektiv verfolgen, wenn sie nicht nur isoliert der Nichtigkeitswiderklage, sondern dem Rechtsstreit insgesamt beitritt. Die Frage, ob eine einfache Lizenz zu einem isolierten Beitritt zur Verletzungsklage berechtigt, bedarf daher vorliegend keiner Entscheidung.
Gemäß R. 315.1 (b) VerfO hat der Berichterstatter oder der Vorsitzende eine Frist festzusetzen, innerhalb derer der Streithelfer einen Streithilfeschriftsatz einreichen kann. Dem trägt Ziffer 3. der Anordnung Rechnung.
ANORDNUNG:
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- Der Streithilfeantrag der Streithelferin ist zulässig.
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- Die Verfahrensparteien werden hiermit über die Zulässigkeit des Streithilfeantrages informiert.
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- Die Streithelferin hat die Möglichkeit, bis zum 6. Mai 2024 einen Streithilfeschriftsatz einzureichen.
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- Die Klägerin und die Streithelferin werden durch die gleichen Verfahrensbevollmächtigten vertreten. Sofern keine der Parteien oder die Streithelferin widerspricht, gelten daher zur Vereinfachung des Verfahrens bis auf Weiteres und soweit im Einzelfall keine anderweitige
Regelung ergeht, folgende zusätzliche Anordnungen:
- a. Die Lokalkammer geht ohne einen anderslautenden Hinweis der Klägerin und/oder der Streithelferin im weiteren Verfahrensverlauf bis auf weiteres davon aus, dass die Streithelferin auf die Zustellung durch die Parteien elektronisch eingereichter Schriftsätze verzichtet, so dass eine Zustellung an die Streithelferin entbehrlich ist. Gleiches gilt für sämtliche Anordnungen und Entscheidungen des Gerichts. Mit deren Zugang bei den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin gelten diese auch als der Streithelferin zugegangen.
- b. Schriftsätze der Streithelferin sind grundsätzlich in Papierform einzureichen und an die Parteien zuzustellen. Es wird den gemeinsamen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin und der Streithelferin allerdings anheimgestellt, auf eine solche Zustellung zu verzichten. Machen sie davon Gebrauch, ist es ausreichend, wenn die Streithelferin den betreffenden Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung einreicht (1x für die bei der Lokalkammer geführte Papierakte; 2x für die Zustellung an die beiden Beklagten). Andernfalls ist der betreffende Schriftsatz in vierfacher Ausfertigung einzureichen.
- c. Die unter Ziffer 4. b. getroffene Anordnung gilt nicht für die Streitverkündungsschrift. Diese ist beiden Parteien und daher auch der Klägerin zuzustellen, weshalb sie zwingend in vierfacher Ausfertigung einzureichen ist.
Erlassen in Düsseldorf am 22. April 2024
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN Vorsitzender Richter Thomas
DETAILS DER ANORDNUNG:
ORD_5343/2024 zu den Hauptaktenzeichen ACT_579244/2023
UPC-Nummer: UPC_CFI_363/2023
Verfahrensart: Verletzungsklage