
Lokalkammer Wien UPC_CFI_33/2024
Verfahrensanordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Wien betreffend das Europäische Patent 2 643 717 erlassen am 30/07/2024
Leitsatz:
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- Das für die Zulässigkeit der Streithilfe erforderliche rechtliche Interesse ist dann gegeben, wenn die Streithelferin über ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Erlass der von der unterstützten Partei beantragten Anordnung oder Entscheidung verfügt.
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- Ein solches rechtliches Interesse kann jedenfalls bejaht werden, wenn behauptet wird, das von der Streithelferin angekaufte Produkt verletze das Streitpatent.
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- Während Art 69 Abs 4 EPÜ lediglich die Leistung einer Prozesskostensicherheit des Klägers vorsieht, erweitert R 158 VerfO den Kreis der Adressaten einer solchen Anordnung auf 'die Parteien' und damit auch auf eine Streithelferin, wenn sie zugelassen wird.
Schlagwörter:
Streithilfe; Prozesskostensicherheit
Klagende Partei:
SWARCO Futurit Verkehrssignalsysteme GmbH, Manfred-Swarovsky-Straße 1, 7343 Neutal,
vertreten durch:
Rechtsanwalt MMag. Alexander Koller, NOMOS Rechtsanwälte GmbH, Ledererhof 2, 1010 Wien
elektronische Zustelladresse:
office@nomos.legal
mitwirkend:
Patentanwalt Werner Barger, pA Barger Piso & Partner Patentanwölte, Operngasse 4, 1010 Wien
Beklagte Partei:
STRABAG Infrastructure & Safety Solutions GmbH, Ignaz-Köck-Straße 19, 1210 Wien
beide vertreten durch:
Patentanwalt Dr. Rainer Beetz,
SONN Patentanwälte GmbH & Co KG, Riemergasse 14, 1010 Wien
elektronische Zustelladresse:
office@sonn.at
Streithelferin:
Chainzone Technology (Foshan) Co., Ltd., Chainzone Tech. Industrial Park Taishan Bei Rd., Sanshan Avenue, Nanhai District, Foshan City, Guangdong Province, P.R., 528200, China vertreten durch:
Patentanwalt DI Bernhard Henhapel, Kliment & Henhapel Patentanwälte OG, Gonzagagasse 15, 1010 Wien
Rechtsanwalt Dr. Dominik Göbel Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH, Wollzeile 3/Lugeck 6, 1010 Wien
elektronische Zustelladresse: office@gassauer.com
STREITPATENT:
EUROPÄISCHES PATENT 2 643 717
SPRUCHKÖRPER/KAMMER:
Spruchkörper der Lokalkammer Wien
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter und Berichterstatter Dr. Schober erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND : R. 314 VerfO -Anordnung bezüglich eines Streithilfeantrags
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer Verletzung ihres europäischen Patents EP 2 643 717 B1 in Anspruch.
Das Streitpatent betrifft eine farb- und lichtmischende Sammeloptik für bildgebende Anzeigetafeln im Freien für Spotlichter oder Signalisierung, bestehend aus einer LED-Lichtquelle sowie einem davor angeordneten Lichtleiterstab und einer Sammellinse.
Die Beklagte erhielt mit öffentlicher Bekanntmachung vom 22.10.2022 von der ASFINAG den Auftrag, an den Standorten A12, VKP Kundl, RFB Innsbruck, AQ km 22, 525 und AQ km 23,007 die vorhandenen Prismenwender durch LED-Wechselverkehrszeichen bis 14.04.2023, im Übrigen bis 31.08.2023 zu erneuern (Beilage K8).
Die Beklagte installierte in der Folge an den auftragsgegenständlichen Standorten LEDWechselverkehrszeichen, die sie durchwegs von der chinesischen Herstellerin Chainzone (Foshan) Technology Co., Ltd. (=Streihilfeantragstellerin) bezog.
Mit Schriftsatz vom 6.6.2024 stellte die Chainzone Technology (Foshan) Co. Ltd. einen Streithilfeantrag nach R 313 VerfO.
Keine der Parteien hat dem Beitritt widersprochen. Die Klägerin beantragte jedoch
- · die Frist zur Einreichung eines Streithilfeantrags so festzusetzen, dass sie spätestens am 31.7.2024 endet, sodass sie zum Streithilfeschriftsatz noch in ihrer Replik Stellung nehmen könne;
- · der Chainzone Technology (Foshan) Co. Ltd. aufzutragen, binnen 14 Tagen, in eventu binnen einer vom Gericht festzusetzenden Frist, für die Kosten des Rechtsstreits und die sonstigen der Klägerin in Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verletzungsverfahren möglicherweise noch entstehenden Kosten, eine angemessene Prozesskostensicherheit in Höhe von EUR 144.000 durch Hinterlegung bei Gericht oder durch Erlag einer Bankgarantie zu leisten.
Begründend führte sie an, dass die Streithelferin bereits von der Beklagten über den Inhalt des Verfahrens vorinformiert sei; sie könne daher in einer knapp bemessenen Frist ihren Streithilfeschriftsatz einbringen, womit das Verfahren nicht unverhältnismäßig verzögert werde. Die Streithelferin habe ihren Sitz in der Volksrepublik China. China sei weder Mitgliedsstaat des Haager Prozessübereinkommens 1954 noch bestünden bilaterale Abkommen, die eine Vollstreckung einer (Kosten-)Entscheidung ermöglichen würden. Es sei daher zu befürchten, dass die Klägerin den ihr im Falle eines Obsiegens gegen die Streithelferin zustehenden Anspruch auf Prozesskostenerstattung nach Art 69 EPGÜ nicht durchsetzen könnte. Die Höhe der begehrten Prozesskostensicherheit ergebe sich aus den Beträgen, die die Streithelferin der Klägerin, gemäß dem Beschluss des Verwaltungsausschusses zu den Obergrenzen für erstattungsfähige
Vertretungskosten jeweils für das Verfahren erster Instanz und ein denkbares Berufungsverfahren höchstens zu ersetzen hätte (i.e. je EUR 56.000), sowie den weiters zu erstattenden Gerichtsgebühren für das Verfahren erster Instanz und ein Berufungsverfahren (i.e. je EUR 11.000). Hinzu kämen mit EUR 10.000 angesetzte Kosten des von der Klägerin beantragten Sachverständigen.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Der Streithilfeantrag der Streithelferin ist unter der Maßgabe zulässig, dass die Streithelferin bis zum 20. August 2024 eine Prozesskostensicherheit in Höhe von EUR 134.000 beim Einheitlichen Patentgericht hinterlegt (Details über die erforderliche Vorgehensweise siehe näher https://www.unified-patent-court.org/en/court/payments Punkt 3 . 'deposit of security for costs') .
Gemäß R. 314.2 VerfO ist ein Streithilfeantrag vor Abschluss des schriftlichen Verfahrens zu stellen.
Dieser Anforderung hat die Streithelferin entsprochen. Sie hat ihren Antrag noch vor Einreichung der Replik im Verletzungsverfahren gestellt.
Die Streithelferin verfügt über ein rechtliches Interesse am Ausgang des Verfahrens (R. 313.1 VerfO).
a) Ein solches rechtliches Interesse ist gegeben, wenn die Streithelferin über ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Erlass der von der unterstützten Partei beantragten Anordnung oder Entscheidung verfügt. Nicht ausreichend ist ein sich lediglich auf die Klagegründe beziehendes Interesse. Dabei ist zwischen potenziellen Streithelfern, die ein unmittelbares Interesse an der Entscheidung über den konkreten Antrag der unterstützten Partei haben, und solchen, die nur ein mittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nachweisen können, zu unterscheiden. Ähnelt die Position der Streithelferin lediglich derjenigen einer der Parteien, ist dies für ein rechtliches Interesse nicht ausreichend (UPC_CoA_404/2024, Anordnung v. 10. Januar 2024, App_584498/2023, Rz. 10; UPC_CFI_363/2023, Anordnung v. 22. April 2024, ORD_5343/2024).
- b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein ausreichendes rechtliches Interesse der Streithelferin
am Ausgang des Rechtsstreits gegeben.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe im Rahmen des Auftrags von der ASFINAG LEDWechselverkehrszeichen der Streithelferin eingesetzt, welche ihr europäisches Patent EP 2 643 717 B1 verletzen. Die Streithelferin hat daher ein rechtliches Interesse daran, dass der auch letztlich gegen sie erhobene Verletzungseinwand gegen ihr Produkt abgewiesen wird.
Zudem haben beide Parteien gegen den beantragten Streitbeitritt ohnedies keine Einwände erhoben.
c) Gemäß Art 69 Abs 1 EPGÜ werden die Kosten des Rechtsstreits und sonstigen Kosten der
obsiegenden Partei bis zu einer gemäß der Verfahrensordnung festgelegten Obergrenze von der unterliegenden Partei getragen, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen. Die Norm bestimmt daher den Inhalt der Kostenentscheidung, namentlich von wem und in welchem Umfang die Kosten des Rechtsstreits und die sonstigen Kosten der unterliegenden Partei zu tragen sind. Während Art 69 Abs 4 EPÜ lediglich die Leistung einer Prozesskostensicherheit der Klägerin vorsieht, erweitert R 158 VerfO den Kreis der Adressaten einer solchen Anordnung auf 'die Parteien' und damit auch auf die Streithelferin, wenn sie zugelassen wird.
Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass trotz eines bestehenden rechtlichen Interesses der Streithelferin eine Vollstreckung der Entscheidung der Lokalkammer Wien des Einheitlichen Patentgerichts in der Volksrepublik China mangels eines entsprechenden Abkommens nicht möglich ist; dies auch in Bezug auf die Prozesskosten. Dem begründeten Antrag auf Leistung einer Prozesssicherheit, weil sie im Fall des Obsiegens ihre Verfahrenskosten von der Streithelferin im Wege der Exekution nicht einbringlich machen könne, war daher nach Interessensabwägung, die aufgrund des Vollstreckungsrisikos zugunsten der Klägerin ausfällt, stattzugeben.
Die Höhe der Prozesskostensicherheit orientiert sich an der aus der Tabelle der sich aus dem Streitwert ergebenden Obergrenzen für erstattungsfähige Kosten des Verwaltungsausschusses (AC/10/24042023_D) und der bezughabenden Gerichtsgebührentabelle des Verwaltungsausschusses (AC/05/08072022_D) sowohl für das erstinstanzliche Verfahren und ein mögliches Berufungsverfahren. Den Parteien wurde bereits mit der Verfahrensanordnung vom 21.6.2024 mitgeteilt, dass die Zuweisung eines technisch qualifizierten Richters, der über eine entsprechende Qualifikation und Erfahrung auf dem Gebiet der Technik (Klassifikation IPC: G02B 6/00 20060101AFI20211101BHEP) verfügt, beantragt wurde. Die Beiziehung eines Sachverständigen wird daher derzeit nicht in Aussicht genommen, wodurch auch die von der Klägerin dafür veranschlagte Prozesskostensicherheit nicht erforderlich ist.
ANORDNUNG:
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- Die Streithilfe der Chainzone Technology (Foshan) Co. Ltd im Rechtsstreit ACT_4261/2024, UPC_CFI_33/2024 auf Seiten der Beklagten wird mit der Maßgabe zugelassen, dass bis zum 20. August 2024 eine Prozesskostensicherheit in Höhe von EUR 134.000 beim Einheitlichen Patentgericht hinterlegt wird (Details über die erforderliche Vorgehensweise siehe näher https://www.unified-patentcourt.org/en/court/payments Punkt 3 . 'deposit of security for costs') .
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- Die Verfahrensparteien werden hiermit über die Zulässigkeit des Streithilfeantrags informiert.
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- Die Streithelferin hat die Möglichkeit, bis zum 20. August 2024 einen Streithilfeschriftsatz einzureichen.
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- Im Interesse einer effektiven Verfahrensführung wird den Beklagtenvertretern aufgetragen, die bisherigen Schriftsätze beider Parteien samt vorgelegter Urkunden und Beweismittel an die Streithelferin weiter zu leiten.
Hinweis: Nach Art 73 EPGÜ und R 220.2 VerfO kann gegen die Anordnung der Sicherheitsleistung binnen 15 Tagen nach Zustellung Berufung erhoben werden.
Nach R 158.5 VerfO kann das Gericht eine Versäumnisentscheidung nach R 355 VerfO erlassen, wenn die Streithelferin innerhalb der festgelegten Frist keine angemessene Sicherheit leistet.
Erlassen in Wien am 30. Juli 2024
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Vorsitzender Richter Dr. Schober