30 April, 2024
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Order
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ORD_14603/2024
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Mannheim (DE) Local…
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EP2207270
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Regel 172.2 VerfO
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Lokalkammer Mannheim UPC_CFI_ 223/2023
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Mannheim erlassen am 30. April 2024 betreffend EP 2 207 270 betreffend App_14308/2024
Klägerin:
Panasonic Holdings Corporation - 1006, Oaza Kadoma, Kadoma-shi - 571-8501 - Osaka - JP vertreten durch Christopher Weber
Beklagte:
Xiaomi
Technology
Germany GmbH
(Partei des
Hauptverfahrens -
Not provided) -
Niederkasseler
Lohweg 175 -
40547 -
Düsseldorf - DE
Vertreten durch Dr. Corin Gittinger
Xiaomi
Technology
France S.A.S
(Partei des
Hauptverfahrens -
Not provided) - 93
rue Nationale
Immeuble
Australia - 92100 -
Boulogne-
Vertreten durch Dr. Corin Gittinger
Billancourt - FR
Xiaomi
Technology Italy
S.R.L
(Partei des
Hauptverfahrens -
Not provided) -
Viale Edoardo
Jenner 53 - 20158
Vertreten durch Dr. Corin Gittinger
Xiaomi
Technology
Netherlands B.V.
(Partei des
Hauptverfahrens -
Not provided) -
Prinses
Beatrixlaan 582 -
2595BM - Den
Haag - NL
Vertreten durch Dr. Corin Gittinger
Odiporo GmbH
(Partei des
Hauptverfahrens -
Not provided) -
Formerweg 9 -
47877 - Willich -
Vertreten durch Dr. Corin Gittinger
DE
Shamrock Mobile Vertreten durch Dr. Corin Gittinger
GmbH
(Partei des
Hauptverfahrens -
Not provided) -
Siemensring 44H -
47877 - Willich -
DE
STREITPATENT:
EUROPÄISCHES PATENT NR. EP 2207270
SPRUCHKÖRPER/KAMMER:
Lokalkammer Mannheim
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden und Berichterstatter Dr. Tochtermann erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND: Vorlageantrag
SACHVERHALT:
Die Klägerin beantragt eine gegen sich selbst gerichtete Vorlageanordnung, durch die sie zur Vorlage zweier im Einzelnen bezeichneter Lizenzverträge verpflichtet werden soll. An einer Vorlage aus eigener Initiative ohne Gerichtsanordnung sieht sich die Klägerin durch Vertraulichkeitsklauseln gehindert, die in den Verträgen enthalten sind. Die betreffenden Lizenzvertragspartner seien kontaktiert worden, wobei sich ein Lizenzvertragspartner gar nicht zurückgemeldet, der andere sich ablehnend geäußert habe. Um ihr den beabsichtigten Vortrag in der Replik zu ermöglichen, der bislang nur vollständig geschwärzt und damit selbst für das Gericht nicht sichtbar enthalten ist, sei sie daher auf eine Vorlageanordnung angewiesen, die sie auf Regel 172.2 VerfO, hilfsweise auf Regel 190 VerfO stützt.
Der Berichterstatter hat durch Anordnung vom 19. März 2024 Hinweise erteilt und die Klägerin aufgefordert, zunächst neuerlich um Zustimmung der Lizenzvertragspartner nachzusuchen und jene über die konkreten Umstände des Geheimhaltungsregimes im vorliegenden Verfahren zu informieren. Hierauf hat die Klägerin durch Stellungnahme vom 15. April 2024 reagiert.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
- A. Die im vorliegenden Rechtsstreit wechselseitig gestellten Anträge auf Vorlage von Lizenzverträgen und in diesem Zusammenhang stehenden geheimhaltungsbedürftigen Informationen geben Anlass zu den nachfolgenden, über den konkreten Einzelfall hinausgehenden grundsätzlichen Erwägungen, die die Voraussetzungen einer Vorlageanordnung in Patentverletzungsstreitigkeiten betreffen, die ein standardessentielles Patent zum Gegenstand haben.
- I. Die Parteien haben im vorliegenden Fall verschiedene Anträge auf Erlass einer Vorlageanordnung gestellt. Die Anträge sind einerseits 'gegen sich selbst' oder gegen mitverklagte konzernverbundene Gesellschaften gerichtet, andererseits gegen den Prozessgegner.
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- Die Anordnung, bestimmte Dokumente vorzulegen und Informationen zugänglich zu machen, stellt sich vorliegend im besonderen Kontext einer Auseinandersetzung, die die klageweise Durchsetzung standard-essentieller Patente betrifft. Das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Vorlageanordnung besteht aus Sicht der Parteien vorrangig deshalb, weil die Parteien diese Tatsachen zur Untermauerung ihrer rechtlichen Argumentation benötigen, die Durchsetzung der im Grundsatz aus dem Patent fließenden Ansprüche des Patentinhabers unterliege EU-kartellrechtlichen
Einschränkungen bzw. werde umgekehrt den EU-kartellrechtlichen Anforderungen gerecht. Maßgeblicher Rechtsrahmen ist für das Einheitliche Patentgericht das europäische Kartellrecht, insbesondere Art. 101 und 102 AEUV, das in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Huawei vs ZTE (ECLI:EU:C:2015:477) nähere Ausprägung erfahren hat. Der EuGH hat ein Verhandlungsprogramm etabliert, das die von den Parteien zu beachtenden Schritte auf dem Weg zur ergebnisorientierten Verhandlung eines fairen, vernünftigen und nicht-diskriminierenden Lizenzvertrages skizziert. Nur wenn sich die Parteien konform verhalten haben, kann einerseits der Patentinhaber sein Patentrecht uneingeschränkt durchsetzen oder andererseits der Nutzer der patentgemäßen Lehre den kartellrechtlichen FRAND-Einwand mit Erfolg führen. Der von den Parteien hierzu zu leistende Vortrag erfordert typischerweise, dass sie auf Lizenzverträge im betreffenden Industriesektor Bezug nehmen, die als Vergleichsgröße und Orientierungspunkt dienen sollen, um so die konkreten, wechselseitig unterbreiteten Angebote und Gegenangebote ins Verhältnis zu setzen und rechtlich zu bewerten. Während der Patentinhaber das der Beklagtenseite unterbreitete Angebot hinreichend nachvollziehbar mit Blick darauf erläutern muss, warum er meint, dass es den kartellrechtlichen Anforderungen genüge (EuGH aaO Rn. 63 f.), muss die Beklagtenseite ihre jeweilige Antwort auf dieses Angebot ihrerseits substantiieren, wenn sie das Angebot des Patentinhabers nicht für FRAND-gemäß hält (EuGH aaO Rn. 65 f.) und wird hierzu oftmals auf eigene Vergleichslizenzen oder andere Lizenzverträge, die der SEP-Inhaber Dritten gewährt hat, zurückgreifen. Der entsprechende Vortrag ist den Parteien in der Regel nicht ohne Weiteres möglich, weil sich bei der Abfassung von SEPs betreffenden Lizenzverträgen - idR unter Vereinbarung des US-amerikanischen Rechts - eine Gestaltungspraxis etabliert hat, derzufolge in den Lizenzverträgen weitreichende Vertraulichkeitsbestimmungen enthalten sind, die eine Offenlegung des Vertragsinhalts nur mit Zustimmung des Vertragspartners, aus zwingenden rechtlichen Gründen oder aufgrund einer gerichtliche Anordnung erlauben (vgl. hierzu Hinojal/Mohlser, GRUR 2019, 674, 677 ff.). Die Lizenzverträge und damit auch die Geheimhaltungsklauseln unterliegen regelmäßig US-amerikanischem Recht. Dies hat zur Folge, dass die entsprechenden Klauseln die aus dem EUKartellrecht folgenden beidseitigen Transparenzpflichten der Parteien nur unvollständig in den Blick nehmen. Gleiches gilt für die Anforderungen an die aufgrund der Geheimhaltungsklausel einzuhaltenden Geheimnisschutzvorkehrungen, unter denen eine Offenlegung statthaft sein soll. Teils konfligieren die Klauseln in den Lizenzverträgen unauflösbar mit dem jeweils maßgeblichen Verfahrensrecht - so etwa wenn eine Offenlegung überhaupt nur gegenüber den jeweiligen Parteivertretern statthaft sein soll, nicht aber gegenüber einer natürlichen Person der betroffenen Prozesspartei (attorneys'-eyes-only confidentiality club). Solche Regelungen, die auch ohne Zustimmung der betroffenen Partei greifen sollen, verstoßen vor dem Hintergrund der Verfahrensordnung des EPG gegen R. 262A.6 VerfO ebenso wie sie unauflösbar gegen die grundsätzliche Entscheidung in der - freilich nicht unmittelbar auf Patentverletzungsfälle anwendbaren -Geheimnisschutzrichtlinie verstoßen (Lokalkammer Mannheim, Anordnung vom 25. März 2024 UPC_CFI_365/2023 ORD_8841/2024 (rechtskräftig); ebenso Lokalkammer Düsseldorf, Anordnung vom 27. März 2024 UPC_CFI_355/2023 ORD_7096/2024 (rechtskräftig)).
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- Für die Frage, ob das Gericht die Vorlage von Lizenzverträgen und weiteren geheimhaltungsbedürftigen Informationen anordnen kann, sind ferner die Interessen des Dritten, des jeweiligen Lizenzvertragspartners, der in der Regel noch nicht unmittelbar am Rechtsstreit beteiligt ist, zu beachten. Dass diese Interessen in die Entscheidung über eine Vorlage einzubeziehen sind, ergibt sich etwa aus R. 190.5 VerfO, wenngleich diese Regel auf die vorliegende Situation jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar ist (siehe hierzu unten). Es kann hierbei keinen Unterschied machen, ob die Anordnung unmittelbar gegen den Dritten ergeht oder aber gegen eine Prozesspartei, die mit dem Dritten vertraglich verbunden ist - in beiden Situationen sind die Interessen des Dritten tangiert. Da die Aufnahme der Geheimhaltungsklauseln auf der Entscheidung der Parteien beruht, ist es vorrangig auch an ihnen, den jeweiligen Vertragspartner um die Zustimmung zu ersuchen, den Vertrag vorlegen zu dürfen (für eine grundsätzliche Mitwirkungspflicht und Pflicht der Wahrnehmung rechtlicher oder faktischer Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Dritte auch Tilmann/Plassmann/Ahrens, R. 172 VerfO Rn. 20 und R. 190 VerfO Rn.10 und Bopp/Kircher/Böttcher, 2. Aufl., § 23 Rn. 30). Gegen eine unmittelbare gerichtsseitige Anordnung und unmittelbare Anfrage an den Vertragspartner spricht zudem, dass jener idR am Verfahren nicht beteiligt ist und seine Einbeziehung oftmals aufwendige Zustellungen im Ausland erfordern würde, wohingegen er für die Partei aufgrund der vertraglichen Beziehungen ohne Weiteres erreichbar ist. Zudem ist der Lizenzvertragspartner aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen auch verpflichtet, an der Klärung der Vertraulichkeitsfrage mitzuwirken und der Partei, die um Zustimmung bittet, Rede und Antwort zu stehen. Die Partei kann hingegen nicht mit dem Argument gehört werden, eine solche Anfrage sei im Rechtssinne faktisch unmöglich, weil sie die Geschäftsbeziehung zu dem Vertragspartner belasten könne. Anfragen aufgrund von vertraglichen Vertraulichkeitsbestimmungen gehören ebenfalls zu den üblichen geschäftlichen Gepflogenheiten und können nicht dem Gericht aufgebürdet werden. Bevor eine Vorlageanordnung ergeht, die auch die Interessen des Dritten betrifft, hat sich die Partei daher selbst um Zustimmung zur Vorlage zu bemühen. Die Partei hat diese Bemühungen gegenüber dem Gericht in ausreichender Weise nachzuweisen. Hierbei genügt keine pauschale Anfrage ohne Bezug zum konkreten Rechtsstreit. Vielmehr muss der Vertragspartner gezielt über das anhängige Verfahren, das etablierte Geheimnisschutzregime und die von der Partei konkret beabsichtigten Geheimnisschutzanträge im Verfahren informiert werden, sodass er eine informierte Entscheidung darüber treffen kann, ob er unter diesen Gegebenheiten seine Zustimmung erteilt.
Liegt eine ausdrückliche Zustimmung des Vertragspartners vor, ist keine gerichtliche Anordnung mehr erforderlich. Ist die Zustimmung hingegen an -ggf. verfahrensrechtlich nicht zu erfüllende (s.o.) - Bedingungen geknüpft, ist die Zustimmung allein konkludent, aber nicht ausdrücklich erteilt oder erfolgt keine Rückmeldung binnen einer gesetzten Frist, obwohl das Ausbleiben einer Rückmeldung in der Anfrage der Partei als unterstellte Zustimmung adressiert wird, kommt eine Anordnung nach den jeweiligen Umständen des Falls in Betracht. Verweigert der Dritte nämlich die Zustimmung ohne Begründung oder kann er keine ausreichend nachvollziehbare Begründung erbringen, warum er nicht zustimmt, so kann eine Vorlageanordnung erfolgen. Insoweit überwiegt die aus dem EUKartellrecht abzuleitende Obliegenheit der Partei, sich bei der Verhandlung um eine FRAND-Lizenz und bei der Durchsetzung der Patentrechte aus einem SEP transparent zu verhalten, die entgegenstehende Klausel und ihre Anwendung durch
den betroffenen Vertragspartner. Denn derjenige, der in einen Vertrag, der auch in der Europäischen Union durchsetzbare standard-essentielle Patente betrifft, dennoch entsprechende Vertraulichkeitsklauseln aufnimmt, die zu den EUkartellrechtlichen Anforderungen an die Transparenz in einem Spannungsverhältnis stehen, kann die Zustimmung regelmäßig nicht mit hinreichend beachtungswürdigen Rechtsgründen verweigern.
- II. Die prozessuale Grundlage für die Vorlageanordnung folgt aus der allgemeinen Prozessleitungsbefugnis des Berichterstatters bzw. des Vorsitzenden, wie sie in dem Übereinkommen des EPG angelegt und sodann in der Verfahrensordnung ausgestaltet wurde. Unzutreffend ist hingegen die von den Parteien vertretene Rechtsansicht, eine Anordnung könne sich unmittelbar auf R. 172.2 VerfO oder R. 190, 191 VerfO gründen.
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- R. 172.2 VerfO ist entgegen der Ansicht der Klägerin regelmäßig schon deshalb kein tauglicher Anknüpfungspunkt, weil es in dem vorliegenden Kontext nicht um die Beweisbedürftigkeit bestrittener Tatsachen geht, sondern um - oftmals erstmaligen Vortrag zu Tatsachen zu Punkten, die allein rechtlich kontrovers diskutiert werden, naturgemäß mangels Kenntnis des beabsichtigten Vortrags aber noch gar nicht tatsächlich im Streit stehen können. Auch in den Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht ist zwischen Tatsachenvortrag, streitigem Tatsachenvortrag, Beweisbedürftigkeit und unterschiedlicher Rechtsargumentation zu unterscheiden, wie Regeln 171, 172.1 VerfO zeigen (vgl. nur Tilmann/Plassmann/Ahrens, R. 171 VerfO Rn. 2).
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- Aber auch R. 190.1, VerfO ist vorliegend nicht unmittelbar anwendbar. Insoweit geht es bei der vorliegend begehrten Vorlageanordnung wiederum nicht um Beweismittel zum Beweis streitigen Tatsachenvortrags. Eine unmittelbare Anwendung von R. 190.1 VerfO auf dem Wege, dass eine von mehreren Parteien einen Antrag gegen eine zu ihrer Unternehmensgruppe gehörende weitere Partei, die auf derselben Prozessseite steht, stellt, begegnet zudem vor dem Hintergrund des Wortlauts der Norm durchgreifenden Bedenken. Allein der im Widerspruch zur Formulierung in der englischen Fassung des Übereinkommens stehende englische Wortlaut der Regel 190.1 VerfO spricht von 'other party' (dagegen Art. 59 UPCA: 'opposing party'). Auch die deutsche und die französische Fassung der Regel sowie des Art. 59 EPGÜ sprechen von der 'gegnerischen Partei' bzw. der 'partie adverse'. Die auf derselben Prozessseite stehende weitere Partei kann aber ebenso wenig wie die Partei selbst als gegnerische Partei angesehen werden.
Ebenso wenig kann eine weitere Klägerin oder weitere Beklagte als dritte Partei ('third party' bzw. 'tiers') angesehen werden. Eine Gesamtschau der Verfahrensordnung zeigt, dass hierunter nur nicht am Verfahren Beteiligte zu verstehen sind (vgl. Regeln 11.2, 105.2, 115, 170.3(a), 186.5, 288 VerfO).
Überdies erscheint eine unmittelbare Anwendung der Norm in der Situation einer gegen sich selbst gerichteten Vorlageanordnung nicht tragfähig. Denn der eigentliche Zweck der Norm liegt darin, einer - nach entsprechendem Tatsachenvortrag und substantiiertem Bestreiten desselben durch die Gegenseite - in Beweisnot befindlichen Partei zu helfen, die bereits die ihr selbst zur verfügenden Beweismittel vorgelegt hat und nunmehr zur weiteren Begründung ihres Standpunktes auf Beweismittel angewiesen ist, die nicht in ihrem Zugriffsbereich liegen. So liegt der Fall bei einem gegen sich selbst gerichteten Vorlageantrag aus den zuvor geschilderten Gründen nicht.
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- Ist die Vorlageanordnung gegen den Prozessgegner gerichtet, steht einer unmittelbaren Anwendung entgegen, dass es sich bei den Lizenzverträgen im erreichten Verfahrensstadium nicht um Beweismittel handelt, die zum Beweis bereits bestrittener Tatsachen erforderlich sind, sondern um Dokumente, die erstmaligen Vortrag im Verfahren beinhalten, der sodann rechtlich von der Partei gewürdigt werden soll. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Tatsachengehalt der vorzulegenden Lizenzverträge mit großer Wahrscheinlichkeit bestritten werden wird. Im Streit stehen vielmehr nach der prozessualen Erfahrung allein die rechtlichen Schlüsse, die aus den Tatsachen gezogen werden. Regelmäßig ist nämlich gerade nicht im Streit, ob es überhaupt den Lizenzvertrag mit dem Dritten gibt oder ob in ihm eine konkrete Bestimmung tatsächlich so wie vorgetragen enthalten ist. Vielmehr ist allein im Streit, welche rechtliche Einordnung aus den unstreitigen Tatsachen abgeleitet wird - vorliegend, ob sich unterbreitete Angebote und Gegenangebote vor dem Hintergrund von Vergleichslizenzverträgen als FRAND-gemäß und damit EU-kartellrechtskonform einordnen lassen.
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- Allerdings hat das Übereinkommen den Berichterstatter und im weiteren Verfahrens-
- verlauf den Vorsitzenden mit umfassenden Prozessleitungsbefugnissen ausgestattet. Aus diesem umfassenden Prozessleitungsauftrag kann allerdings keine konturlose und damit arbiträre Verfahrensführung ohne inhaltliche Begründung der Anordnungsgrundlagen abgeleitet werden. Diese Befugnisse gehen im vorliegenden, durch das EU-Kartellrecht determinierten und hierdurch konkretisierten Kontext jedoch dahin, dass eine Vorlageanordnung auch dann möglich ist, wenn die Voraussetzungen der R. 172.2 bzw 190 VerfO nicht unmittelbar gegeben sind. Denn das Einheitliche Patentgericht hat den grundsätzlichen Vorrang des EU-Rechts nach Art. 20, 21, 24 (a) EPGÜ zu achten und dem europäischen Recht auch bei der Auslegung seines Verfahrensrechts im erforderlichen Maße Rechnung zu tragen und ihm zur Geltung zu verhelfen (vgl. zum Einfluss des EU-Kartellrechts auf das nationale Verfahrensrecht im Kontext von Vorlageanordnungen in FRAND-Verfahren Benkard/Tochtermann, § 139 PatG Rn. 191). Eine Anordnungsbefugnis im Sinne einer aktiven Verfahrensleitung findet ihre Grundlage im Übereinkommen. Nach Artikel 43 EPGÜ leitet das Gericht die bei ihm anhängigen Verfahren aktiv nach Maßgabe der Verfahrensordnung, ohne das Recht der Parteien zu beeinträchtigen, den Gegenstand und die ihren Vortrag stützenden Beweismittel ihrer Rechtsstreitigkeit zu bestimmen. In der Verfahrensordnung kommt diese Verpflichtung zur aktiven Verfahrensförderung insbesondere in den Regeln 101 und 111 VerfO zum Ausdruck. Wenngleich Regel 101 VerfO unmittelbar nur für das Zwischenverfahren gilt und Regel 111 VerfO für die Verfahrensleitung des Vorsitzenden im mündlichen Verfahren, bedeutet dies nicht, dass der Berichterstatter im schriftlichen Verfahren angehalten wäre, das Verfahren noch nicht aktiv zu fördern. Dies zeigen auch die Regeln 331 ff. VerfO, die die Pflicht zur aktiven Verfahrensförderung unterstreichen. So soll der Berichterstatter in einem frühen Verfahrensstadium die Streitpunkte identifizieren (R. 332 (b) VerfO), umgehend entscheiden, welche Streitpunkte eine umfassende Untersuchung erfordern (R. 332 (c) VerfO) und kann zu diesem Zweck nach R. 334 (f) VerfO sogar einen Streitpunkt von der Erörterung ausschließen und einen Anspruch zurückweisen oder darüber entscheiden, wenn eine Entscheidung dazu führt, dass eine Entscheidung über weitere Streitpunkte für den Ausgang des Verfahrens unerheblich ist (R. 334 (g) VerfO) sowie einen Anspruch
summarisch zurückweisen, wenn er keine Erfolgsaussichten hat (R. 334 (g) VerfO) und
hierzu Anordnungen nach R. 103 bis 109 VerfO treffen (R. 334 (j) VerfO). Nach R. 103 VerfO kann der Berichterstatter wiederum die Parteien auffordern, bestimmte Punkte weiter zu präzisieren (R. 103 (a) VerfO), konkrete Fragen zu beantworten (R. 103 (b) VerfO) und Beweismittel vorzulegen (R. 103 (c) VerfO) bzw. bestimmte Unterlagen einzureichen (R. 103 (d) VerfO). Wenngleich diese allgemein gehaltenen Vorschriften dem Richter keine - etwa nur auf Regel 9 VerfO gestützten - arbiträren und an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen Anordnungen nach seinem Belieben erlauben, die die gesetzlichen Voraussetzungen von spezielleren Regelungen der Verfahrensordnung unterlaufen, so zeigen sie doch, dass dem Richter dann, wenn keine gesetzlichen Gründe entgegenstehen, die vorrangigen Spezialvorschriften zu entnehmen sind, eine weitreichende Anordnungsbefugnis überantwortet ist. Diese Anordnungsbefugnis wird vorliegend durch den Regelungskontext des vorrangigen EUKartellrechts konkretisiert und ist in zweierlei Situationen zu bestimmen:
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a) In der einen Situation begehrt die die Vorlageanordnung beantragende Partei gleichsam eine Anordnung gegen sich selbst. Diese Anordnung soll nicht einen entgegenstehenden Willen der Partei überwinden - die Partei ist vielmehr selbst zur Vorlage willig, sieht sich an der Vorlage indes aus den zuvor geschilderten Gründen rechtlich gehindert. Der Antrag erfolgt im Kern allein, weil die Partei nicht ohne die Sicherheit einer unzweifelhaften Zustimmung des Vertragspartners oder einer rechtlichen Anordnung das fragliche Dokument im Verfahren vorlegen will und den Vorwurf eines Vertragsbruchs befürchtet. Die Interessen des Vertragspartners können durch die zuvor geschilderte vorrangige Bitte der Partei um Zustimmung und die hiermit verbundene rechtliche Äußerungsmöglichkeit gewahrt werden. Der Vertragspartner kann auf die Anfrage hin auch um eine diese Frage betreffende Beteiligung am Verfahren ersuchen und hierdurch seine Interessen selbst artikulieren, wenn hierfür ein Bedürfnis sieht.
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b) In der anderen Situation begehrt eine Partei die Vorlage durch den Gegner oder durch einen Dritten. In diesem Fall soll die Anordnung also gerade entgegen dem Willen des Gegners bzw. des Dritten erfolgen, der von sich aus nicht vorlagewillig ist. Grundsätzlich sind der Gegner bzw. der Dritte vor einer Anordnung zu hören (vgl. entsprechend R. 264, 190.5, 191 VerfO), wobei die Interessen des Dritten wiederum dadurch gewahrt werden können, dass die jeweilige Partei, die Vertragspartner des Dritten ist, verpflichtet wird, den Dritten zu kontaktieren und ihn um seine Zustimmung zu ersuchen. Hierzu ist die Partei zudem aufgrund der bestehenden Vertraulichkeitsklauseln in aller Regel ohnehin verpflichtet. Eine solche Mitwirkungspflicht belastet die Partei, gegen die die Anordnung ergeht, auch nicht unverhältnismäßig, weil sie selbst an der Vereinbarung der entsprechenden Geheimhaltungsklauseln in den Lizenzverträgen mitgewirkt hat (für eine grundsätzliche Mitwirkungspflicht und Pflicht der Wahrnehmung rechtlicher oder faktischer Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Dritte auch Tilmann/Plassmann/Ahrens, R. 172 VerfO Rn. 20 und Bopp/Kircher/Böttcher, 2. Aufl., § 23 Rn. 30 und 33). Dabei kann offenbleiben, ob die Klausel auf Drängen des eigentlich zur Transparenz verpflichteten SEP-Inhabers oder auf Drängen seines Vertragspartners in den Vertrag aufgenommen wurde. Zudem kann der Dritte auf diese Weise seine Interessen bei Bedarf anwaltlich vertreten im Verfahren geltend machen.
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c) Bevor eine solche Anordnung ergeht, muss zudem geprüft werden, ob die Pflicht zur Vorlage der begehrten Informationen in dem jeweils erreichten Verfahrensstadium als verhältnismäßig anzusehen ist. Hierbei ist einzustellen, welche Konsequenzen eine spätere Anordnung oder ein gänzliches Absehen von einer Anordnung für das weitere Verfahren hätte. Im vorliegenden Zusammenhang muss mit in Betracht gezogen werden, dass einerseits der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand allein dann relevant wird, wenn das jeweilige Klagepatent verletzt und rechtsbeständig ist, andererseits aber diese rechtliche Feststellung valide oftmals erst nach der mündlichen Verhandlung möglich ist oder ggf. wenn zuvor im Zwischenverfahren der gesamte Spruchkörper nach R.102.1 VerfO, 101.1, 334 VerfO eine Zwischenanhörung abgehalten hat, auf der die Fragestellungen in ausreichender Tiefe beleuchtet werden konnten. Hierzu steht in Widerspruch, dass die mündliche Verhandlung bereits im schriftlichen Verfahren nach Möglichkeit abschließend schriftsätzlich vorzubereiten ist und weitere Schriftsätze nach der Verfahrensordnung die Ausnahme darstellen sollen (R. 35, 36 VerfO). Die erstmalige Vorlage möglicherweise verfahrensentscheidender Dokumente zu einem späten Verfahrenszeitpunkt hingegen würde notwendig zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs die Einreichung weiterer Schriftsätze erfordern, wobei aufgrund der regelmäßig in diesem Kontext vorliegenden Komplexität auch dem Bedürfnis einer Partei nach Einbeziehung parteisachverständiger Expertise bei den weiteren Fristenläufen Rechnung zu tragen wäre. Hierdurch würde das Verfahren erheblich verzögert. Neben diesem Umstand ist zudem zu berücksichtigen, dass eine im Verfahren frühzeitig geschaffene Transparenz die Möglichkeiten der Parteien verbessert, gemeinsam im Wege der das Verfahren begleitenden außergerichtlichen Gespräche oder unter Inanspruchnahme der Dienste des Mediations- und Schiedszentrums des Gerichts zu einer gütlichen Beilegung des Streits zu gelangen. Damit fördert die frühzeitige Anordnung einer Vorlage zugleich die einvernehmliche Streitbeilegung, die auch Aufgabe des Gerichts ist (Art. 35 EPGÜ, R. 11, 104 (d), 365 VerfO) und schafft die EUkartellrechtlich erforderliche Transparenz bei der Verhandlungsführung zwischen den Parteien. Überdies soll die Verhandlung der durch schriftliches Verfahren und Zwischenverfahren vorbereiteten mündlichen Verhandlung nach R. 113 VerfO unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit an einem Tag abgeschlossen werden. Die Vertagung soll nach Regel 114 VerfO die Ausnahme bilden. Hierzu stünde es im Widerspruch, wenn sich das Gericht erst in der anberaumten Verhandlung in der Hauptsache zu einer Vorlageanordnung entscheidet, nachdem es sich aufgrund der Diskussion der Verletzungsfrage und ggf. des Rechtsbestands des Patents von der hinreichenden Relevanz der kartellrechtlichen Aspekte für die Entscheidungsfindung überzeugt hat. Würde erst dann eine Vorlageanordnung getroffen und die notwendigen Schriftsätze ausgetauscht, würde dies eine mehrmonatige Verlängerung der Verfahrensdauer nach sich ziehen. Diese Konsequenzen sind daher möglichst frühzeitig in die Entscheidung darüber einzubeziehen, ob eine Vorlageanordnung ergeht. Umgekehrt wird vor einer Vorlageanordnung regelmäßig ein Verfahrensstadium zu erreichen sein, in dem sich beide Seiten in den Hauptschriftsätzen zu den kartellrechtlichen Aspekten positioniert haben. Dies wird regelmäßig spätestens mit
der Replik betreffend die Verletzungsklage der Fall sein. Bis zu diesem Verfahrensstadium haben auch beide Seiten ausreichend Gelegenheit, bei ihren jeweiligen Lizenzvertragspartnern um Zustimmung zur Vorlage im Verfahren vor dem EPG nachzusuchen, sodass sie zusammen mit einem Vorlageantrag hierzu substantiiert vortragen können.
- B. Für den vorliegenden Rechtsstreit folgt auf der Grundlage dieser Erwägungen im Einzelnen das Nachfolgende:
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- Die Vorlage des Lizenzvertrages […] kann auf ihren Antrag hin angeordnet werden. Hierbei
- können Passagen geschwärzt werden, soweit sich die Klägerin für ihre Tatsachenbehauptungen und rechtliche Argumentation nicht auf diese Passagen bezieht. Dem Beibringungsgrundsatz entsprechend (Art. 43 EPGÜ) muss die Klägerin selbst für sich entscheiden, welchen Vortrag sie im Verfahren halten will. […] hat sich auf das nunmehr ausreichende Anschreiben der Klägerin nicht zurückgemeldet und daher keine rechtlich erheblichen Gründe dargetan, die im vorliegenden Kontext (siehe A) einer Vorlageanordnung auf Wunsch der Klägerin entgegenstehen. […] hat sich zwar im ablehnenden Sinne bei der Klägerin zurückgemeldet, indes keinerlei Begründung dafür
- vorgebracht, warum einer Vorlage des Lizenzvertrages nicht zugestimmt wird.
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- Die Vorlage des Lizenzvertrages […] wird auf ihren Antrag hin gleichfalls angeordnet. Hierbei können Passagen geschwärzt werden, soweit sich die Klägerin für ihre Tatsachenbehauptungen und rechtliche Argumentation nicht auf diese Passagen bezieht. Wiederum dem Beibringungsgrundsatz entsprechend (Art. 43 EPGÜ) muss die Klägerin selbst für sich entscheiden, welchen Vortrag sie im Verfahren halten will. Nachdem […] sich zwar in einem grundsätzlich zustimmenden Sinne bei der Klägerin zurückgemeldet hat, jedoch die Zustimmung inhaltlich an weitere Voraussetzungen gebunden hat, war eine Vorlageanordnung möglich. Zwar hätten die verbleibenden offenen Punkte durch die Klägerin durch ihre konkrete Antragsfassung im Geheimnisschutzantrag beseitigt werden können, da es allein in ihrer Hand liegt, den konkreten Schutzantrag abzufassen und etwa den Personenkreis des confidentiality clubs in dem Antrag zu definieren, dessen uneingeschränkter Zuspruch zur innerprozessuale Bedingung für die Vorlage des Dokuments gemacht werden kann (vgl. Anordnung vom 14. Februar 2024 mit detaillierter Beschreibung des Geheimnisschutzregimes), jedoch können die gegen eine Vorlageanordnung bestehenden Bedenken vorliegend dadurch überwunden werden, dass die Lizenzvertragspartnerin im Grunde ihr Einverständnis erteilt hat, sofern ein dem nationalen Parallelverfahren in München vergleichbares Schutzniveau erreicht werden kann. Hieran bestehen angesichts des ausdifferenzierten Geheimnisschutzregimes im Verfahren (vgl. Anordnung vom 14. Februar 2024) keine Zweifel.
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- Der Anordnung der von der Klägerin beantragten Pflicht der Gegenseite zur Information unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von 15 Tagen bedurfte es vorliegend nicht. Diese Kommunikation hat im Verfahren nunmehr bereits durch die Anfragen der Klägerin stattgefunden und ist damit prozessual überholt. Insbesondere können die in den Lizenzverträgen enthalten näheren Modalitäten der gegenseitigen Information der Vertragsparteien über die bevorstehende Anordnung die Anordnungsbefugnis des Gerichts nicht be-
schränken. Andernfalls hätten es die Vertragsparteien in der Hand, die Vorlage von Lizenzverträgen in SEP-Verfahren durch Aufnahme von Klauseln, die vor der Vorlage überlange Fristen vorsehen, unbotmäßig zu verzögern oder an weitere Voraussetzungen zu knüpfen, die den Fortgang des Verfahrens hindern.
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- Anordnungen nach R. 262 VerfO und/oder R. 262A VerfO werden nach Vorlage der genannten Verträge auf der Grundlage entsprechender Anträge ergehen. Es besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, die Klägerin dazu verpflichten, solche Anträge zu stellen. Vielmehr liegt das Bestimmungsrecht nach Art. 43 EPGÜ allein bei ihr.
ANORDNUNG:
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- Die Vorlage des Lizenzvertrages […] durch die Klägerin wird angeordnet. Hierbei können Passagen geschwärzt werden, soweit sich die Klägerin für ihre Tatsachenbehauptungen und rechtliche Argumentation nicht auf diese Passagen bezieht.
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- Die Vorlage des Lizenzvertrages […] durch die Klägerin wird angeordnet. Hierbei können Passagen geschwärzt werden, soweit sich die Klägerin für ihre Tatsachenbehauptungen und rechtliche Argumentation nicht auf diese Passagen bezieht.
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- Die weiteren Anträge werden zurückgewiesen.
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- Es wird darauf hingewiesen, dass das Gericht es berücksichtigen kann, wenn dieser Vorlageanordnung nicht nachgekommen wird (R. 190.7 VerfO entsprechend).
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- Es wird weiter darauf hingewiesen, dass das Gericht Verfahrensschritte, Fakten, Beweismittel oder Argumente unberücksichtigt lassen kann, wenn diese von der Partei nicht innerhalb der vom Gericht festgesetzten Frist unternommen beziehungsweise beigebracht wurden (R. 9.2 VerfO).
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- Frist zur Vorlage: 9. Mai 2024
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Erlassen in Mannheim am 30. April 2024
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