
Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_463/2023
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Düsseldorf erlassen am 30. April 2024 betreffend EP 2 697 391 B1
LEITSÄTZE:
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- Ist eine Person bei einem Europäischen Patent im jeweiligen nationalen Register als Patentinhaber eingetragen, besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die im jeweiligen nationalen Register eingetragene Person zur Eintragung berechtigt ist (R. 8.5 (c) VerfO). Eine solche gesetzliche Vermutung hat hinsichtlich der vermuteten Tatsache eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zur Folge. Kann der Antragsteller auf seine Eintragung in den für den jeweiligen Rechtsstreit maßgeblichen Registern verweisen, ist es an der Antragsgegnerseite, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass dem Antragsteller die Berechtigung für eine solche Eintragung fehlt.
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- Enthält ein Patentanspruch Zweckangaben, dienen diese üblicherweise dem besseren Verständnis der Erfindung. Sie haben im Regelfall mittelbar die Wirkung, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahingehend zu definieren, dass er nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch ausgebildet sein muss, um für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar zu sein.
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- Fehlt es an einer positiven Kenntnis des Antragstellers von einer Schutzrechtsverletzung, steht einer solchen Kenntnis eine grob fahrlässige Unkenntnis oder das bewusste Verschließen der Augen vor einer Schutzrechtsverletzung gleich. Eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht des Patentinhabers besteht nicht. Sobald der Schutzrechtsinhaber jedoch konkrete Umstände kennt, die eine Verletzung seines Schutzrechts naheliegend erscheinen lassen, ist von ihm zu erwarten, dass er alle ihm ohne Weiteres zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreift und die Sachlage weiter aufklärt. Die Darlegung derartiger, eine Aufklärungspflicht auslösender Umstände obliegt der Antragsgegnerseite.
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- Während Art. 69 Abs. 4 EPÜ lediglich die Leistung einer Prozesskostensicherheit des Klägers vorsieht, erweitert R. 158 VerfO den Kreis der Adressaten einer solchen Anordnung auf 'die Parteien' und damit auch den Beklagten. In Eilverfahren besteht für eine (analoge) Anwendung der Norm vor dem Hintergrund des Eilcharakters derartiger Verfahren weder Raum noch im Hinblick auf R. 211.1 (d) VerfO ein Bedürfnis.
SCHLAGWÖRTER:
Aktivlegitimation; Register; Vermutung; Zweckangaben; Eilbedürftigkeit; Kenntnis der Verletzung; fahrlässige Unkenntnis; Interessenabwägung; Prozesskostensicherheit
ANTRAGSSTELLERIN:
10x Genomics, Inc. , 6230 Stoneridge Mall Road, 94588-3260 Pleasanton, CA, USA, gesetzlich vertreten durch das Board of Directors, dieses vertreten durch den CEO Serge Saxonov, ebenda, vertreten durch:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Tilman Müller-Stoy, Rechtsanwalt Dr. Martin Drews, Patentanwalt Dr. Axel Berger, Prinzregentenplatz 7, 81675 München, elektronische Zustelladresse:
mueller-stoy@bardehle.de
ANTRAGSGEGNERIN:
Curio Bioscience Inc., 4030 Fabian Way, Palo Alto, CA 94303, USA, vertreten durch ihren CEO Stephen Fodor, ebenda, vertreten durch:
Rechtsanwältin Agathe Michel-de Cazotte, Europäischer Patentanwalt Cameron Marshall, 1 Southampton Row WC1B 5HA London, United Kingdom,
elektronische Zustelladresse:
U010318UC@carpmaels.com
STREITPATENT:
EUROPÄISCHES PATENT NR. EP 2 697 391 B1
Spruchkörper/Kammer:
Spruchkörper der Lokalkammer Düsseldorf
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter Thomas als Berichterstatter, die rechtlich qualifizierte Richterin Dr. Thom, den rechtlich qualifizierten Richter Kupecz sowie den technisch qualifizierten Richter Dr. Schmidt erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND: R. 206.1 VerfO i.V.m. R. 211.1 VerfO - Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen
MÜNDLICHE VERHANDLUNG: 26. März 2024
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:
Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen Verletzung des Europäischen Bündelpatents EP 2 697 391 B1 (nachfolgend: Streitpatent) in Anspruch. Das Streitpatent wurde am 13. April 2012 unter Inanspruchnahme der Priorität der GB 201106254 vom 13. April 2011 in englischer Sprache angemeldet. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 19. Februar 2014. Der Hinweis auf die Erteilung des Streitpatents unter anderem in Deutschland, Frankreich und Schweden wurde am 30. Oktober 2019 veröffentlicht. Das Streitpatent steht in den vorgenannten Staaten in Kraft.
Gegen die Erteilung des Streitpatents wurde kein Einspruch eingelegt.
Mit Vertrag vom 30. November/1. Dezember 2023 (Anlage BP 11) übertrug die 10x Genomics AB das Streitpatent auf die Antragstellerin und trat sämtliche mit ihm verbundenen Rechte und Ansprüche an diese ab. Mittlerweile ist die Antragstellerin in die nationalen Register in Deutschland, Frankreich und Schweden als alleinige Inhaberin des Streitpatents eingetragen (Anlagen BP 7a, BP 8a und BP 9a).
Das Streitpatent stellt ein 'Verfahren und Produkt zur lokalisierten oder räumlichen Erkennung von Nukleinsäuren in einer Gewebeprobe' ('Method and product for localised or spatial detection of nucleic acid in a tissue sample') unter Schutz. Sein Patentanspruch 1 ist wie folgt formuliert:
'A method for localised detection of nucleic acid in a tissue sample comprising cells, wherein said method comprises:
- (a) providing an array comprising a substrate on which multiple species of capture probes are directly or indirectly immobilized such that each species occupies a distinct position on the array and is oriented to have a free 3' end to enable said probe to function as a primer for a primer extension or ligation reaction, wherein each species of said capture probe comprises a nucleic acid molecule with 5' to 3':
- (i) a positional domain that corresponds to the position of the capture probe on the array, and
- (ii) a capture domain;
- (b) contacting said array with a tissue sample and allowing nucleic acid of the tissue sample to hybridise to the capture domain in said capture probes;
- (c) generating DNA molecules from the captured nucleic acid molecules using said capture probes as extension or ligation primers, wherein said extended or ligated DNA molecules are tagged by the positional domain or a complement thereof;
- (d) optionally generating a complementary strand of said tagged DNA and/or optionally amplifying said tagged DNA;
- (e) releasing at least part of the tagged DNA molecules and/or their complements or amplicons from the surface of the array, wherein said part includes the positional domain and all of the sequence that is 3' to the positional domain or a complement thereof;
- (f) directly or indirectly analysing the sequence of the released DNA molecules; and
- (g) correlating the sequence analysis information to a position in the tissue sample.'
In der eingetragenen deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1 wie folgt:
'Verfahren zum lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe, wobei das Verfahren Folgendes umfasst:
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(a) Bereitstellen eines Array, das ein Substrat umfasst, auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Primer für eine Primer-Verlängerungs oder Ligationsreaktion fungieren kann, wobei die Arten der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül mit von 5' nach 3':
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(i) eine(r) Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
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(ii) eine(r) Einfangdomäne umfassen;
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(b) Inkontaktbringen des Array mit einer Gewebeprobe und Ermöglichen einer Hybridisierung von Nukleinsäure der Gewebeprobe an die Einfangdomäne in den Einfangsonden;
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(c) Erzeugen von DNA-Molekülen aus den eingefangenen Nukleinsäuremolekülen unter Verwendung der Einfangsonden als Verlängerungs- oder Ligationsprimer, wobei die verlängerten bzw. ligierten DNA-Moleküle über die Positionsdomäne oder ein Komplement davon mit einem Tag versehen sind;
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(d) gegebenenfalls Erzeugen eines Komplementärstrangs der mit einem Tag versehenen DNA und/oder gegebenenfalls Amplifizieren der mit dem Tag versehenen DNA;
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(e) Freisetzen wenigstens eines Teils der mit einem Tag versehenen DNA-Moleküle und/oder ihrer Komplemente oder Amplifikate von der Oberfläche des Array, wobei der Teil die Positionsdomäne und die gesamte Sequenz, die 3' zur Positionsdomäne liegt, oder ein Komplement davon enthält;
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(f) direktes oder indirektes Analysieren der Sequenz der freigesetzten DNA-Moleküle; und
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(g) Korrelieren der Informationen aus der Sequenzanalyse mit einer Position in der Gewebeprobe.'
Daneben schützt das Streitpatent in Patentanspruch 14 ein Array, das wie folgt ausgestaltet ist:
- 'An array for use in the localised detection of nucleic acid in a tissue sample comprising cells, comprising a substrate on which multiple species of capture probes are directly or indirectly immobilized such that each species occupies a distinct position on the array and is oriented to have a free 3' end to enable said probe to function as an extension or ligation primer, wherein each species of said capture probe comprises a nucleic acid molecule with 5' to 3':
- (i) a positional domain that corresponds to the position of the capture probe on the array, and
- (ii) a capture domain to capture nucleic acid of a tissue sample that is contacted with said array comprising:
- (a) a poly-T DNA oligonucleotide comprising at least 10 deoxythymidine residues and/or a random or degenerate oligonucleotide sequence; or
- (b) sequences specific for a group of genes.'
In der eingetragenen deutschen Übersetzung ist Patentanspruch 14 wie folgt gefasst:
'Array zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe, umfassend ein Substrat, auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Verlängerungs- oder Ligationsprimer fungieren kann, wobei die Arten der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül mit von 5' nach 3':
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(i) einer Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
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(ii) einer Einfangdomäne zum Einfangen von Nukleinsäure einer Gewebeprobe, die mit dem Array in Kontakt
gebracht wird, umfassend
- (a) ein Poly-T-DNA-Oligonukleotid, das wenigstens 10 Desoxythymidinreste umfasst, und/oder eine zufällige oder degenerierte Oligonukleotidsequenz; oder
- (b) Sequenzen, die für eine Gruppe von Genen spezifisch sind, umfassen.'
Mit ihrem Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen richtet sich die Antragstellerin gegen das Angebot und den Vertrieb des Produkts 'Curio Seeker Spatial Mapping KIT', welches in zwei verschiedenen Ausführungen erhältlich ist (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen). Wie die eingeblendeten Abbildungen verdeutlichen, bestehen beide angegriffenen Ausführungsformen aus einem Träger, auf dem sich eine aus räumlich indizierten Kügelchen ('beads') bestehende Kachel befindet, deren Größe entweder 3 x 3 mm oder 10 x 10 mm beträgt:


Jedes Bead ist mit mehreren Oligonukleotiden beschichtet, die über eine Poly(dT)-Region an mRNA hybridisieren können und eine Bead-Barcode-Sequenz enthalten. Die Barcodes sind bei allen Oligonukleotiden auf einem Bead gleich, unterscheiden sich aber zwischen den Beads.
Mithilfe der angegriffenen Ausführungsformen kann eine Gewebeprobe analysiert werden. Diese wird auf die Kachel auf dem Träger aufgebracht, wo sich Moleküle (RNA) der Gewebeprobe mit Molekülen (Fängerstrukturen) auf den räumlich indizierten Kügelchen verbinden. Im weiteren Verlauf wird die RNA molekularbiologisch prozessiert (in cDNA umgeschrieben und vervielfältigt) und mithilfe eines Sequenzierungsgeräts sequenziert. Durch die Sequenzierung lässt sich ermitteln, welche RNA-Moleküle konkret in der Probe enthalten waren. Abschließend wird jedem der RNA-
Moleküle seine Position in der ursprünglichen Gewebeprobe anhand der Indizes der räumlich indizierten Kügelchen zugeordnet. Dieser Prozess wird in der nachfolgend eingeblendeten schematischen Abbildung verdeutlicht:

Am 10. November 2023 führte eine von der Antragstellerin beauftragte Person eine Videokonferenz mit Herrn Danilo Tait, dem Senior Business Director für die EMEA-Staaten der Antragsgegnerin, durch. Herr Tait teilte in dieser Konferenz auf die Frage, ob eine Lieferung nach Deutschland, Frankreich und Schweden möglich sei, mit, die angegriffenen Ausführungsformen würden an Kunden in alle Staaten des EMEA-Raums versendet, wobei die Lieferung durch die Antragsgegnerin erfolge. Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieses Gesprächs wird auf die Anlagen BP 15 und BP 15a Bezug genommen. Im Nachgang zu diesem Gespräch erhielt die Antragstellerin per E-Mail ein PDFDokument mit weiteren Informationen über die angegriffenen Ausführungsformen in Präsentationsform (Anlage BP 16).
Darüber hinaus lieferte die Antragsgegnerin die angegriffenen Ausführungsformen in der 37. Kalenderwoche 2023 (11. September 2023 - 17. September 2023) an die Universitätsmedizin Mannheim der Universität Heidelberg (Anlagen BP 17 und BP 17a).
Ergänzend wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
ANTRÄGE DER PARTEIEN:
Die Antragstellerin beantragt,
- A. der Antragsgegnerin aufzugeben, in den Hoheitsgebieten der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, und/oder des Königreichs Schweden Folgendes zu unterlassen:
- I. Dritten im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer der unter A. genannten Staaten Mittel, namentlich Arrays, insbesondere 'Curio Seeker Spatial Mapping KITs', die zur Durchführung eines Verfahrens zum lokalisierten Nachweis von Nukleinsäuren in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe (hilfsweise: wobei es sich bei der Gewebeprobe um einen Gewebeschnitt handelt,) geeignet und bestimmt sind, wobei das Verfahren umfasst:
- (a) Bereitstellen eines Arrays, das ein Substrat umfasst, auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Primer für eine Primer-Verlängerungsreaktion fungieren kann, wobei die Arten
der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül mit von 5' nach 3':
- (i) einer Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
- (ii) einer Einfangdomäne umfassen;
- (b) Inkontaktbringen des Arrays mit einer Gewebeprobe und Ermöglichen einer Hybridisierung von Nukleinsäure der Gewebeprobe an die Einfangdomäne in den Einfangsonden;
- (c) Erzeugen von DNA-Molekülen aus den eingefangenen Nukleinsäuremolekülen unter Verwendung der Einfangsonden als Verlängerungsprimer, wobei die verlängerten DNA-Moleküle über die Positionsdomäne oder ein Komplement davon mit einem Tag versehen sind;
- (d) gegebenenfalls Erzeugen eines Komplementärstrangs der mit einem Tag versehenen DNA und/oder gegebenenfalls Amplifizieren der mit dem Tag versehenen DNA;
- (e) Freisetzen wenigstens eines Teils der mit einem Tag versehenen DNA-Moleküle und/oder ihrer Komplemente oder Amplifikate von der Oberfläche des Arrays, wobei der Teil die Positions-domäne und die gesamte Sequenz, die 3' zur Positionsdomäne liegt, oder ein Komplement davon enthält;
- (f) direktes oder indirektes Analysieren der Sequenz der freigesetzten DNAMoleküle; und
- (g) Korrelieren der Informationen aus der Sequenzanalyse mit einer Position in der Gewebeprobe
zur Durchführung des vorbenannten Verfahrens im Hoheitsgebiet der unter A. genannten Staaten anzubieten und/oder zu liefern;
- II. ein Array zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe, (hilfsweise: wobei es sich bei der Gewebeprobe um einen Gewebeabschnitt handelt), umfassend ein Substrat, auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Verlängerungsprimer fungieren kann, wobei die Arten der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül umfassen mit von 5' nach 3':
- (i) einer Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
- (ii) einer Einfangdomäne zum Einfangen von Nukleinsäure einer Gewebeprobe, die mit dem Array in Kontakt gebracht wird, umfassend ein Poly-TDNA-Oligonukleotid, das wenigstens 10 Desoxythymidinreste umfasst,
im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer der unter A. genannten Staaten anzubie-
ten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
- B. anzuordnen, dass die Antragsgegnerin im Falle jeder Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Ziffer A. an das Gericht ein (ggf. wiederholtes) Zwangsgeld in Höhe von bis zu EUR 100.000 für jeden Tag der Zuwiderhandlung zu zahlen hat;
- C. anzuordnen, dass die Antragsgegnerin ihr die Kosten des Verfahrens sowie vorläufige Kosten in Höhe von 200.000,- EUR zu erstatten hat;
- D. anzuordnen, dass die Anordnungen sofort wirksam und vollstreckbar sind;
- E. den Antrag der Antragsgegnerin zu lit. d) auf Ersatz eines 'entstandenen Reputationsund sonstigen Schadens' abzuweisen;
- F. den Antrag der Antragsgegnerin zu lit. e) auf Leistung einer Vollstreckungssicherheit gemäß Art. 82(2) EPGÜ und R. 211.5 VerfO zurückzuweisen;
- G. nach VerfO R. 9.1 und 158 (analog) anzuordnen, dass die Antragsgegnerin innerhalb einer von dem Gericht zu bestimmenden Frist Sicherheit für sämtliche zu erwartenden Prozesskosten der Antragstellerin einschließlich der möglichen Gerichtskosten in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe zu leisten hat;
- H. für den Fall, dass die Antragsgegnerin innerhalb der ihnen gesetzten Frist der Anordnung der Sicherheitsleistung nicht nachkommt, eine Versäumnisentscheidung gegen die Antragsgegnerin zu erlassen (R. 355 VerfO).
Die Antragsgegnerin beantragt in der Sache,
- a) den Antrag auf einstweilige Maßnahmen abzulehnen;
- b) anzuordnen, dass die Antragstellerin gemäß Art. 68 Abs. 3 EPGÜ den der Antragsgegnerin durch dieses Verfahren entstandenen Reputations- und sonstigen Schaden zu ersetzen hat;
- c) für die Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme gemäß Art. 82 Abs. 2 EPGÜ und R. 211.5 der Verfahrensordnung ('VerfO') die Leistung einer Sicherheit anordnet, die mindestens dem Streitwert entspricht;
- d) anzuordnen, dass die Antragstellerin gemäß Art. 69 EPGÜ alle der Antragsgegnerin in diesem Verfahren entstandenen Rechtsverfolgungsschäden und sonstige Auslagen trägt und vorläufige Kosten in Höhe von 200.000,- EUR zu erstatten hat.
TATSÄCHLICHE UND RECHTLICHE STREITPUNKTE:
Die Antragstellerin sieht im Angebot und im Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland, Frankreich und Schweden eine unmittelbare bzw. mittelbare Verletzung des Streitpatents. Das mittels der angegriffenen Ausführungsformen für die Detektion und Lokalisation von Nukleinsäuren angewendete Verfahren verwirkliche sämtliche Merkmale von Patentanspruch 1 wortsinngemäß. Es basiere auf dem 'Slide-seq'-Verfahren, das in den als Anlagen BP 3 und BP 4 zur Akte gereichten 'Science'- und 'nb'-Artikeln beschrieben werde. Die Antragstellerin biete die angegriffenen Ausführungsformen unter anderem in den vorgenannten Staaten zur Benutzung in
diesen Staaten an.
Der Rechtsbestand des Streitpatents sei hinreichend gesichert. Zugunsten bereits erteilter Patente bestehe eine Vermutung zu Gunsten des Rechtsbestandes. Die Beweislast für dessen Fehlen liege auf Seiten der Antragsgegnerin. Zudem habe die zuständige Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamtes keines der während des Erteilungsverfahrens des Streitpatents identifizierten und auf dem Deckblatt des Verfügungspatents genannten Dokumente des Standes der Technik für die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes der geltend gemachten Ansprüche 1 und 14 als im Wege stehend befunden.
Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen sei notwendig. Der Antragstellerin würde ein erheblicher Schaden drohen, wenn sie ihren Unterlassungsanspruch erst im Wege des Hauptsacheverfahrens durchsetzen könnte. Antragstellerin und Antragsgegnerin seien direkte Wettbewerber. Es sei davon auszugehen, dass Forschungseinrichtungen und Forscherteams nicht ohne weiteres zu einem Produkt eines anderen Herstellers wechseln, da dies die Vergleichbarkeit ihrer Forschungsarbeiten in mehrjährig laufenden Forschungsvorhaben wesentlich erschweren würde. Der Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen sei auch dringlich. Er sei zum frühestmöglichen Zeitpunkt und ohne unangemessenes Zuwarten erfolgt. Die Antragstellerin habe im Oktober 2023 erste Kenntnis über mögliche Vermarktungsaktivitäten der Antragsgegnerin erlangt, ohne zu wissen, dass sie auch in Deutschland, Frankreich und Schweden aktiv sei. Im Zuge dessen habe die Antragstellerin umgehend weitere Recherchen angestellt und zunächst die ex-post-Transparenzbekanntmachung über den Bezug der angegriffenen Ausführungsform durch die Universitätsmedizin Mannheim ermittelt. Sodann habe die Antragstellerin die Untersuchungen ausgeweitet und durch das Verkaufsgespräch am 10. November 2023 erfahren, dass derartige Aktivitäten in sämtlichen Schutzstaaten des Streitpatents zu verzeichnen seien. In der Folge habe die Antragstellerin zeitlich unmittelbar mit dem hiesigen Antrag um die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ersucht.
Die vorzunehmende Interessenabwägung sei so zu verstehen, dass sie zur Abfederung unbilliger Härten im Einzelfall diene. Daher seien einstweilige Maßnahmen beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen im Regelfall anzuordnen. Solche Härten seien vorliegend nicht ersichtlich. Da es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen um Verbrauchsgegenstände handele, die international ohne regionale Spezifika vertrieben würden, bestehe auf Seiten der Antragsgegnerin insbesondere keine Notwendigkeit, etwaige Lagerbestände in den drei Schutzstaaten Deutschland, Frankreich und Schweden vertreiben zu können. Ebenso wenig könnten etwaige Markteinführungskosten auf Seiten der Antragsgegnerin in anderen Regionen ausgeglichen werden. Im Gegensatz dazu verliere die Antragstellerin jeden Tag Marktanteile und ihr Ausschließlichkeitsrecht an jedem Tag, an dem es nicht durchgesetzt werden könne, einen Tag seiner Laufzeit.
Nach Auffassung der Antragsgegnerin machen die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Streitpatents keinen Gebrauch. Das Streitpatent beziehe sich auf geordnete Arrays von Oligonukleotidsequenzen, die in einer definierten, vorbestimmten Konfiguration auf das Substrat gedruckt würden, so dass eindeutige Sequenzen bestimmten Positionen auf dem Array entsprächen. Zur Erleichterung der Analyse des Arrays nach der Hybridisierung der Probe umfasse das durch das Streitpatent unter Schutz gestellte Verfahren einen Schritt, in dem die Oligonukleotidsequenzen von der Array-Oberfläche gelöst würden, um eine nachgeschaltete Verarbeitung in der Lösungsphase (z.B. Sequenzierung) zu ermöglichen. Im Gegensatz dazu würden bei den Kacheln der angegriffenen Ausführungsformen barcodierte Beads verwendet, die nach dem Zufallsprinzip auf einem Substrat verteilt und die aufgrund von in der Kachel vorhandener 'Bead Duplikate' nicht so eindeutig seien, 'dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array
einnehme'. Daher sei jede Kachel einzigartig. Zudem würden die Barcode-Sequenzen nicht bestimmten Positionen entsprechen. Dank der auf zufälligen Beads basierenden Technologie müssten die Oligonukleotidsequenzen überdies auch nicht von der Oberfläche des Arrays gelöst werden. Der Array werde zerstört, um die nachfolgende Verarbeitung in einem einzigen Pool zu ermöglichen.
Soweit sich die Antragstellerin im Rahmen der Begründung des Verletzungsvorwurfs auf wissenschaftliche Artikel (Anlagen BP 3 und BP 4) beziehe, würden diese nicht die angegriffene Ausführungsformen beschreiben, weshalb die Antragstellerin einen Verletzungsnachweis schuldig geblieben sei.
Der Rechtsbestand sei nicht in dem für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Umfang gesichert. Die unter Schutz gestellte technische Lehre sei gegenüber der US 2010/00357763 ('Chen'), der US 2003/0162210 ('Chetverin'), der WO 2012/048341 ('Harvard') sowie der Schrift Kuhn et al. (2004) Genome Res 14(11):2347-56 ('Kuhn') nicht neu. Jedenfalls fehle es ausgehend von Chen oder Chetverin an einer erfinderischen Tätigkeit. Im Übrigen ginge unter anderem Patentanspruch 1 des Streitpatents über die ursprüngliche Offenbarung hinaus.
Die Antragstellerin habe ihren Antrag auch unangemessen verzögert. Die Merkmale des Kits sowie die angeblich rechtsverletzenden Aktivitäten der Antragsgegnerin seien der Antragstellerin spätestens seit November 2022 bekannt gewesen. Die Antragstellerin habe gewusst, dass das Kit ab Ende 2022 weltweit vermarktet und seit Februar 2023 weltweit verkauft worden sei. Ende Januar 2023 habe die Antragsgegnerin auf dem 'Festival of Genomics' in London einen Stand betrieben, auf welchem sie für ihre einzige Produktlinie geworben habe. Diesen Stand habe die Antragstellerin wahrnehmen müssen. Am 8. Februar 2023 habe die Antragsgegnerin die weltweite Einführung des Kits angekündigt. Im selben Monat sei der Vertriebsleiter für Europa eingestellt worden. Dieser sei vom ersten Tag an in Heidelberg ansässig gewesen und habe bereits innerhalb weniger Tage nach seinem Dienstantritt Kontakt zu potenziellen Kunden in der EU und auch in Deutschland aufgenommen. Der Antragstellerin sei daher bekannt gewesen, dass die Antragsgegnerin das Kit mindestens seit Januar 2023 in Europa zum Verkauf angeboten habe und dass dieses seit Februar 2023 weltweit zum Verkauf erhältlich gewesen sei. Hinsichtlich der Auflistung weiterer Veranstaltungen, auf welchen das Kit insbesondere für Teilnehmer in Europa beworben worden sei, wird auf die Anlage CR-1 Bezug genommen.
Das Streitpatent sei als Bündelpatent bereits vor dem 1. Juni 2023 in Deutschland, Frankreich und Schweden verfügbar gewesen. Auch in Bezug auf das Einheitliche Patentgericht hätte die Antragstellerin seit dem 1. Juni 2023 klagebereit sein können. Gleichwohl habe sie nicht nur vor dem 1. Juni 2023 keine Klage vor den nationalen Gerichten erhoben, sondern auch die bereits zum Start des Einheitlichen Patentgerichts bestehende Möglichkeit eines Antrages auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht genutzt.
Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen sei nicht notwendig. Das Einheitliche Patentgericht sei darauf ausgelegt, gegebenenfalls innerhalb eines Jahres eine endgültige Unterlassungsverfügung zu erlassen. Daher sei die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nur unter besonderen Umständen notwendig und zulässig. Ein Schaden, der durch Schadenersatz ausgeglichen werden könne, könne nicht per se die Anordnung einstweiliger Maßnahmen rechtfertigen. Vielmehr müsse ein derartiger Schaden so groß sein, dass er nicht durch Schadenersatz am Ende des Prozesses behoben werden könne. Die Gefahr eines solchen Schadens habe die Antragstellerin nicht nachgewiesen. Die Produkte der Antragstellerin und die angegriffenen Ausführungsformen seien nicht austauschbar, so dass der Antragstellerin kein Verlust von Marktanteilen drohe. Selbst wenn es zu Marktanteils-
verlusten komme, würden diese im Fall einer Unterlassungsanordnung nach dem Prozess aufhören. Die bloße Behauptung oder auch nur die Feststellung eines möglichen Verlusts von Marktanteilen mache die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht per se erforderlich oder bürge die Gefahr eines erheblichen oder nicht wiedergutzumachenden Schadens. Im Übrigen sei der bei Erlass einer Unterlassungsanordnung zu einem späteren Zeitpunkt entstehende Schaden gering.
Im Rahmen der stets erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass eine Unterlassungsanordnung für die Antragsgegnerin eine unbillige Härte darstellen würde. Ergehe eine solche im Wege der Anordnung einstweiliger Maßnahmen, erleide die Antragsgegnerin einen nicht wiedergutzumachenden Schaden. Die Antragsgegnerin sei ein kleines Unternehmen mit einer einzigen Produktlinie. Die geringe Größe und das junge Alter der Antragsgegnerin machten deren Unternehmen besonders anfällig für Schwankungen bei der Finanzierung. Hinzu komme, dass der Antragsgegnerin lediglich eine sehr begrenzte Zeit zur Prüfung der Gültigkeit und der Inhaberschaft des Patents zur Verfügung gestanden habe. Demgegenüber sei der Schaden für die Antragstellerin bei einem Abwarten des Hauptsacheverfahrens gering und kalkulierbar. Die Antragstellerin stelle kein Produkt her, das mit der angegriffenen Ausführungsform austauschbar sei. Ein ihr möglicherweise entstehender Schaden sei in der Regel finanzieller Art und könne durch Schadenersatz behoben werden.
Die Antragstellerin ist dem Vorbringen der Antragsgegnerin entgegengetreten.
Ergänzend wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Der zulässige Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist teilweise begründet.
I.
Soweit die Antragsgegnerin den Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen im Hinblick auf R. 206.2 (d) VerfO beanstandet, beziehen sich die in dieser Vorschrift aufgestellten Anforderungen auf den Inhalt des Antrages. Sie betreffen daher dessen Begründetheit. Im Rahmen der durch den Richter in pflichtgemäßer Ermessensausübung zu treffenden Anordnungen nach Regeln 209, 211 und 212 VerfO kann sich eine Nichteinhaltung der in R. 206.2 (d) VerfO aufgestellten Anforderungen zu Lasten des Antragstellers auswirken. Ein möglicher Verstoß gegen R. 206.2 (d) VerfO führt damit nicht zur Unzulässigkeit des Antrages (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2024, GRUR-RS 2024, 2829, Rz. 61).
II.
Die Antragstellerin ist als eingetragene Inhaberin des Streitpatents gemäß Art. 47 Abs. 1 EPGÜ i.V.m. R. 8.5 (a) und (c) VerfO antragsberechtigt.
Gemäß R. 211.2 VerfO kann das Gericht dem Antragsteller auferlegen, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweise vorzulegen, um sich unter anderem mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass der Antragsteller gemäß Art. 47 EPGÜ zur Einleitung des Verfahrens berechtigt ist. Grundsätzlich ist es daher an der Antragstellerin, ihre Antragsberechtigung nachzuweisen.
Die ihr somit obliegende Nachweispflicht hat die Antragstellerin dadurch erfüllt, dass sie als Anla-
gen BP 7a, BP 8a und BP 9a für alle im vorliegenden Rechtsstreit relevanten Vertragsmitgliedsstaaten Auszüge aus den nationalen Patentregistern vorlegt hat, die sie jeweils als Patentinhaberin ausweisen. Ist eine Person bei einem Europäischen Patent im jeweiligen nationalen Register als Patentinhaber eingetragen, besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die im jeweiligen nationalen Register eingetragene Person zur Eintragung berechtigt ist, R. 8.5 (c) VerfO (vgl. dazu Tilmann/Plassmann, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, Art. 47 EPGÜ, Rz. 4). Eine solche widerlegbare gesetzliche Vermutung hat hinsichtlich der vermuteten Tatsache eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zur Folge.
Nachdem die Antragstellerin nunmehr in die im vorliegenden Rechtsstreit relevanten Register in Deutschland, Frankreich und Schweden als Patentinhaberin eingetragen ist, wäre es daher an der Antragsgegnerin, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass der Antragstellerin gleichwohl die Berechtigung für eine solche Eintragung im Sinne von R. 8.5 (a) VerfO fehlt. Dafür reicht das Vorbringen der Antragsgegnerin nicht aus.
Unstreitig waren die drei auf dem Streitpatent genannten Erfinder (Jonas Friesen, Patrik Ståhl und Joakim Lundberg) die Anmelder der GB-Prioritätsanmeldung sowie der dem Streitpatent zugrundeliegenden PCT-Anmeldung. Die Rechte an der Erfindung einschließlich der PCT-Anmeldung wurden dann von den drei Anmeldern nach schwedischem Recht an die Spatial Transcriptomics AB abgetreten (vgl. Anlage BP 23). Durch eine weitere Abtretung wurde die Antragstellerin eingetragene Inhaberin des Streitpatents.
Soweit die Antragsgegnerin das Recht von Patrik Ståhl an der GB-Anmeldung und der PCT-Anmeldung unter Verweis auf dessen Beschäftigung als Postdoktorand am Karolinska Institutet in Zweifel zu ziehen versucht, reicht ihr diesbezügliches Vorbringen nicht aus, um die zu Gunsten der Antragstellerin streitende Vermutung der Antragsberechtigung zu widerlegen. Dass der Erfindungsbeitrag von Patrik Ståhl im Zusammenhang mit dessen von der Antragsgegnerin behaupteten Tätigkeit für das Karolinska Institutet steht, hat die Antragstellerin nicht nur bestritten, sondern vielmehr auch umfassend dargelegt, dass die Erfindungsarbeiten nach einem Bericht der renommierten schwedischen Universität KTH Royal Institute of Technology (KTH) an dem SciLifeLab in Stockholm getätigt wurde (Anlagen BP 24 und BP 25). Hinzu kommt, dass das betreffende Arbeitsverhältnis bereits nach dem Vortrag der Antragsgegnerin am 11. Februar 2011 begonnen hat. Die allein 85 Seiten Beschreibungsteil umfassende britische Patentanmeldung wurde bereits am 14. April 2011 und damit nur 9 Wochen nach Arbeitsbeginn beim britischen Patentamt eingereicht. Auch wenn die britische Patentanmeldung mit der (erst kurz zuvor begonnenen) Tätigkeit als Postdoktorant zusammenfällt, spricht dies schon angesichts des Umfangs der Patentanmeldung nicht ohne Weiteres dafür, dass die Erfindung im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Patrik Ståhl am Karolinska Institutet steht. Hierfür bedürfte es weiterer Ausführungen, an denen es fehlt. Abgesehen davon hat die Antragsgegnerin auch weder konkret aufgezeigt, dass das Karolinska Institutet nach schwedischem Recht überhaupt Rechte an der relevanten Erfindung gehabt haben könnte, noch hat sie sich hinreichend zu etwaigen Rechtsfolgen nach schwedischem Recht geäußert.
III.
Die Lokalkammer Düsseldorf ist mit ausreichender Sicherheit (R. 211.2 VerfO) davon überzeugt, dass die Antragstellerin durch das Angebot und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich und Schweden in ihrem Recht verletzt wird (Art. 25 (a) EPGÜ). Bei summarischer Prüfung machen die angegriffenen Ausführungsformen unmittelbar wortsinngemäß von der durch Patentanspruch 14 unter Schutz gestellten technischen Lehre des Streitpatents Gebrauch. Eine mittelbare Verletzung von Patentanspruch 1 (Art. 26 EPGÜ) lässt sich demgegenüber nicht feststellen.
Die Erfindung betrifft den lokalisierten oder räumlichen Nachweis von Nukleinsäure in einer Gewebeprobe.
Als Stand der Technik beschreibt die Streitpatentschrift zunächst Möglichkeiten der Nukleinsäureanalytik (Abs. [0005] bis [0009]), die sich in in-vitroTechniken auf der einen und in-situTechniken auf der anderen Seite unterteilen (Abs. [0009] f.).
Zu den in-vitro -Techniken, welche die Extraktion von Nukleinsäuren aus dem Gewebe voraussetzen und damit zum Verlust der Informationen des räumlichen Kontexts führen, zählen das VP Elisa (enzyme-linked immunosorbent assay), qPCR (quantitative Polymerasekettenreaktion), (Micro-) Assays und RNA-Sequenzierung, darunter NGS ('next generation sequencing') -Technologien (Abs. [0010] f., [0016] - [0019]). Diese Untersuchungsmethoden führen in der Regel auch dazu, dass Durchschnittswerte über eine Vielzahl von Zellen aus einem Gewebe ermittelt werden. Methoden zur Entnahme kleinerer Gewebebereiche oder einzelner Zellen für die Analyse waren zum Prioritätszeitpunkt in der Regel arbeitsintensiv, kostspielig und hatten eine geringe Präzision (Abs. [0011] f.). Die Array-Technologie wurde zur parallelen Analyse von Genen entwickelt. Die um 2009 entwickelten 'DNA-Sequenzierungsanalysen der nächsten Generation' ermöglichen eine wesentlich günstigere und schnellere Durchführung von Genomstudien (Abs. [0016] - [0019]). Ein von Tang et al. (Nat Protoc 2010, 5: 516-35) und Wang & Bodovitz (Trends Biotechnical 2010, 28: 28190) beschriebener Ansatz zur globalen Genexpressionsanalyse ermöglicht zwar eine sehr präzise Analyse von Zell-Zell-Variationen, jedoch nicht hochaufgelöste Hochdurchsatzuntersuchungen in intakten Geweben [0012]).
Als Möglichkeit zur in-situ Untersuchung der Genexpression, bei der die Kontextinformationen des Gewebes erhalten bleiben, nennt das Streitpatent die in-situ-Hybridisierung (Abs. [0008]). Derartige in-situVerfahren sind jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass mit ihnen (beispielsweise für einen Gewebeabschnitt) nur eine oder einige wenige Nukleinsäuren untersucht werden können (Abs. [0013]).
Dem Streitpatent liegt daher die Aufgabe zugrunde, transkriptomische Informationen mit einer räumlichen Auflösung bereitzustellen, um eine globale Genexpressionsanalyse in Gewebeproben zu ermöglichen (vgl. Abs. [0013]).
Zur Lösung dieser Aufgabe stellt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Verfahren zum lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe mit folgenden Merkmalen unter Schutz:
- 1.1. Verfahren zum lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe, wobei das Verfahren Folgendes umfasst:
- 1.2. (a) Bereitstellen eines Array[s], das ein Substrat umfasst,
- 1.2.1. auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und
- 1.2.2. so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Primer für eine Primer-Verlängerungs- oder Ligationsreaktion fungieren kann,
- 1.2.3. wobei die Arten der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül mit von 5' nach
3':
- 1.2.3.1. (i) eine(r) Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
- 1.2.3.2. (ii) eine(r) Einfangdomäne umfassen;
1.3. (b) Inkontaktbringen des Array[s] mit einer Gewebeprobe
- 1.3.1. und Ermöglichen einer Hybridisierung von Nukleinsäure der Gewebeprobe an die Einfangdomäne in den Einfangsonden;
- 1.4. (c) Erzeugen von DNA-Molekülen aus den eingefangenen Nukleinsäuremolekülen unter Verwendung der Einfangsonden als Verlängerungs- oder Ligationsprimer,
- 1.4.1. wobei die verlängerten bzw. ligierten DNA-Moleküle über die Positionsdomäne oder ein Komplement davon mit einem Tag versehen sind;
- 1.5. (d) gegebenenfalls Erzeugen eines Komplementärstrangs der mit einem Tag versehenen DNA
- 1.5.1. und/oder gegebenenfalls Amplifizieren der mit dem Tag versehenen DNA;
1.6. (e) Freisetzen wenigstens eines Teils der mit einem Tag versehenen DNA-Moleküle
- 1.6.1. und/oder ihrer Komplemente oder Amplifikate von der Oberfläche des Array[s],
- 1.6.1.1. wobei der Teil die Positionsdomäne und die gesamte Sequenz, die 3' zur Positionsdomäne liegt, oder ein Komplement davon enthält;
- 1.7. (f) direktes oder indirektes Analysieren der Sequenz der freigesetzten DNA-Moleküle; und
- 1.8. (g) Korrelieren der Informationen aus der Sequenzanalyse mit einer Position in der Gewebeprobe.
- Das durch Patentanspruch 14 geschützte Array weist folgende Merkmale auf:
- 14.1. Array zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe,
- 14.2. umfassend ein Substrat,
- 14.2.1 auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und
- 14.2.2. so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Verlängerungs- oder Ligationsprimer fungieren kann,
- 14.3. wobei die Arten der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül mit von 5' nach 3':
- 14.3.1 (i) einer Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
- 14.3.2. (ii) einer Einfangdomäne zum Einfangen von Nukleinsäure einer Gewebeprobe, die mit dem Array in Kontakt gebracht wird, umfassend
- 14.3.2.1. (a) ein Poly-T-DNA-Oligonukleotid, das wenigstens 10 Desoxythymidinreste umfasst, und/oder
14.3.2.1.1. eine zufällige oder degenerierte Oligonukleotidsequenz; oder
14.3.2.2. (b) Sequenzen, die für eine Gruppe von Genen spezifisch sind, umfassen.
- Einige Merkmale bedürfen der Auslegung.
a) Gemäß Art. 69 EPÜ i.V.m. dem Protokoll über dessen Auslegung ist der Patentanspruch nicht nur der Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs eines europäischen Patents. Für die Auslegung eines Patentanspruchs kommt es nicht allein auf seinen genauen Wortlaut im sprachlichen Sinne an. Vielmehr sind die Beschreibung und die Zeichnungen als Erläuterungshilfen für die Auslegung des Patentanspruchs stets mit heranzuziehen und nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten im Patentanspruch anzuwenden. Das bedeutet aber nicht, dass der Patentanspruch lediglich als Richtlinie dient und sich sein Gegenstand auch auf das erstreckt, was sich nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023 i.V.m. Anordnung v. 11.03.2024, GRUR-RS 2024, 2829, Leitsatz 2. und Rz. 73 -77 -Nachweisverfahren; UPC_CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 13, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 49).
b)
Dies vorausgeschickt stellt Patentanspruch 1 ein Verfahren zum lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe unter Schutz. Soll mit einem solchen lokalisierten Nachweis die RNA bzw. DNA an ihrer ursprünglichen Position oder ihrem ursprünglichen Ort lokalisiert werden (Abs. [0032]), ist klar, dass die morphologische Struktur der Gewebeprobe intakt sein muss (vgl. auch Abs. [0012] 'However, high throughput methods to study transcriptional activity with high resolution in intact tissues have not, until now, been available.', Hervorhebung hinzugefügt). Nur dann lässt sich, wie durch die Erfindung angestrebt, das Expressionsmuster oder das Orts-/Verteilungsmuster der exprimierten Gene oder der Genomsequenzen bestimmen (vgl. Abs. [0002]). Mit anderen Worten kommt es gerade darauf an, wo sich eine Nukleinsäure in einer Probe relativ zu anderen Nukleinsäuren oder zu anderen nativen Strukturen der Probe befindet. Dass dem so ist, bestätigen dem Fachmann die Abs. [0013] f. der Streitpatentbeschreibung: Das erfindungsgemäße Verfahren soll eine globale Genexpressionsanalyse in Gewebeproben ermöglichen, die transkriptomische Informationen mit einer räumlichen Auflösung liefert. Ziel ist es, Transkriptionsinformationen in einer Probe zu erhalten, wobei die Positionsinformationen für jedes Transkript erhalten bleiben.
Aus den durch die Antragsgegnerin zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung herangezogenen Abs. [0097] f. der Streitpatentbeschreibung folgt nichts anderes. Darüber, dass es sich bei der zu untersuchenden Gewebeprobe um eine Sammlung einzelner Blutzellen oder sonstiger Zellsuspensionen handeln kann, besteht kein Streit. Gleichwohl heißt es in der entsprechenden Passage ausdrücklich 'cells that do not interact directly, or are not present in a tissue context.' (Hervorhebung hinzugefügt). Es erscheint daher fraglich, ob es sich bei Einzelzellen tatsächlich um eine 'Gewebeprobe' im Sinne des Patentanspruchs handelt. Selbst wenn dies der Fall wäre, dient eine solche Untersuchung von Einzelzellen erfindungsgemäß jedenfalls der Lokalisierung der RNA bzw. DNA an ihrer ursprünglichen Position in diesen Zellen (vgl. Abs. [0032] und [0097], letzter Satz), was voraussetzt, dass deren Struktur im Zeitpunkt der Untersuchung noch intakt ist. Nur dann sind solche Zellen geeignete Gewebeproben im Sinne des Streitpatents.
Soweit sich die Antragsgegnerin darüber hinaus im Rahmen der Patentauslegung auf Äußerungen der Antragstellerin im Erteilungsverfahren bezieht, handelt es sich bei derartigen Verlautbarungen
um kein zulässiges Auslegungsmaterial. Sie sind daher im Rahmen der Patentauslegung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (UPC_CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2023, Leitsatz 1, GRUR-RS 2024, 7207). Art. 24 Abs. 1 (c) EPGÜ i.V.m. Art. 69 EPÜ bestimmen abschließend, welche Unterlagen bei der Auslegung der den Schutzbereich bestimmenden Patentansprüche heranzuziehen sind, nämlich die Patentbeschreibung und die Patentzeichnungen. Da die Erteilungsakte in Art. 69 EPÜ keine Erwähnung findet, bildet sie kraft Gesetzes kein zulässiges Auslegungsmaterial (so auch Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Aufl., Abschn. A, Rz. 114; Benkard/Scharen, EPÜ, Art. 69 Rz. 32 m.w.N.). Hat sich der Anmelder im Rahmen des Prüfungsverfahrens zur Bedeutung eines Merkmals oder Begriffes geäußert, kann dies allenfalls indizielle Bedeutung dafür haben, wie der Fachmann das betreffende Merkmal begreift. Ob demgegenüber zumindest öffentlich zugängliche Unterlagen, wie etwa die Offenlegungsschrift, herangezogen werden können, um den Patentanspruch der geltenden Anspruchsfassung zu deuten (so offenbar: UPC_CFI_292/2023 (LK München), Anordnung v. 20.12.2023, GRUR-RR 2024, 93 - Elektronisches Etikett; dagegen: Kühnen a.a.O., Rz. 118), ist für den vorliegenden Fall nicht relevant und bedarf daher keiner Entscheidung.
Im Übrigen belegt die Einlassung der Antragstellerin im Erteilungsverfahren ohnehin lediglich, dass es beim anspruchsgemäßen lokalisierten Nachweis von Nukleinsäuren in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe auf die Erhaltung der Informationen zum nativen Probentext ankommt.
c) Wie der Fachmann Patentanspruch 1 entnimmt, beinhaltet das unter Schutz gestellte Verfahren als ersten Schritt die Bereitstellung ('providing') eines Arrays, welches ein Substrat umfasst. Weitergehende, über eine solche Bereitstellung hinausgehende Verfahrensschritte enthält die Merkmalsgruppe 1.2. nicht, sondern beschränkt sich auf die Beschreibung der näheren technischen Gestaltung des Substrats. Solange der bereitgestellte Array den in der Merkmalsgruppe 1.2. genannten räumlich-körperlichen Anforderungen entspricht, ist das Merkmal verwirklicht, und zwar unabhängig davon, wie und vor allem mit welchem Verfahren diese räumlich-körperliche Gestaltung erzeugt wurde.
Davon ausgehend zeichnet sich das Substrat des Arrays dadurch aus, dass sich auf ihm mehrere Arten von Einfangsonden befinden, die auf dem Substrat direkt oder indirekt immobilisiert sind, wobei jede Art eine eindeutige ('distinct') Position auf dem Array einnimmt (Merkmal 1.2.1.). Soweit die deutsche Fassung des Patentanspruchs abweichend von der englischen Fassung von einer 'unterschiedlichen' Position auf dem Array spricht, ist Letztere maßgeblich. Das Streitpatent wurde in englischer Verfahrensprache erteilt. Daher stellt die englische Fassung des Patentanspruchs in jedem Vertragsmitgliedsstaat die verbindliche Fassung dar (Art. 70 Abs. 1 EPÜ; vgl. auch Benkard/Osterrieth, Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2023, Art. 70 Rz. 7).
Damit die Einfangsonden als Primer für eine Primer-Verlängerungs- oder Ligationsreaktion fungieren können, sind sie so orientiert, dass sie ein freies 3'-Ende aufweisen (Merkmal 1.2.2.), wobei sie - von 5' nach 3' gesehen - eine Positions- und eine Einfangdomäne aufweisen (Merkmalsgruppe 1.2.3.). Die Positionsdomäne entspricht dabei der Position der Einfangsonde auf dem Array (Merkmal 1.2.3.1.). Sie ermöglicht daher die Zuordnung einer Einfangsonde zu einer spezifischen Position bzw. einem bestimmten Feature auf dem Array. Die Einfangdomäne kann selektiv an einen Nukleinsäurestrang binden und wird dementsprechend ausgewählt oder konzipiert (vgl. auch Abs. [0063] - [0067] der Streitpatentschrift).
Mit der Frage der Erzielung einer solchen Anordnung beschäftigt sich Patentanspruch 1 nicht. Entscheidend ist daher allein, dass die Einfangsonden im Zeitpunkt der Bereitstellung des Arrays wie
in der Merkmalsgruppe 1.2. beschrieben angeordnet und damit insbesondere so direkt oder indirekt immobilisiert sind, dass jede Art eine eindeutige Position auf dem Array einnimmt, welcher die Positionsdomäne entspricht. Vereinfacht ausgedrückt muss sich mithin jede Art im Zeitpunkt der Bereitstellung des Arrays an einer eindeutigen Position befinden. Solange dies gewährleistet ist, überlässt es Patentanspruch 1 dem Fachmann, ob dieser eine derartige Positionierung der Einfangsonde dadurch gewährleistet, dass er zunächst, wie bei den in Abs. [0217], [0268], [0348] sowie [0351] beschriebenen Druckverfahren, die angestrebte Position auf dem Array festlegt und die Einfangsonden sodann dort platziert oder ob er alternativ dazu die Einfangsonden zunächst zufällig auf dem Array verteilt und deren Position erst im Nachgang ermittelt. Erfolgt eine solche Verknüpfung von Position und Einfangdomäne vor der Bereitstellung des Arrays, nimmt auch dann, wie von den Merkmalen 1.2. und 1.2.1. gefordert, jede Art im Zeitpunkt der Bereitstellung des Arrays eine eindeutige Position ein.
Weshalb es einer solchen eindeutigen Positionierung bedarf, wird dem Fachmann mit Blick auf die letzten Schritte des durch Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Verfahrens klar: Um den mit der Erfindung angestrebten lokalisierten Nachweis von Nukleinsäuren (vgl. Abs. [0001]) zu ermöglichen, ist entscheidend, dass bei der Analyse am Ende des Verfahrens die ausgelesene Positionsdomäne ihrer ursprünglichen Position auf dem Array zugeordnet werden kann. Um dies zu gewährleisten, soll jede Art im Zeitpunkt der Bereitstellung des Arrays eine vorgegebene Position auf dem Array einnehmen und in dieser Position (direkt oder indirekt) immobilisiert ('immobilized') sein. Zu welchem Zeitpunkt diese Festlegung im Vorfeld der Bereitstellung des Arrays erfolgt, ist für die spätere Positionsauswertung ohne Bedeutung.
d) Die Merkmalsgruppe 1.6. verlangt das Freisetzen wenigstens eines Teils der mit einem Tag versehenen DNA-Moleküle von der Oberfläche des Arrays, wobei der (freigesetzte) Teil die Positionsdomäne und die gesamte Sequenz, die 3' zur Positionsdomäne liegt, oder ein Komplement davon enthält.
Soll wenigstens ein Teil der getagten DNA-Moleküle von der Oberfläche des Arrays gelöst werden, ist klar, dass im Lösungszeitpunkt sowohl Teile von DNA-Molekülen als auch eine Oberfläche des Arrays vorhanden sein müssen, die voneinander getrennt werden. Nichts gesagt ist damit allerdings zu der Frage der Beschaffenheit einer solchen Oberfläche bzw. Oberflächenstruktur. Insbesondere verlangt Patentanspruch 1 weder, dass die Oberfläche des Arrays über das gesamte Verfahren hinweg unverändert bleibt, noch, dass die Oberfläche im Freisetzungszeitpunkt unversehrt ist.
Der Fachmann, der sich davon ausgehend die Reichweite der Merkmalsgruppe 1.6. zu erschließen versucht, wird sich daher der Streitpatentbeschreibung zuwenden. Dort offenbart ihm Abs. [0143], dass im Freisetzungsschritt DNA von dem Array entfernt wird, wobei diese DNA die Positionsdomäne (oder ihr Komplement) enthält. Ist diese Bedingung erfüllt, können Sequenzanalysedaten erhalten werden, die mit den verschiedenen Regionen in der Gewebeprobe korreliert werden können. Um die mit dem erfindungsgemäßen Verfahren angestrebten Informationen über die Verteilung, den Ort oder die Expression von genomischen Sequenzen in einer Gewebeprobe unter Beibehaltung des räumlichen Expressions-, Verteilungs- oder Ortsmuster zu erhalten (vgl. Abs. [0002]), ist es somit entscheidend, dass die Verknüpfung von DNA und Positionsdomäne erhalten bleibt. Allein unter funktionalen Gesichtspunkten kommt es mithin entscheidend darauf an, dass der Array so lange und nur insoweit intakt bleibt, bis ein DNA-Molekül synthetisiert wurde, das die Positionsdomäne und die Sequenz des Analyten umfasst. Ergänzend stellt Abs. [0144] der Streitpatentbeschreibung klar, dass der Freisetzungsschritt zwar eine Abspaltung eines DNA-Moleküls vom Array umfassen kann. Nicht erforderlich ist jedoch eine Nukleinsäurespaltung, da DNA auch
durch die Denaturierung eines doppelsträngigen Moleküls freigesetzt werden kann. Dementsprechend kann ein DNA-Molekül durch Nukleinsäurespaltung und/oder durch Denaturierung freigesetzt werden (Abs. [0144]).
Bei derartigen, rein funktionalen Überlegungen darf der Fachmann jedoch nicht stehenbleiben.
Art. 69 EPÜ ist nicht dahingehend auszulegen, dass die Patentansprüche lediglich als Richtlinie dienen und der Schutzbereich sich auch auf das erstreckt, was sich dem Fachmann nach der Beschreibung als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. Die Patentansprüche legen vielmehr den Schutzbereich des Patents nach Art. 69 EPÜ und damit die Rechte des Patentinhabers in den benannten Vertragsstaaten nach Art. 64 EPÜ unter Berücksichtigung der Voraussetzungen für die Patentierbarkeit nach den Art. 52 bis 57 EPÜ fest (vgl. EPA GBK, 11.12.1989, G 2/88, ABL. 1990, 93 Rn. 2.5). Im Rahmen ihrer Auslegung ist ein angemessener Schutz für den Patentinhaber mit einer ausreichenden Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (vgl. Art. 1 Prot. über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ; UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Rz. 78 f. Nachweisverfahren).
Davon ausgehend hat der Fachmann im Blick zu behalten, dass Patentanspruch 1 ein Verfahren unter Schutz stellt, welches sich durch eine konkrete Abfolge von Verfahrensschritten auszeichnet. Dass dem so ist und dass sämtliche obligatorischen Verfahrensschritte nacheinander abzuhandeln sind, stellt Patentanspruch 1 schon durch die dort vorgesehene Bezeichnung der einzelnen Schritte ((a), (b), (c) etc.) klar. Abgesehen davon bauen die im Patentanspruch genannten Schritte auch inhaltlich aufeinander auf: Das bereitgestellte Array wird mit einer Gewebeprobe in Kontakt gebracht, wobei eine Hybridisierung von Nukleinsäure der Gewebeprobe an die Einfangdomäne in den Einfangsonden ermöglicht wird. Aus den eingefangenen Nukleinsäuremolekülen werden DNAMoleküle erzeugt, wobei die verlängerten bzw. ligierten DNA-Moleküle über die Positionsdomäne oder ein Komplement davon mit einem Tag versehen sind. Ein Teil der (mit einem Tag versehenen) DNA-Moleküle wird von der Oberfläche des Arrays freigesetzt. Die Sequenz der freigesetzten DNAMoleküle wird analysiert, bevor die Informationen aus der Sequenzanalyse mit einer Position auf der Gewebeprobe korreliert werden (Hervorhebungen hinzugefügt). Nichts anderes ergibt sich aus der im vorliegenden Verfahren maßgeblichen englischen Fassung des Patentanspruchs, wo es unter anderem heißt:
'A method for localised detection of nucleic acid in a tissue sample comprising cells, wherein said method comprises:
- (a) providing an array […]
- (b) contacting said array with a tissue sample and allowing nucleic acid of the tissue sample to hybridise to the capture domain in said capture probes;
- (c) generating DNA molecules from the captured nucleic acid molecules using said capture probes as extension or ligation primers, […]
- (e) releasing at least part of the tagged DNA molecules and/or their complements or amplicons from the surface of the array, wherein said part includes the positional domain and all of the sequence that is 3' to the positional domain or a complement thereof;
- (f) directly or indirectly analysing the sequence of the released DNA molecules; and
- (g) correlating the sequence analysis information to a position in the tissue sample.'
(Hervorhebungen hinzugefügt)
Soll ein Teil der erzeugten und mit einem Tag versehenen DNA-Moleküle von der Oberfläche des Arrays ('releasing … from the surface of the array') entfernt werden, muss im Zeitpunkt der Freisetzung dieser Moleküle eine Oberflächenstruktur des Arrays vorhanden sein, von welcher die Freisetzung erfolgt. Ins Belieben des Fachmanns gestellt sind demgegenüber sowohl das für die Freisetzung eingesetzte Verfahren als auch die nähere Gestaltung dieser Oberflächenstruktur. Insbesondere verlangt Patentanspruch 1 weder, dass diese vollständig vorliegt, noch, dass diese im Vergleich zum Verfahrensbeginn unverändert oder unversehrt ist. Sie muss aber gleichwohl noch existieren und damit identifizierbar sein.
Was das Streitpatent unter einem 'Array' versteht, entnimmt der Fachmann Abs. [0016] der Streitpatentbeschreibung, wo es heißt:
'Array technology, particularly microarrays, arose from research at Stanford University where small amounts of DNA oligonucleotides were successfully attached to a glass surface in an ordered arrangement, a so-called array […]'.
(Hervorhebung hinzugefügt)
Ergänzend dazu heißt es in Abs. [0021]:
- '[…] The invention requires reverse transcription (RT) primers, which comprise also unique positional tags (domains), to be arrayed on an object substrate, e.g. a glass slide, to generate an 'array''.
(Hervorhebungen hinzugefügt)
Darüber hinaus zeigt die nachfolgend verkleinert eingeblendete Figur 1, wie Oligonukleotid-Sonden entweder am 5'- oder am 3'-Ende an ein Array-Substrat gebunden werden können, um einen Array mit Fängersonden zu erhalten (vgl. Abs. [0216]).
Figure 1

Auch wenn Figur 1 lediglich ein Ausführungsbeispiel darstellt, auf welches der Schutzbereich des Streitpatents nicht reduziert werden darf, verdeutlicht sie die bereits aus den vorstehend zitierten Passagen der Streitpatentbeschreibung gewonnene Erkenntnis über das dem Streitpatent zugrundeliegende Verständnis des Begriffes 'Array': Von einem Array im Sinne des Streitpatents lässt sich nur dann sprechen, wenn Oligonukleotide bzw. Oligonukleotidsonden (Mehrzahl) geordnet auf eine Oberfläche aufgebracht sind. Kein Array liegt mehr vor, wenn die Verbindung zwischen den Oligonukleotiden bzw. Oligonukleotidsonden und der Oberfläche und damit auch die entsprechende Anordnung aufgelöst ist.
Patentanspruch 14 stellt einen Array unter Schutz. Geschützt ist somit ein Erzeugnis als solches, und zwar unabhängig von seiner tatsächlichen Verwendung.
Soweit es sich nach der Formulierung des Patentanspruchs um einen 'Array zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe' ('Array for use in the localised detection of nucleic acid in a tissue sample comprising cells') handeln soll, stellt der Verweis auf eine solche Verwendungsmöglichkeit lediglich eine Zweckangabe dar, die den durch einen Erzeugnisanspruch gewährten absoluten Schutz nicht ohne Weiteres einzuschränken vermag. Derartige Zweckangaben dienen üblicherweise dem besseren Verständnis der Erfindung und haben regelmäßig mittelbar die Wirkung, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, um für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar zu sein (vgl. Benkard/Scharen, Europäisches Patentübereinkommen - EPÜ, 4. Aufl., Art. 69 Rz. 51).
Der beanspruchte Array umfasst ein Substrat, welches in seiner räumlich-körperlichen Gestaltung
zunächst den Merkmalsgruppen 1.2.1. bis 1.2.3. von Patentanspruch 1 entspricht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen kann daher zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Nachdem Patentanspruch 14 ein Erzeugnis schützt, fällt eine Gestaltung bereits dann in den Schutzbereich, wenn sie die in den Anspruch aufgenommenen räumlich-körperlichen Merkmale aufweist. Das bei der Herstellung des Erzeugnisses eingesetzte Verfahren ist demgegenüber ohne Belang. Die durch die Parteien diskutierte Frage einer möglichen Beschränkung des Schutzbereichs auf die in der Beschreibung des Streitpatents erwähnten Druckverfahren hat daher in Bezug auf Patentanspruch 14 von vornherein keine Bedeutung.
Anders als Patentanspruch 1 bestimmt Patentanspruch 14 die Einfangdomäne zum Einfangen von Nukleinsäure einer Gewebeprobe näher (Merkmalsgruppe 14.3.2.). Gemäß Merkmal 14.3.2.1. umfasst die Einfangdomäne ein Poly-T-DNA-Oligonukleotid, das wenigstens 10 Desoxythymidinreste umfasst, d.h. eine Reihe von mindestens 10 aufeinanderfolgenden Desoxythymidinresten, die durch Phosphodiesterbindungen verbunden sind. Gemäß Merkmal 14.3.2.1.1. kann die Einfangdomäne zusätzlich oder anstelle der Poly-T-DNA-Oligonukleotide eine zufällige oder degenerierte Oligonukleotidsequenz enthalten. Darüber hinaus kann die Einfangdomäne auch Sequenzen umfassen, die für eine Gruppe von Genen spezifisch sind (Merkmal 14.3.2.2.). In diesem Fall umfasst die Einfangdomäne nicht wie in Merkmal 14.3.2.1. ein Poly-T-DNA-Oligonukleotid, sondern spezifische, auf die nachzuweisende Nukleinsäure abgestimmte Nukleotidsequenzen.
Unter Zugrundelegung eines solchen Verständnisses ist es zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass die angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäß von der technischen Lehre von Patentanspruch 14 Gebrauch machen. Die Lokalkammer ist daher mit ausreichender Sicherheit von einer Verletzung des Streitpatents durch die angegriffenen Ausführungsformen überzeugt (Art. 62 Abs. 4 EPGÜ i.V.m. R. 211.2 VerfO, vgl. UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Leitsatz 3. und Rz. 90 - 94 - Nachweisverfahren; UPC_CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, GRUR-RS 2024, 7207).
aa)
Eine Verwirklichung der Merkmale 14.1. und 14.2., 14.2.2. sowie 14.3.2. steht zwischen den Parteien zu Recht nicht in Streit, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf.
bb)
Darüber hinaus sind auf dem Substrat auch mehrere Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt (Merkmal 14.2.1.). Damit korrespondierend umfassen die Arten der Einfangsonden jeweils ein Nukleinsäuremolekül mit von 5' nach 3' einer Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht (Merkmal 14.3.1.)
Wie die nachfolgend eingeblendete, der Anlage BP 14 entnommene Abbildung verdeutlich, besteht die Fängerstruktur der angegriffenen Ausführungsformen aus einem Barcode, einer Positionsdomäne (BB), einem eindeutigen molekularen Identifikator ('unique molecular identifier' UMI) sowie einem Poly-T-Abschnitt.

Jede Fängerstruktur/Einfangsonde verfügt somit über einen Barcode (BB), der für eine bestimmte Position auf dem Array steht. Dies ist aus der nachfolgenden Abbildung ersichtlich, in welcher die Barcodes mit der Abkürzung 'BC' gekennzeichnet sind:

Dass diese Abbildung der Anlage BP 4 entstammt, schmälert ihre Bedeutung für das vorliegende Verfahren nicht. Auch wenn es sich bei dieser Anlage um eine wissenschaftliche Veröffentlichung handelt, in welcher ein sog. 'Slid-seq'-Verfahren, nicht aber unmittelbar die angegriffenen Ausführungsformen beschrieben werden, stellt die Antragsgegnerin in der durch die Antragstellerin als Anlage BP 20 zur Akte gereichten Pressemitteilung selbst heraus, dass die angegriffenen Ausführungsformen auf einem solchen Verfahren beruhen:

Beruft sich die Antragsgegnerin, wie hier, auf vermeintliche Abweichungen zwischen den angegriffenen Ausführungsformen und dem in dem vorgenannten Artikel beschriebenen Verfahren, ist es an ihr, jeweils in Bezug auf einzelne Merkmale des Patentanspruchs herauszuarbeiten, wie konkret die technische Gestaltung der angegriffenen Ausführungsformen jeweils von der Beschreibung im Artikel abweicht. Dem ist die Antragsgegnerin nicht hinreichend nachgekommen. Sie beruft sich lediglich darauf, die angegriffenen Ausführungsformen hätten mindestens 50 % mehr Beads pro Kachel für die 3x3-Variante und mehr für die 10x10-Kachel. Zudem beziehe sich der durch die Antragstellerin in Bezug genommene Abschnitt 'First-Strand synthesis' auf ein 'Template switch oligonucleotide', welches im angegriffenen Kit nicht enthalten sei. Dass sich das in der vorstehenden, der Anlage BP 4 entnommenen Abbildung gezeigte Prinzip auch bei den angegriffenen Ausführungsformen wiederfindet, hat die Antragsgegnerin demgegenüber nicht (konkret) in Abrede gestellt (R. 171.2 VerfO).
Der Barcode der auf einem Kügelchen befindlichen Einfangsonden ist identisch und lässt sich daher jeweils der ursprünglichen Position des Kügelchens innerhalb des Arrays zuordnen. Unstreitig und durch die nachfolgend eingeblendete, der Anlage BP 14 entnommenen Abbildung bestätigt sind im Lieferumfang der angegriffenen Ausführungsformen Dateien enthalten, mit deren Hilfe die Barcodes bzw. Positionsdomänen den zugehörigen Positionen auf dem Array zugeordnet werden können:

Da die barcodierten Beads bei den angegriffenen Ausführungsformen nach dem Zufallsprinzip verteilt sind, muss auf diese zufällige Verteilung hin zwingend eine Lokalisierung der Beads erfolgen. Dem trägt jedenfalls die mitgelieferte Textdatei Rechnung, mit deren Hilfe die Information der Positionsdomäne mit der Lokalisierungsinformation zusammengefügt werden können. Somit hat jede Fängerstruktur/Einfangsonde bei den angegriffenen Ausführungsformen eine spezifische Position, die auch über die Positionsdomäne ausgelesen werden kann. Einer Vorfestlegung der Position der Kügelchen auf dem Array bedarf es für eine Verwirklichung der unter Schutz gestellten technischen Lehre nicht.
Dass es beim Einsatz der Beads-Technologie vereinzelt zu Beads-Duplikaten kommen kann, welche die gleichen Beadcodes enthalten, rechtfertigt schon deshalb keine andere Bewertung, weil das Streitpatent den Einsatz einer solchen Beads-Technologie ausdrücklich zulässt (vgl. auch von Anspruch 14 abhängige Unteranspruch 21 und Abs. [0044]). Es nimmt daher mit einem solchen Verfahren möglicherweise verbundene Ungenauigkeiten bewusst in Kauf.
cc) Der Behauptung der Antragstellerin, die angegriffenen Ausführungsformen enthielten wenigstens 10 Desoxythymidinreste, ist die Antragsgegnerin nicht erheblich entgegengetreten (Merkmal 14.3.2.1., R. 171.2 VerfO).
Ausgehend von dem als Anlage BP 4 vorgelegten Artikel, hinsichtlich dessen Relevanz auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen wird, hat die Antragstellerin ausführlich zur Ausgestaltung der Einfangdomäne der Einfangsonde der angegriffenen Ausführungsformen vorgetragen und als Beleg speziell zur Länge der Poly-T-Sequenz ausgeführt (vgl. Antragsschrift, S. 57 f.). Ergänzend hat die Antragstellerin auf die 'Suplementary Information' zur Veröffentlichung gemäß Anlage BP 3 verwiesen, woraus sich eine Länge der Poly-T-Sequenzen von 30 Desoxythymidinresten ergibt (vgl. Anlage BP 3, S. 2 'Materials and Methods'). Ebenso wie die Anlage BP 4 ist auch diese
Anlage für das vorliegende Verfahren relevant. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Länge bei der Entwicklung des kommerziellen Produktes der Antragsgegnerin verändert und insbesondere auf unter 10 reduziert worden wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Antragsgegnerin ist mithin dem durch die als Anlagen BP 3 und BP 4 untermauerten Vorbringen der Antragstellerin nicht erheblich entgegengetreten. Von einer Verwirklichung von Merkmal 14.3.2.1. ist daher auszugehen.
Dass sie die angegriffenen Ausführungsformen unter anderem in Deutschland, Frankreich und Schweden anbietet und dorthin liefert, stellt die Antragsgegnerin nicht in Abrede. Zudem wurden die angegriffenen Ausführungsformen auch unstreitig in der 37. Kalenderwoche 2023 an die Universitätsmedizin Mannheim der Universität Heidelberg geliefert (vgl. Anlagen BP 17 und BP 18). Vor diesem Hintergrund kommt es auf den Inhalt der Videokonferenz vom 10. November 2023 vorliegend nicht an. Daher ist die durch die Antragsgegnerin aufgeworfene Frage der Verwertbarkeit der auf Grundlage dieser Konferenz gewonnenen Erkenntnisse und insbesondere die Anlage BP 16 nicht entscheidungsrelevant und bedarf daher keiner Entscheidung.
- Wie bereits aus der Formulierung der Anträge klar hervorgeht, macht die Antragstellerin in Bezug auf Patentanspruch 1 lediglich eine mittelbare und nicht auch, wie durch die Antragsgegnerin zeitweise in den Raum gestellt, eine unmittelbare Patentverletzung geltend. Eine solche mittelbare Verletzung von Patentanspruch 1 durch das Angebot und der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland, Frankreich und Schweden zur dortigen Benutzung vermag die Lokalkammer nicht festzustellen.
a) Nach Art. 26 Abs. 1 EPGÜ (Recht auf Verbot der mittelbaren Benutzung der Erfindung) gewährt ein Patent seinem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen dieses Patent Wirkung hat, anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung in diesem Gebiet anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder hätte wissen müssen, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.
b) Davon ausgehend vermag die Lokalkammer die Eignung der angegriffenen Ausführungsformen zur Durchführung des durch Patentanspruch 1 geschützten Verfahrens nicht festzustellen. Ausgehend von dem vorstehend im Einzelnen herausgearbeiteten Verständnis des Schutzbereichs hat es die Antragstellerin nicht vermocht, eine Verwirklichung der Merkmalsgruppe 1.6. von Patentanspruch 1 schlüssig darzulegen.
Wie die Lokalkammer bereits im Rahmen der Auslegung im Einzelnen herausgearbeitet hat, verlangen die Merkmale 1.6. und 1.6.1. eine Freisetzung wenigstens eines Teils der mit einem Tag versehenen DNA-Moleküle und/oder ihrer Komplemente oder Amplifikate von der Oberfläche des Arrays ('releasing at least part of the tagged DNA and/or their complements or amplicons from the surface of the array ', Hervorhebung hinzugefügt). Auch wenn Patentanspruch 1 keine Vorgaben zur näheren technischen Gestaltung der Oberflächenstruktur des Arrays im Zeitpunkt der Freisetzung macht, entbindet dies nicht von der Notwendigkeit des Vorhandenseins eines Arrays im vorgenannten Sinne, von dessen Oberfläche die Freisetzung erfolgt.
Daran fehlt es bei den angegriffenen Ausführungsformen. Wie die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert hat, erfolgt bereits die in Patentanspruch 1 dem Freisetzungsschritt (Merkmal 1.6.) optional vorausgehende Amplifikation (Merkmalsgruppe 1.5.) an einzelnen Beads. Bei einem einzelnen Bead handelt es sich jedoch um keine geordnete Struktur im vorgenannten Sinne und damit nicht um einen Array. Ist der Array bereits in dem der Freisetzung vorgelagerten Schritt zerstört und damit nicht mehr vorhanden, kann im darauffolgenden Schritt keine Freisetzung von der Oberfläche eines solchen Arrays im Sinne von Merkmal 1.6. erfolgen. Es fehlt daher an einer Eignung der angegriffenen Ausführungsformen zu einer Verwirklichung des vorgenannten Merkmals.
III.
Der Rechtsbestand des Streitpatents ist in dem für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Umfang gesichert. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsgegnerin ist die Lokalkammer Düsseldorf mit der nach Art. 62 Abs. 4 EPGÜ i.V.m. R. 211.2 VerfO notwendigen 'ausreichenden Sicherheit' von der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents überzeugt. Eine solche 'ausreichende Sicherheit' fehlt, wenn es das Gericht für überwiegend wahrscheinlich ansieht, dass das Streitpatent nicht gültig ist (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Leitsatz 3. und Rz. 73 - 77 - Nachweisverfahren; UPC_CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 19, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 78).
Dies vorausgeschickt geht die Lokalkammer davon aus, dass sich der Gegenstand von Patentanspruch 14 zumindest in der dem Verletzungsvorwurf zugrundeliegenden Alternative mit hinreichender Sicherheit als patenfähig erweisen wird. Die Rechtsbeständigkeit von Patentanspruch 1 bedarf keiner weiteren Erörterung, nachdem die Lokalkammer bereits keine (mittelbare) Verletzung dieses Patentanspruchs feststellen konnte.
Dass das Streitpatent bisher kein kontradiktorisches Rechtsbestandsverfahren überstanden hat, steht einer hinreichenden Sicherung des Rechtsbestandes nicht entgegen. Wurde das einem Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen zugrundeliegende Patent bereits in einem Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt aufrechterhalten, ist dies ebenso wie der Ausgang anderer, das Streitpatent betreffender Verfahren vor anderen Gerichten gemäß R. 209.2 (a) VerfO im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Mit anderen Worten sind die Aufrechterhaltung des Streitpatents in einem Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt oder die Aufrechterhaltung eines nationalen Teils des Streitpatents vor einem nationalen Gericht ein starkes Indiz für einen hinreichend gesicherten Rechtsbestand (vgl. Tilmann/Plassmann/ v. Falck/Dorn, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, Regel 209 Rz. 8 f.).
Sind derartige andere Verfahren lediglich in die Ermessensausübung einzustellen, folgt daraus zugleich im Umkehrschluss, dass der Rechtsbestand auch ohne ein solches vorangegangenes Verfahren ausreichend gesichert sein kann. Ein wichtiges Indiz dafür ist es, wenn das in Rede stehende Patent - wie hier - bereits vor einigen Jahren veröffentlicht, aber gleichwohl nicht in seinem Rechtsbestand angegriffen wurde. Auch in einem solchen Fall ist es die Aufgabe des Spruchkörpers, zu beurteilen, ob der Rechtsbestand des Streitpatents ausgehend von dem durch die Antragsgegnerseite präsentierten Stand der Technik hinreichend gesichert ist. Dies ist unabhängig von der Abgrenzung bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrade (vgl. dazu UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, GRUR 2023, 1513, 1520, 1521 - Nachweisverfahren) jedenfalls dann der Fall, wenn die gegen die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents vorgebrachten Einwände nicht geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents hervorzurufen (UPC_CFI_452/2023, Anordnung v. 09.04.2024, S. 19, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 80).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Rechtsbestand des Streitpatents im vorliegend maßgeblichen Umfang hinreichend gesichert. Das Streitpatent wurde 2019 erteilt, ohne dass gegen seine Erteilung Einspruch eingelegt wurde. Die Argumente der Antragsgegnerin sind bei summarischer Prüfung nicht geeignet, erhebliche Zweifel am Rechtsbestand von Patentanspruch 14 des Streitpatents hervorzurufen.
a) Dass sich die Antragstellerin vor dem Hintergrund des Vorbringens der Antragsgegnerin dazu entschlossen hat, Hilfsanträge zu stellen, vermag für sich genommen keine Zweifel am Rechtsbestand zu begründen. Die Formulierung derartiger Hilfsanträge ist vielmehr Ausdruck anwaltlicher Vorsicht. Sie ist schon deshalb geboten, weil das Berufungsgericht in seiner Anordnung vom 26. Februar 2024 die Möglichkeit der Unzulässigkeit von Hilfsanträgen in zweiter Instanz angesprochen, im Ergebnis aber offengelassen hat (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Rz. 116 - Nachweisverfahren).
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 14 erweist sich bei summarischer Prüfung gegenüber dem durch die Antragstellerin entgegengehaltenen Stand der Technik als neu, Art. 54 EPÜ.
aa) Eine technische Lehre ist neu, wenn sie in wenigstens einem der bekannten Merkmale von dem im Stand der Technik Vorhandenen abweicht. Sie ist vorweggenommen, wenn sich alle ihre Merkmale auch bei im Stand der Technik bekannten Ausführungen finden (vgl. Benkard/Melullis/Koch, Europäisches Patentübereinkommen - EPÜ, 4. Aufl., EPÜ Art. 54 Rz. 22). Im Stand der Technik vorweggenommen ist nur das, was sich für einen mit dem jeweiligen technischen Gebiet vertrauten Fachkundigen unmittelbar aus der Veröffentlichung oder Vorbenutzung ergibt. Erkenntnisse, die ein Fachmann erst aufgrund weiterführender Überlegungen oder der Heranziehung weiterer Schriften oder Benutzungen gewinnt, sind nicht relevant für die Beurteilung der Neuheit.
bb)
Dies vorausgeschickt gilt im vorliegenden Fall Folgendes:
Die US 2010/0035763 A1 ('Chen', Anlage CR 9) offenbart ein Verfahren zum Screening einzelner Zellen für die Produktion biologisch aktiver Substanzen ('Method of screening single cells for the production of biologically active agents').
Wie die Antragsgegnerin einräumt (vgl. Einspruchsschriftsatz, Ziff. 7.85), fehlt es in dieser Entgegenhaltung jedenfalls an einer Offenbarung von Merkmal 14.3.2.1. von Patentanspruch 14, wonach die Einfangdomäne 'ein Poly-T-DNA-Oligonukleotid, das wenigstens 10 Desoxythmidinreste umfasst', enthalten soll. Schon deshalb sind zumindest nicht alle Merkmale von Patentanspruch 14 in der dem Verletzungsvorwurf zugrundeliegenden Alternative offenbart.
Abgesehen davon stellt Patentanspruch 14 des Streitpatents einen 'Array zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe ' ('Array for use in the localised detection of nucleid acid in a tissue sample comprising cells ', Hervorhebung hinzugefügt) unter Schutz.
Dass sich das in der Entgegenhaltung offenbarte Verfahren für einen solchen Nachweis eignet, ist
nicht ersichtlich. Dort kommen Picotiterplatten zum Einsatz (vgl. Abs. [0117]), in die unterschiedliche Zellen gegeben werden. Diese Zellen werden sodann lysiert (und damit zerstört). Zudem werden die Proteine aus der Probenlösung enthaltend mRNA (die Zielmoleküle) entfernt (Abs. [0117] und [0123] - [0125]). Die Picotiterplatte wird sodann mit einen NimbleGen-HD-2 Microarray-Chip übertragen (Abs. [0103], [0130], [0206]). Anschließend wird die Probe getrocknet und weiterverarbeitet (Abs. [0132] ff.). Bei der Übertragung der Probenlösung zwischen beiden Platten geht die Zuordnung des Lysats einer einzelnen Zelle zum Well der Picotiterplatte verloren, denn Oligonukleotidpads werden zum Teil von Wänden der Picotiterplatte bedeckt, was dazu führt, dass Lysate aus mehreren Picotiterplatten-Wells auf ein einziges Oligonukleotidpad übertragen werden und das Lysat aus einem Picotiterplatten-Well auf mehrere Oligonukleotidpads übertragen wird (Abs. [0206]).
Weshalb das Array gleichwohl zu einem lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Gewebeprobe im vorgenannten Sinne geeignet sein soll, hat die Antragsgegnerin nicht schlüssig darzulegen vermocht. Derartiges ist ausgehend vom Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung auch nicht in einer Weise ersichtlich, dass im Fall eines Rechtsbestandsangriffs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einer Vernichtung des Streitpatents zu rechnen ist. Allein damit, dass sowohl in der Streitpatentschrift als auch in der Entgegenhaltung NimbleGen-Chips Erwähnung finden (Streitpatentschrift: Abs. [0052]; Entgegenhaltung: Abs. [0126]), lässt sich eine solche Eignung schon deshalb nicht begründen, weil die Zellen nach der in der Entgegenhaltung offenbarten Lösung lysiert und damit zerstört werden. Durch das offenbarte Vorgehen geht mithin die anspruchsgemäß geforderte Zuordnung zu einer spezifischen Position auf dem Array verloren. Bereits dies verhindert unabhängig vom eingesetzten Chip einen lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure im Sinne des Streitpatents.
(2)
Die US 2003/0162210A1 ('Chetverin', Anlage CR 11) betrifft 'Neuartige Oligonukleotid-Arrays und ihre Verwendung zum Sortieren, Sequenzieren und Manipulieren von Nukleinsäuren' ('Novel oligonugleotide arrays and their use for sorting, isolating, sequencing, and manipulating nucleid acids.'). Das Array umfasst vorbestimmte Bereiche, wobei jeder Bereich mehrere Kopien eines binären Oligonukleotids einer vorbestimmten Sequenz aufweist, die kovalent an die Oberfläche gebunden sind. Dabei besteht das binäre Oligonukleotid aus einer konstanten und einer variablen Nukleotidsequenz, wobei die konstante Nukleotidsequenz für alle Oligonukleotide auf dem Array gleich ist.
Die in der Entgegenhaltung offenbarte Lösung betrifft daher eine Gen- und keine Zellanalyse. Weshalb das dort offenbarte Array zur Verwendung mit einem Gewebe oder intakten Zellen geeignet sein soll, ist weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich. Jedenfalls der in Abs. [0242] und [0247] beschriebene Array wird mit kleingeschnittener DNA ('digested DNA') in Kontakt gebracht. Abgesehen davon hat die Antragsgegnerin jedenfalls nicht aufzuzeigen vermocht, dass der in der Entgegenhaltung offenbarte Array über eine Positionsdomäne im Sinne von Merkmal 14.3.1. verfügt, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht. Derartige Positionsdomänen sind bei dem in der Entgegenhaltung beschriebenen Vorgehen nicht erforderlich. Soweit die Antragsgegnerin eine solche Positionsdomäne in den variablen Segmenten der Oligonukleotide sehen will, können diese Segmente sowohl in ihrer Sequenz als auch in ihrer Länge variieren (vgl. Abs. [0009] der Entgegenhaltung) und sind damit nicht über den gesamten Array hinweg gesehen gleich. Allein dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, die variablen Sequenzen entsprächen der Position der Einfangsonde auf dem Array und seien daher Positionsdomänen im Sinne des Streitpatents.
(3) Auch die gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ lediglich unter dem Gesichtspunkt der Neuheit relevante WO 2012/048341 A1 (Harvard) (Anlage CR 13) nimmt die durch die streitgegenständlichen Patentansprüche geschützte technische Lehre nicht neuheitsschädlich vorweg.
Die Entgegenhaltung bezieht sich auf Methoden und Zusammensetzungen zur Gewinnung und zur Analyse von Nukleinsäuresequenzen, die von vielen Zellen auf einmal stammen (Abs. [0003]). Wie der Fachmann Abs. [0007] der Entgegenhaltung entnimmt, lassen sich mit dem offenbarten Ansatz effizient barcodierte Beads herstellen, die mit klonalen Kopien der barcodierten Oligonukleotide mit der richtigen Sequenz beschichtet sind. Dabei lassen sich Millionen eindeutig barcodierter Beads für die Einzelzellanalyse herstellen (Abs. [0007]).
Bei einer Ausgestaltung der offenbarten Erfindung werden viele einzelne Zellen in einem komplexen Zellgemisch barcodiert. Jede Zelle wird mit einem einzigartigen individuellen Barcode für jede Zelle versehen. Der Begriff 'Barcode' bezeichnet dabei eine einzigartige Oligonukleotidsequenz, welche die Identifizierung einer entsprechenden Nukleinsäurebase und/oder Nukleinsäuresequenz ermöglicht (Abs. [0036]). Dieser einzigartige Barcode ermöglicht es daher, die Nukleinsäuren jeder Zelle mit der ursprünglichen Zelle in Verbindung zu bringen. Der Barcode wird in jede einzelne Zelle so eingefügt, dass jede Zelle einen einmaligen Barcode erhält und in einer ausreichenden Menge vorhanden ist, um eine anschließende genomische oder transkriptomische Ausrichtung zu ermöglichen. Sobald der Barcode eingefügt ist, werden Downstream-Manipulationen durchgeführt, um all diese einzigartigen Barcodes und die interessierenden Genom- und Transkriptomsequenzen in einer gleichzeitigen Reaktion zu erfassen und zu sequenzieren. Wird ein solcher Ansatz mit einer Hochdurchsatz-Sequenzierungstechnologie kombiniert, ermöglicht er die Analyse einer großen Zahl von Einzelzellen in einem einzigen Reaktionsassay (Abs. [0009]).
Somit korrespondiert der Barcode, anders als bei der durch das Streitpatent unter Schutz gestellten technischen Lehre, nicht mit einer bestimmten Position auf einem Array. Er markiert vielmehr eine bestimmte Zelle, um die Nukleinsäuresequenz einer bestimmten Zelle zuordnen zu können (vgl. Abs. [0029] a. E. 'Each independent cell in the reaction has a different bar code.'). Die Barcode-Sequenz ermöglicht es, jede Zielsequenz einer Zelle zu korrelieren, aus der die Sequenzen stammen. Während jedes Transkript, das aus der Zelle stammt, dieselbe Barcode-Sequenz aufweist, wird die Variation der genomischen oder transkriptomischen Informationen in der gesamten Zellpopulation durch die gleichzeitige Untersuchung vieler einzelner Zellen bestimmt. Da jede einzelne Zelle einen eindeutigen Barcode enthält, der sich von dem der anderen Zellen unterscheidet, können die identifizierten Zellen mit demselben Barcode der gleichen Ursprungszelle zugeordnet werden (Abs. [0030] a.E.).
Dass der Barcode daneben auch die Position einer Einfangsonde auf einem Array markiert und damit auch als Positionsdomäne im Sinne des Streitpatents fungiert (Merkmal 14.3.1.), hat die Antragsgegnerin nicht darzulegen vermocht. Zwar werden die Oligonukleotidsequenzen in bestimmten beispielhaften Ausführungsformen auf einem festen Träger immobilisiert (Abs. [0051]), wobei es sich bei dem Träger beispielsweise auch um Beads handeln kann (Abs. [0053]). Dass bei einer solchen Gestaltung jeweils eine Position auf dem Array mit einem Barcode korrespondiert, wird in der der Entgegenhaltung jedoch zumindest nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Derartiges lässt sich insbesondere auch weder dem durch die Antragsgegnerin in Bezug genommenen Beispiel 6 noch dem in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Patentanspruch 17 entnehmen. Letzterer offenbart bereits keinen Array im Sinne des Merkmals 14.1., sondern lediglich ein Bead. In Beispiel 6 werden demgegenüber mehrere Kopien desselben Barcodes für die Einzelzellanalyse mit einer 'Rolling circle amplification' (Rolony) erzeugt (Abs. [0090]).
(4)
Schließlich offenbart auch der durch die Antragsgegnerin in Bezug genommene Aufsatz 'A novel, high-performance random array platform for quantitive gene expression profiling' von Kuhn et al. (Anlage CR 12) nicht sämtliche Merkmale von Patentanspruch 14 unmittelbar und eindeutig.
Die Entgegenhaltung beschreibt eine neue Microarray-Technologie für die quantitative Erstellung von Gen-Expressionsprofilen auf der Grundlage von zufällig zusammengestellten Bead-Arrays. Jedes Bead trägt eine genspezifische Sequenz, wobei es auf dem Array von jedem genspezifischen Bead mehrere Kopien gibt (vgl. Einleitung, S. 2347 oben). Typischerweise hat jeder Array 1536 verschiedene Bead-Typen, wobei jeder Typ etwa 30-mal auf dem Array vorkommt (S. 2348, linke Spalte, 'Results').
Dass die offenbarte Gestaltung trotz der geringen Zahl unterschiedlicher Beads und der hohen Wiederholungsrate zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe geeignet wäre, ist nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, da es in der Entgegenhaltung auch an einer näheren Beschreibung des 'bead identifiers' und damit an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung einer Positionsdomäne im Sinne von Merkmal 14.3.1 fehlt.
c) Gemäß Art. 56 EPÜ gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gemessen daran ist das Vorbringen der Antragsgegnerinnen nicht geeignet, erhebliche Zweifel am Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit hervorzurufen.
aa) Die Ausführungen der Antragsgegnerin begründen, ausgehend von der US 2010/0035763 A1 ('Chen', Anlage CR 9), in Bezug auf den hier allein maßgeblichen Patentanspruch 14 keine erheblichen Zweifel an der erfinderischen Tätigkeit. Wie ausgeführt fehlt es in der Entgegenhaltung nicht nur an der Offenbarung eines Poly-T-DNA-Oligonukleotids im Sinne von Merkmal 14.3.2.1. Vielmehr ist auch nicht ersichtlich, dass das offenbarte Array zur Verwendung zum lokalisierten Nachweis einer Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe geeignet ist (Merkmal 14.1.). Selbst wenn der Fachmann - wie nicht - die Entgegenhaltung gleichwohl als Stand der Technik in Erwägung ziehen würde, fehlt es jedenfalls an einem Anlass, den dort offenbarten und lediglich im Zusammenhang mit der Untersuchung lysierter Zellen beschriebenen Array derart weiterzuentwickeln, dass er einen solchen lokalisierten Nachweis in intaktem Gewebe bzw. in intakten Zellen erlaubt.
bb)
Nachdem es in der US 2003/0162210 A1 ('Chetverin', Anlage CR 11) bereits an der Offenbarung von Positionsdomänen im Sinne des Streitpatents fehlt, ist das Vorbringen der Antragsgegnerin von vornherein nicht geeignet, die erfinderische Tätigkeit in Zweifel zu ziehen. Die Antragsgegnerin beschäftigt sich ausschließlich mit der Frage, ob sich eine Poly-T-Domäne am 3'-Ende der immobilisierten Oligonukleotide im Sinne von Merkmal 14.3.2.1. des Streitpatents für den Fachmann auf der Grundlage der Offenbarung in 'Chetverin' und eines Verweises auf 'Sambrook' naheliegend ergab. Mit der Frage der (fehlenden) Offenbarung einer Positionsdomäne beschäftigt sich die Antragsgegnerin demgegenüber nicht.
d) Das Vorbringen der Antragsgegnerin zu einer möglichen Zwischenverallgemeinerung (Art. 123 Abs. 2 EPÜ) bezieht sich allein auf Patentanspruch 1. Die Lokalkammer konnte bereits keine Verletzung dieses Anspruchs feststellen. Daher sind weitere Ausführungen zu dieser Frage entbehrlich.
IV.
Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist notwendig, um die Fortsetzung der Verletzung zu unterbinden oder zumindest eine drohende Verletzung zu verhindern (vgl. R. 206.2 (c) VerfO).
Für die Notwendigkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen sind nach der Verfahrensordnung sowohl zeitliche als auch sachliche Umstände von Bedeutung. Die Relevanz zeitlicher Umstände ergibt sich neben R. 209 Nr. 2 (b) VerfO ('Dringlichkeit') insbesondere auch aus R. 211 Nr. 4 VerfO, wonach das Gericht ein unangemessenes Zuwarten bei der Beantragung einstweiliger Maßnahmen berücksichtigt. Dass in die Entscheidung über die Anordnung einstweiliger Maßnahmen darüber hinaus auch sachliche Umstände einzufließen haben, ergibt sich etwa aus R. 211 Nr. 3 VerfO, wonach bei der Entscheidung über den Anordnungsantrag insbesondere auch der mögliche Schaden, der dem Antragsteller erwachsen kann, zu berücksichtigen ist. Der mögliche Schaden des Antragsgegners ist demgegenüber bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, GRUR 2023, 1513, 1525 - Nachweisverfahren; UPC_CFI_452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 27, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 124).
Aufgrund der hier gegebenen Umstände ist die Anordnung der beantragten einstweiligen Maßnahmen in zeitlicher Hinsicht dringlich (R. 209.2 (b) VerfO).
a) Die für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen notwendige zeitliche Dringlichkeit fehlt nur dann, wenn sich der Verletzte bei der Verfolgung seiner Ansprüche in einer solchen Weise nachlässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, dem Verletzten sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen, weswegen es auch nicht angemessen erscheint, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes zu gestatten (vgl. auch UPC_CFI 2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, 1513, 1524 -Nachweisverfahren; UPC_CFI_452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 27, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 126).
Gemäß R. 213.2 VerfO kann das Gericht dem Antragsteller im Rahmen der Entscheidungsfindung auferlegen, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel vorzulegen, um sich mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass er gemäß Art. 47 EPGÜ zur Einleitung des Verfahrens berechtigt ist, das betreffende Patent Gültigkeit besitzt und sein Recht verletzt wird oder verletzt zu werden droht. Auf eine solche Anordnung muss der Antragsteller im Eilverfahren regelmäßig innerhalb kurzer Fristen reagieren, was eine entsprechende Vorbereitung des Verfahrens voraussetzt. Daher braucht der Antragsteller das Gericht grundsätzlich erst dann anzurufen, wenn er verlässliche Kenntnis aller Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen erfolgversprechend machen und wenn er diese Tatsachen auch in glaubhaft machen kann. Der Antragsteller darf sich auf jede mögliche prozessuale Situation, die nach Lage der Dinge eintreten kann, derart vorbereiten, dass er dem Gericht auf eine entsprechende Anordnung hin die angeforderten Informationen und Unterlagen präsentieren und auf das Vorbringen der Antragsgegnerseite erfolgreich erwidern kann.
Grundsätzlich kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, Nachermittlungen erforderlichenfalls erst während eines laufenden Verfahrens anzustellen und notwendige Unterlagen nötigenfalls nachträglich zu beschaffen. Als Kehrseite davon darf der Antragsteller jedoch auch nicht unnötig zögern. Sobald er den mutmaßlichen Verletzungssachverhalt kennt, muss er dem nachgehen, die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen treffen und die zur Stützung seines Vorbringens erforderlichen Unterlagen besorgen. Hierbei hat er die gebotenen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege zu leiten und zum Abschluss bringen. Sobald der Antragsteller über alle Kenntnisse und Unterlagen verfügt, die verlässlich eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung ermöglichen, muss er den Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen innerhalb eines Monats anbringen (UPC_CFI_452/2023 (LD Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 128).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin die Angelegenheit mit der notwendi-
- b) gen Dringlichkeit behandelt.
aa)
Ausweislich der als Anlage BP 33 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Randy Wu, Vice President Intellectual Property der Antragstellerin, hatte kein Mitarbeiter von 10x Genomics auf den Ebenen vom Vorstand bis zum Senior Management und damit kein relevanter Entscheidungsträger vor Oktober 2023 Kenntnis von Angebotshandlungen und dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen durch die Antragsgegnerin in Deutschland, Frankreich und Schweden. Unstreitig fand sodann am 10. November 2023 eine Videokonferenz mit dem Senior Business Director der Antragsgegnerin für die EMEA-Staaten statt. Dort bestätigte dieser nicht nur die Möglichkeit einer Lieferung der angegriffenen Ausführungsformen nach Deutschland, Frankreich und Schweden. Vielmehr übersandte er im Nachgang auch ein, weitere Informationen über die Antragsgegnerin und ihre Produkte enthaltendes PDF-Dokument (Anlage BP 16). Ausgehend davon hat die Antragstellerin ihre Rechte mit dem gebotenen Nachdruck verfolgt und ihren Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen am 4. Dezember 2023 rechtzeitig gestellt. Dass die zur Begründung des Eilantrages weiterhin in Bezug genommene Lieferung an die Universitätsmedizin Mannheim der Universität Heidelberg bereits im September 2023 erfolgte, ändert schon deshalb nichts an diesem Befund, weil die Antragstellerin von dieser Lieferung unbestritten erst im Wege einer ex-postTransparenz Kenntnis erlangt hat (Anlage BP 17).
bb)
Konkrete Tatsachen, aufgrund derer sich auf eine frühere (positive) Kenntnis der Antragstellerin vom Angebot und vom Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in den relevanten Vertragsmitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich und Schweden schließen ließe, hat die Antragsgegnerin nicht aufzuzeigen vermocht.
Soweit sie auf einen am 17. November 2022 versandten Brief (Anlage BP 26) verweist, fehlt es dort sowohl an einem Bezug zu den angegriffenen Ausführungsformen als auch zu den relevanten Vertragsmitgliedsstaaten des EPG. Es handelt sich vielmehr um ein von der Antragstellerin an die Antragsgegnerin versandtes Schreiben und damit um einen Schriftwechsel zwischen zwei US-Unternehmen. Darin verweist die Antragstellerin lediglich allgemein auf ihr im Bereich der räumlichen Transkriptomatik bestehendes Patentportfolio, verbunden mit der Aufforderung, dieses zu achten. Selbst nach dem Vortrag der Antragsgegnerin wurde das Kit erst Ende 2022 an einen ausgewählten Kundenkreis vertrieben und ab Februar 2023 weltweit verkauft (vgl. Schriftsatz vom 15.02.2024, S. 10). Einen konkreten Produktbezug konnte das vorgenannte Schreiben daher naturgemäß (noch) nicht haben.
Das als Anlage BP 32 zur Akte gereichte weitere Schreiben der Antragstellerin vom 14. Juni 2023
lässt den Schluss zu, dass die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt den 'Curio Seeker' und damit die angegriffenen Ausführungsformen kannte. Das allein reicht jedoch als Grundlage eines Antrages auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht aus. Damit ein solcher Antrag Erfolg haben kann, bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte für Verletzungshandlungen in zumindest einzelnen Vertragsmitgliedsstaaten, in denen das Streitpatent validiert ist. Dafür ist in dem genannten Schreiben, welches sich ausschließlich mit drei US-Patentschriften beschäftigt und das keinen Bezug zu den relevanten Vertragsmitgliedsstaaten aufweist, nichts ersichtlich. Dies gilt umso mehr, nachdem die Antragstellerin in diesem Schreiben selbst einen Vertrieb in den USA lediglich als möglich bezeichnet ('appears to be offering').
Soweit die Antragsgegnerin ein Wissen der Antragstellerin unter Bezugnahme auf einen Workshop in Heidelberg zu begründen versucht, kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass eine solche Veranstaltung unter dem Titel 'Introducing the Curio Seeker' tatsächlich im Juni 2023 stattgefunden hat. Dass Vertreter der Antragstellerin an diesem Workshop teilnahmen, behauptet selbst die Antragsgegnerin nicht. Anhaltspunkte dafür finden sich auch weder in dem als Anlage CR-25 zur Akte gereichten E-Mailverkehr noch in der als Anlage CR-20 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Herrn Yeung.
cc)
Fehlt es an einer positiven Kenntnis der Schutzrechtsverletzung oder lässt sich eine solche - wie hier - zumindest nicht feststellen, steht ihr die grob fahrlässige Unkenntnis oder das bewusste Verschließen der Augen vor der Verletzungshandlung gleich. Da allerdings keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht existiert, genügt es nicht, dass die Antragstellerin bei Beobachtung des Wettbewerbs von der Schutzrechtsrechtsverletzung hätte Kenntnis haben können. Allerdings ist von einem Schutzrechtsinhaber, der bereits konkrete Umstände kennt, die eine Verletzung seines Schutzrechts naheliegend erscheinen lassen, zu erwarten, dass er alle ihm ohne Weiteres zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreift und die Sachlage weiter aufklärt. Eine solche, eine weitere Aufklärungspflicht der Antragstellerin auslösende Kenntnis hat die Antragsgegnerin jedoch nicht konkret aufzuzeigen vermocht.
(1)
[…] (vgl. Einspruchsschriftsatz, S. 21, Punkt 4.13). Ausweislich der als Anlage CR-3 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Neil Kennedy verkaufte die Antragsgegnerin […] der angegriffenen Ausführungsformen, von denen […] verkauft wurden. Absolut wurden […] damit […] der angegriffenen Ausführungsformen vertrieben. Den mit den angegriffenen Ausführungsformen […] erzielten Umsatz hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung auf […] beziffert. Davon ausgehend war der Markterfolg der Antragsgegnerin […], dass es weder fernliegt noch sich ausschließen lässt, dass die angegriffenen Ausführungsformen zumindest im Hinblick auf einen möglichen Vertrieb in den hier relevanten Vertragsstaaten zunächst noch keine Aufmerksamkeit auf Antragstellerseite auf sich gezogen haben. Mit anderen Worten lässt sich nicht ausschließen, dass die Antragsgegnerin mit den angegriffenen Ausführungsformen zumindest im Hinblick auf die vorliegend relevanten Vertragsstaaten 'zunächst unter dem Radar geschwommen' ist. Es war daher an der Antragsgegnerin, im Einzelnen konkrete Umstände zu benennen, die den Schluss rechtfertigen, für die Antragstellerin habe trotz […] vor Oktober 2023 eine Verletzung des Streitpatents in den relevanten Vertragsmitgliedsstaaten nahegelegen. Das Vorbringen der Antragsgegnerin wird diesen Anforderungen auch unter Berücksichtigung des verhältnismäßig kleinen Adressatenkreises der angegriffenen Ausführungsformen nicht gerecht.
(2)
Dass die Antragsgegnerin ausgewählten Kunden bereits im dritten und vierten Quartal 2022 einen
'frühen Zugang' zu ihrem Kit gewährte (vgl. Anlagen CR-20 und CR-21), ist in diesem Zusammenhang zumindest solange bedeutungslos, wie die Antragstellerin nicht zu diesen Kunden gehörte oder zumindest anderweitig Kenntnis von diesem Vertrieb erlangt hat. Für beides fehlt es an Anhaltspunkten.
Ebenso wenig kann sich die Antragsgegnerin mit Erfolg auf die Ankündigung der Markteinführung des 'Curio Seekers' auf der Internetseite der Antragsgegnerin vom 8. Februar 2023 berufen. Abgesehen davon, dass bereits nicht festgestellt werden kann, dass diese Ankündigung von Antragstellerseite überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, handelt es sich lediglich um eine allgemein gehaltene Mitteilung über den Beginn der den 'Curio Seeker' betreffenden Vertriebstätigkeit. Weder finden sich Hinweise zum Vertriebsgebiet noch zu den Vertriebswegen. Der weitere Hinweis der Antragsgegnerin, sie arbeite mit verschiedenen Forschungsinstituten weltweit zusammen (vgl. Schriftsatz vom 15.03.2024, S. 8 oben), führt an dieser Stelle schon deshalb nicht weiter, weil sich derartiges dem vorgelegten Auszug der Internetseite nicht entnehmen lässt.
(4)
Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, ihr Verkaufsleiter für Europa habe seit dem 21. Februar 2023 kontinuierlich Kontakt mit potenziellen Kunden in der EU aufgenommen, ist eine Zugehörigkeit der Antragstellerin zu diesem Kreis weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass die Tätigkeit des Verkaufsleiters flankierend auch das Verfassen von Posts auf LinkedIn umfasste, könnte allenfalls dann eine andere Bewertung rechtfertigen, wenn zumindest ein Angestellter Kenntnis dieses Posts erlangt hat, von dem zu erwarten ist, dass er sein Wissen um einen etwaigen Rechtsverstoß unternehmensintern weitergibt, sodass er von der zuständigen Stelle verfolgt werden kann.
Derartiges hat die Antragsgegnerin nicht aufzuzeigen vermocht. Der durch sie angesprochene und nachfolgend eingeblendete und der Anlage CR-22, S. 2 entnommene Post ihres Verkaufsleiters vom März 2023 ist dafür nicht ausreichend:

Selbst wenn sich der Post als Ankündigung der Markteinführung des Kits lesen lässt, fehlt es jedenfalls an einem konkreten Bezug zu den relevanten Vertragsmitgliedsstaaten. Der den Post absetzende 'Senior Business Director' ist für die gesamten EMEA-Staaten zuständig, die eine Vielzahl weiterer Märkte umfassen. Abgesehen davon wurde dieser Post lediglich durch einen als 'Senior Research Associate' tätigen Mitarbeiter der Antragstellerin geliked. Dass dieser Mitarbeiter trotz seiner fehlenden Einbindung in die Führungsebene zur Weiterleitung der in dem Post enthaltenen Informationen an die relevanten Entscheidungsträger verpflichtet war, hat die Antragsgegnerin nicht aufzuzeigen vermocht.
(5)
Ausgehend vom Vorbringen der Antragsgegnerin wurden die angegriffenen Ausführungsformen
über den bereits angesprochenen Workshop in Heidelberg hinaus auf einer Reihe von Konferenzen präsentiert. Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Antragstellerin lassen sich daraus jedoch nicht ziehen. Die Antragsgegnerin hat es bis auf eine Ausnahme versäumt, näher zu den Einzelheiten der jeweiligen Veranstaltungen vorzutragen. Hinzu kommt, dass die überwiegende Zahl der in Bezug genommenen Veranstaltungen in den USA stattfand. Welche Erkenntnismöglichkeiten diese Veranstaltungen der Antragstellerin im Hinblick auf einen möglichen Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in den im vorliegenden Verfahren relevanten Vertragsmitgliedsstaaten geboten haben sollen, lässt die Antragsgegnerin offen.
Dies gilt insbesondere auch für das in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommene Webinar vom 14. April 2023. Hinsichtlich dieser Veranstaltung lässt sich Anlage CR-1, S. 14 zwar entnehmen, dass dort neben Vertretern beider Parteien auch Teilnehmer aus Europa zum Teilnehmerkreis gehörten. Jedoch fehlt es auch insoweit an näherem Vortrag der Antragsgegnerin zum konkreten Inhalt der Veranstaltung.
Vergleichbares gilt in Bezug auf das 'Festival of Genomics', welches Ende Januar 2023 in London stattgefunden hat. Selbst wenn es sich dabei um eine der wichtigsten Veranstaltungen im relevanten Bereich handelt und beide Parteien dort ausgestellt haben, hat es die Antragsgegnerin nicht vermocht aufzuzeigen, dass die Antragstellerin tatsächlich Kenntnis vom Stand der Antragsgegnerin und dem dort ausgestellten Produkt erlangt hat oder eine solche Kenntnis zumindest erlangen musste. Der bloße pauschale Verweis auf die allen Teilnehmern zur Verfügung stehende Konferenz-App, in welcher alle teilnehmenden Personen und Unternehmen aufgeführt sind, reicht dafür nicht aus.
Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist aufgrund des Schadens, welcher der Antragstellerin durch das rechtsverletzende Produktangebot der Antragsgegnerin droht, auch in sachlicher Hinsicht notwendig.
a)
Auch wenn sich die Produkte der Parteien sowohl in ihrer technischen Gestaltung als auch in ihrem Anwendungsbereich unterscheiden, adressieren sie die gleiche Zielgruppe, nämlich Forscher und Forschungsinstitute, die sich mit der lokalisierten oder räumlichen Erkennung von Nukleinsäuren in einer Gewebeprobe befassen. Die Parteien stehen daher miteinander im Wettbewerb.
b)
Dass dem so ist, bestätigt die Antragsgegnerin auf der nachfolgend eingeblendeten Seite 39 der als Anlage BP 16 zur Akte gereichten Präsentation selbst, in welchem sie ihre Produkte als 'Sweet Spot' bezeichnet und in eine direkte Beziehung zu ihren Wettbewerbern und insbesondere die Antragstellerin stellt:

Die durch die Antragsgegnerin aufgeworfene Frage der Verwertbarkeit dieser im Anschluss an das im November 2023 geführte Gespräch übersandten Anlage bedarf keiner abschließenden Beantwortung. Selbst wenn es an einer solchen Verwertbarkeit fehlt, hat die Antragstellerin eine Reihe weiterer Unterlagen vorgelegt, aus denen sich unabhängig von dieser Anlage ebenfalls auf das Vorliegen einer entsprechenden Wettbewerbssituation schließen lässt.
So hat die Antragstellerin als Anlagen BP 34 und BP 35 Berichte von Marktbeobachtern zur Akte gereicht, welche in den angegriffenen Ausführungsformen Konkurrenzprodukte zur 'Vision'-Linie der Antragstellerin sehen. Auch daraus und unabhängig von der Anlage BP 16 lässt sich daraus eine entsprechende Wettbewerbssituation ableiten.
Überdies werden die angegriffenen Ausführungsformen auch in dem als Anlage BP 4 vorgelegten Artikel (beginnend mit S. 1, rechte Spalte, letzter Abs.) mit dem Produkt 'Visium' der Antragstellerin verglichen. Darüber hinaus beschreibt auch der durch die Antragsgegnerin als Anlage CR-1, Abschnitt 9 vorgelegte Artikel 'Genetic Engineering & Biotechnology News' die angegriffenen Ausführungsformen als Alternative zum Produkt der Antragstellerin (vgl. Anlage BP 36, S. 2). Auch wenn diese Artikel die Unterschiede zwischen den Produkten herausarbeiten, stellen sie deren Eigenschaften gegenüber und sind daher für die interessierten Fachkreise eine Hilfe bei der Planung von Versuchsreihen sowie der darauf aufbauenden Entscheidung für ein bestimmtes Produkt. Nachdem die vorgelegten Artikel in Fachzeitschriften erschienen sind, hat die Lokalkammer keinen Anlass, die Sachkunde der Autoren in Zweifel zu ziehen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die betreffenden Autoren in einer Beziehung zur Antragstellerin stehen, hat die Antragsgegnerin weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich.
c)
Da Forschungseinrichtungen und Forscherteams aufgrund der unterschiedlichen Charakteristika beider Produktlinien und der daraus resultierenden fehlenden Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse die Produkte nicht ohne Weiteres austauschen können, sind Kundenbeziehungen, welche die Antragsgegnerin derzeit durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen aufbaut, automatisch langfristig. Entscheidet sich ein Forscherteam im Hinblick auf eine bestimmte Versuchsreihe für das Produkt der Antragsgegnerin, ist der betreffende Markt damit für die Antragstellerin versiegelt. Dass das Kit aus der Gewinnung der transkriptomatischen Daten dienenden Einwegkacheln besteht und der anschließende Sequenzierungsschritt auf Maschinen durchgeführt wird, die nicht von der Antragsgegnerin bereitgestellt werden, vermag daran nichts zu ändern. Gerade weil die jeweiligen Forscherteams während eines laufenden Forschungsvorhabens schon wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse nicht auf Alternativprodukte ausweichen können, ist auch dann, wenn das Kit, wie von der Antragsgegnerin behauptet, in Einzelkaufverträgen erworben wird, davon auszugehen, dass der Bedarf an Kits auch bei mehrjährigen
Forschungsvorhaben langfristig gedeckt wird. Dies würde erst recht gelten, wenn die Lokalkammer im vorliegenden Rechtstreit eine Verletzung des Streitpatents durch die angegriffenen Ausführungsformen bejahen und die Anordnung einstweiliger Maßnahmen lediglich unter Verweis auf deren fehlende Notwendigkeit ablehnen würde. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass sich Forscherteams zur Absicherung ihres Vorhabens noch vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit der bis zum Abschluss des Vorhabens erforderlichen Zahl von Kits eindecken.
d)
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin lässt sich die Notwendigkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht mit der Begründung in Frage stellen, der durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens entstehende Schaden sei begrenzt, kalkulierbar und […] gering. Unstreitig ist das relevante Marktumfeld von einer großen Dynamik geprägt. Es lässt sich weder absehen noch ist hinreichend prognostizierbar, dass die Antragstellerin die Marktanteile, die sie aktuell verliert, zu einem späteren Zeitpunkt ohne Weiteres zurückgewinnen kann. Der Behauptung der Antragstellerin, es sei beispielsweise nicht vorhersehbar, ob ein aktueller Wettbewerber mit einem aktuellen oder neuen Produkt oder aber ein neuer Wettbewerber mit einem neuen Produkt auf dem Markt sein wird, wenn zukünftige Marktanteile erobert werden (vgl. Schriftsatz v. 01.03.2024, S. 17 f.), hat die Antragsgegnerin nichts entgegenzuhalten vermocht. Zu Recht verweist die Antragstellerin darauf, dass - auch in Ansehung der nur noch achtjährigen Laufzeit des Streitpatents dessen Belohnung und Amortisierungsfunktion unwiederbringlich geschmälert wäre, wenn die Antragsgegnerin aktuell und weiterhin langfristige Kundenbeziehungen aufbaut. Dass es sich dabei nicht nur um ein theoretisches Szenario, sondern um eine reale Gefahr handelt, veranschaulicht das Produkt 'Visium HD' der Antragstellerin. Um die Produktplattform 'Visium' auf Basis der Forschungsleistung zu einem marktfähigen Produkt zu entwickeln, hat die Antragstellerin eine mehrjährige Entwicklungsleistung und tausende Arbeitsstunden erbracht, wobei rund 345 Millionen Euro investiert wurden (vgl. eidesstattliche Versicherung von Eric Whitaker, Anlage BP 38). Diesen personellen, zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwand konnte die Antragstellerin wirtschaftlich vernünftig nur deswegen betreiben, weil ihr durch das Streitpatent die Refinanzierung dieses Aufwandes frei von verletzenden, konkurrierenden Produkten rechtlich garantiert ist. Die Refinanzierung dieses Aufwandes würde angesichts des dynamischen Marktumfeldes gefährdet, wenn die Antragsgegnerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen fortsetzen und davon ausgehend Forschungsvorhaben, ggf. auch langfristig, auf sich umlenken könnte.
e)
Soweit die Antragsgegnerin auf durch eine Unterlassungsanordnung möglicherweise verursachte Drittschäden hinweist (vgl. Schriftsatz vom 15.02.2024, S. 17), haben diese auf die Notwendigkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen keinen Einfluss. Sie können allenfalls im Rahmen der sich anschließenden Interessenabwägung von Belang sein.
V.
Auch die vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus.
Nach Maßgabe von Art. 62 Abs. 2 EPGÜ (R. 211 Nr. 3 VerfO) hat das Gericht nach Ermessen die Interessen der Parteien im Hinblick auf den Erlass der Anordnung oder die Abweisung des Antrags gegeneinander abzuwägen; dabei sind alle relevanten Umstände in die Abwägung einzustellen, insbesondere auch die möglichen Schäden, die den Parteien durch den Erlass der Anordnung oder die Abweisung des Anordnungsantrages erwachsen können. Für die Ausübung des Ermessens ist dabei auch der Wahrscheinlichkeitsgrad, zu dem das Gericht vom Vorliegen der einzelnen in die Abwägung einzustellenden Umstände überzeugt ist, maßgeblich. Je sicherer die Überzeugung des
Gerichts davon ist, dass der Rechtsinhaber die Verletzung eines gültigen Patents geltend macht, aufgrund sachlicher und zeitlicher Umstände die Notwendigkeit zum Anordnungserlass besteht und dem auch mögliche Schäden des Gegners oder sonstige berechtigte Einwendungen nicht entgegenstehen, desto eher ist der Erlass einer Untersagung gerechtfertigt. Je eher hingegen hinsichtlich einzelner der für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände relevante Unsicherheiten bestehen, die der Überzeugung des Gerichts abträglich sind, wird das Gericht als mildere Maßnahme die an eine Sicherheitsleistung geknüpfte Zulassung der Fortsetzung der angeblichen Verletzung oder gar die Abweisung des Antrags in Betracht zu ziehen haben (UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, 1513, 1525 f. - Nachweisverfahren; UPC:_CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 30).
Dies vorausgeschickt ist der Erlass der beantragten Anordnung auch nach einer Abwägung der Interessen gerechtfertigt.
Nachdem es die Antragsgegnerin im Eilverfahren nicht vermocht hat, zumindest eine Verletzung von Patentanspruch 14 des Streitpatents erheblich in Abrede zu stellen, ist die Lokalkammer bei summarischer Prüfung von einer Verletzung des Streitpatents durch die Handlungen der Antragsgegnerin überzeugt. Zudem ist es der Antragsgegnerin nicht gelungen, erhebliche Zweifel am Rechtsbestand des Streitpatents zu erzeugen. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, ihr habe nur sehr wenig Zeit zur Verfügung gestanden, um die Gültigkeit des Streitpatents zu überprüfen, vermag die Lokalkammer dem schon deshalb nicht zu folgen, weil zwischen der Zustellung des Antrages auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen und der mündlichen Verhandlung fast 2 ½ Monate lagen. Dies reicht nahe an den Zeitraum heran, den die Verfahrensordnung im Hauptsacheverfahren für die Erstellung der Klageerwiderung einschließlich einer möglichen Nichtigkeitswiderklage vorsieht (R. 23 und R. 25.1 VerfO). Die Lokalkammer ist schließlich auch der klaren Überzeugung, dass die Anordnung einstweiliger Maßnahmen vorliegend aufgrund der Verletzung des Streitpatents sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht notwendig sind.
Vor dem Hintergrund der festgestellten Verletzung des Streitpatents hat die Antragsgegnerin kein berechtigtes Interesse daran, die das Streitpatent verletzenden angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland, Frankreich oder Schweden anzubieten oder zu vertreiben, und zwar weder ohne noch gegen Sicherheitsleistung. Soweit sie sich darauf beruft, es handele sich bei ihr um ein kleines Unternehmen mit einer einzigen Produktlinie, […], ist dies ebenso zu ihren Gunsten in die Interessenabwägung einzustellen wie die mit einer einstweiligen Unterlassungsanordnung verbundene Möglichkeit, dass sich ein Teil dieser Investoren aufgrund einer solchen Anordnung zurückzieht. Eine derartige Gefahr besteht allerdings auch dann, wenn die Lokalkammer unter Verweis auf vermeintlich überwiegende Interessen der Antragsgegnerin vorerst von einer Unterlassungsanordnung absieht, zugleich jedoch von einer Verletzung des Streitpatents bei gleichzeitig hinreichend gesichertem Rechtsbestand ausgeht. […] Abgesehen davon ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand davon auszugehen, dass auch eine Hauptsacheklage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Sieht die Lokalkammer vorerst von der Anordnung der zum Schutz der Antragstellerin als Inhaberin des Streitpatents notwendigen einstweiligen Maßnahmen ab, gibt sie der Antragsgegnerin die Möglichkeit, ihre Marktposition bis zum Abschluss des nach R. 213.1 VerfO obligatorischen Hauptsacheverfahrens zu Lasten der Antragstellerin auszubauen. Das Ergebnis wäre im Hinblick auf den Rückzug von Investoren potenziell dasselbe, nur mit zeitlichem Versatz.
Eine solche Verzögerung braucht die Antragstellerin auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 42 Abs. 2 EPGÜ) vor dem Hintergrund des ihr im Fall eines Absehens
von der Anordnung einstweiliger Maßnahmen drohenden Schadens nicht hinzunehmen. Dies gilt umso mehr, da es die Antragsgegnerin auch nicht vermocht hat, ihre Behauptung der hohen Wahrscheinlichkeit eines Konkurses im Fall einer Unterlassungsanordnung über den abstrakten Verweis auf den potenziellen Rückzug von Finanzinvestoren zu untermauern. Ausweislich der als Anlage CR-3 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung hat die Antragsgegnerin im Jahr 2023 […], von denen […] auf die hier relevanten Vertragsstaaten entfallen. Von einer Unterlassungsanordnung wären daher lediglich […] betroffen. Weshalb der Wegfall der Verkäufe in Deutschland, Frankreich und Schweden sich, wie durch die Antragsgegnerin behauptet, auf […], hat die Antragsgegnerin nicht schlüssig darzulegen vermocht. Ausweislich Abs. 12 der Anlage CR-3 handelt es sich auch bei […] um wesentliche relevante Märkte, die von einer Unterlassungsanordnung der Lokalkammer nicht berührt würden.
Soweit die Antragsgegnerin auf die Auswirkungen von Gerichtsverfahren auf ihre Wettbewerber NanoString und Vizgen verweist, wurde das von NanoString angestrengte Verfahren nach Chapter 11 durch eine durch US-Urteil auferlegte Schadenersatzpflicht in Höhe von 31 Mio. USD ausgelöst. Derartiges steht vorliegend nicht im Raum. Über die Gründe der Entlassung von Mitarbeitern bei Vizgen lässt sich demgegenüber nur spekulieren. Die Antragsgegnerin belässt es bei dem Hinweis, Vizgen habe während der Rechtsstreitigkeiten vor US-Gerichten und dem EPG viele Mitarbeiter entlassen, obwohl es vorher als stabiler Akteur auf dem Markt gegolten habe (Hervorhebung hinzugefügt).
Dass der Erlass einer Unterlassungsanordnung Forscher zur Aufgabe ihres Forschungsprojektes zwingt und damit bei diesen einen unwiederbringlichen Schaden verursacht, hat die Antragsgegnerin nicht darzulegen vermocht. Sind Forscher demgegenüber zu einem Wechsel der eingesetzten Kits gezwungen, ist dies die natürliche Folge einer Unterlassungsanordnung. Der mit einem solchen Wechsel verbundene Aufwand ist im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Streitpatents hinzunehmen.
VI.
Die Lokalkammer Düsseldorf ist mit der für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass die Antragsgegnerin durch das Angebot und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen im Geltungsbereich des Streitpatents widerrechtlich von der durch Patentanspruch 14 des Streitpatents unter Schutz gestellten technischen Lehre Gebrauch machen. Ebenso ist der Rechtsbestand des Streitpatents in dem für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Umfang gesichert. Da die Anordnung einstweiliger Maßnahmen auch sowohl zeitlich als auch sachlich notwendig ist und zudem auch die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen:
Das Gericht hält unter Ausübung seines Ermessens (R. 209.2 VerfO) den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsanordnung für angemessen und gerechtfertigt (Art. 62 (1), 25 (a), 26 (1) EPGÜ). Nur eine Unterlassungsanordnung trägt dem Interesse der Antragstellerin an der effektiven Durchsetzung des Streitpatents Rechnung. Dahinter muss das Interesse der Antragsgegnerin an der Fortsetzung des Vertriebs - ohne oder gegen Sicherheitsleistung - aus den genannten Gründen zurücktreten.
Die Androhung von Zwangsgeldern für den Fall der Zuwiderhandlung findet in R. 354.3 VerfO ihre Grundlage. Mit der Anzahl der Tage steht eine Größe für die Berechnung der Zwangsgelder bereits fest. Die Festsetzung einer Höchstgrenze pro Tag der Zuwiderhandlung gibt der Lokalkammer je-
doch die notwendige Flexibilität, um im Fall einer Zuwiderhandlung auch das Verhalten des Verletzers zu berücksichtigen und davon ausgehend gemäß R. 354.4 VerfO ein angemessenes Zwangsgeld festsetzen zu können.
- Eine Verletzung des Streitpatents lässt sich unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Verletzung von Patentanspruch 1 zumindest nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht feststellen. Daher war der Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen insoweit zurückzuweisen.
-
- Soweit die Antragstellerin die Anordnung der Leistung einer Sicherheit für die Kosten des Rechtsstreits und die ihr entstandenen und/oder noch entstehenden Kosten begehrt, liegen die Voraussetzungen einer solchen Anordnung nicht vor.
a)
Gemäß R. 158.1 VerfO kann das Gericht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens auf einen mit einer Begründung versehenen Antrag einer Partei anordnen, dass die andere Partei innerhalb einer festgelegten Frist für die Kosten des Rechtsstreits und sonstigen der antragstellenden Partei entstandenen und/oder noch entstehenden Kosten, welche die andere Partei möglicherweise tragen muss, angemessene Sicherheit zu leisten hat. Vor einer solchen Anordnung ist den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren (R. 158.2 VerfO). Kommt die von der Anordnung betroffene Partei einer solchen Anordnung nicht nach, kann gegen sie eine Versäumnisentscheidung ergehen. Damit Vergleichbar kann das Gericht eine Sicherheitsleistung für die Gerichtskosten verlangen (R. 159 VerfO).
b)
Anders als Art. 69 Abs. 4 EPGÜ sieht die Verfahrensordnung daher vor, dass der Antrag auf Sicherheitsleistung nicht nur durch den Beklagten, sondern durch 'eine Partei' und damit auch durch den Kläger gestellt werden kann. Auch wenn die Verfahrensordnung gemäß Art. 41 Abs. 1 S. 2 EPGÜ mit dem EPGÜ im Einklang stehen muss, handelt es sich hierbei um keinen Kollisionsfall, welcher einen Vorrang des Abkommens nach sich zieht. Schließt das Abkommen eine bestimmte Regelung nicht aus, darf die Verfahrensordnung ergänzende Regelungen treffen (so auch Kiefer in: BeckOK Patentrecht, 31. Edition Stand: 15.07.2023, Art. 69 EPGÜ Rz. 59; a.A: Tilman/Plassmann, Einheitspatent/Einheitliches Patentgericht, Regel 158 Rz. 3). Um einen solchen Fall handelt es sich bei Art. 69 Abs. 4 EPGÜ i.V.m. R. 158 f. VerfO. Während das Abkommen lediglich eine Sicherheitsleistung des Klägers für die Prozesskosten des Beklagten vorsieht, erweitert R. 158 VerfO den Kreis der Adressaten einer solchen Anordnung auf 'die Parteien' und damit auch auf den Beklagten. Zudem sieht R. 159 VerfO ergänzend die Möglichkeit der Anordnung einer Sicherheitsleistung für die Gerichtskosten vor.
c)
Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob die Anordnung einer Sicherheitsleistung auch in Eilverfahren in Betracht kommt. Die R. 158 f. VerfO finden sich in Teil 1 ('Verfahren vor dem Gericht erster Instanz') in Kapitel 6 'Prozesskostensicherheit', welches unmittelbar den Regelungen zum Kostenfestsetzungsverfahren folgt. In den das Eilverfahren betreffenden R. 205 ff. VerfO ist eine solche Anordnung nicht vorgesehen. Bereits aus der Systematik der Verfahrensordnung lässt sich daher schließen, dass die Anordnung einer Prozesskostensicherheit nur in Hauptsache-, nicht aber in Eilverfahren in Betracht kommt. Wie im Einzelnen im Zusammenhang mit der Erörterung der (fehlenden) Notwendigkeit einer Kostengrundentscheidung noch auszuführen sein wird, besteht in derartigen Verfahren die Möglichkeit, die Anordnung einer Verpflichtung der Antrags-
gegnerseite zur vorläufigen Kostenerstattung zu beantragen (R. 211.1 (d) VerfO). Macht die Antragstellerin von dieser Möglichkeit Gebrauch, kann der daraus resultierende Kostentitel zeitnah vollstreckt werden. Dadurch wird dem Sicherungsbedürfnis des Antragstellers hinreichend Rechnung getragen. Für eine (analoge) Anwendung der R. 158 f. VerfO im Eilverfahren besteht daher weder ein Bedürfnis noch vor dem Hintergrund des Eilcharakters derartiger Verfahren Raum.
Soweit die Antragsgegnerin unter Verweis auf Art. 68 Abs. 3 (a) EPGÜ den Ersatz eines Reputationsund sonstigen Schadens verlangt, ist für die Geltendmachung derartiger Ansprüche im Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen von vornherein kein Raum. Der Inhalt einstweiliger Maßnahmen ist in Art. 62 EPGÜ i.V.m. R. 211 Abs. 1 VerfO abschließend geregelt. Die Zuerkennung von Schadenersatz findet dort keine Erwähnung. Seine Geltendmachung ist daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die durch die Antragsgegnerin hilfsweise in Bezug genommene R. 213.2 VerfO ist Teil der Regelungen zur 'Aufhebung einstweiliger Maßnahmen'. Allen dort erwähnten Konstellationen ist gemein, dass eine einstweilige Anordnung zunächst erlassen wurde, sodann aber wieder aufgehoben oder aufgrund eines Verhaltens des Antragstellers hinfällig geworden ist. Liegt ein solcher Fall vor, kann das Gericht auf Antrag des Antragsgegners anordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für alle auf Grund dieser Maßnahmen entstandenen Schäden leistet (Hervorhebung hinzugefügt). Die bloße Zurückweisung eines Antrages auf Anordnung entsprechender Maßnahmen ist von der Norm daher von vornherein nicht erfasst.
Abgesehen davon ist für die Zuerkennung eines Ersatzes für einen möglichen Reputationsschaden ohnehin kein Raum, wenn zu Lasten der Antragsgegnerin eine Unterlassungsanordnung ergeht.
VII.
Gemäß R. 211.5 VerfO S. 1 VerfO kann das Gericht für die im Falle der Aufhebung der Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch das Gericht eventuell von ihm zu leistende angemessene Entschädigung des Antragsgegners für den Schaden, den dieser wahrscheinlich erleiden wird, die Erbringung einer angemessenen Sicherheit verlangen. Gebietet der konkrete Fall - wie hier - nicht ausnahmsweise etwas anderes, ist von dieser Möglichkeit im Regelfall Gebrauch zu machen. Die Entscheidung zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen beruht auf einer nur vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage, der eine Unsicherheit immanent ist. Zudem stellt die einstweilige Maßnahme einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Patentverletzers dar, der in der Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit massiv beschränkt wird. Dieser Unsicherheit und der Eingriffsintensität trägt nur die Anordnung einer Sicherheitsleistung Rechnung (Tilmann/Plassmann, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, Regel 211 Rz. 32).
Was die Höhe der Sicherheitsleistung betrifft soll diese die Prozesskosten, andere Kosten wegen der Vollstreckung sowie eine mögliche Kompensation für entstandene oder wahrscheinlich entstehende Schäden abdecken, R. 352.1 VerfO. Gerade die Höhe möglicher Vollstreckungsschäden lässt sich im Zeitpunkt des Erlasses der vorliegenden Anordnung für die Lokalkammer jedoch nur schwer abschätzen. Vor diesem Hintergrund orientiert sich die festgesetzte Sicherheitsleistung an der Höhe des Streitwertes. Auch wenn der Streitwert nicht zwingend mit dem Schadensrisiko korrespondiert, bietet er jedenfalls einen Anhaltspunkt, welche wirtschaftliche Bedeutung die Antragstellerseite der Sache beimisst. Die Antragsgegnerin hatte es in der Hand, zu den mittels der Sicherheitsleistung abzusichernden Risiken im Einzelnen vorzutragen. Da sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, besteht kein Grund, bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung vom Streitwert abzuweichen.
VIII.
Für eine Kostengrundentscheidung besteht in Verfahren zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen jedenfalls dann keine Veranlassung, wenn auf das Eilverfahren - wie hier - ein Hauptsacheverfahren folgt (UPC_CFI_452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, Leitsatz 2, GRUR-RS 2024, 7207).
Gemäß Art. 69 Abs. 1 EPGÜ werden die Kosten des Rechtsstreits und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei bis zu einer gemäß der Verfahrensordnung festgelegten Obergrenze von der unterliegenden Partei getragen, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen. Die Norm bestimmt daher den Inhalt der Kostenentscheidung, namentlich von wem und in welchem Umfang die Kosten des Rechtsstreits und die sonstigen Kosten der unterliegenden Partei zu tragen sind (UPC_CFI_452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, Leitsatz 2 und S. 34 f., GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 161; a. A.: UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, S. 103 = GRUR 2023, 1513, 1526, Rz. 315 - Nachweisverfahren). Sie verhält sich hingegen nicht zu dem Verfahren, in dem die Kostenentscheidung ergeht. Dieses ist vielmehr Gegenstand von R. 118.5 VerfO (vgl. dazu Dold/W. Tilmann in: Tilmann/Plassmann, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, Art. 69 Rz. 1 und 3). Diese Regelung betrifft jedoch bereits nach ihrer systematischen Stellung das Hauptverfahren. In den die Anordnung einstweiliger Maßnahmen betreffenden R. 205 ff. VerfO findet sich dazu keine Entsprechung.
Auch wenn sich das Berufungsgericht bisher nicht im Einzelnen mit der Frage der Kostenerstattung im Eilverfahren befassen musste, hat es bereits anerkannt, dass es nicht in jedem Fall einer Kostengrundentscheidung bedarf. Handelt es sich bei einer Entscheidung nicht um eine 'final order' oder eine 'final decision', kann das Gericht nach Auffassung des Berufungsgerichts erst im Rahmen einer späteren Endentscheidung festlegen, ob und in welchem Umfang eine Partei die Kosten der anderen Partei zu tragen hat, weil sie im Sinne von Art. 69 EPGÜ unterlegen ist (UPC_CoA_433/2023, UPC_CoA_435/2023; UPC_CoA_436/2023; UPC_CoA_437/2023; UPC_CoA_438/2023, Anordnung v. 03.04.2023, Leitsatz 2). Ein solches Vorgehen ist zumindest auch dann angezeigt, wenn sich - wie hier - an das Eilverfahren ein Hauptsacheverfahren anschließt. Für eine analoge Anwendung von R. 118.5 VerfO fehlt es dann bereits an einer planwidrigen Regelungslücke als Grundvoraussetzung einer solchen (UPC_CFI_452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, Leitsatz 2 und S. 34 f., GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 161 - 163; a.A.: UPC_CFI_249/2023 (LK München), Anordnung v. 19.12.2023, Leitsatz, GRUR-RS 2023, 40572).
Gemäß R. 211.1 (d) VerfO kann das Gericht als einstweilige Maßnahme eine vorläufige Kostenerstattung anordnen. Leitet der Antragsteller im Anschluss an die Anordnung einstweiliger Maßnahmen das Hauptsacheverfahren nicht fristgerecht ein, ist die entsprechende Anordnung gemäß R. 213.1 VerfO auf einen entsprechenden Antrag des Antragsgegners hin zwingend aufzuheben. Im Regelfall folgt daher auf die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ein Hauptsacheverfahren. Für die dortige Entscheidung verlangt R. 118.5 VerfO zwingend den Erlass einer Kostengrundentscheidung. Geht einem Hauptsacheverfahren die Anordnung einstweiliger Maßnahmen voraus, sieht die Verfahrensordnung daher ein zweistufiges Verfahren vor: Damit der Antragsteller die mit dem Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen entstehenden Kosten nicht über einen längeren Zeitraum vorstrecken und damit auch das Insolvenzrisiko der Gegenseite tragen muss, erhält er die Möglichkeit, eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erstattung vorläufiger Kosten in die einstweilige Anordnung aufnehmen zu lassen. Im Hauptsacheverfahren trifft das Gericht sodann auf der Grundlage von R. 118.5 VerfO eine Kostengrundentscheidung, welche die Grundlage des sich ggf. anschließenden Kostenfestsetzungsverfahrens (R. 150 ff. VerfO) bildet. Solange auf das
Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen ein Hauptsacheverfahren folgt, fehlt es daher an einer (planwidrigen) Regelungslücke. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung von R. 118.5 VerfO sind daher zumindest in einer solchen Fallkonstellation nicht gegeben.
Dies gilt auch, soweit die Antragsgegnerin eine vorläufige Kostenerstattung begehrt. Zwar betrifft R. 211 VerfO 'Anordnungen bezüglich des Antrages auf einstweilige Maßnahmen ' (Hervorhebung hinzugefügt). Dies deutet darauf hin, dass die Norm unmittelbar nur den Inhalt einer entsprechenden Anordnung gegenüber dem Antragsgegner und damit auch nur eine vorläufige Kostenerstattung des Antragstellers (R. 211.1 (d) VerfO) erfasst (a.A.: UPC_CFI_182/2023 (LK Wien), Anordnung v. 13.09.2023, GRUR-RS 2023, 35213, Rz. 51 - Milchaufschäumer). Folgt auf ein Eilverfahren ein Hauptsacheverfahren, ist die Norm jedoch entsprechend auf den Antragsgegner anwendbar. Da die Verfahrensordnung eine vorläufige Kostenerstattung zu Gunsten des Antragsgegners nicht kennt, existiert diesbezüglich eine Regelungslücke. Diese ist auch planwidrig. Da eine solche Fallkonstellation weder von R. 118.5 VerfO noch von R. 211.1 (d) VerfO erfasst ist, müsste sich der Antragsgegner bis zum erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gedulden und damit auch bis zu diesem Zeitpunkt das Insolvenzrisiko tragen, bis er seinen Kostenerstattungsanspruch geltend machen kann. Er stünde damit deutlich schlechter als der Antragsteller, dem über die vorläufige Kostenerstattung sogar ein effektives Instrument zur Verfügung steht, seine Kosten zu titulieren und so seinen Kostenerstattungsanspruch durchzusetzen. Dieses Ungleichgewicht verdeutlicht das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Die gleiche Interessenlage folgt aus dem beidseitig bestehenden Interesse an einer möglichst frühzeitigen Titulierung der ihnen im Eilverfahren entstanden Kosten.
Das in der mündlichen Verhandlung erstmals durch beide Parteien geäußerte Begehren nach einer vorläufigen Kostenerstattung stellt eine nachträgliche Antragserweiterung dar. Eine solche Antragserweiterung können die Parteien jederzeit beantragen (R. 263.1 S. 1 VerfO). Gemäß R. 263.2 VerfO ist ein solcher Antrag jedoch abzulehnen, wenn die antragstellende Partei das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände nicht davon überzeugen kann, dass die in Rede stehende Änderung bei gebotener Sorgfalt nicht früher vorgenommen werden konnte und die Änderung die andere Partei in ihrer Verfahrensführung nicht unangemessen behindert.
Von beiden Voraussetzungen ist das Gericht vorliegend überzeugt, so dass der Antrag zuzulassen war.
Zu Gunsten der Parteien ist zu berücksichtigen, dass die Frage der Abwicklung der Kostenerstattung in Eilverfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist und erstinstanzlich bereits unterschiedlich gehandhabt wurde. Die Lokalkammer Düsseldorf hat erstmals überhaupt in einer Ex-parte-Anordnung vom 11. Dezember 2023 und damit nach Einreichung des diesem Verfahren zugrundeliegenden Antrages das Begehren nach einer Kostengrundentscheidung im Eilverfahren zurückgewiesen. Zugleich hat die Lokalkammer auf den fehlenden Antrag auf vorläufige Kostenerstattung hingewiesen (UPC_CFI_452/2024, Anordnung v. 11.12.2023, S. 10 unten = GRUR-RR 2024, 97, 101, Rz. 44 - Verschüttetensuchgerät). Auf diese Anordnung hat die Lokalkammer Düsseldorf die Parteien mit einer Verfahrensanordnung vom 21. März 2024 aufmerksam gemacht. Auf diesen Hinweis haben die Parteien mit ihrem nachträglichen Antrag auf vorläufige Kostenerstattung regiert. Das kann ihnen schon unter dem Gesichtspunkt rechtlichen Gehörs nicht verwehrt werden. Ein nicht sorgsames Prozessverhalten der Parteien ist in Anbetracht der Einzelfallumstände nicht zu erkennen.
Nachdem beide Parteien nunmehr für den Fall ihres Obsiegens eine vorläufige Kostenerstattung
begehren, werden sie durch die nachträgliche Zulassung der Anträge auf vorläufige Kostenerstattung auch nicht unangemessen benachteiligt. Sie profitieren im Fall ihres Obsiegens von der Erstattung und müssen als Kehrseite bei ihrem Unterliegen die jeweiligen Kosten der Gegenseite tragen.
Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung wechselseitig jeweils vorläufige Kosten in Höhe von 200.000,- EUR als erstattungsfähig anerkannt und eine vorläufige Kostenerstattung in dieser Höhe begehrt. Weitere Ausführungen zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten erübrigen sich daher. Gleiches gilt im Hinblick auf eine Entscheidung über den durch die Antragsgegnerin zur Akte gereichten Antrag auf Heraufsetzung der Obergrenze für die erstattungsfähigen Kosten. Angesichts der erzielten Einigung über die Höhe der im Wege der vorläufigen Kostenerstattung erstattungsfähigen Kosten ist dieser Antrag für die vorliegende Anordnung nicht relevant und bedarf daher keiner Entscheidung.
Die Höhe der zuerkannten Kostenerstattung folgt dem Anteil des Obsiegens bzw. Unterliegens. Beide Parteien sind jeweils hälftig unterlegen. Daher können sie im Wege der vorläufigen Kostenerstattung auch lediglich die Hälfte der wechselseitig anerkannten Kosten erstattet verlangen (Art. 69 EPÜ i.V.m. R. 211.1 (d) VerfO).
ANORDNUNG:
- I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen, in den Hoheitsgebieten der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, und/oder des Königreichs Schweden
- ein Array zur Verwendung beim lokalisierten Nachweis von Nukleinsäure in einer Zellen umfassenden Gewebeprobe, umfassend ein Substrat, auf dem mehrere Arten von Einfangsonden direkt oder indirekt immobilisiert sind, so dass jede Art eine unterschiedliche Position auf dem Array einnimmt und so orientiert ist, dass sie ein freies 3'-Ende aufweist, so dass die Sonde als Verlängerungsprimer fungieren kann, wobei die Arten der Einfangsonde jeweils ein Nukleinsäuremolekül umfassen mit von 5' nach 3':
- (i) einer Positionsdomäne, die der Position der Einfangsonde auf dem Array entspricht, und
- (ii) einer Einfangdomäne zum Einfangen von Nukleinsäure einer Gewebeprobe, die mit dem Array in Kontakt gebracht wird, umfassend ein Poly-T-DNA-Oligonukleotid, das wenigstens 10 Desoxythymidinreste umfasst,
anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
- II. Für jede Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Anordnung hat die Antragsgegnerin an das Gericht ein (ggf. wiederholtes) Zwangsgeld in Höhe von bis zu 100.000,- EUR für jeden Tag der Zuwiderhandlung zu zahlen.
- III. Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen zurückgewiesen.
- IV. Der Antrag der Antragstellerin anzuordnen, dass die Antragsgegnerin innerhalb einer von dem Gericht zu bestimmenden Frist Sicherheit für sämtliche zu erwartenden Prozesskosten der Antragstellerin einschließlich der möglichen Gerichtskosten in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe zu leisten hat, wird zurückgewiesen.
- V. Der Antrag der Antragsgegnerin, der Antragstellerin aufzugeben, ihr den durch dieses Verfahren entstandenen Reputations- und sonstigen Schaden zu ersetzen, wird zurückgewiesen.
- VI. Beiden Parteien wird unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Anträge aufgegeben, der jeweils anderen Partei vorläufig Kosten in Höhe von 100.000,- EUR zu erstatten.
- VII. Diese Anordnung ist vollstreckbar, für die Antragstellerin allerdings erst, wenn sie zugunsten der Antragsgegnerin eine Sicherheit in Form einer Hinterlegung oder Bankbürgschaft in Höhe eines Betrages von 2.000.000,- EUR geleistet hat.
DETAILS DER ANORDNUNG:
Hauptaktenzeichen ACT_590953/2023
UPC-Nummer: UPC_CFI_463/2023
Verfahrensart: Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen
Erlassen in Düsseldorf am 30. April 2024
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Vorsitzender Richter Thomas
Rechtlich qualifizierte Richterin Dr. Thom
Rechtlich qualifizierter Richter Kupecz
Technisch qualifizierter Richter Dr. Schmidt
für den Hilfskanzler Boudra-Seddiki
INFORMATIONEN ÜBER DIE BERUFUNG
Beide Parteien können gegen diese Anordnung innerhalb von 15 Tagen nach ihrer Zustellung Berufung einlegen (Art. 73 (2) (a), 62 EPGÜ, R. 220.1 (c), 224.2 (b) VerfO).
INFORMATIONEN ZUR VOLLSTRECKUNG (ART. 82 EPGÜ, ART. ART. 37(2) EPGS, R. 118.8, 158.2, 354, 355.4 VERFO)
Eine beglaubigte Kopie der vollstreckbaren Entscheidung oder der vollstreckbaren Anordnung wird vom Hilfskanzler auf Antrag der vollstreckenden Partei ausgestellt, R. 69 RegR.