
Lokalkammer München UPC_CFI_221/2024
Verfahrensanordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts Lokalkammer München erlassen am 2. September 2024
KLÄGERIN (ANTRAGSTELLERIN)
Panasonic Holdings Corporation
vertreten durch:
Sören Dahm (Kather Augenstein).
BEKLAGTE (ANTRAGSGEGNERINNEN)
-
- Guangdong OPPO Mobile Telecommunications Corp. Ltd.
- OROPE Germany GmbH
vertreten durch:
Tobias Hessel (Clifford Chance).
STREITPATENT
Europäisches Patent Nr. 3 024 163
SPRUCHKÖRPER/KAMMER
Spruchkörper 1 der Lokalkammer München
MITWIRKENDE RICHTER/INNEN
Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter Dr. Matthias Zigann, den rechtlich qualifizierten Richter András Kupecz, den rechtlich qualifizierten Richter Tobias Pichlmaier, und die technisch qualifizierte Richterin Kerstin Roselinger erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
GEGENSTAND
Verletzungsklage -Regel 305 VerfO
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS
Die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 wurde am 4. August 2023 eingereicht. Haupttermin ist für Ende Januar 2025 vorgesehen.
Die Beklagte zu 2 führt als Marketing Agent gemäß den mit der Guangdong Oppo Mobile Telecommunications Corp. Ltd. und der OTECH Germany GmbH geschlossenen Dienstleistungsverträgen Supportleistungen, wie z. B. Markt- und Zielgruppenanalysen, Suchmaschinenoptimierungen, Social Media Marketing sowie ganze Marketingkampagnen durch und erbringt zusätzlich administrative Dienstleistungen. Im Jahr 2020 wickelte die Gesellschaft übergangsweise für die Schwestergesellschaft OTECH Germany GmbH die Verkaufsgeschäfte von Smartphones ab. Dieser Geschäftszweig wurde im August 2020 von der OTECH Germany GmbH übernommen.
Im Juni 2023 wurde die OTECH Germany GmbH vom Landgericht Mannheim wegen Patentverletzung verurteilt. In dem Blog 'F OSS PATENTS ' wurde am 7. Juni 2023 hierüber berichtet.
Der Jahresbericht 2020/2021 der Beklagten zu 2, in dem die oben geschilderten geschäftlichen Verhältnisse dargestellt worden sind, wurde am 4. August 2024 veröffentlicht und war seitdem online abrufbar. Die Klägervertreten haben diesen am 18. Februar 2024 online abgerufen.
Die Klägerin hat am 15 März 2024 eine vor dem Landgericht München I anhängige Patentverletzungsklage um die Beklagte zu 3 erweitert.
Am 5. Juni 2024 hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren die Zustimmung zu einer Erweiterung der Klage auf die OTECH Germany GmbH beantragt.
Die Beklagten zu 1 und 2 wurden angehört. Sie wenden sich gegen eine Zulassung der Klageerweiterung. Sie halten diese für unzulässig und für nicht sachgerecht. Die Klägerin hätte die OTECH Germany GmbH direkt verklagen können und müssen, jedenfalls aber hätte sie den Antrag auf Zulassung der Klageerweiterung wesentlich früher stellen können. Hilfsweise seien die Fristläufe anzupassen. Der OTECH Germany GmbH seien dieselben Fristen einzuräumen, wie jedem anderen Beklagten. Der Termin Ende 2025 könne daher nicht gehalten werden.
Die Klägerin argumentiert, dass sich die anwaltlichen Vertreter der Beklagten OTECH Germany GmbH vor dem Landgericht München I schlicht auf den Vortrag der anderen Beklagten berufen hätten. Die Haltung der (identischen) hiesigen Vertreten sei daher nicht nachvollziehbar.
Im Übrigen sei die Tätigkeit der OTECH Germany GmbH der Klägerin vor Klageerhebung nicht bekannt gewesen. Erst durch den Jahresabschluss habe die Klägerin Kenntnis davon erlangt, dass die Beklagten die Vertriebstätigkeiten der Beklagten zu 2) großteils auf die
OTECH Germany GmbH verlagert haben und mutmaßlich deswegen das Landgericht Mannheim die OTECH Germany GmbH verurteilt habe. Dem Blog-Artikel auf FOSS PATENTS habe man keine Begründung dafür entnehmen können, warum das Landgericht Mannheim eine Passivlegitimation der OTECH Germany GmbH angenommen habe. Der Klägerin seien die Urteilsgründe nicht bekannt gewesen. Diese seien bis heute nicht bei Beck oder Wolters Kluwer veröffentlicht worden. Daher sei es der Klägerin nicht möglich gewesen, die OTECH Germany GmbH bereits in die Klage aufzunehmen.
Auch der Zeitpunkt der Antragstellung auf Zulassung der Klageerweiterung spreche aus prozessökonomischen Gründen nicht dagegen, die Klageerweiterung zuzulassen. Die Zulassung der Klageerweiterung verhindere, dass die Parteien in einem weiteren Prozess die gleichen Argumente austauschten. Auf den Zeitpunkt komme es dazu nicht an. Zudem benachteilige der gewählte Zeitpunkt die Beklagten nicht, wie auch ein Vergleich mit dem parallelen Verfahren vor dem LG München zeige. Um den Aufwand der Klageerweiterung insbesondere auf Seiten des Landgerichts München I so gering wie möglich zu halten, habe die Klägerin bei dem Prozessvertreter der Beklagten zu 1) und 2) nachgefragt, ob die Klägerin mit der Klageerweiterung vor dem Landgericht München I sie als Prozessbevollmächtigte angeben könne, um die Zustellung zu vereinfachen. Dies hätte der Prozessvertreter der Beklagten zu 1) und 2) bejaht, sodass die Klageerweiterung ohne neue Zustellung durchgeführt habe werden können. Nachdem die Klägerin erfolgreich die Klage vor dem Landgericht München erweitert habe, habe die Klägerin auch den Entschluss gefasst, die Klage vor der Lokalkammer München zu erweitern. Um eine Zustellung über das CMS zu ermöglichen, habe die Klägerin wiederum bei dem Prozessvertreter der Beklagten zu 1) und 2) nachgefragt, ob dieser für eine Klageerweiterung auch vor der Lokalkammer München zustellungsbevollmächtigt sei. Erst nach einer wiederholten Nachfrage habe die Klägerin am 17. Mai 2024 die Antwort erhalten, dass der Prozessvertreter der Beklagten zu 1) und 2) die OTECH Germany GmbH zu diesem Zeitpunkt ('At this stage') vor der Lokalkammer München nicht vertrete. Parallel habe sich die Klägerin mit der Lokalkammer München in Kontakt gesetzt, um zu erfahren, wie eine subjektive Klageerweiterung über das CMS vorgenommen werden könne, weil bekannt gewesen sei, dass der Workflow für die subjektive Klageerweiterung nicht betriebsbereit gewesen sei. Das Gericht habe bestätigt, dass die subjektive Klageerweiterung nach R. 306.1 lit a) VerfO zu dem damaligen Zeitpunkt nicht vollständig im CMS implementiert war. Die Klägerin habe daraufhin in einer weiteren E-Mail angesprochen, ob dieses technische Problem mit einer neuen Klage, die nach Erhebung mit der bestehenden Klage sodann verbunden würde, gelöst werden könne. Das Gericht habe diese Möglichkeit grundsätzlich bestätigt, aber vorausgesetzt, dass die Klagen zur selben Zeit 'reif' sein müssten. Zudem ha be das Gericht vorgeschlagen, dass sich insoweit die Parteien auf ein verkürztes Fristenregime einigen, damit die Klagen in einem Termin verhandelt werden könnten. Vor dem Hintergrund, dass der Prozessvertreter der Beklagten zu 1) und 2) der Klägerin zwischenzeitlich mitgeteilt habe, dass er für eine Klageerweiterung nicht zustellungsbevollmächtigt sei, sei eine solche Lösung nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe sich daher gezwungen gesehen, dennoch den nicht vollständig implementierten Workflow im CMS zu nutzen. Dies zeige aber, dass die Klägerin sich darum bemüht habe, die Klageerweiterung für alle Seiten möglichst ohne Mehraufwand abzuwickeln. Die Abstimmung mit der Gegenseite sowie dem Gericht in Bezug auf die Unzulänglichkeit des CMS habe Zeit in Anspruch genommen, sodass die Klägerin die Klage im Vergleich zu dem Verfahren vor dem Landgericht München später erweitert habe. Dies könne ihr aber nicht zur Last gelegt werden.
ANTRÄGE DER PARTEIEN
Die Klägerin beantragt:
'erweitern den vorliegenden Rechtsstreit auf die Beklagte zu 3) und stellen die Anträge zu I. bis einschließlich IX. aus der Klageschrift vom 31.07.2023 auch in Bezug auf die Beklagte zu 3).
Die Beklagten zu 1 und 2 beantragen:
Zurückweisung des Antrags und hilfsweise Anpassung der Fristenläufe.
GRÜNDE DER ANORDNUNG
Das Gericht übt das ihm in Regel 305 VerfO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, die Klageerweiterung nicht zuzulassen.
1. Gesetzeslage
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a. Nach Regel 305 VerfO kann das Gericht auf Antrag einer Partei anordnen, dass eine Person (a) als Partei hinzugefügt wird, (b) als Partei ausscheidet, (c) eine andere Partei ersetzt. Das Gericht fordert die anderen Verfahrensparteien auf, nach Zustellung des Antrags so bald wie möglich dazu Stellung zu nehmen. Ordnet das Gericht an, dass eine Person Partei wird oder als Partei ausscheidet, kann es in Bezug auf diese Partei geeignete Anordnungen hinsichtlich der Zahlung von Gerichtsgebühren und Kosten treffen.
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b. Nach Regel 306 VerfO erteilt das Gericht Anweisungen zur Regelung der Auswirkungen auf die Verfahrensleitung, falls es anordnet, dass eine Partei nach Regel 305.1 VerfO hinzugefügt, entfernt oder durch eine andere Partei ersetzt wird. Das Gericht bestimmt ferner, in welchem Maße eine neue Partei an den bisherigen Verfahrensstand gebunden ist.
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c. Ein Vergleich mit der Reglung in Regel 263 VerfO zur objektiven Klageänderung, insbesondere zur Klageerweiterung, zeigt, dass in Regel 305 VerfO der Gesichtspunkt der zeitlichen Verspätung der Antragstellung nicht explizit zu einem eine positive Entscheidung ausschließenden Tatbestandsmerkmal erhoben worden ist. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Gesichtspunkt keine Rolle spielt. Vielmehr gewährt die Regelung dem Gericht ein weites Ermessen dahingehend, eine Klageerweiterung trotz einer etwaigen Verspätung der Antragstellung aufgrund anderer Erwägungen, wie zum Beispiel der Prozessökonomie, zuzulassen. Dabei ist aber stets zu berücksichtigen, dass die gesamte Verfahrensordnung davon geprägt ist, ein zügiges Verfahren unter Gewährung hinreichenden rechtlichen Gehörs für alle Parteien zur Verfügung zu stellen.
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- Der Antrag auf Gestattung der subjektiven Klageerweiterung ist als verspätet gestellt zu bewerten.
Die Klägerin hat nicht in Abrede gestellt, dass sie aufgrund der Meldung bei FOSS PATENTS vom 7. Juni 2023 bereits im Juni 2023 davon Kenntnis hatte, dass die OTECH Germany GmbH vom Landgericht Mannheim wegen Patentverletzung verurteilt worden war. Sie hat nicht mitgeteilt, wann genau ihr die Urteilsgründe vorlagen. Jedenfalls hätte sie aber die Kenntnis um dieses Urteil zum Anlass nehmen können und müssen, um weitere Nachforschungen anzustellen, zumal sie die Beklagte zu 1 und 2 bereits vor der Lokalkammer wegen Patentverletzung in Anspruch genommen hatte. Hätte sie das getan, dann hätte sie den seit 4. August 2023 online verfügbaren Geschäftsbericht zu einem früheren Zeitpunkt als am 18. Februar 2024 abrufen und dementsprechend den Antrag auf Gestattung der Klageerweiterung wesentlich früher als am 5. Juni 2024 stellen können.
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- Die Umstände des vorliegenden Falls gebieten keine Zulassung der Klagerweiterung trotz dieser Verspätung.
Die Beklagten zu 1 und 2 haben eine Nichtigkeitswiderklage eingereicht. Das schriftliche Verfahren wird im September oder Oktober 2024 abgeschlossen sein. Es ist derzeit nicht bekannt, ob und durch wen sich die OTECH Germany GmbH anwaltlich vertreten lassen wird. Es ist auch nicht bekannt, ob sie von ihrem Recht Gebrauch machen wird, eine eigenständige Nichtigkeitswiderklage einzureichen. Tut sie das, so wäre sie in Bezug auf die darin vorzutragenden Nichtigkeitsangriffe nicht auf dasjenige beschränkt, was die Beklagten zu 1 und 2 bisher vorgetragen haben. Die Anordnung einer Bindung an den bisherigen Verfahrensstand gem. Regel 306.2 VerfO erschiene insoweit zu weitgehend. Denn grundsätzlich kann jeder die Nichtigkeit eines erteilten Patents mit einer Nichtigkeitsklage angreifen. Bei Zulassung der Klageerweiterung wäre die OTECH Germany GmbH aber wegen Art. 33 (4) EPGÜ darauf beschränkt, dies im Rahmen einer Nichtigkeitswiderklage zu tun. Eine weitere Beschränkung auf diejenigen Nichtigkeitsangriffe, die die Beklagten zu 1 und 2 im Rahmen ihrer Nichtigkeitswiderklage bereits vorgetragen habe, erschiene vor diesem Hintergrund als nicht fair. In einer solchen Situation müsste dann aber auch der Klägerin als Patentinhaberin die Möglichkeit eingeräumt werden, sich gegen diese neuen Nichtigkeitsangriffen zu verteidigen, auch mit einem weiteren (Hilfs-)Antrag auf Änderung des Patents. Mithin könnte das schriftliche Verfahren, wenn überhaupt, nicht so stark verkürzt werden, dass der geplante Termin Ende Januar 2025 noch sinnvoll vorbereitet und durchgeführt werden könnte. Prozessökonomische Gesichtspunkte gebieten daher nicht zu Zulassung des verspätet gestellten Antrags.
Dem Vortrag der Klägerin kann im Übrigen nicht entnommen werden, dass sie das Ziel der Klageerweiterung höher gewichtet, als das Ziel, den Termin Ende 2025 zu halten. Im Gegenteil ist aus parallel anhängigen Anträgen auf Aussetzung des Verfahrens und Absetzung der Verhandlungstermine mit Blick auf Parallelverfahren im Vereinigten Königreich bekannt, dass die Klägerin einer Aussetzung vehement entgegentritt und großen Wert auf die Beibehaltung der geplanten Termine legt.
Ein weiterer Faktor bei der Abwägung ist auch, dass die Nachteile für die Klägerin überschaubar sind. Schließlich kann die Klägerin jederzeit ein neues, separates Verfahren gegen die OTECH Germany GmbH einreichen. Dieses neue Verfahren würde innerhalb des (effizienten) Verfahrensrahmens des EPG rasch zur Entscheidungsreife gebracht werden.
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- Die Berufung ist zuzulassen, weil bisher keine Klärung der sich hier stellenden Fragen durch das Berufungsgericht erfolgt ist.
ANORDNUNG
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- Der Antrag wird zurückgewiesen.
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- Die Berufung wird zugelassen.
DETAILS DER ANORDNUNG
Anordnung Nr. ORD_40296/2024 im VERFAHREN NUMMER: ACT_545620/2023
UPC Nummer: UPC_CFI_221/2023
Art des Vorgangs:
Verletzungsklage
Nr. des dazugehörigen Verfahrens Antragsnr.: 33757/2024
Art des Antrags:
Antrag auf Parteiänderung
INFORMATION ÜBER DIE BERUFUNG, WENN ES SICH UM EINE ANORDNUNG NACH ART. 73 (2) (B) EPGÜ HANDELT:
Gegen die vorliegende Anordnung kann entweder
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- durch jede Partei, die ganz oder teilweise in ihren Anträgen erfolglos war, zusammen mit der Berufung gegen die Endentscheidung des Gerichts erster Instanz in der Hauptsache Berufung eingelegt werden, oder
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- nach Zulassung der Berufung durch das Gericht erster Instanz binnen 15 Tagen nach Zustellung der entsprechenden Entscheidung Berufung durch jede Partei, die ganz oder teilweise in ihren Anträgen erfolglos war, eingelegt werden (Art. 73 (2) (b) EPGÜ, R. 220.2, 224.1 (b) VerfO).
Erlassen in München am 2. September 2024
Dr. Zigann Vorsitzender Richter und Berichterstatter |
Kupecz Rechtlich qualifizierter Richter |
Pichlmaier Rechtlich qualifizierter Richter |
Roselinger Technisch qualifizierte Richterin |
für den Hilfskanzler |