
Lokalkammer Mannheim UPC_CFI_471/2023
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts, erlassen am: 22/07/2024
betreffend EP 2 479 680
betreffend App_26934/2024
(Geheimnisschutz gem. R. 262A VerfO zur Klageerwiderung der Beklagten zu 1) bis 3))
betreffend App_40530/2024
(Antrag der Beklagten zu 1) bis 3) auf Überprüfung gem. R. 333 VerfO)
KLÄGERINNEN/ANTRAGSGEGNERINNEN
1) DISH Technologies L.L.C.
vertreten durch Denise Benz
2) Sling TV L.L.C.
vertreten durch Denise Benz
BEKLAGTE/ANTRAGSTELLERINNEN
1) AYLO PREMIUM LTD
- 195-197 Old Nicosia-Limassol Road, Block 1 Dali Industrial Zo-ne - 2540 - Nikosia - CY
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
2)
AYLO Billing Limited
- The Black Church, St Mary's Place, Dublin 7 - D07 P4AX - Dublin - IE
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
3) AYLO FREESITES LTD
- 195-197 Old Nicosia-Limassol Road, Block 1 Dali Industrial Zo-ne - 2540 - Nikosia - CY
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
WEITERE BEKLAGTE
4) AYLO BILLING US CORP.
- 21800 Oxnard Ste 150 - 91367 - 7909 - Woodland Hills - US
5) BROCKWELL GROUP LLC
- 19046 Bruce B. Downs Blvd #1134 - 33647 - Tampa - US
6) BRIDGEMAZE GROUP LLC
- 12378 SW 82 AVENUE - 33156 - Miami - US
STREITGEGENSTÄNDLICHES PATENT:
Europäisches Patent Nr. EP 2 479 680
SPRUCHKÖRPER:
Lokalkammer Mannheim
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde erlassen unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Tochtermann, des rechtlich qualifizierten Richters Böttcher und des rechtlich qualifizierten Richters Dr. Schober.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND: Geheimnisschutz gem. R. 262A VerfO - Überprüfung gem. R. 333 VerfO
SACHVERHALT
Die Beklagten zu 1) bis 3) und die Klägerinnen streiten über die Anordnung von Zugangsbeschränkungen gem. R. 262A VerfO, die die Beklagten zu 1) bis 3) mit Antrag vom 13.05.2024 (App_26934/2024) hinsichtlich Informationen zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen beantragt haben, die in ihrer Klageerwiderung vom 13.05.2024 sowie in der beigefügten Anlage BPV 5 enthalten sind.
Der Berichterstatter hat am 03.07.2024 eine finale Geheimnisschutzanordnung gem. R. 262A VerfO erlassen. Dort sind zwar die geltend gemachten zu schützenden Informationen als
vertraulich eingestuft worden. Zugleich ist jedoch unter Zurückweisung des weitergehenden Begehrens der Beklagten zu 1) bis 3) eine Zugangsbeschränkung angeordnet worden, die als Zugangsberechtigte die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen und deren Hilfskräfte ohne zahlenmäßige Begrenzung und ohne namentliche Nennung von Einzelpersonen sowie drei von den Klägerinnen benannte natürliche Personen vorsieht, die die Beklagten zu 1) bis 3) als ausgeschlossen angesehen haben. Für den weiteren Inhalt der Anordnung einschließlich des weiteren Sachverhalts und der Anträge der Parteien wird auf die genannte Anordnung verwiesen.
Gegen die Anordnung wenden sich die Beklagten zu 1) bis 3) mit ihrem Antrag vom 09.07.2024 auf Überprüfung durch den Spruchkörper gem. R. 333 VerfO.
Unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens machen die Beklagten zu 1) bis 3) geltend, dass die drei von den Klägerinnen benannten natürlichen Personen keinen Zugang zu den vertraulichen Informationen erhalten dürften, weil sie nach eigenen Angaben der Klägerinnen insbesondere dazu berufen seien, strategische Entscheidungen hinsichtlich der zum hiesigen Streitverfahren parallelen Streitverfahren in den USA zu treffen. Eine einmal erlangte Kenntnis der vertraulichen Informationen zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen könnten sie in diesem Zusammenhang nicht ausblenden. Ohne den vorliegenden Rechtsstreit hätten die drei benannten Personen keine Kenntnis von den vertraulichen Informationen und könnten diese gerade nicht in anderen Verfahren in anderen Jurisdiktionen als Basis für zu treffende strategische Entscheidungen nutzen. Vor diesem Hintergrund überwögen die Interessen der Beklagten die Interessen der Klägerseite.
Für die näheren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen (vgl. Workflows zu App_26934/2024, App_36698/2024 und App_40530/2024).
Der Berichterstatter hat mit Anordnung vom 09.07.2024 (ORD_40677/2024) die Zugangsgewährung an die drei benannten Personen der Klägerinnen einstweilen bis zur Entscheidung des Spruchkörpers über den Antrag gem. R. 333 VerfO zurückgestellt.
Die Beklagten zu 1) bis 3) beantragen, die Überprüfung der Anordnung des Berichterstatters gem. R. 262A vom 03.07.2024 durch den Spruchkörper gem. R. 333 VerfO.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Der zulässige Antrag (I.) bleibt in der Sache ohne Erfolg (II.).
- I. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft.
Der Begriff der verfahrensleitenden Entscheidung oder Anordnung i.S.d. R. 333.1 VerfO ist weit auszulegen (vgl. Berufungsgericht, Anordnung vom 21.03.2024, UPC_CoA_486/2023, GRUR-RS 2024, 9289 Rn. 33 ff.). Die Anordnung, mit der über einen Antrag gem. R. 262A VerfO entschieden
wird, ist eine solche verfahrensleitende Anordnung. Mit ihr wird auf Antrag angeordnet, ob und ggf. welche Informationen aus Schriftsätzen und ggf. welche Beweismittel im Verhältnis der Parteien zueinander vertrauliche Informationen enthalten und wer ggf. aus dem Kreis der Parteien Zugang hierzu erhält. Mit einer Anordnung gem. R. 262A VerfO wird das aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgende grundsätzliche Recht der Parteien auf uneingeschränkten Zugang zum Streitstoff (vgl. R. 262A.3, R. 264 VerfO) eingeschränkt. Die Anordnung hat daher Einfluss auf die Verfahrensgestaltung und ist damit eine verfahrensleitende Anordnung.
- II. Der Antrag auf Überprüfung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Spruchkörper übt die Befugnis zur Anordnung von Maßnahmen nach R. 262A VerfO in gleicher Weise wie der Berichterstatter aus.
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- Mit Recht wurden die von den Klägerinnen benannten drei Personen in der Anordnung vom 03.07.2024 nicht vom Zugang zu den als vertraulich einzustufenden Informationen zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen ausgeschlossen.
Ob und inwieweit der Zugriff einer Partei auf bestimmte in eingereichten Schriftsätzen oder Beweismitteln enthaltene vertrauliche Informationen eingeschränkt wird, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei sind die Interessen der Verfahrensparteien gegeneinander abzuwägen. Auf Seiten der von einer möglichen Zugangsbeschränkung betroffenen Partei ist insbesondere deren Anspruch auf rechtliches Gehör und deren Recht auf eine wirksame Wahrnehmung ihrer Rechte in einem fairen Verfahren, auf Seiten der antragstellenden Partei insbesondere das Interesse des Geheimnisträgers am Schutz der vertraulichen Informationen in die Abwägung einzustellen. Das Gericht kann dem Antrag insbesondere dann stattgeben, wenn die vom Antragsteller angeführten Gründe für die Anordnung das Interesse der anderen Partei an einem uneingeschränkten Zugang zu den betreffenden Informationen oder Beweismitteln beträchtlich überwiegen (R. 262A.5 VerfO). Die Zahl der zugangsberechtigten Personen darf nicht größer sein als für die Einhaltung des Rechts der Verfahrensparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren erforderlich und muss mindestens eine natürliche Person jeder Partei sowie die jeweiligen Anwälte oder (anderen) Vertreter dieser Verfahrensparteien umfassen (R. 262A.6 VerfO, vgl. bereits Lokalkammer Mannheim UPC_CFI_359/2023 v. 21.3.2024 = GRUR Patent 2024, 253, 255 f. und inhaltsgleich Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_355/2023 ORD_7096/2024). Soweit die Zugangsberechtigung einer bestimmten Person in Rede steht, kommt es insbesondere auf deren Zuverlässigkeit und die Gewähr an, dass die Person die erlangte Kenntnis der vertraulichen Informationen nicht missbrauchen wird. Weiter kommt es insbesondere darauf an, welches Interesse auf Seiten der betroffenen Partei gerade am Zugang dieser Person besteht.
Nach dieser Maßgabe ist den drei benannten Personen der Klägerinnen aus den in der Anordnung vom 03.07.2024 angeführten Erwägungen Zugang zu gewähren. Zwar verleiht der Umstand, dass sich die Beklagten zu 1) bis 3) mit den vertraulichen Informationen gegen den Vorwurf einer Patentbenutzung verteidigen, ihrem Geheimhaltungsinteresse ein besonderes Gewicht. Ohne die Patentverletzungsklage der Klägerinnen hätten sich die Beklagten zu 1) bis 3) aller Voraussicht nach nicht veranlasst gesehen, die vertraulichen Informationen zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen gegenüber der Klägerseite offenzulegen. Entgegen der
Auffassung der Beklagten zu 1) bis 3) streiten jedoch die hervorgehobene Funktion der von den Klägerinnen benannten drei Personen in einschlägigen anderen anhängigen und potentiellen Patentverletzungsstreitigkeiten zwischen den Parteien und deren Befassung mit einschlägigen Schutzrechtsanmeldungen, Erteilungsverfahren und Rechtsbestandsverfahren nicht ausschlaggebend gegen eine Zugangsgewährung. Vielmehr haben die Klägerinnen ein gewichtiges Interesse daran, mit der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im vorliegenden Rechtsstreit intern gerade diejenigen Personen auf ihrer Seite zu befassen, die mit der einschlägigen Schutzrechtslage und Technik besonders vertraut sind (Lokalkammer Mannheim UPC_CFI_359/2023 v. 21.3.2024 = GRUR Patent 2024, 253, 254 und inhaltsgleich Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_355/2023 ORD_7096/2024 = GRUR-RS 2024, 7098 Rn. 29; Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_463/2023 ORD_8550/2024, Verfahrensanordnung vom 11.03.2024). Gegen eine Verwendung der vertraulichen Informationen zu verfahrensfremden Zwecken sind die Beklagten durch die Geheimhaltungsanordnung hinreichend geschützt. Als beim US-Patentamt zugelassene Vertreter sind die benannten Personen im Umgang mit vertraulichen Informationen bewandert. Anhaltspunkte für eine fehlende Zuverlässigkeit der benannten Personen, die vom Antragsteller des Antrags gem. R. 262A VerfO aufzuzeigen sind, sind nicht ersichtlich.
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- Auch im Übrigen übt der Spruchkörper seine Befugnis gem. R. 262A VerfO in gleicher Weise wie in der Anordnung vom 03.07.2024 aus und bestätigt die übrigen in der Anordnung getroffenen Maßnahmen.
Insbesondere ist die Anzahl von drei natürlichen Personen, die für die Klägerinnen Zugang erhalten sollen, im vorliegenden Rechtsstreit, wie in der Anordnung vom 03.07.2024 ausgeführt, nicht zu beanstanden. Aus den in der Anordnung vom 03.07.2024 angeführten Gründen ist ferner weder eine zahlenmäßige Begrenzung noch die namentliche Festlegung der für die Klägerinnen im vorliegenden Rechtsstreit tätigen EPG-Vertreter und deren interner Hilfskräfte, die jeweils Zugang zu den vertraulichen Informationen erhalten sollen, zu rechtfertigen. Wer aus diesem Kreis zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im vorliegenden Rechtsstreit für die Fallbearbeitung herangezogen wird, liegt im Dafürhalten der Klägerinnen und ihrer Prozessbevollmächtigten, solange wie im Streitfall keine vom Antragsteller des Antrags gem. R. 262A VerfO darzulegende Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit einer bestimmten Person vorliegen. Wie in der Anordnung vom 03.07.2024 ausgeführt, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen die Einhaltung der Vertraulichkeit und der Zweckbindung auf ihrer Seite sicherzustellen. Ein gerichtlich angeordneter Ausschluss von EPG-Vertretern, die Schutzrechtsanmeldungen der Klägerseite oder deren Schutzrechte in Rechtsbestandsverfahren betreuen, ist im Streitfall nicht gerechtfertigt, nachdem ein solcher Ausschluss schon für entsprechend befasste Mitarbeiter der Klägerseite wie erörtert nicht in Betracht kommt.
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- Da die Anordnung vom 03.07.2024 bestätigt wird, bestand keine Notwendigkeit, die Klägerinnen gesondert zur Stellungnahme zum Antrag der Beklagten zu 1) bis 3) gem. R. 333 VerfO aufzufordern.
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- Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben. Die Entscheidung über den Antrag der Beklagten zu 1) bis 3) gem. R. 262A VerfO erfolgt als Einzelfallentscheidung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls.
Ein Aufschub der Wirksamkeit der Zugangsgewährung ist nicht veranlasst. Selbst wenn letztendlich die Zugangsgewährung auf bestimmte Personen zu beschränken sein sollte, bieten die benannten Personen sowie die EPG-Vertreter und deren interne Hilfskräfte auf Seiten der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen in Ermangelung abweichender Anhaltspunkte eine hinreichende Gewähr, dass eine solche Beschränkung auch noch im Nachhinein umgesetzt werden kann und die vom Zugang nachträglich ausgeschlossenen Personen die Vertraulichkeit wahren.
ANORDNUNG
Der Antrag der Beklagten zu 1) bis 3) vom 09.07.2024 auf Überprüfung der Anordnung des Berichterstatters gem. R. 262A VerfO vom 03.07.2024 durch den Spruchkörper wird zurückgewiesen.
ANGABEN ZUR ANORDNUNG
Order no. ORD_42880/2024 in ACTION NUMBER: ACT_594191/2023
UPC number: UPC_CFI_471/2023
Action type:
Infringement Action
Related proceeding no. Application No.:
40530/2024
Application Type:
APPLICATION_ROP_333
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Erlassen in Mannheim am 22. Juli 2024
Dr. Peter Tochtermann Vorsitzender Richter
Dirk Böttcher Rechtlich qualifizierter Richter und Berichterstatter
Dr. Walter Schober Rechtlich qualifizierter Richter