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15 August, 2024
Order
ORD_33133/2024 Hamburg (DE) Local D… EP4108782
Regel 190.1 VerfO
...

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ORD_33133/2024
15 August, 2024
Order

Summary
(AI generated)

Parties

10x Genomics, Inc.,
President and Fellows of Harvard College
v. Vizgen, Inc.

Registry Information
Registry Number:

App_32879/2024

Court Division:

Hamburg (DE) Local Division

Type of Action:

Procedural Order

Language of Proceedings:

DE

Patent at issue

EP4108782

Cited Legal Standards
Art. 32 Abs. 1 lit. a EPGÜ
Art. 59 Abs. 1 EPGÜ
Art. 59 EPGÜ
R. 190 EPGVerfO
R. 190 VerfO
Regel 190, 191 VerfO
Regel 190.1 VerfO
Regel 190 VerfO
Regel 191 EPG-VerfO
Regel 191 VerfO
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ORD_33133/2024

Hamburg - Lokalkammer

UPC_CFI_22/2023 Vorläufige Verfahrensanordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts,

erlassen am 15. August 2024

STREITPARTEIEN

1) 10x Genomics, Inc.

(Klägerin zu 1)) - 6230 Stoneridge Mall Road, 94588-3260 Pleasanton, CA, USA

Vertreten durch Prof. Dr. Tilmann Müller- Stoy

2) President and Fellows of Harvard College,

(Klägerin zu 2)) - Richard A. and Susan F. Smith Campus Center, Suite 727E, 1350 Massachusetts Avenue, Cambridge, Massachusetts 02138, USA

Vertreten durch Prof. Dr. Tilmann Müller- Stoy

3) Vizgen, Inc.,

(Beklagte) - 61 Moulton Street, 02138 Cambridge, USA

Vertreten durch Jérome Kommer

STREITPATENT:

Patent Nummer

EP4108782

Inhaberin

President and Fellows of Harvard College

ANTRAGSTELLERIN:

Vizgen, Inc.,

(Beklagte) - 61 Moulton Street, 02138 Cambridge, USA

Vertreten durch Jérome Kommer

ANORDNENDER RICHTER:

Berichterstatterin (Judge-rapporteur)

VERFAHRENSSPRACHE:

Deutsch

ANTRÄGE DER PARTEIEN:

Die Beklagte hat mit der Klageerwiderung vom 30. November 2023 (Anträge zu Ziffer 1 - 3) sowie Schriftsatz vom 31. Mai 2024 (Anträge zu Ziffer 4 und 5) in einem gesonderten Workflow Anträge nach Regel 190.1 VerfO-EPG (nachfolgend VerfO) gestellt und beantragt, die Vorlage folgender Dokumente durch die Klägerinnen anzuordnen:

    1. Den Klägerinnen wird aufgegeben, den Lizenzvertrag zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor, Inc. vom 9. September 2019, mittels dessen die Klägerin zu 2 ReadCoor eine weltweite, ausschließliche Lizenz zur Vermarktung der sog. FISSEQ-Technologie eingeräumt wurde und der zwischenzeitlich auf die Klägerin zu 1) übergegangen ist, nebst sämtlicher Lizenzvertragsänderungen und -ergänzungen vorzulegen.
    1. Der Klägerin zu 1) wird aufgegeben, die E-Mail mit dem Betreff 'Sales Bundles Across Platforms' vom 28. April vorzulegen, die sie in dem das US-Parallelverfahren begleitenden Discovery-Verfahren unter der production number 10XH-00024859 gegenüber den US-Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt hat, vorzulegen.
    1. Der Klägerin zu 2) wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten E-Mails vorzulegen, die sie in dem das US-Parallelverfahren begleitenden DiscoveryVerfahren unter den jeweils genannten production numbers gegenüber den USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt hat:
  • a. E-Mail vom 7. August 2020 mit dem Betreff 'ReadCoor', production number HARV0007138;

  • b. E-Mail vom 22. September 2020 mit dem Betreff 'ReadCoor Amendment', production number HARV0008315;

  • c. E-Mail vom 21. September 2020 mit dem Betreff 'ReadCoor, Church time sensitive request', production number HARV0007092;

  • d. E-Mail vom 7. Oktober 2020 mit dem Betreff 'ReadCoorCapHighLevel.pdf', production number HARV00025592:

  • e. E-Mail vom 17. November 2020 mit dem Betreff 'ReadCoor - FISSEQ technology', production number HARV0025358.

    1. Der Klägerin zu 1) wird aufgegeben, die in dem öffentlich zugänglichen Protokoll zur Anhörung vor dem zuständigen US-Richter Kennelly am 26. April 2024 genannte Anlage H; ein Dokument der Zeugin Mira Grigorova, in dem sie bestätigt, dass die Klägerin zu 1 in zahlreichen Fällen ihre Produkte unter Einstandspreis verkauft hat, vorzulegen;
    1. Der Klägerin zu 1) wird aufgegeben, das in dem öffentlich zugänglichen Protokoll zur Anhörung vor dem zuständigen US-Richter Kennelly am 26. April 2024 genannte Frequently-Asked-Questions ('FAQ')-Dokument, mit dem das Vertriebspersonal der Klägerin zu 1) Talking Points zur Verfügung gestellt bekommen hat, um mit Kunden über die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen den Klägerinnen und NanoString zu sprechen, sowie das Transcript der Deposition des Zeugen Nikhil Rao vorzulegen.

Die Beklagte tragen vor, bestimmte Dokumente, die im parallelen US-Verfahren streitgegenständlich sind, auch im vorliegenden Verfahren als Beweismittel nutzen zu wollen. In der Discovery zum parallelen US-Verfahren habe die Beklagte bzw. hätten die USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten Kenntnis von Beweisen erlangt, die ihren Tatsachenvortrag zur Begründung ihrer vertraglichen und wettbewerbsrechtlichen Einwendungen untermauern würden. Aufgrund der Regelungen der Protective Order des USGerichts sei der Beklagten eine Verwertung der Beweismittel im hiesigen Verfahren untersagt (Anlage QE 2, S. 11 ff., Klausel 7). Bestimmte Informationen seien dabei als 'OUTSIDE ATTORNEYS' EYES ONLY' gekennzeichnet, sodass auch die Beklagte selbst keinen Zugang zu den so gekennzeichneten Informationen habe.

Der Vorlageantrag zu 1) ist auf Vorlage des zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor geschlossenen Lizenzvertrags vom 9. September 2016 gerichtet, mit dem die Klägerin zu 2) ReadCoor nach den Ausführungen im parallelen US-Verfahren eine weltweite, ausschließliche Lizenz zur Vermarktung der sog. FISSEQ-Technologie eingeräumt hat und der infolge des Erwerbs von ReadCoor durch die Klägerin zu 1) auf letztere übergegangen ist. Dass sich der zwischen den Klägerinnen geltende Lizenzvertrag in ihrer Verfügungsgewalt befinde, sei außer Zweifel. Im Rahmen der das US-Verfahren begleitenden Discovery wurde der Lizenzvertrag gegenüber den US-Anwälten der Beklagten im Einklang mit den anwendbaren Regelungen mit der Einschränkung 'Outside Attorneys' Eyes Only' offengelegt. Aufgrund dieser Einschränkung könne

er nicht durch die Beklagte in das hiesige Verfahren eingeführt werden. Die Beklagte habe den Lizenzvertrag nebst etwaiger Ergänzungsund Änderungsvereinbarungen hinreichend als Beweismittel bezeichnet. Der Lizenzvertrag sei für das vorliegende Verfahren relevant, weil er einen Aspekt der nicht-technischen Einwendungen, die die Beklagte gegen ihre Inanspruchnahme vorbringe, mit entsprechenden Tatsachen unterlege. Der Lizenzvertrag zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor belege, dass die Klägerin zu 2) bereits kurze Zeit nachdem sie die finale Bestätigung zum NIH-Grant erhalten habe, bereit gewesen sei, die Förderbedingungen zu verletzen, indem sie einen exklusiven Lizenzvertrag mit ReadCoor eingegangen sei. Ferner belege der Lizenzvertrag, dass die Klägerin zu 2) im Lizenzvertrag mit der Beklagten eine falsche Zusicherung abgegeben habe, indem sie - zusätzlich zur wiederholten Aussage, sie verschaffe der Beklagten Rechte an allen Technologien, die sie zur Kommerzialisierung der MERFISH-Technologie benötige - in Ziffer 8.2 bestätigte, dass der Vertrag mit der Beklagten nicht im Widerspruch zu anderen von ihr geschlossenen Lizenzverträgen stehe. Schließlich belege die Übernahme des Lizenzvertrags zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor durch die Klägerin zu 1), dass letztere Kenntnis davon habe, dass die Klägerin zu 2) ihre Verpflichtungen aus dem NIH-Grant verletzt habe bzw. bereit gewesen sei, sie zu verletzen. Der Lizenzvertrag sei einer der Bausteine, der das Zusammenwirken der Klägerinnen zum Nachteil der Beklagten belegt.

Mit den Vorlageanträgen zu 2 und zu 3 begehrt die Beklagte die Vorlage von E-Mails, die die Klägerinnen im Rahmen der das US-Parallelverfahren begleitenden Discovery gegenüber den USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt haben. Aufgrund der Regelungen der in dem US-Parallelverfahren maßgeblichen Protective Order sei der Beklagte eine Vorlage der Dokumente im hiesigen Verfahren untersagt. Sie würden sich, wie die Vorlage in den USA belege, in der Verfügungsgewalt der Klägerinnen befinden, die diese E-Mails daher vorlegen können. Die E-Mails werden in der öffentlichen Fassung des Antrags der Beklagten auf Erlass einer Anti-SuitInjunction hinreichend konkret bezeichnet (siehe dazu Anlagenkonvolut B 2) und ihr Inhalt dahingehend beschrieben, dass sie das kollusive, rechtswidrige Zusammenwirken der Klägerinnen zum Nachteil der Beklagten belegen würden.

Die E-Mails, deren Vorlage die Beklagte begehrt, seien auch für das vorliegende Verfahren relevant, weil sie entsprechend den Ausführungen im US-Parallelverfahren geeignet seien, die von den Beklagten gegen die Klägerinnen erhobenen Vorwürfe des wettbewerbswidrigen Verhaltens nachzuweisen. Sie würden zeigen, wie die öffentlich zugänglichen Ausführungen belegen, dass die Klägerin zu 1) ihr Handeln einschließlich des Erwerbs von ReadCoor darauf ausgerichtet habe, eine marktbeherrschende Stellung auf dem SST-Markt zu erlangen, und dass der Klägerin zu 2) bekannt gewesen sei, dass sie mit der ReadCoor-Lizenz der Beklagten schaden würden.

Den Parteien wurde Gelegenheit zur mehrfachen Stellungnahme gegeben.

Die Klägerinnen stellen sich den Anträgen entgegen.

Die Klägerinnen vertreten die Ansicht, dass die begehrten Beweismittel für die Begründung der Ansprüche einer Partei benötigt werden müssten, was vorliegend nicht der Fall sei. Sie tragen vor, dass die Beklagte nicht dargelegt habe, welche Ansprüche im Rahmen der Jurisdiktion des EPG sie meine innezuhaben und warum sie auf die begehrten Dokumente zur Darlegung ihrer Anspruchsberechtigung angewiesen sei. Auch dann, wenn man 'Ansprüche' erweiternd so auslegen wollte, dass hiervon auch prozessuale oder materielle Einwendungen erfasst sein sollten, wäre eine Vorlage ausgeschlossen. Die Tatsachen, die die Beklagte aus den Dokumenten

ableiten möchte, seien entweder unstreitig, nicht erheblich oder ihre Vorlage sei mangels Beweisnot nicht erforderlich.

Es sei unstreitig, dass die Klägerin zu 2) mit ReadCoor einen Lizenzvertrag abgeschlossen habe, mittels dessen die Klägerin zu 2) dem Unternehmen ReadCoor eine weltweite, ausschließliche Lizenz zur Vermarktung der sog. FISSEQ-Technologie eingeräumt habe. Auf mehr als diese Tatsache stelle die Beklagte in ihrem Vortrag nicht ab, so dass es keiner Vorlage bedürfe.

Die Beklagte lege nicht dar, welche streitige Tatsachen, die für den hiesigen Rechtsstreit erheblich wären, durch die Emails bewiesen werden sollen. Sie behaupte lediglich, dass sie mittels dieser Emails ein kollusives rechtswidriges Zusammenwirken der Klägerinnen belegen möchte. Dies sei jedoch keine Tatsache, sondern eine rechtliche Würdigung. Darüber hinaus sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass und weshalb eine von der Beklagten geltend gemachte Einwendung ein kollusives rechtswidriges Zusammenwirken der Klägerinnen voraussetzen würde.

Die Vorlage der Dokumente entsprechend der Anträge zu Ziffer 4 und 5, mit welchen die Beklagte einen preisbezogenen Behinderungsmissbrauch bzw. eine Marktverunsicherung belegen wolle, seien unerheblich. Beide Einwendungen seien für die Frage der Patentverletzung noch für aus der Patentverletzung folgende Sekundäransprüche ohne Relevanz.

GRÜNDE DER ANORDNUNG:

I.

Gemäß Art. 59 Abs. 1 EPGÜ, Regel 190, 191 VerfO kann das Gericht, wenn eine Partei alle vernünftigerweise verfügbaren und plausiblen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und zur Begründung dieser Ansprüche Beweismittel bezeichnet hat, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei oder einer dritten Partei befinden, auf einen mit einer Begründung versehenen Antrag der Partei, welche die Beweismittel bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei oder die dritte Partei anordnen. Zum Schutz vertraulicher Informationen kann das Gericht anordnen, dass die Beweismittel nur bestimmten namentlich genannten Personen mitgeteilt werden und einer angemessenen Geheimhaltungspflicht unterliegen. Für die Übermittlung von Informationen nach Regel 191 VerfO reicht es aus, dass die Partei diese Informationen zum Zwecke der Rechtsverfolgung vernünftigerweise benötigt, die also der Sachverhaltsaufklärung dienen (vgl. Tilmann/Plassmann/Ahrens, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, 1. Auflage 2024, Regel 191 EPG-VerfO, Rn. 1).

Mit Blick auf die Art der zu begründenden Ansprüche sind auch solche umfasst, die sich nicht unmittelbar aus dem EPGÜ ergeben wie im vorliegenden Fall der Einwand des Rechtsmissbrauchs. Denn während sich die Schranken des patentrechtlichen Schutzes eines Einheitspatents im Grundsatz gemäß Art. 5 Abs. 3 EPatVO aus dem EPGÜ ergeben, besteht Einigkeit, dass zumindest in den Fällen, in denen die speziellen patentrechtlichen Normen keine entsprechenden Bestimmungen für eine regelungsbedürftige Frage enthalten, ein Rückgriff auf allgemeine zivilrechtliche Prinzipien erfolgen muss (McGuire, MittdtPatA 2015, 537, 540/541; Reetz u. a., GRUR Int. 2015, 210, 218; Bopp/Kircher-Lux, Handbuch Europäischer Patentprozess, 2. Aufl. 2023, § 13 Rz. 234 ff.). Ein Rechtsmissbrauchseinwand gehört zu dem sog.

'zivilrechtlichen Unterbau' (McGuire, a.a.O., S. 541), also denjenigen Rechtsvorschriften, die der Geltendmachung eines Einheitspatents entgegengehalten werden können und dementsprechend vom Gericht berücksichtigt werden müssen (vgl. die Zuständigkeitszuweisung in Art. 32 Abs. 1 lit. a EPGÜ).

Der Gedanke des Rechtsmissbrauchs als Grenze für die Geltendmachung von Ansprüchen ist in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen enthalten (Reetz, a.a.O., Fn. 79) und zudem auch im europäischen Recht vom Europäischen Gerichthof (EuGH) als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt (EuGH, Urteil vom 5. Juli 2007, Az. C-321/05 - Hans Markus Kofoed/Skatteministeriet). Dabei erfolgt nach der Rechtsprechung des EuGH die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots auf die durch das Unionsrecht vorgesehenen Rechte und Vorteile unabhängig von der Frage, in welchem europäischen Rechtsakt diese Rechte ihre Grundlagen haben (EuGH, Urteil vom 22. November 2017, Az. C-251/16 - Cussens u.a.). Die Gerichte, die europäisches Recht anwenden, sind dabei nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, rechtsmissbräuchlich geltend gemachte Ansprüche zurückzuweisen, um dem allgemeinen Missbrauchsbekämpfungsprinzip nach EU-Recht volle Wirkung zu verleihen (vgl. EuGH, Urteil v. 26. Februar 2019, verb. Rs. C-116/16, C-117/16, Skatteministeriet/T Danmark (C-116/16) und Y Denmark Aps (C-117/16), BeckRS 2019,2173, TZ. 83 ff., 92).

Da das Recht des EPGÜ nicht im Widerspruch zum Unionsrecht ausgelegt werden darf und ein umfassender Anwendungsvorrang des materiellen Unionsrechts im gesamten Einheitlichen Patentsystem besteht (Haedicke, GRUR Int. 2013, 609, 612), sind Zweifel an der Notwendigkeit, einen Missbrauchseinwand zu berücksichtigen, zu erkennen. So wie im deutschen Recht jedermann gemäß § 242 BGB in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat, verlangt das europäische Recht ein Handeln im Einklang mit dem good faith principle. Es bildet eine allen Rechten, Rechtslagen, Rechtspositionen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung mit der Folge, dass eine gegen das good faith principle verstoßende Ausübung eines Rechts oder Ausnutzung einer Rechtsposition als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig ist. Auch die Präambel der VerfO hält an mehreren Stellen zu Fairness und Billigkeit (fairness and equity) sowie Beachtung der berechtigten Interessen aller Parteien an (vgl. Ziffer 2 und 5 der Präambel), was den Schluss auf eine Berücksichtigung der Gesamtumstände zulässt. Die unzulässige Rechtsausübung führt dazu, dass die dem Recht (an sich) entsprechenden Rechtswirkungen oder Rechtsfolgen versagt werden, ein Anspruch also nicht geltend gemacht werden kann.

Als widersprüchliches Verhalten ist ein Handeln rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, kraft dessen der Rechtsinhaber das Vertrauen erweckt hat, dass er seine Rechte nicht ausüben werde (vgl. zum deutschen Recht BGH, Urt. v. 9. Mai 1960 - III ZR 32/59, NJW 1960, 1522; BGH, Urt. v. 6. März 1985 - IV b ZR 7/84. NJW 1985, 2589 (2590); BGH, Urt. v. 20. März 1986 - III ZR 236/84, NJW 1986, 2104, 2107; BGH, Urt. v. 25. Oktober 2012 - I ZR 162/11, GRUR 2013, 717, 721), oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. wiederum zum deutschen Recht BGH, Urt. v. 5. Juni 1997 - X ZR 73/95, NJW 1997, 3377, 3380; BGH, Urt. v. 5. Dezember 1991 - IX ZR 271/90, NJW 1992, 834; BGH, Urt. v. 15. November 2012 - IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757, Tz. 12).

Dabei kann allerdings nicht jegliches widersprüchliche oder treuwidrige Handeln dem berechtigten Kläger einer Patentverletzung entgegengehalten werden. Vielmehr muss das widersprüchliche oder treuwidrige Handeln Bezug zur (vertraglichen) Beziehung der Prozessparteien und dem Gegenstand der mit der Patentverletzungsklage geltend gemachten

Ansprüche aufweisen (vgl. im deutschen Recht BGH, GRUR 2016, 1031, 1036 - Wärmetauscher, wo ausgeführt wird, dass die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstelle und daher treuwidrig wäre). Dies hat zur Folge, dass nicht jedweder Einwand des Rechtsmissbrauchs unabhängig von seiner Begründung durch das EPG zu berücksichtigen wäre, sondern nur solche Einwände, die im Zusammenhang mit der geltend gemachten Patentverletzung und den hieraus resultierenden Rechtsfolgen stehen.

II.

Geht man mithin davon aus, dass - wie im deutschen nationalen Patentverletzungsverfahren der Einwand des Rechtsmissbrauchs einem Anspruch aus einer Patentverletzung entgegen gehalten werden kann, - unabhängig davon aus welcher Rechtsgrundlage dieser begründet wird ist vorliegend allerdings fraglich, ob hinsichtlich aller Anträge die Voraussetzungen für die Vorlage der begehrten Dokumente zur Begründung eines Rechtsmissbrauchseinwand vorliegen.

Mit dem Antrag zu Ziffer 1 aus der Klageerwiderung begehrt die Beklagte die Vorlage des zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor am 9. September 2019 geschlossenen Lizenzvertrages. Die Beklagte macht geltend, dass der Lizenzvertrag zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor belege, dass die Klägerin zu 2) bereits kurze Zeit nachdem sie die finale Bestätigung zum NIHGrant erhalten habe, bereit war, die Förderbedingungen zu verletzen, indem sie einen vermeintlich exklusiven Lizenzvertrag mit ReadCoor einging. Ferner belege der Lizenzvertrag, dass die Klägerin zu 2) im Lizenzvertrag mit der Beklagten eine falsche Zusicherung abgegeben habe, indem sie - zusätzlich zur wiederholten Aussage, sie verschaffe der Beklagten Rechte an allen Technologien, die sie zur Kommerzialisierung der MERFISH-Technologie benötige - in Ziffer 8.2 bestätigte, dass der Vertrag mit der Beklagten nicht im Widerspruch zu anderen von ihr geschlossenen Lizenzverträgen stehe. Schließlich belege die Übernahme des Lizenzvertrags zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor durch die Klägerin zu 1), dass letztere Kenntnis davon habe, dass die Klägerin zu 2) ihre Verpflichtungen aus dem NIH-Grant verletzt habe bzw. bereit gewesen sei, sie zu verletzen.

Die begehrte Vorlage des Lizenzvertrages ist begründet. Zwar haben die Klägerinnen unstreitig gestellt, dass die Klägerin zu 2) mittels des Lizenzvertrages ReeadCoor eine weltweite, ausschließliche Lizenz zur Vermarktung der FISSEQ-Technologie eingeräumt hat. Der weitergehende Inhalt ist der der Beklagten jedoch nicht bekannt und ggfs. für den Nachweis eines Rechtsmissbrauchs notwendig. Im Übrigen wurde der Vortrag, dass der Vertrag mit der Beklagten nicht im Widerspruch zu anderen von ihr geschlossenen Lizenzverträgen stehe, nicht unstreitig gestellt, so dass die Beklagte diesen zur Begründung eines etwaigen Rechtsmissbrauchseinwands benötigen könnte.

Mit den Vorlageanträgen 2 und 3 aus der Klageerwiderung begehrt die Beklagte die Vorlage von E-Mails, mit welchen nach dem Vortrag der Beklagten das rechtswidrige kollusive Zusammenwirken der Klägerinnen zum Nachteil der Beklagten belegt werden soll. Zur Begründung nimmt die Beklagte Bezug auf die öffentliche Fassung des Antrags der Beklagten auf

Erlass einer Anit-Suit-Injunction (vgl. Anlage B 2, Seite 2f und Seite 6), welche sie auf Seite 121 der Klageerwiderung auszugsweise wiedergegeben hat.

Insoweit ist allerdings nicht zu erkennen, dass sie einen hier zu berücksichtigenden Einwand des Rechtsmissbrauchs belegen können. Es ist mangels konkreter Ausführungen nicht ersichtlich, wie die in dem Antrag auf Beweisvorlage in der Klageerwiderung zitierten Ausführungen (s. Seite 121 ff.) ohne näheren Vortrag zu den tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen auf die Beklagte den Schluss auf eine Rechtsmissbräuchlichkeit zulassen können. Die zitierten Textstellen, welche einem Antrag der Beklagten entstammen, geben zunächst nicht mehr als die Behauptung der Beklagten eines kollusiven Zusammenwirkens der Klägerinnen wieder.

Mit den Vorlageanträgen zu 4 und 5 aus dem Vorlageantrag vom 31. Mai 2024 (32879/2024) beantragt die Beklagte die Vorlage von Dokumenten aus der Anhörung von Zeugen vor dem USRichter Kennelly vom 26. April 2024 sowie eines FAO-Dokumentes (vgl. Protokoll der Anhörung vom 26. April 2024, Anlage QE 5). Die Beklagte möchte hiermit den Nachweis der wettbewerbswidrigen Ausnutzung des durch die Klageerhebung verunsicherten Marktes begründen. Unter Anwendung der Strategien des 'copy-acquire-kill' sowie open early, closed late' würden es die Klägerinnen darauf anlegen, jeglichen Wettbewerb auf dem SST-Markt zu beseitigen, um der Klägerin zu 1) eine Monopolstellung zu verschaffen. Die Klageerhebungen in den USA und Europa seien dabei die letzte Stufe des klägerischen Vorgehens gegen ihre einzigen beiden Mitbewerber, das sich aus der Verletzung der gegenüber dem NIH abgegebenen Lizenzversprechen, der Verletzung der lizenzvertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten, der Verunsicherung des Marktes und die Belastung der Beklagten und NanoStrings mit den Kosten, Risiken und Wettbewerbsnachteilen eines Patentverletzungsprozesses zusammensetzt. Die Klägerin zu 1) habe ihre Mitarbeiter nachweislich hinsichtlich ihrer Kommunikation mit (potenziellen) Kunden zu den gerichtlichen Auseinandersetzungen gebrieft. Was im Ausgangspunkt unproblematisch sei, sei im Fall der Klägerin zu 1) zu einem FAQDokument ausgewachsen, in dem die Klägerin zu 1) ihre Mitarbeiter gezielt angewiesen habe, den Markt weiter zu verunsichern. Ferner vertritt die Beklagte die Ansicht, dass sich hieraus auch der Nachweis eines preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs ergebe. Nachfrager auf dem SSTMarkt würden zögern, die SST-Instrumente der Beklagten zu erwerben, da angesichts der (in missbräuchlicher Weise) geltend gemachten Unterlassungsansprüche für sie nicht absehbar sei, ob bzw. in welchem Umfang und mit welcher Sicherheit die Beklagte in der Lage sein werde, die zum Betrieb der Instrumente benötigten Verbrauchsmaterialien und Zubehörteile zu liefern. Diese Verunsicherung nutzt die Klägerin zu 1) aus, indem sie den Markt mit Produktbündeln aus Visium- und/oder Chromium-Produkten plus Xenium-Produkt flutet und gleichzeitig die Preise so stark reduziert, dass sich aus Sicht der Kunden der Erwerb von Xenium als nahezu einzig vertretbare Entscheidung darstellt. I

Es ist nicht zu erkennen, dass die aus diesen Dokumenten ggfs. zu ermittelnden Tatsachen für das vorliegende Patentverletzungsverfahren erheblich sind. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass die Tatsachen einen Einwand begründen können, der im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen wäre.

Denn die Beklagte möchte mit den begehrten Dokumenten einen preisbezogenen Behinderungsmissbrauch begründen. Insofern wirft sie der Klägerin zu 1) vor, mit der Bepreisung ihrer Produkte die Produkte der Beklagten vom Markt drängen zu wollen. Die Klägerinnen haben zu Recht darauf verwiesen, dass ein preisbezogener Behinderungsmissbrauch weder erheblich ist

für die Frage der Patentverletzung noch für aus der Patentverletzung folgende Sekundäransprüche. Die Zuständigkeit bezüglich eines vermeintlichen preisbezogenen Behinderungsmissbrauch liegt bei der Europäischen Kommission, den nationalen Kartellämtern oder den für Wettbewerbssachen zuständigen Gerichten, nicht jedoch dem Einheitlichen Patentgericht. Mit Blick auf wettbewerbsrechtliche Implikationen fällt in die Jurisdiktion des Einheitlichen Patengerichts allein die Frage, ob die Ausübung der patentrechtlich verbürgten Ansprüche, also insbesondere die klageweise Geltendmachung einer Patentverletzung einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt. Allein dies kann als Streitigkeit über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung gemäß Art. 1 Abs. 1 EPGÜ eingeordnet werden, da dann die vermeintliche wettbewerbsrechtswidrige Verhaltensweise gerade aus der Patentverletzungsklage erfolgen soll. Der Frage einer durch die Preispolitik eines Unternehmens bewirkte vermeintliche Wettbewerbsbehinderung fehlt eine Verbindung zu einer patentrechtlichen Streitigkeit.

III.

Letztlich führt daher nur der Antrag der Beklagten auf Vorlage des zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor geschlossenen Lizenzvertrages zum Erfolg.

Ein Antrag gemäß Art. 59 Abs. 1 EPGÜ und R. 190 VerfO setzt die Erforderlichkeit der Vorlage, eine Beweisnot, voraus (Tilman/Plassmann, Einheitspatent, 2024, Art. 59 EPGÜ, Rz. 7; Tilman/Plassmann/Ahrens, aaO, R. 190 EPGVerfO, Rz 25). Hinsichtlich dessen kann festgestellt werden, dass die Vorlage erforderlich ist. Die Beklagte hat keine andere Möglichkeit Kenntnis von dem Lizenzvertrag zu erlangen.

Zwar könnte die Erstreckung der Protective Order des US-Verfahrens mittels einer cross-useKlausel auch auf das hiesige Verfahren erfolgen. Einem cross-use haben die Klägerinnen nicht zugestimmt. Die Beklagte ist nicht gehalten, anstelle ihrer Anträge auf Beweismittelvorlage nach Art. 59 Abs. 1 EPGÜ, Regel 190 VerfO vorrangig ein Beweiserlangungsverfahren in den USA durchzuführen. Ein solches Verfahren nach 35 U.S.C. § 1782 ist mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden. Die Möglichkeiten einer US-Discovery und eines Vorlageantrags im hiesigen Verfahren stehen selbstständig nebeneinander, ohne dass die Beklagte gezwungen wäre, vor der Geltendmachung der ihr nach dem anwendbaren Prozessrecht zustehenden Vorlageansprüche erst die Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihr das US-Recht bietet. Maßgeblich sind die Beweisregeln der hiesigen Verfahrensordnung .

ANORDNUNG:

Den Klägerinnen wird aufgegeben, binnen zwei Wochen den Lizenzvertrag zwischen der Klägerin zu 2) und ReadCoor, Inc. vom 9. September 2019, mittels dessen die Klägerin zu 2) ReadCoor eine weltweite, ausschließliche Lizenz zur Vermarktung der sog. FISSEQTechnologie eingeräumt wurde und der zwischenzeitlich auf die Klägerin zu 1) übergegangen ist, nebst sämtlicher Lizenzvertragsänderungen und -ergänzungen vorzulegen.

Die weitergehenden Anträge werden zurückgewiesen.

D ETAILS DER ANORDNUNG:

Anordnung Nr. 33133/2024 im Verfahren ACT_460565/2023

UPC number: UPC_CFI_22/2023

Art des Vorgangs: Verletzungsklage

Nr. des dazugehörigen Verfahrens: 32879/2024

Art des Antrags: Antrag auf Anordnung der Beweisvorlage (Regel 190 VO)

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