
Lokalkammer Mannheim UPC_CFI_471/2023
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts, erlassen am: 20/10/2024
betreffend EP 2 479 680 betreffend App_46519/2024 (Vorlageverlangen betreffend Quellcodes)
KLÄGERINNEN/ANTRAGSTELLERINNEN
1) DISH Technologies L.L.C.
vertreten durch Denise Benz
2)
Sling TV L.L.C.
vertreten durch Denise Benz
BEKLAGTE/ANTRAGSGEGNERINNEN
1) AYLO PREMIUM LTD
- 195-197 Old Nicosia-Limassol Road, Block 1 Dali Industrial Zo-ne - 2540 - Nikosia - CY
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
3) AYLO FREESITES LTD
- 195-197 Old Nicosia-Limassol Road, Block 1 Dali Industrial Zo-ne - 2540 - Nikosia - CY
vertreten durch Conor McLaughlin/ Tilman Müller-Stoy
- BROCKWELL GROUP LLC
- 19046 Bruce B. Downs Blvd #1134 - 33647 -
Tampa - US
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
6) BRIDGEMAZE GROUP LLC
- 12378 SW 82 AVENUE - 33156 - Miami - US
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
WEITERE BETEILIGTE BEKLAGTE:
AYLO Billing Limited
- The Black Church, St Mary's Place, Dublin 7 D07 P4AX - Dublin - IE
4) AYLO BILLING US CORP.
- 21800 Oxnard Ste 150 - 91367 - 7909 Woodland Hills - US
STREITGEGENSTÄNDLICHES PATENT:
Europäisches Patent Nr. EP 2 479 680
SPRUCHKÖRPER:
Lokalkammer Mannheim
MITWIRKENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde durch den Berichterstatter Böttcher erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND: Antrag auf Vorlageanordnung gem. R. 190 VerfO
SACHVERHALT:
Die Klägerinnen beantragen gem. R. 190 VerfO die Anordnung der Vorlage des Quellcodes von verwendeten Media Playern unter den Browsern Google Chrome, Microsoft Edge und Safari durch die Beklagten zu 1, 3, 5 bzw. 6.
Die Klägerinnen nehmen die Beklagten im zugrundeliegenden Hauptverfahren wegen behaupteter mittelbarer Patentverletzung hinsichtlich des Gebiets des Königreichs Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Finnland, der Französischen Republik, der Italienischen vertreten durch Tilman Müller-Stoy
vertreten durch Tilman Müller-Stoy
Republik, des Königreichs der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik und des Königreichs Schweden in Anspruch. Die Beklagten haben Nichtigkeitswiderklagen erhoben.
Nach dem Klagevortrag betreiben die Beklagten 1, 3, 5 und die Beklagte zu 6 (diese lediglich zusammen mit der Beklagten zu 1 bzw. zu 5) Streamingdienste, welche für die jeweilige Beklagten in der Klageschrift im Einzelnen (nicht abschließend) als angegriffene Ausführungsformen benannt werden (vgl. Klagebegründung, S. 28 Ziff. 1, S. 12 unter Ziff. 2 und 4), während die Beklagten zu 2 und 4 Zahlungsabwicklungsdienstleistung hierzu erbringen. Die Vorlageanträge gegen die jeweils betroffene Beklagte beziehen sich auf den Quellcode von bestimmten Media Playern dieser Streamingdienste.
In der Klageschrift haben die Klägerinnen die behauptete Patentverletzung beispielhaft anhand des Streamingdienstes www.brazzers.com der Beklagten zu 1 und des Streamingdienstes www.pornhub.com der Beklagten zu 3, jeweils aufgerufen über den Microsoft-Edge-Browser, mit je einem dort in der dynamischen Wiedergabequalitätseinstellung 'auto' (für automatisch) aufgerufenen Video unter Verwendung des Analysetools Charles Web Debugging Proxy (fortan Charles Proxy) und des mithilfe des Microsoft Edge DevTools öffentlich zugänglichen Quellcodes des verwendeten Media Players unter dem Microsoft-Edge-Browser begründet (Klagebegründung, S. 35 ff. bzw. 76 ff.) und pauschal behauptet, dass die Ausführungen entsprechend für alle weiteren angegriffenen Ausführungsformen gälten (Klagebegründung, S. 34). Charles Proxy ist eine HTTP web-testing Proxy-Server-Anwendung, die es dem Benutzer ermöglicht, den gesamten HTTP- und SSL-/HTTPS-Verkehr zwischen seinem Rechner und dem Internet einzusehen, insbesondere Anforderungen ('Requests') und Antworten ('Responses') einschließlich HTTP-Header und Metadaten (z. B. Cookies, Cachingund Kodierungsinformationen), und dabei die der Endbenutzerstation für das Streaming zur Verfügung stehende Bandbreite zu drosseln. Die auf diese Weise nach ihrem Vortrag gewonnenen Informationen haben die Klägerinnen für den erstgenannten Streamingdienst als Anlagen K6 (Charles-Proxy-Aufzeichnungen), K7 (Quellcode) und für den zweitgenannten Streamingdienst als Anlagen K8 (Charles-Proxy-Aufzeichnungen), K9 (Quellcode) zur Klageschrift vorgelegt.
Die Beklagten haben in ihren Klageerwiderungen eine Patentverletzung durch die Streamingdienste www.brazzers.com und www.pornhub.com in Abrede gestellt. Hierzu legen sie teilweise das Klagepatent anders aus und tragen teilweise abweichend zur technischen Funktionsweise der beiden Streamingdienste vor, wobei sie den vorgelegten Charles-ProxyAufzeichnungen und Quellcodes teilweise einen anderen Aussagegehalt als die Klägerinnen beimessen. Die über die genannten Webseiten verfügbaren Videos seien entgegen den Anforderungen des Klagepatents weder mit einer bestimmten Bitrate kodiert noch jeweils als mehrere Dateien (streamlets) auf einem Satz von Servern wie in einem bloßen Datenschrank gespeichert. Mit Blick auf die übrigen in der Klageschrift als angegriffene Ausführungsformen benannten Streamingdienste rügen sie das gänzliche Fehlen eines schlüssigen, jedenfalls eines substantiierten Vortrags zur Benutzung der Lehre des Klagepatents. Da schon nach dem Klagevortrag die beiden in der Klageschrift erörterten Streamingdienste unterschiedlich ausgestaltet seien, gehe der pauschale Verweis, die anderen funktionierten entsprechend, ins Leere. Ferner bestreiten die Beklagten, die Behauptung der Klägerinnen, dass jede internet- und browserfähige Endbenutzerstation, die auf die benannten Internetseiten der Streamingdienste zurückgreife, den dort angeblich eingebetteten und von den Beklagten bereitgestellten Media Player abrufen würde, wie er von den Klägerinnen dargestellt sei. Dieser Media Player werde nicht in jedem Browser jeder Endbenutzerstation genutzt, vielmehr könnten ein Media Player oder Teile davon auch in dem Browser der Endbenutzerstation implementiert sein.
In ihren Repliken zu den einzelnen Klageerwiderungen vertiefen die Klägerinnen ihren Verletzungsvortrag zu den in der Klageschrift beispielhaft erläuterten beiden Streamingdiensten, bei denen dem Endnutzer indes mittlerweile die Wiedergabequalitätseinstellung 'auto' nicht mehr zur Auswahl stehe. Die Rüge des Fehlens eines substantiierten Vortrags sehen sie nicht als Bestreiten an. Vorsorglich behaupten sie, dass die Media Player der auf S. 28 der Klageschrift als angegriffen angeführten Streamingdienste der Beklagten zu 1 und 5 dem in der Klagebegründung dargestellten Streamingdienst www.brazzers.com der Beklagten zu 1 und die Media Player der auf S. 28 ebenfalls als angegriffen angeführten Streamingdienste der Beklagten zu 3 dem in der Klagebegründung dargestellten Streamingdienst www.pornhub.com der Beklagten zu 3 entsprächen, wobei die Quellcodes der verwendeten Media Player entsprechend ausgestaltet seien. Hierzu legen sie Abgleiche des Quellcodes der Media Player von weiteren (aber nicht allen) der in der Klageschrift angeführten Streamingdienste der Beklagten zu 1 und 5 (Anlagen K19a bis 19e) und der Beklagten zu 3 (Anlagen K20a bis K20c) unter dem Microsoft-Edge-Browser vor. Sie gehen zudem auf die der Beklagten 6 (zusammen mit der Beklagten zu 5 bzw. der Beklagten zu 1) zugeschriebenen Streamingdienste www.mygf.com und www.bangbros ein.
Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass vor diesem Hintergrund davon auszugehen sei, dass sie durch die vorgelegten Quellcodes des Media Players unter dem Browser Microsoft Edge alle Beweismittel vorgelegt hätten, die sie vernünftigerweise hätten erlangen können. Die Quellcodes unter dem Browser Safari seien nicht öffentlich zugänglich. Mehr sei den Klägerinnen mit Blick auf die große Anzahl der Streamingdienste der Beklagten und die Tatsache, dass die meisten davon das Abschließen kostenpflichtiger Abonnements vor Herunterladen von Quellcode erfordern, darüber hinaus nicht zumutbar. Zudem sei es wegen der angeblichen Entfernung der 'Auto'Funktion teilweise inzwischen auch gar nicht mehr möglich, die Quellcodes aller angegriffenen Websites für einen Vergleich heranzuziehen. Die Beklagten 1, 3, 5 und 6 hätten hingegen ohne Hindernisse Zugriff. Auf die den Beklagten zu 1, 3, 5 und 6 zur Verfügung stehenden Quellcodes seien die Klägerinnen - jedenfalls nach dem Dafürhalten der Beklagten - zur Begründung ihrer Ansprüche angewiesen.
Die Beklagten treten den Vorlageanträgen entgegen. Diese seien in sachlicher und zeitlicher Hinsicht unklar und unbestimmt, zudem verspätet und stellten unzulässige Ausforschungsanträge dar. Ungeachtet dessen seien sie unbegründet. Es seien keine Tatsachenbehauptungen streitig, die für die geltend gemachten Ansprüche erheblich wären. Hinreichenden Vortrag zu Verletzungshandlungen im Zusammenhang mit dem Safari-Browser hätten die Klägerinnen schon nicht gehalten, dementsprechend hätten die Beklagten, die über keinen Zugriff auf den proprietären Quellcode des Safari-Browsers einschließlich des Media Player Quellcodes verfügten, in ihrer Klageerwiderung insoweit nichts bestritten. Der Quellcode von Google Chrome und der von Microsoft Edge seien den Klägerinnen zugänglich. Die pauschale Behauptung in der Klagebegründung, sämtliche angegriffenen Ausführungsformen wiesen die Eigenschaften der beiden untersuchten Ausführungsformen auf, genüge der Darlegungslast der Klägerinnen nicht und sei nicht einlassungsfähig. Aus dem britischen Parallelverfahren sei den Klägerinnen zudem bekannt, dass die Seite www.pornmd.com aus dem Antrag gegen die Beklagte zu 6 nicht mehr von den Beklagten betrieben werde und zudem keinen eigenen Media Player umfasse bzw. umfasst habe. Media Player ohne 'Auto'-Funktion seien zudem nicht angegriffen. Jedenfalls hätten die Klägerinnen nicht alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel ausgeschöpft. Dies zeige sich schon daran, dass sie im britischen Parallelverfahren nach ihrem dortigen Vortrag die 52 dort angegriffene Webseiten, die auch zu den im hiesigen Verfahren gegenständlichen Webseiten zählten, mittels des Charles Proxy-Analysetools und Untersuchungen des Quellcodes untersucht hätten, obwohl der Zugang zu mehr als 40 dieser Seiten kostenpflichtig sei. Quellcode vor
Abschaltung der 'Auto'-Funktion hätten sie bereits vor Klageerhebung untersuchen müssen. Jedenfalls sei die Anordnung der Vorlage unverhältnismäßig, bevor die Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Replik in ihrer Duplik gehabt hätten.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Klägerinnen beantragen, nach Maßgabe von Art. 59 EPGÜ und Regel 190 EPGVerfO anzuordnen,
-
- dass die Beklagte zu 1 die Quellcodes der von den Streamingdiensten www.brazzers.com, www.digitalplayground.com, www.men.com, www.babes.com, www.seancody.com, www.transangels.com, www.realitykings.com, www.mofos.com, www.twistys.com, www.whynotbi.com, www.fakehub.com, www.fakehub.com/fakedrivingschool, www.publicagent.com, www.faketaxi.com, www.lesbea.com, www.danejones.com, www.sexyhub.com, www.sexyhub.com/massagerooms, www.iknowthatgirl.com, www.milehighmedia.com, www.bang-bros.com, www.bangpovbros.com, www.sweetheartvideo.com, www.sweetsinner.com, www.realityjunkies.com, www.doghousedigital.com, www.familysinners.com, www.hentaipros.com, www.erito.com, www.transharder.com, www.metrohd.com, www.squirted.com, www.propertysex.com, www.transsensual.com, www.bromo.com, www.czechhunter.com, www.bigstr.com, www.spicevids.com, www.trueamateurs.com, www.deviante.com, www.fakehostel.com, www.biempire.com, www.milfed.com, www.gilfed.com, www.dilfed.com,, www.girlgrind.com, www.kinkyspa.com, www.shewillcheat.com, www.devianthardcore.com, www.familyhookups.com, www.realitydudes.com, www.noirmale.com und www.iconmale.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung des Safari Browsers vorlegt;
-
- dass die Beklagte zu 3 die Quellcodes der von den Streamingdiensten www.pornhub.com, www.pornhubpremium.com, www.youporn.com, www.youporngay.com, www.redtube.com, www.pornmd.com, www.thumbzilla.com und www.tube8.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung des Safari Browsers vorlegt;
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- dass die Beklagte zu 5 die Quellcodes der von dem Streamingdienst www.mygf.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung des Safari Browsers vorlegt;
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- dass die Beklagte zu 6 die Quellcodes der von dem Streamingdienst www.bangbros.com und www.bangpovbros.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung des Safari Browsers vorlegt;
-
- dass die Beklagte zu 1 die Quellcodes der von den Streamingdiensten www.men.com, www.babes.com, www.seancody.com, www.transangels.com, www.realitykings.com, www.mofos, www.twistys.com,www.whynotbi.com, www.fakehub.com,
www.fakehub.com/fakedrivingschool, www.publicagent.com, www.faketaxi.com, www.lesbea.com, www.danejones.com, www.sexyhub.com, www.sexyhub.com/massagerooms, www.iknowthatgirl.com, www.milehighmedia.com, www.bang-bros.com, www.bangpovbros.com www.sweetheartvideo.com, www.sweetsinner.com, www.realityjunkies.com, www.doghousedigital.com, www.familysinners.com, www.hentaipros.com, www.erito.com, www.transharder.com, www.squirted.com, www.propertysex.com, www.transsensual.com, www.bromo.com, www.czechhunter.com, www.bigstr.com, www.spicevids.com, www.trueamateurs.com, www.fakehostel.com, www.biempire.com, www.milfed.com, www.gilfed.com, www.dilfed.com, www.girlgrind.com, www.kinkyspa.com, www.shewillcheat.com www.devianthardcore.com, www.familyhookups.com, www.realitydudes.com, www.noirmale.com und www.iconmale.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung der Browser Google Chrome und Microsoft Edge vorlegt;
-
- dass die Beklagte zu 3 die Quellcodes der von den Streamingdiensten www.pornhubpremium, www.youporn-gay.com, www.pornmd.com und www.thumbzilla.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung der Browser Google Chrome und Microsoft Edge vorlegt;
-
- dass die Beklagte zu 5 die Quellcodes der von dem Streamingdienst www.mygf.com verwendeten Media Player nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung der Browser Google Chrome und Microsoft Edge vorlegt;
-
- dass die Beklagte zu 6 die Quellcodes der von dem Streamingdienst www.bangpovbros.com verwendeten Media Player jeweils vor und nach und von dem Streamingdienst www.bang-bros.com nach angeblicher Entfernung der 'auto' Funktion beim Streamen von Videos unter Nutzung der Browser Google Chrome und Microsoft Edge vorlegt;
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- dass die Vorlage der unter Ziffer 1 bis 4 bezeichneten Beweismittel innerhalb von 14 Tagen nach Anordnung der Vorlage zu erfolgen hat;
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- gemäß R. 190.4 (b), 190.7 EPGVerfO, dass für den Fall, dass die Beklagten zu 1, 3, 5 und 6 ihrer Verpflichtung aus der Vorlageanordnung nicht nachkommen, dieses Versäumnisbei der Entscheidung über die in Rede stehende Angelegenheit berücksichtigt wird und der plausible Vortrag der Klägerinnen über das Übereinstimmen der Quellcodes als zutreffend unterstellt wird; und
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- gemäß R. 190.4 (b) EPGVerfO i.V.m. Art. 82 (4) EPGÜ, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung ein nach Ermessen des Gerichts festzusetzendes Zwangsgeld zu zahlen ist.
Die Beklagten beantragen:
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- Der Antrag wird vollumfänglich abgewiesen;
hilfsweise
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- der jeweils vorlageverpflichteten Beklagten wird gestattet, für jedes Dokument, dessen Vorlage angeordnet wird, solche Passagen zu schwärzen, auf die sich die Klägerinnen mit ihren Ausführungen in ihrem Antrag vom 9. August 2024 und in ihren Replikschriftsätzen vom 9. August 2024 und vom 19. August 2024 in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht beziehen.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Die beantragten Vorlageanordnungen kommen aus mehreren Gründen nicht in Betracht.
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- Nach Art. 59(1) EPGÜ, R. 190.1 VerfO kann das Gericht auf Antrag einer Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und die in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei oder einer dritten Partei befindlichen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei oder eine dritte Partei anordnen, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. Dabei steht die Begründung von Einwendungen der Begründung von Ansprüchen i.S.d. Art. 59 EPGÜ gleich, so dass die Antragsbefugnis nicht auf die Klagepartei beschränkt ist (vgl. Berufungsgericht, Anordnung vom 24.09.2024, UPC_CoA_298/2024, UPC_CoA_299/2024, UPC_CoA_300/2024 Rn. 32 ff.). Die Vorschrift ist richtlinienkonform im Einklang mit der Richtlinie 2004/48/EG und deren Art. 6(1) auszulegen (vgl. Berufungsgericht, aaO, Rn. 39).
Die Anordnung der Vorlage setzt zunächst regelmäßig voraus, dass eine Tatsache für die Begründung von Ansprüchen (oder Einwendungen) erheblich und beweisbedürftig ist. Hierzu hat der Antragsteller in der Antragsschrift im Einzelnen darzulegen, welche konkrete Tatsache er mit welchem Beweismittel aus welchem Grund beweisen möchte. Für eine nicht wirksam bestrittene Tatsache bedarf es keines Beweises (vgl. R. 171.2 VerfO). Kommt es auf die Tatsache für die verfolgten Ansprüche (oder Einwendungen) nicht an, ist die Anordnung der Vorlage eines Beweismittels in der Regel zumindest unverhältnismäßig. Allerdings darf das Recht der Parteien, die ihren Vortrag stützenden Beweismittel selbst zu bestimmen, nicht beeinträchtigt werden (Art. 43 EPGÜ).
Ob der Antragsteller alle verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung seiner Ansprüche (oder Einwendungen) vorgelegt hat und infolgedessen eine Anordnung auf Vorlage von Beweismitteln gegen den Gegner oder einen Dritten in Betracht kommt, ist in Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der betroffenen Interessen zu beurteilen.
Die Anordnung steht zudem im Ermessen des Gerichts und darf nicht unverhältnismäßig sein. Im Rahmen der Ermessensausübungen sind die Umstände des Einzelfalls unter Einbezug der wechselseitigen Interessen und des Grundsatzes der effizienten Verfahrensführung zu berücksichtigen (vgl. Berufungsgericht, Anordnung vom 24.09.2024, UPC_CoA_298/2024, UPC_CoA_299/2024, UPC_CoA_300/2024 Rn. 47, 53). Auf Seiten des Antragstellers steht insbesondere das Interesse am Erhalt von Beweismitteln einschließlich seines Rechts, die seinen Vortrag stützenden Beweismittel grundsätzlich selbst zu bestimmen (Art. 43 EPGÜ), auf Seiten des Antragsgegners insbesondere das Interesse am Schutz vertraulicher Informationen. Mit Blick auf die Verfahrensleitungsbefugnisse des Berichterstatters, des Vorsitzenden Richters oder des Spruchkörpers besteht ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung über einen Vorlageantrag,
der auch die Festlegung der Reihenfolge umfasst, in der über Streitpunkte zu entscheiden ist. Dabei kann in Ausnahmefällen eine mündliche Verhandlung gem. R. 114 VerfO vertagt werden, um zu weiteren Beweisantritten aufzufordern (vgl. Berufungsgericht, Anordnung vom 24.09.2024, UPC_CoA_298/2024, UPC_CoA_299/2024, UPC_CoA_300/2024 Rn. 54 f.). Ebenso kann eine zuvor beantragte und hinreichend begründete Vorlage von Beweismitteln, deren Relevanz sich für das Gericht erst in der mündlichen Verhandlung ergibt, zu einer Vertagung führen, um die Beweiserhebung durchzuführen.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Vorlageanordnung, zu denen auch die Verfügungsgewalt des Antragsgegners über das vorzulegende Beweismittel gehört, ist nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich der Antragsteller darlegungs- und beweisbelastet.
-
- Nach diesem Maßgaben wird von den beantragten Vorlageanordnungen abgesehen.
- a) Es kann dahinstehen, ob die Klägerinnen in der Antragsschrift die Voraussetzungen für einen Erlass von Vorlageanordnungen hinreichend dargelegt, insbesondere hinreichend aufgezeigt haben, welche konkrete Tatsache bewiesen werden soll.
- b) Keiner abschließenden Klärung bedarf derzeit ferner, inwiefern das Gericht im vorliegenden Fall von abstrakt gefassten Klageanträgen alle in der Klagebegründung als angegriffene Ausführungsformen bezeichneten, ggf. in relevanten Merkmalen unterschiedlich ausgestalteten Streamingdienste auf eine Patentverletzung prüfen muss und hierzu auch den soweit ersichtlich - erstmals in der Replik konkret erwähnten Safari-Browser in den Blick zu nehmen hat.
- c) Eine Anordnung kommt zum jetzigen Zeitpunkt schon deshalb nicht in Betracht, weil noch nicht feststeht, ob die Beklagten die Behauptungen in der Replik zur Ausgestaltung des Quellcodes wirksam bestreiten werden und ob ggf. ein Streit nicht eher über die Interpretation der Codezeilen als über deren tatsächlich Existenz geht. Ebenso ist zum jetzigen Zeitpunkt offen, ob es auf etwaige streitige Punkte patentrechtlich ankommen wird und ob ggf. hierzu der Quellcode erforderlich ist. Noch in der Klagebegründung haben die Klägerinnen vielfach lediglich darauf abgestellt, dass sich ein bestimmter Umstand zusätzlich aus dem erörterten Quellcode ergebe (vgl. 'zudem', 'ferner', o.ä., Klagebegründung, insb. S. 62, 64, 90, 91, 94). Auf der anderen Seite stellt die Anordnung der Vorlage von - hier unterstellt nicht anderweitig zugänglichem, aber den Beklagten zur Verfügung stehendem - Quellcode einen nicht unerheblichen Eingriff dar. Sollten lediglich einzelne Punkte zum Quellcode streitig sein, käme u.U. eine lediglich beschränkte Vorlage in Betracht. Vor diesem Hintergrund ist die Anordnung der Vorlage der Quellcodes derzeit unverhältnismäßig.
- d) Abgesehen davon haben die Klägerinnen nicht alle verfügbaren, zumutbaren Beweismittel ausgeschöpft, deren Heranziehung ihnen unter Abwägung der betroffenen Interessen der Parteien angesonnen werden kann.
Die Klägerinnen haben in der Klagebegründung und den Repliken die geltend gemachte Patentverletzung für die Streamingdienste www.brazzers.com und www.pornhub.com merkmalsbezogen unter Bezugnahme auf Charles Proxy-Aufzeichnungen und Quellcode des Media Players unter dem Browser Microsoft Edge begründet. Für einige weitere Streamingdienste haben sie in den Anlagen K19a bis K19e und K20a bis K20c zumindest Abgleiche des entsprechenden Quellcodes vorgelegt. Entgegen ihrer Auffassung ist es den Klägerinnen zumutbar, auch für die übrigen angegriffenen Streamingdienste, soweit streitig, entsprechende Charles Proxy-Aufzeichnungen vorzulegen und den öffentlich zugänglichen Quellcode des Media
Players unter dem Browser Microsoft Edge abzugleichen. Soweit die Streamingdienste gebührenpflichtig sind, ist es den Klägerinnen zumutbar, sich einen gebührenpflichtigen Zugang zu beschaffen. Konkrete Umstände, die dies unzumutbar erscheinen ließe, haben sie nicht aufgezeigt. Zwar haben die Klägerinnen geltend gemacht, dass 'teilweise' die 'Auto'-Funktion für die Einstellung der Wiedergabequalität mittlerweile entfernt worden sei. Gleichzeitig haben sie aber in den Repliken vorgetragen, dass der maßgebliche Code zur Ausgestaltung dieser Funktion weiterhin im Quellcode der in der Klagebegründung behandelten Media Player der Streamingdienste www.brazzers.com und www.pornhub.com (ohne Einbindung in den Programmablauf) vorhanden sei (vgl. etwa Replik zur Klageerwiderung der Beklagten zu 1 bis 3, S. 30 unten). Daher kann den Klägerinnen zugemutet werden, auch bei den übrigen Streamingdiensten, für die sie noch über keinen Quellcode des Media Players des Browsers Microsoft Edge verfügen, den Quellcode abzurufen und vorzulegen.
Die vorstehenden Grundsätze gelten gleichermaßen für den Media Player unter dem Browser Google Chrome. Die Klägerinnen haben insoweit nicht geltend machen, dass der Quellcode nicht öffentlich abrufbar wäre, etwa unter Verwendung eines ähnlichen Analysewerkzeugs wie beim Browser Microsoft Edge.
Soweit ein Zugriff auf den Quellcode des Media Players nicht besteht (wie beim Safari-Browser und ggf. beim Browser Google Chrome), sind die Klägerinnen gehalten, die Funktionsweise im Bestreitensfall zumindest anhand von Charles Proxy-Aufzeichnungen im möglichen Umfang zu beweisen, bevor eine Vorlageanordnung in Betracht kommt. Nichts anderes gilt, soweit im Einzelfall ein Media Player keinen Code für eine 'Auto'-Funktion (mehr) beinhalten sollte.
Nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls und der wechselseitigen Interessen scheidet daher der Erlass der beantragten Vorlageanordnungen aus. Das Recht der Klägerinnen, die Beweismittel für ihren Vortrag selbst zu bestimmen, tritt bei der vorliegenden Sachlage hinter dem Interesse der Beklagten zurück, nicht mit der Vorlage des Quellcodes belastetet zu werden. Erst Recht gilt dies in Ermangelung eines Bedürfnisses für die begehrte Vorlage des Quellcodes nach Abschalten der 'Auto'-Funktion. Die Klägerinnen haben nicht einmal im Ansatz aufgezeigt, aus welchen Gründen sie ihn benötigen.
Mit Blick auf den Safari-Browser kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr entscheidend darauf an, dass die Beklagten behaupten, selbst keinen Zugriff auf den Quellcode insbesondere des dortigen Media Players zu haben.
Ebenso wenig kommt es auf die Behauptung der Beklagten an, die Klägerinnen benötigten den Quellcode auch deshalb nicht, weil sie nach ihrem Vortrag im britischen Verfahren alle Webseiten mittels des Charles Proxy-Analysetools analysiert und den Quellcode untersucht hätten. Sollte dies zutreffen, wäre indes besonders erläuterungsbedürftig, für welche konkreten Tatsachen welche Teile des Quellcodes als Beweismittel benötigt werden.
- e) Schließlich rechtfertigt es jedenfalls der bisher erreichte Sach- und Streitstand zur Auslegung, Verletzung und Rechtsbeständigkeit des Klagepatents nicht, die Beklagten mit der Anordnung der Vorlage der begehrten Quellcodes zu belasten.
-
- An dem Nebenverfahren zum Streit über die Vorlage der Quellcodes waren sämtliche Beklagten zu beteiligen. Ohne Belang ist, dass die Vorlage lediglich von den Beklagten zu 1, 3, 5 und 6 begehrt wird, denn mit dem vorzulegenden Quellcode sollen Patentverletzungen belegt
werden, an denen nach dem Klägervortrag die Beklagten zu 2 und 4 ebenfalls beteiligt sind. Damit sind vom Streit auch Interessen dieser Beklagten betroffen.
ANORDNUNG:
Die Anträge der Klägerinnen auf Vorlage von Beweismitteln vom 09.08.2024 werden zurückgewiesen.
ANGABEN ZUR ANORDNUNG
Anordnung Nr. ORD_47065/2024 im VERFAHREN NUMMER: ACT_594191/2023
UPC Nummer: UPC_CFI_471/2023
Art des Vorgangs:
Verletzungsklage
Nr. des dazugehörigen Verfahrens Antragsnr.:
46519/2024
Art des Antrags:
Vorlage für Verfahrensantrag
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Erlassen in Mannheim am 20. Oktober 2024
Böttcher Berichterstatter
INFORMATIONEN ZUR BERUFUNG (Art. 73(2)(a), 59 EPGÜ, R. 190, R. 220.1 (c), 224.1 (b) VerfO) Die nachteilig betroffene Partei kann gegen diese Anordnung innerhalb von 15 Tagen nach ihrer Zustellung Berufung einlegen.