1 November, 2024
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Order
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ORD_58165/2024
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Luxembourg (LU)
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EP3866051
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R. 36 VerfO
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Aktenzeichen: UPC_CoA_520/2024 App_57474/2024 APL_51079/2024
Verfahrensanordnung
des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts betreffend einen Antrag nach R. 36 VerfO erlassen am 01. November 2024
ANTRAGSGEGNERIN UND BERUFUNGSKLÄGERIN
Scandit AG , Hardturmstrasse 181, 8005 Zürich, Schweiz (im Folgenden " Scandit "), vertreten durch Dr. Johannes Bukow und Tonio Allendorf, Rechtsanwälte, Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan, LLP
ANTRAGSTELLERIN UND BERUFUNGSBEKLAGTE
Hand Held Products, Inc. , 855 S Mint Street, Charlotte, NC 28202, USA (im Folgenden " Hand Held Products "), vertreten durch Dr. Tobias Wuttke, Rechtsanwalt, Bardehle Pagenberg, Partnerschaft mbB Patentanwälte Rechtsanwälte,
STREITPATENT
EP 3 866 051
ENTSCHEIDENDER RICHTER
Emmanuel Gougé, Berichterstatter
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
BEANSTANDETE ANORDNUNG DES GERICHTS ERSTER INSTANZ
- □ Anordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts, Lokalkammer München, vom 27. August 2024
- □ Aktenzeichen: ORD_46277/2024, ACT_9216/2024, UPC_CFI_74/2024
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS
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- Das Gericht erster Instanz, Lokalkammer München, erließ am 27. August 2024 eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin (Scandit) wegen mittelbarer Verletzung der
Patentansprüche 1 und 10 des Streitpatents und wies den Antrag der Antragstellerin (Hand Held Products) auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen im Übrigen sowie die Anträge beider Parteien, der jeweils anderen Partei die Kosten aufzuerlegen, zurück.
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- Scandit legte gegen der angefochtenen Anordnung Berufung ein und reichte am 11. September 2024 ihre Berufungsbegründung ein.
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- Hand Held Products reichte ihre Berufungserwiderung am 2. Oktober 2024 ein.
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- Am 21. Oktober 2024 beantragte Scandit, gemäß R. 36 VerfO, eine Replik auf die Berufungserwiderung einreichen zu dürfen.
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- Nach einer Verfahrensanordnung vom 24. Oktober 2024 reichte Hand Held Products am 28. Oktober 2024 ihre schriftliche Stellungnahme ein.
ANTRÄGE DER PARTEIEN
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- Zur Begründung ihres Antrags, eine Replik einreichen zu dürfen, wiederholt Scandit ihre bereits in der Berufungsbegründung dargelegte Argumentation, wonach der angefochtene Beschluss auf einer falschen Auslegung der Merkmale 1.7 bis 1.9 des Anspruchs 1 des Patents durch Bezugnahme auf eine " erweiterte Realität " beruhe.
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- Sie ist der Ansicht, dass Hand Held Products, als sie in ihrer Berufungserwiderung diese Merkmale unter Bezugnahme auf eine " erweiterte Realität " ansprach, zum ersten Mal auf die Beschreibung in Absatz [0063] des Streitpatents verwies, was nun einer eingehenden Analyse durch Scandit bedürfe.
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- Darüber hinaus macht Scandit geltend, dass die Replik erforderlich sei, um weiteren Stand der Technik darzulegen, der angesichts der kurzen Berufungsbegründungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren zum Zeitpunkt der Einreichung der Berufungsbegründung Ihr noch unbekannt war und daher nicht bereits mit der Berufungsbegründung eingeführt werden konnte.
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- Hand Held Products beantragt, den Antrag von Scandit zurückzuweisen.
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- Hand Held Products macht geltend, dass nach den Grundsätzen der Beschleunigung und der Effizienz des Verfahrens sowie der 'front loaded nature' des Verfahrens vor dem EPG -die Zahl der Schriftsätze begrenzt bleiben muss, es sei denn, der Antragsteller hat nach R. 36 VerfO stichhaltige Gründe für die Zulassung weiterer Schriftsätze vorgebracht.
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- Der Verweis auf Absatz [0063] des Patents diene lediglich dazu, die Auslegung zu unterstreichen, die das Gericht erster Instanz in seiner Entscheidung zu einem Detailaspekt im Zusammenhang mit Merkmal 1.8 von Anspruch 1 des Patents vorgenommen habe, und die Frage der erweiterten
Realität ('augmented reality') sei bereits in der am 21. Februar 2024 eingereichten Hand Held Products Klageschrift behandelt worden.
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- Scandit habe auch die Notwendigkeit der Vorlage weiteren Standes der Technik nicht substantiiert begründet.
BEGRÜNDUNG DER ANORDNUNG
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- Der Antrag, eine Replik auf die Berufungserwiderung von Hand Held Products einreichen zu dürfen, ist zulässig, aber nicht begründet.
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- Nach der Verfahrensordnung (Teil 4, "Verfahren vor dem Berufungsgericht" ) ist die schriftliche Phase vor dem Berufungsgericht für den Berufungskläger auf die Einreichung einer Berufungsbegründung und für den Berufungsbeklagten auf die Einreichung einer Berufungserwiderung beschränkt.
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- Diese Beschränkung entspricht dem Zweck des Rechtsmittelverfahrens, die angefochtene Entscheidung oder Anordnung des Gerichts erster Instanz auf der Grundlage von Anträgen, Tatsachen, Beweismitteln und rechtlichen Ausführungen zu überprüfen, die von den Parteien im Verfahren vor dem Gericht erster Instanz vorgebracht wurden, R. 222.1 und .2 VerfO, während Anträge, Tatsachen, Beweismittel und rechtliche Ausführungen, die von den Parteien im Verfahren vor dem Gericht erster Instanz nicht vorgebracht wurden, unberücksichtigt bleiben können, es sei denn, das Berufungsgericht übt sein Ermessen anders aus, wobei es insbesondere die in R. 222.2(a)-(c) VerfO festgelegten Kriterien berücksichtigt.
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- Dementsprechend ist vorgesehen, dass die Berufungsbegründung Angaben dazu enthält, welche Teile der Entscheidung oder Anordnung angefochten werden, die Gründe für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung oder Anordnung und die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Berufung gemäß R. 222 und R. 226 VerfO stützt, und dass die Berufungserwiderung eine Erwiderung auf die Berufungsbegründung enthält, R. 236.1 (d) VerfO.
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- Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig, R. 233.3 VerfO.
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- Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde.
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- Das Gericht kann jedoch gemäß R. 36 VerfO auf begründeten Antrag einer Partei den Austausch weiterer Schriftsätze zulassen, insbesondere wenn dies nach den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Verfahrens, wie insbesondere den Grundsätzen der Fairness, der Billigkeit und der Effizienz sowie des Rechts auf rechtliches Gehörs geboten ist.
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- Gemäß der Rechtsprechung des Berufungsgerichts kann R. 36 RoP mutatis mutandis auch im Berufungsverfahren angewendet werden (Berufungsgericht, 17. Juni 2024, UPC_COA_222/2024, APL_25928/2024, App_34219/2024).
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- Im vorliegenden Fall hat Scandit nicht hinreichend dargelegt, dass die Anwendung dieser Grundsätze die Zulassung einer Replik im Berufungsverfahren erfordert. Scandit hatte die Möglichkeit, in der Berufungsbegründung zur Auslegung der Merkmale 1.7. bis 1.9. des Patentanspruchs 1 durch das Gericht in der angefochtenen Anordnung im Sinne einer "augmented reality" Stellung zu nehmen. Die Tatsache, dass Hand Held Products die Auslegung des Gerichts in der Berufungserwiderung unter Bezugnahme auf Absatz [0063] verteidigt hat, rechtfertigt es nicht, die Einreichung einer Replik zu erlauben. Scandit hat nicht substantiiert dargelegt, warum die Bezugnahme auf diesen einen Absatz der Patentbeschreibung durch Hand Held Products eine erneute vertiefte Erörterung erforderlich macht und nicht nur einen selektiven Aspekt bei der Gesamtauslegung der Merkmale 1.7 bis 1.9 des Patentanspruchs 1 darstellt. Scandit wird Gelegenheit haben, in der mündlichen Verhandlung auf diesen Aspekt einzugehen.
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- Es kann Scandit auch nicht gestattet werden, im Berufungsverfahren weiteren Stand der Technik vorzulegen. Sie hat insbesondere nicht begründet, dass der weitere Stand der Technik, den sie erstmals im Berufungsverfahren vorlegen möchte, vernünftigerweise nicht bereits im Verfahren vor dem Gericht erster Instanz hätte vorgelegt werden können, wie es R. 222.2(a) VerfO vorsieht.
VERFAHRENSANORDNUNG
Der Antrag auf Einreichung einer Replik auf die Berufungserwiderung wird abgelehnt.
Diese Anordnung wird am 01. November 2024 erlassen.
Emmanuel Gougé Berichterstatter
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