
Central Division Paris Seat
UPC_CFI_367/2023
Anordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts,
erlassen am: 30/07/2024
Leitsätze:
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- Ob es sich bei der im Anschluss an die Zwischenanhörung nach R. 104 (k) VerfO einzureichenden vorläufigen Schätzung der Kosten des Rechtsstreits um vertrauliche Informationen im Sinne von Regel 262A VerfO handelt, deren Zugang für andere Verfahrensbeteiligte zu beschränken ist, ist durch Abwägung der gegenseitigen Interessen zu ermitteln. Dabei ist dem Recht auf Zugang zu den prozessgegenständlichen Informationen und dem damit verbundenen Recht auf rechtliches Gehör in besonderem Maße Rechnung zu tragen.
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- Im Antrag nach R. 262A VerfO kann ein Antrag auf Beschränkung des Zugangs der Öffentlichkeit zu für den Prozess relevante Informationen nach R. 262.2 VerfO implizit enthalten sein.
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- Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag nach R. 262.2 VerfO ist zugunsten der Öffentlichkeit in erster Linie deren allgemeines Informationsinteresse zu berücksichtigen. Die Anforderungen an eine Gewährung von Vertraulichkeit sind demgemäß gegenüber R. 262A VerfO herabgesetzt.
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- Das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnisnahme von durch Honorarvereinbarungen individuell festgelegten anwaltlichen Vergütungen in Patentstreitigkeiten tritt regelmäßig gegenüber dem Interesse der Prozesspartei an der Geheimhaltung der ausgehandelten Honorare zurück.
Rechtssache (Hauptsache): UPC_CFI_367/2023, ACT_580198/2023 zum Patent: EP 2 681 034 B1
zwischen
CEAD B.V., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach niederländischem Recht, mit Sitz in Schieweg 25, 2627 AN Delft, Niederlande, und
CEAD USA B.V., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach niederländischem Recht, mit Sitz in Schieweg 25, 2627 AN Delft, Niederlande
-Klägerinnen / Antragsgegnerinnen-
Prozessbevollmächtigte:
Dr. Wim Maas (112021/2023), Taylor Wessing N.V., Parnassusweg 807, 1082 LZ Amsterdam, Niederlande,
Dr. Alexander Rubusch (560314/2023), Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB, Benrather Straße 15, 40213 Düsseldorf, Deutschland, gegen
BEGO Medical GmbH, e ine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht, mit Sitz in Wilhelm-Herbst-Strasse 1, 28359 Bremen, Deutschland,
- Beklagte / Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte:
Dr.-Ing. Lars Birken, Dr.-Ing. Florian Henke, Philipp Neels, Eisenführ Speiser Rechtsund Patentanwälte, Johannes-Brahms-Platz 1, 20335 Hamburg, Deutschland,
Spruchkörper
Zentralkammer Paris
Entscheidender Richter
Diese Anordnung wurde vom Richter Maximilian Haedicke als Berichterstatter erlassen.
Verfahrenssprache: Deutsch
Gegenstand des Verfahrens:
Nichtigkeitsklage betreffend EP 2 681 034 B1
Gegenstand der Anordnung: Geheimnisschutz gemäß R. 262A und R. 262.2 VerfO
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Anordnung von Zugangsbeschränkungen gemäß R. 262A VerfO. Diese hat die Antragstellerin hinsichtlich Informationen über ihre Anwaltskosten beantragt, die sie in zwei Anlagen, Anlage ES8 - confidential - und Anlage ES9, zu ihrem Schriftsatz vom 20.06.2024 im Rahmen einer Aufstellung der notwendigen Kosten im Nichtigkeitsverfahren übermittelt hat.
Den Parteien wurde im Anschluss an die Zwischenanhörung gemäß Ziffer 7 der Verfahrensanordnung vom 05.06.2024 auf Grundlage der R. 104(k) VerfO aufgegeben, eine detaillierte Auflistung ihrer zu erwartenden Kosten gegebenenfalls zusammen mit einer zusätzlichen geschwärzten Fassung vorzulegen und die Auflistung als vertraulich zu kennzeichnen.
Die Antragstellerin als Nichtigkeitsbeklagte hat daraufhin mit Stellungnahme vom 20.06.2024 eine Anlage ES8 - confidential - eingereicht, die eine ungeschwärzte Auflistung der von ihr erwartenden Kosten enthält, sowie eine geschwärzte Fassung dieser Auflistung in der Anlage ES9.
In dieser Auflistung sind die Arbeitsstunden der im Verfahren beteiligten Rechts- und Patentanwälte sowie die daraus resultierenden Honorarforderungen enthalten.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, bei den Aufstellungen der angefallenen und voraussichtlichen Kosten handele es sich um geheimhaltungsbedürftige Informationen, die die Mandatsbeziehung betreffe. Die Aufstellung diene ausschließlich der Kostenfestsetzung des Gerichts für das Verfahren, weshalb ein Zugang den Klägerinnen und deren Vertreter zu der Anlage ES8 - confidential - für diesen Zweck nicht erforderlich sei. Ein schützenswertes Interesse der Klägerinnen am Zugang sei nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass sich die Parteien in Vergleichsverhandlungen befänden und Angaben zu den internen Kostenschätzungen, angefallenen Kosten sowie daraus resultierenden Kostenrisiken wesentliche Informationen für die Auslotung der Verhandlungspositionen seien, weshalb sie gerade in diesem Stadium eines laufenden Verfahrens der Geheimhaltung bedürfen. Um sicherzustellen, dass die Kostenentscheidung durch das Gericht für die Parteien nachvollziehbar bleibt, sei deshalb auch nur den Vertretern der Antragsgegnerinnen als Klägerinnen Zugang zur Anlage ES9 zu gewähren.
Dritten, nicht an dem Verfahren beteiligten Personen sei kein Zugang zu den Kostenschätzungen der Parteien zu gewähren. Es bestehe kein schützenswertes Interesse der Öffentlichkeit an diesen internen, vertraulichen Informationen. Sofern es um ein allgemeines Interesse bezüglich des Kostenrisikos eines Klageverfahrens gehe, sei für dieses ein Zugang zur Entscheidung des Gerichts vollkommen ausreichend.
Die Antragstellerin beantragt, anzuordnen, dass der Zugriff auf die Anlage ES8 - confidential dahingehend eingeschränkt wird, dass ausschließlich das Gericht Zugang erhält;
hilfsweise, dass ausschließlich das Gericht und die Vertreter der Klägerinnen Zugang zur Anlage ES8 - confidential - erhalten, wobei die Vertreter der Klägerinnen auch gegenüber den Klägerinnen über den Inhalt der Anlage zur Verschwiegenheit verpflichtet sind,
und weiter
anzuordnen, dass der Zugriff auf die Anlage ES9 dahingehend eingeschränkt wird, dass ausschließlich das Gericht und die Vertreter der Klägerinnen Zugang zu der Anlage ES9 erhalten, wobei die Vertreter der Klägerinnen auch gegenüber den Klägerinnen über den Inhalt der Anlage zur Verschwiegenheit verpflichtet sind;
hilfsweise,
dass ausschließlich das Gericht, die Vertreter der Klägerinnen und die Geschäftsführer der Klägerinnen Zugang zu der Anlage ES9 erhalten.
Die Antragsgegnerinnen beantragen
die Abweisung der Anträge der Antragstellerin auf beschränkten Zugang zu den Anlagen ES8 - confidential - und ES9.
Die Antragsgegnerinnen sind der Ansicht, dass eine Kenntnis der Gesamtsumme ohne Aufschlüsselung der Kosten nicht ausreiche, um es ihnen zu ermöglichen, hinreichend zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für einen allfälligen Kostenersatz nach Art. 69 EPGÜ vorliegen oder ob sie sich hiergegen auszusprechen habe. Eine Beurteilung ob und inwieweit 'zumutbare und angemessene' Kosten im Sinne von Art. 69 Abs. 1 EPGÜ vorliegen, könne nur bei Kenntnis einer detaillierten Kostenaufschlüsselung beurteilt werden.
Im vorliegenden Fall sei die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Beklagte anstelle der ursprünglich erhobenen 138 Hilfsanträge noch 72 eingebracht habe. Deshalb sei ein großer Teil der verzeichneten Kosten nicht zumutbar und angemessen im Sinne von Art. 69 Abs. 1 EPGÜ, sodass eine starke Reduzierung des von der Beklagten geltend gemachten Kostensatzes vorzunehmen sein werde.
Aufgrund dessen sei offensichtlich, dass eine Beschränkung des Zugangs zur Kostenaufstellung gemäß Anlage ES8 ausschließlich auf das Gericht unangemessen und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragsgegnerinnen sei. Eine Beschränkung des Zugangs zur Kostenaufstellung gemäß Anlage ES8 sowie die Beschränkung des Zugangs zur geschwärzten Kostenaufstellung gemäß Anlage ES9 ausschließlich auf das Gericht und die Vertreter der Klägerinnen, wobei letztere auch gegenüber den Klägerinnen über den Inhalt der Anlage zur Verschwiegenheit verpflichtet wären, wäre in der Praxis kaum durchführbar, denn es müsse der Kostenersatz von den Klägerinnen geleistet werden.
Abgesehen davon sei nicht ersichtlich, worin das Geheimhaltungsinteresse an den geltend gemachten Verfahrenskosten liege. Die Antragsgegnerinnen müssten kein schützenswertes Interesse an einer Offenlegung der Kosten dartun, das sich aber aus Art. 69 Abs. 1 EPGÜ ergebe, sondern die Beklagte ein Interesse an der Geheimhaltung dieser Informationen. Ein Geheimhaltungsinteresse der Antragstellerin bestehe auch nicht im Lichte von Vergleichsgesprächen. Da es im konkreten Fall allein um die ersatzfähigen Kosten des Verfahrens und deren Aufschlüsselung ginge, seien interne Kostenschätzungen und Kostenrisiken von vornherein nicht Gegenstand der für eine Kostenerstattung relevante Aufstellung der Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe
Die Anträge der Antragstellerin, den Zugriff auf die in den Anlagen ES8 - confidential -und ES9 enthaltenen Informationen gegenüber den Antragsgegnerinnen zu beschränken, sind zurückzuweisen.
Dem Antrag auf die Beschränkung des Zugangs zu den in den Anlagen ES8 confidential - und ES9 enthaltenen Informationen gegenüber der Öffentlichkeit, ist stattzugeben.
Nach Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a der Richtlinie (EU) 2016/943 (sog. Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen) ist vorgesehen, dass in einem gerichtlichen Verfahren auf Antrag der Zugang zu von den Parteien oder Dritten vorgelegten Dokumenten, die Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse enthalten, ganz oder teilweise auf eine begrenzte Anzahl von Personen beschränkt werden kann. Der Schutz vertraulicher Informationen ist im EPGÜ in Artikel 58 vorgesehen und in der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts in R. 262A implementiert (vgl. EPG (LK Hamburg), Anordnung vom 03.11.2023 - UPC_CFI_54/2023; EPG (LK Düsseldorf), Anordnung vom 23.02.2024 - UPC_CFI_463/2023).
In Betracht kommt eine Geheimhaltungsanordnung gemäß R. 262A.1 VerfO dahingehend, dass der Zugang der Nichtigkeitsklägerinnen auf die von der Nichtigkeitsbeklagten eingereichten Anlagen ES8 - confidential - und ES9 beschränkt wird.
Ob und inwieweit der Zugriff einer Partei auf bestimmte in eingereichten Schriftsätzen oder Anlagen enthaltene Informationen eingeschränkt wird, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls durch eine Abwägung zwischen den Interessen den Parteien zu ermitteln (vgl. R. 262A.5 VerfO). Dabei ist auf Seiten der von der Zugangsbeschränkung betroffenen Partei insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör zur Wahrnehmung ihrer Rechte in einem fairen Verfahren zu berücksichtigen und
auf Seiten der antragstellenden Partei ihr Interesse am Schutz ihrer vertraulichen Informationen.
Wie das EPG (LK Düsseldorf) im Beschluss vom 27.03.2024 - UPC CFI 355/2023, Rn. 19 klargestellt hat, dem sich der Berichterstatter anschließt, muss eine Partei, die den Schutz vertraulicher Informationen beantragt, hinreichend substantiiert darlegen, warum sie glaubt, dass die betreffenden Informationen schutzwürdig sind. Es reicht nicht aus, sich auf allgemeine Umstände zu berufen, wie z. B. dass zwischen den Streitparteien ein Wettbewerb besteht. Das Gericht muss in die Lage versetzt werden, nachvollziehen zu können, warum der Antragsteller glaubt, dass die konkrete zu schützende Information schutzbedürftig und vertraulich ist.
Ob das Vorbringen der Antragstellerin, die in den Anlagen enthaltenen Informationen seien in aktuellen Vergleichsverhandlungen relevant, diesen Anforderungen genügt, erscheint fraglich. Denn mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen könnte man sich in allen Verfahren, in denen Vergleichsverhandlungen zu Gange sind, wie es oft der Fall ist, darauf berufen, die Information über anfallende Anwaltskosten sei schutzwürdig und deshalb geheim zu halten.
Im Ergebnis kann dies aber dahinstehen, soweit auch unter anderen Gesichtspunkten eine Beschränkung des Zugangs zu den Informationen ausscheidet.
Soweit die Antragstellerin hinsichtlich der Anlage ES8 - confidential - und bezogen auf die Anlage ES9 beantragt, dass nur dem Gericht und hilfsweise den anwaltlichen Vertretern der Nichtigkeitsklägerinnen Zugang zu den Anlagen gewährt werden soll, sind die Anträge abzuweisen.
Insoweit schließt sich das Gericht der Auffassung an, dass der Kreis zugangsberechtigter Personen neben den anwaltlichen oder sonstigen Vertretern grundsätzlich mindestens eine natürliche Person jeder Partei umfassen muss (so auch EPG (LK Düsseldorf), Beschluss vom 23.02.2024, UPC_CFI_463/2023; EPG (LK Düsseldorf), Beschluss vom 27.03.2024 - UPC_CFI_355/2023 ORD_7096/2024, Rn. 26; EPG (LK Mannheim), Anordnung vom 22.07.2024 - UPC_CFI_471/2023; a.A. EPG (LK Den Haag), Beschluss vom 04.03.2024 - UPC_CFI_239/2023, App_589842/2023, Rn. 10; wohl auch EPG (LK Mailand), Beschluss vom 06.05.2024 - UPC_CFI_241/2023). Eine weitergehende Beschränkung ist weder mit Art. 9 der Richtlinie (EU) 2016/943 noch mit R. 262A.6 VerfO vereinbar. Im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung ist demgemäß Art. 58 EPGÜ unter Berücksichtigung von Art. 9 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2016/943 auch so zu verstehen, dass der Kreis zugangsberechtigter Personen mindestens eine natürliche Person jeder Partei umfassen muss. Nur so wird dem grundlegenden Recht auf rechtliches Gehör und dem Recht auf ein faires Verfahren (vgl. Art. 76 II EPGÜ, 47 II GrCh, 6 I EMRK) hinreichend Rechnung getragen.
Ob etwas Anderes gelten kann, wenn die Parteien sich mit einer Beschränkung auf die anwaltlichen Vertreter als einen sog. 'confidentiality club' einverstanden erklären (so EPG (LK Den Haag), Beschluss vom 04.03.2024, UPC_CFI_239/2023; EPG (LK Paris), Beschluss vom 26.03.2024, UPC_CFI_397/2023), kann dahinstehen, da eine solche Übereinkunft nicht vorliegt.
In Betracht kommt dementsprechend nur eine Begrenzung auf einen größeren Personenkreis einschließlich mindestens einer natürlichen Person aus dem Lager der Antragsgegnerinnen, wie ihn die Antragstellerin hilfsweise im Hinblick auf die Anlage ES9 beantragt. Der hilfsweise gestellte Geheimhaltungsantrag betreffend Anlage ES8 confidential - wird aufgrund ihres Interesses, möglichst wenigen Personen Zugang zu den enthaltenen Informationen zu ermöglichen, richterlich wohlwollend so ausgelegt, dass dieser Antrag auch eine Beschränkung auf einen größeren Personenkreis als von ihr bezeichnet, also einen Personenkreis mit mindestens einer natürlichen Person aus dem Lager der Antragsgegnerinnen, umfasst.
In der erforderlichen Abwägung sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
Die Antragstellerin begründet ihren Antrag insbesondere damit, dass diese Angaben ohne Geheimhaltungsmaßnahmen der gegnerischen Partei in parallel stattfindenden Vergleichsverhandlungen eine Auslotung der Verhandlungspositionen ermöglichen würden.
Zugleich handelt es sich bei den von ihr als schutzwürdig vorgebrachten Informationen gerade nicht um Informationen, die den Hauptgegenstand des Gerichtsverfahrens betreffen oder unmittelbar das unternehmerische Handeln der Antragstellerin beeinflussen, wie es zum Beispiel der Fall wäre, stünden technische Informationen aus der Forschung und Entwicklung oder abgeschlossene Lizenzverträge zum Gegenstand des Geheimhaltungsantrags. Es handelt sich um Informationen, die nicht dem originären wirtschaftlichen oder unternehmerischen Handel entspringen, sondern erst durch eine Rechtsstreitigkeit Bedeutung gewonnen haben.
Zugunsten der Antragsgegnerinnen ist ihr Recht auf ausreichenden Zugang zu grundsätzlich allen von einer Partei gegenüber dem Gericht vorgetragenen Informationen zu berücksichtigen. R. 262A stellt eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass alle von einer Partei in ein Verfahren eingereichten Informationen und Unterlagen der anderen Partei zur Kenntnis gelangen müssen und diese die Möglichkeit gehabt haben muss, Stellung zu beziehen (vgl. Art. 76 Abs. 2 EPGÜ). Nur wenn die Parteien im Verfahren die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Positionen zu bestimmten Streitpunkten vorzutragen und zu verteidigen, was voraussetzt, dass alle Parteien zu den eingereichten Informationen und Stellungnahmen selbst Stellung beziehen können, kann von gleichberechtigten Parteien gesprochen werden und ihr Recht auf 'prozessuale Waffengleichheit' wird realisiert. Insofern bedarf es grundsätzlich nicht eines gesondert zu begründendes (schutzwürdiges) Interesses am Zugang zu den Informationen. Vielmehr liegt die Darlegungs- und Beweislast bei derjenigen Partei, die ausnahmsweise eine Geheimhaltung von Informationen begehrt.
Ein besonderes Gewicht kommt dem Interesse auf uneingeschränkten Informationszugang immer dann zu, wenn ein erkennbar begründetes und
schutzwürdiges Interesse daran besteht, zu den von der gegnerischen Partei als schutzwürdig vorgebrachten Informationen, Stellung zu beziehen und diesbezüglich vortragen zu können.
Im vorliegenden Verfahren haben die Nichtigkeitsklägerinnen und Antragsgegnerinnen dargelegt, dass ihnen die bloße Nennung einer Gesamtsumme der Kosten oder ein Zugänglichmachen der geschwärzten Fassung der Aufstellung in der Anlage ES9 es nicht ermöglichen würde, zu beurteilen, ob die Voraussetzungen eines Kostenersatzes nach Art. 69 EPGÜ vorliegen. Ein Ersatz der Kosten des Rechtsstreits und sonstiger Kosten zugunsten der obsiegenden Partei ist gemäß Art. 69 Abs. 1 EPGÜ jedoch nur dann vorzunehmen, 'soweit sie zumutbar und angemessen sind'.
Den Nichtigkeitsklägerinnen und Antragsgegnerinnen wäre es nicht möglich, sich gegen unangemessene und unzumutbare Kosten zur Wehr zu setzen, die sie möglicherweise zu tragen hätten, wenn sie nicht wüssten, wie sich diese Kosten konkret aufteilen und darstellen. Vielmehr müssten sie, wenn ihnen nur die Gesamtkosten bekannt würden, diese unsubstantiiert und pauschal in Abrede stellen. Eine rechtliche Argumentation und Verteidigung, sowie angemessene anwaltliche Prozessvertretung wäre unmöglich. Dies geht nicht nur mit einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Rechts der Antragsgegnerinnen auf rechtliches Gehör einher, das auch das Recht auf hinreichende Information umfasst, sondern würde auch eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren begründen (vgl. Art. 76 II EPGÜ, 47 II GrCh, 6 I EMRK).
Darüber hinaus erschwert es die Rechtsfindung des Gerichts, das grundsätzlich nur dann über Umstände entscheiden kann, zu denen beide Seiten des Rechtsstreits gehört werden können.
Insofern sind insbesondere auch die negativen Folgen einer Offenbarung der Informationen für die Antragstellerin und die Folgen einer Geheimhaltung der Informationen für die Antragsgegnerinnen zu vergleichen.
Für die Antragstellerin ergibt sich nach ihrem Vorbringen bei der Offenlegung ihrer genauen Kostenpositionen in einer Vergleichsverhandlung eine schlechtere Verhandlungsposition und ihr könnten so wirtschaftliche Nachteile erwachsen.
Hingegen ist mit einer Geheimhaltung für die Antragsgegnerinnen eine Schlechterstellung im anhängigen Gerichtsverfahren verbunden, die im Ergebnis dazu führen könnte, dass sie - durch Gerichtsurteil beschieden - die Kosten des Rechtsstreits der Gegenseite tragen müssten, obwohl diese der Gegenseite rechtlich nicht zustünden. Mangels Kenntnis der Berechnungsgrundlage bestünde für sie keine Möglichkeit, gegen die Kostenentscheidung auf Grundlage der ihrer Auffassung nach unzumutbaren und unangemessenen Kosten vorzugehen. Damit könnte eine Geheimhaltung auch eine hoheitlich falsche Entscheidung mit negativen wirtschaftlichen Folgen für die Antragsgegnerinnen bedingen.
Unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Rechts auf ausreichenden Zugang zu den prozessgegenständlichen Informationen und dem damit verbundenen Recht auf rechtliches Gehör der Antragsgegnerinnen sowie der erforderlichen
Wahrheitsfindung durch das Gericht ist nach Abwägung der widerstreitenden und dargestellten Interessen der Antrag auf Geheimhaltung der Anlagen ES8 - confidential und ES9 gegenüber den Antragsgegnerinnen abzuweisen.
Die von der Antragstellerin ausdrücklich gestellten Anträge auf Geheimhaltung der Informationen gegenüber der Antragsgegnerseite gemäß R. 262A VerfO enthalten als 'Minus' einen Antrag auf vertrauliche Behandlung der Informationen gegenüber der Öffentlichkeit gemäß R. 262.2 VerfO.
Die Antragstellerin führt in ihrem Schriftsatz vom 21.06.2024 in Rn. 9 aus, dass Dritten, nicht an dem Verfahren beteiligten Personen, kein Zugang zu den Kostenschätzungen der Parteien zu gewähren sei. Aufgrund dieses Vorbringens und des damit verbundenen hervorgetretenen Interesses, möglichst wenigen Personen Zugang zu den Informationen über ihre Kosten zu gewähren, können ihre Anträge nach R. 262A VerfO richterlich wohlwollend dahingehend ausgelegt werden, dass diese auch einen Antrag gemäß R. 262.2 VerfO auf Geheimhaltung der vertraulichen Informationen gegenüber der Öffentlichkeit umfassen.
Hierfür spricht auch der Umstand, dass eine Anordnung der Geheimhaltung bestimmter Informationen im Verhältnis zur anderen Partei gemäß R. 262A VerfO stets auch die Zugänglichkeit der Informationen für die Öffentlichkeit im Register gemäß R. 262 VerfO ausschließt (so auch Tillmann/Plassmann/v. Falck/Stoll, EPGVerfO R. 262A Rn. 24). Denn andernfalls könnte die von der Zugangsbeschränkung betroffene Antragsgegnerseite über eine Registereinsicht an die vertraulichen Informationen gelangen. In einer Beschränkung des Informationszugangs für Verfahrensbeteiligte gemäß R. 262A ist damit stets ein Ausschluss der Öffentlichkeit vom Zugang zu den Informationen gemäß R. 262 VerfO als 'Minus' enthalten. Wenn eine Anordnung nach R. 262A VerfO auch die Rechtsfolge der R. 262.2 VerfO umfasst, beinhaltet ein Antrag auf Geheimhaltung verfahrensgegenständlicher Informationen über Honorare gegenüber Verfahrensparteien im Sinne der R. 262A VerfO auch einen Antrag auf Vertraulichkeit gegenüber der Öffentlichkeit nach R. 262.2 VerfO.
Anders als R. 262A VerfO, der die Beschränkung des Zugangs verfahrensgegenständlicher Informationen gegenüber Verfahrensparteien regelt, befasst sich R. 262.2 VerfO mit dem Zugang zu verfahrensgegenständlichen Informationen für die Öffentlichkeit und Dritte. R. 262 VerfO ist insoweit eine Ausprägung des Grundsatzes der Verfahrensöffentlichkeit (vgl. Art. 45 EPGÜ) und regelt den Zugang zu den im Register enthaltenen Verfahrensinformationen.
Während für die Verfahrensbeteiligten, die von einer möglichen Anordnung der Vertraulichkeit nach R. 262A VerfO betroffen wären, insbesondere das grundlegende Recht auf rechtliches Gehör und ihr Recht auf ein faires Verfahren streitet, ist im Rahmen der Entscheidung über den Antrag nach R. 262.2 VerfO lediglich das allgemeine öffentliche Informationsinteresse zu berücksichtigen. Die Anforderungen an eine Gewährung der Beschränkung der Veröffentlichung sind demgemäß herabgesetzt.
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ergibt die auch im Rahmen der R. 262.2 VerfO erforderliche Abwägung, dass diesem Antrag statt zu geben ist:
Zwar hat die Öffentlichkeit ein nachvollziehbares Interesse daran, zu erfahren, von wem und in welchem Umfang in einem Gerichtsverfahren die Kosten des Verfahrens getragen werden müssen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass Dritte als Teil der Öffentlichkeit bei Kenntnis der Kostenentscheidungen abschätzen können, ob sie das entsprechende Prozess- und Kostenrisiko für künftige, eigene in Betracht kommende Gerichtsverfahren eingehen möchten.
Da aber ohnehin die anwaltlichen Vergütungen in Patentstreitigkeiten in aller Regel durch Honorarvereinbarungen individuell vereinbart werden, lassen sich aus der Kenntnis angefallener und anfallender anwaltlicher Kosten keine fundierten Rückschlüsse auf mögliche eigene Kosten in einem anderen Gerichtsverfahren ziehen. Sofern eine Vergütung nach der gesetzlich vorgesehenen Vergütung erfolgt, ergibt sich die Höhe der Vergütung bereits aus dem Gesetz.
Zugleich besteht ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin daran, dass ihre mit den anwaltlichen Vertretern individuell ausgehandelten Honorare der Öffentlichkeit gegenüber geheim bleiben.
Auch aus der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit folgt nichts Anderes. Diese wird durch einen Zugang zur Entscheidung des Gerichts über die Frage, von welcher Partei und in welcher Höhe die Kosten zu tragen sind, ausreichend ermöglicht.
Dem Antrag nach R. 262.2 VerfO auf vertrauliche Behandlung der Informationen gegenüber der Öffentlichkeit ist deshalb stattzugeben.
Anordnung
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- Der auf Schutz vertraulicher Informationen gemäß R. 262A VerfO gerichtete Antrag der Antragstellerin vom 21.06.2024 betreffend die Beschränkung des Zugangs zu den Anlagen ES8 -confidential -sowie ES9 für die Antragsgegnerinnen wird zurückgewiesen.
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- Dem Antrag auf vertrauliche Behandlung gemäß R. 262.2 VerfO gegenüber der Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Anlagen ES8 - confidential - und ES9 stattgegeben.
Berichterstatter: Maximilian Haedicke
Details der Anordnung
Anordnung Nr. ORD_39244/2024 im VERFAHREN NUMMER: ACT_580198/2023 UPC Nummer: UPC_CFI_367/2023
Art des Vorgangs:
Klage auf Nichtigerklärung
Nr. des dazugehörigen Verfahrens Antragsnr.:
37662/2024
Art des Antrags:
APPLICATION_ROP262A