
Lokalkammer Düsseldorf UPC_CFI_363/2023
Verfahrensanordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer Düsseldorf erlassen am 5. August 2024 betreffend EP 3 926 698 B1
Leitsatz:
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- Regel 30.2 VerfO lässt den Zeitpunkt einer Entscheidung über die Zulassung eines Antrages auf Änderung des Patents offen und stellt diesen daher in das Ermessen des Gerichts. Der Berichterstatter kann eine solche Entscheidung daher auch zurückstellen.
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- Soweit Regel 32.1 VerfO für die Erwiderung auf einen Antrag auf Änderung des Patents eine Zweimonatsfrist ab Zustellung des Änderungsantrages vorsieht, sind spätere Änderungsanträge nach R. 30.2 VerfO davon nicht erfasst. Bei derartigen Anträgen kann den Interessen des Beklagten nicht nur im Rahmen der Zulassungsentscheidung Rechnung getragen werden. Vielmehr ist die Gewährung rechtlichen Gehörs auch außerhalb des in Regel 32 VerfO normierten gesetzlichen Fristenregimes möglich.
Schlagwörter:
Antrag auf spätere Änderung des Patents; Regel 30.2 VerfO; Zurückstellung der Zulassungsentscheidung; Stellungnahmefrist
Klägerin:
Seoul Viosys Co., Ltd., gesetzlich vertreten durch ihre vertretungsberechtigten Vorstände ChungHoon Lee und Young Ju Lee, 65-16, Sandan-ro 163 beon-gil, Danwon-gu, Ansan-si, Gyeonggi-do, 15429, Republik Korea,
vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Bolko Ehlgen, Rechtsanwältin Dr. Julia Schön- bohm, Kanzlei Linklaters LLP, Taunusanlage 8, 60329 Frankfurt am Main, Deutschland,
unterstützt durch:
Patentanwalt Dr. Dipl.-Phys. Olaf Isfort, Kanzlei Schneiders & Beh- rendt, Huestraße 23, 44787 Bochum,
elektronische Zustelladresse:
bolko.ehlgen@linklaters.com
Streithelferin:
Seoul Semiconductor Co., Ltd., gesetzlich vertreten durch ihre vertretungsberechtigten Vorstände und CEOs Chung-Hoon Lee und Myeong-gi Hong, Building 0: 97-11, Sandan-ro 163 beon-gil, Danwon-gu, Ansan-si, Gyeonggi-do, 15429, Republik Korea vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Bolko Ehlgen, Rechtsanwältin Dr. Julia Schönbohm, Kanzlei Linklaters LLP, Taunusanlage 8, 60329 Frankfurt am Main, Deutschland, elektronische Zustelladresse:
bolko.ehlgen@linklaters.com
Beklagte:
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- expert e-Commerce GmbH , gesetzlich vertreten durch ihre Geschäftsführer Dr. Stefan Müller und Michael Grandin, Bayernstraße 4, 30855 Langenhagen,
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- expert klein GmbH, gesetzlich vertreten durch ihre Geschäftsführer Jens Oerter und Thomas Jacob, Jägerstraße 32, 57299 Burbach,
vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Dirk Jestaedt, Kanzlei Krieger Mes & Graf von der Groeben Part mbB, Bennigsen-Platz 1, 40474 Düsseldorf,
elektronische Zustelladresse:
info@krieger-mes.de
unter Mitwirkung von:
Patentanwalt Bernhard Ganahl, HGF Europe LLP, Neumarkter Straße 18, 81673 München,
vertreten durch:
Rechtsanwalt Dr. Dirk Jestaedt, Kanzlei Krieger Mes & Graf von der Groeben Part mbB, Bennigsen-Platz 1, 40474 Düsseldorf,
elektronische Zustelladresse:
info@krieger-mes.de
unter Mitwirkung von:
Patentanwalt Bernhard Ganahl, HGF Europe LLP, Neumarkter Straße 18, 81673 München,
STREITPATENT:
Europäisches Patent Nr. 3 926 698 B1
SPRUCHKÖRPER/KAMMER:
Spruchkörper der Lokalkammer Düsseldorf
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter Thomas als Berichterstatter, die rechtlich qualifizierte Richterin Dr. Thom, die rechtlich qualifizierte Richterin Mlakar sowie die technisch qualifizierte Richterin Sani erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND:
R. 30.2 VerfO - Antrag auf Zulassung eines weiteren Änderungsantrages R. 333 VerfO - Überprüfung einer verfahrensleitenden Anordnung
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer Verletzung des EP 3 926 698 B1 (nachfolgend: Streitpatent) in Anspruch.
Auf eine durch die Beklagte zu 2) erhobene Nichtigkeitswiderklage hat die Klägerin am 23. März 2024 einen Antrag auf Änderung des Patents (App_14781/2024) gestellt, mit welchem sie insgesamt 11 Hilfsanträge in das Verfahren eingeführte.
Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2024 stellte die Klägerin darüber hinaus einen Antrag nach R. 30.2 VerfO, mit welchem die bisherigen Hilfsanträge um vier weitere Hilfsanträge ergänzt werden sollen.
Ihren Antrag auf Zulassung der weiteren Hilfsanträge begründete die Klägerin damit, die Beklagte zu 2) habe in der Replik zur Nichtigkeitswiderklage erstmals vorgetragen, in der D3 sei bereits eine, die gesamte Oberfläche des Substrats bedeckende Stromaufweitungsschicht im Sinne der Einschränkung E verwirklicht, obwohl dort tatsächlich keine geschlossene Schicht, sondern eine Gitterstruktur offenbart sei, die erkennbar große Teile der Chipoberfläche freilasse. Die Klägerin verstehe diese Argumentation so, dass nach Meinung der Beklagten zu 2) die Gitterstruktur der D3 gleichsam 'als Ganzes' als Stromaufweitungsschicht aufgefasst werde, die sich über die gesamte Chipoberfläche erstrecke. Diese Argumentation sei für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen. Anderseits trage die Beklagte zu 2) vor, aus der Angabe 'im Wesentlichen' in der Einschränkung E resultiere eine Unklarheit. Auch dieser Einwand komme für die Klägerin überraschend, weil die Klarheit eindeutig gegeben sei.
Den Argumenten der Beklagten trete die Klägerin entgegen. Dennoch sei es höchst vorsorglich geboten, eine gegenüber der bisherigen Einschränkung E geringfügig modifizierte Fassung der Einschränkung E' zu beantragen, die den Einwänden der Beklagten zu 2) im Hinblick auf die Klarheit die Grundlage entziehe.
Mit einer Verfahrensanordnung vom 1. Juli 2024 hat der Berichterstatter mitgeteilt, für eine Zu-
lassung des weiteren Änderungsantrages bestehe derzeit keine Veranlassung (Hervorhebung hinzugefügt).
Im Hinblick auf diese Verfahrensanordnung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Juli 2024 einen Antrag auf Überprüfung dieser Anordnung durch den Spruchkörper nach R. 333.1 VerfO gestellt.
TATSÄCHLICHE UND RECHTLICHE STREITPUNKTE:
Nach Auffassung der Klägerin handele es sich bei der Ablehnung des weiteren Änderungsantrages um eine verfahrensleitende Anordnung des Berichterstatters im Sinne von R. 333.1 VerfO. Ein Überprüfungsantrag sei daher statthaft. Eine Überprüfung sei auch geboten. In der Anordnung sei aufgeführt, derzeit bestehe keine Veranlassung für die Zulassung eines weiteren Änderungsantrages. Dies lasse für die Klägerin nicht erkennen, ob für einen weiteren Änderungsantrag keine Notwendigkeit bestehe, weil die Zulässigkeitseinwände der Beklagten nicht verfangen, ob die Modifikation gegenüber den bereits gestellten Änderungsanträgen so geringfügig sei, dass ein weiterer Änderungsantrag erforderlichenfalls auch noch später im Verfahren gestellt werden kann oder ob ein weiterer Änderungsantrag tatsächlich abgeschnitten sein solle. Für den Fall, dass mit der Anordnung eine weitere Änderung des Patents als verspätet nicht mehr zugelassen werden sollte, schöpfe die Klägerin vorsichtshalber die Möglichkeit der Überprüfung dieser Entscheidung aus.
Die Änderung sei zuzulassen. Die neu und hilfsweise eingebrachte Änderungsfassung des Patents sei nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Reaktion auf die Argumentation der Nichtigkeitsklägerin und Beklagten zu 2) geboten gewesen. Darüber hinaus sei durch den neuen Änderungsantrag keine Verzögerung des Verfahrens zu besorgen. Es handele sich bei der neuen Einschränkung E' und den hieraus resultierenden Hilfsanträgen um nur geringfügige Modifikationen gegenüber der sich bereits im Verfahren befindlichen Einschränkung E und der darauf basierenden Hilfsanträge. Auch seien die weiteren Einschränkungen so früh wie möglich eingebracht worden.
Die Beklagten sind dem Überprüfungsantrag sowie einer Zulassung der weiteren Hilfsanträge entgegengetreten. Das Vorbringen der Beklagten sei weder überraschend noch unvorhersehbar gewesen. Vor allem trete durch die Zulassung der Hilfsanträge eine weitere Verzögerung des Verfahrens ein. Nach R. 32.1 VerfO stehe der Nichtigkeitsklägerin eine Frist von zwei Monaten ab Zustellung des Änderungsantrages zur Verfügung. Die Regelung beziehe sich auf jeden Fall der Zustellung eines Antrages auf Änderung des Patents und daher auch auf Änderungsanträge nach R. 30.2 VerfO.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Der gemäß R. 333.1 VerfO statthafte, fristgerecht eingereichte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Überprüfung hat in der Sache keinen Erfolg.
R. 30.2. VerfO ist eine strenge Präklusionsvorschrift, die spätere Anträge auf Änderung des Patents nur mit Erlaubnis des Gerichts zulässt (UPC_CFI_210/2023 (LK Mannheim), Anordnung v. 27. Juni 2024 - Panasonic Holdings v. Oppo). Eines zurückweisenden Beschlusses bedarf es nicht. Solange der spätere Änderungsantrag durch das Gericht nicht zugelassen worden ist, ist er unzulässig (vgl. dazu Tilmann/Plassmann/Dorn, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, R. 30 VerfO, Rz. 47).
Davon ausgehend hat der Berichterstatter angeordnet, für eine Zulassung des Änderungsantrages bestehe derzeit (Unterstreichung hinzugefügt) und damit im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung keine Veranlassung. Somit wurde der Änderungsantrag bisher weder zugelassen noch abgelehnt.
Vielmehr hat der Berichterstatter die Entscheidung über die Zulassung zurückgestellt. Eine Zulassung der Hilfsanträge ist damit noch immer möglich. R. 30.2 VerfO lässt den Zeitpunkt einer Entscheidung über die Zulassung eines weiteren Änderungsantrages offen und stellt diesen daher in das Ermessen des Gerichts. Von dem ihm damit eingeräumten Ermessensspielraum hat der Berichterstatter vorliegend Gebrauch gemacht und sich dafür entschieden, die Änderungsanträge nicht sofort zuzulassen, sondern zunächst den weiteren Fortgang des Verfahrens abzuwarten.
Der Auffassung der Beklagten, ihnen stünde zwingend für eine Erwiderung auf die weiteren Änderungsanträge ein Zweimonatszeitraum zur Verfügung, vermag die Lokalkammer nicht beizutreten.
Gemäß R. 32.1. VerfO hat der Beklagte eine Erwiderung auf einen Antrag auf Änderung eines Patents innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Zustellung desselben einzureichen. Ausgelöst wird eine solche zweimonatige Stellungnahmefrist daher durch einen Änderungsantrag nach R. 30.1 VerfO, nicht aber durch einen späteren Antrag auf Änderung des Patents im Sinne von R. 30.2 VerfO.
Das dem so ist verdeutlicht bereits der Wortlaut von R. 32.1 VerfO, der von einem Antrag auf Änderung des Patents und, anders als R. 30.2. VerfO, nicht von einem späteren Änderungsantrag spricht (Hervorhebung hinzugefügt). Nur ein solches Verständnis lässt sich überdies mit Ziffer 7 der Präambel zur Verfahrensordnung in Einklang bringen. Danach ist das Verfahren so zu führen, dass die letzte mündliche Verhandlung zur Verletzung und zur Rechtsgültigkeit in der ersten Instanz normalerweise innerhalb eines Jahres stattfinden kann (vgl. dazu auch UPC_CoA_22/2024, Anordnung v. 28. Mai 2024, Ru. 23 - Carrier Corporation v. Bitzer Electronics A/S). Dieses Ziel wäre nicht oder zumindest nur schwer erreichbar, würde jeder spätere und aus Sachgründen zuzulassende Änderungsantrag erneut das in R. 32 VerfO normierte Fristenregime und damit drei weitere Schriftsätze auslösen.
Eine solche Verzögerung lässt sich auch nicht mit dem Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs rechtfertigen. Die Interessen des Beklagten sind vielmehr zum einen bereits im Rahmen der Zulassungsentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Zum anderen kann dem Beklagten auch außerhalb des in R. 32 VerfO normierten festen Fristenregimes hinreichend Rechnung getragen werden. Nicht jede, auch nur geringfügige Änderung gegenüber den ursprünglich eingereichten Hilfsanträgen macht den Austausch von drei weiteren, jeweils mit gesetzlich normierten ein- bzw. zweimonatigen Fristen verbundenen Schriftsätzen notwendig.
ANORDNUNG:
Die verfahrensleitende Anordnung des Berichterstatters vom 1. Juli 2024 wird aufrechterhalten.
DETAILS DER ANORDNUNG:
App_41447/2024 zum Änderungsantrag App_14781/2024 zum Hauptaktenzeichen CC_3580/2024
UPC-Nummer: UPC_CFI_363/2023
Verfahrensart: Verletzungsklage und Nichtigkeitswiderklage
Erlassen in Düsseldorf am 5. August 2024
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN Vorsitzender Richter Thomas
Rechtlich qualifizierte Richterin Dr. Thom
Rechtlich qualifizierte Richterin Mlakar
Technisch qualifizierte Richterin Sani