
Hamburg - Lokalkammer
UPC_CFI_22/2023
Verfahrensanordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts,
erlassen am 1. November 2024
STREITPARTEIEN
1) 10x Genomics, Inc.
(Klägerin zu 1)) - 6230 Stoneridge Mall Road, 94588-3260 Pleasanton, CA, USA
Vertreten durch Prof. Dr. Tilmann Müller- Stoy
2) President and Fellows of Harvard College,
(Klägerin zu 2)) - Richard A. and Susan F. Smith Campus Center, Suite 727E, 1350 Massachusetts Avenue, Cambridge, Massachusetts 02138, USA
Vertreten durch Prof. Dr. Tilmann Müller- Stoy
3) Vizgen, Inc.,
(Beklagte) - 61 Moulton Street, 02138 Cambridge, USA
Vertreten durch Jérome Kommer
STREITPATENT:
Patent Nummer
Inhaberin
EP4108782
President and Fellows of Harvard College
ANTRAGSTELLERIN:
Vizgen, Inc.,
(Beklagte) - 61 Moulton Street, 02138 Cambridge, USA
Vertreten durch Jérome Kommer
ANORDNENDER RICHTER:
Berichterstatterin (Judge-rapporteur)
VERFAHRENSSPRACHE:
Deutsch
ANTRÄGE DER PARTEIEN:
Die Beklagte hat mit der Schriftsatz vom 3. Juli 2024 Anträge nach Regel 190.1 VerfO-EPG (nachfolgend VerfO) gestellt und beantragt, die Vorlage folgender Dokumente durch die Klägerinnen anzuordnen:
I. Der Klägerin zu 2) wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten Dokumente vorzulegen, die sie in dem das US-Parallelverfahren begleitenden Discovery- Verfahren unter den jeweils genannten production numbers gegenüber den US- Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt hat, wobei die Vorlage durch die Beklagte selbst erfolgen kann:
-
HARV0017507:
-
HARV0025097:
-
HARV0191654:
-
HARV0025085:
-
HARV0025651:
-
HARV0164183:
-
HARV0017179:
-
- HARV0179900:
-
- HARV0179039:
-
- HARV0007095:
-
- HARV0014527:
-
- HARV0019379:
-
- HARV0005566:
-
- Transkript der Deposition von Executive Director Strategic Partnerships
-
der Klägerin zu 2;
-
- Transkript der Deposition von Managing Director of Business Development der Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von Chief Technology Development Officer der Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von
-
Lecturer im Department of Genetics der
-
Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von Director of Technology Transactions bei
-
der Klägerin zu 2).
-
II. Der Klägerin zu 1) wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten Dokumente vorzulegen, die sie in dem das US-Parallelverfahren begleitenden DiscoveryVerfahren unter den jeweils genannten production numbers gegenüber den USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt hat, wobei die Vorlage durch die Beklagte selbst erfolgen kann:
-
- 10XH-00318457:
-
- 10XH-00206864:
-
- 10X595-00068404:
-
- 10XH-00298619:
-
- 10XH-00336916:
-
- 10XH-00318458:
-
- 10XH-00318460:
-
- 10XH-00216150:
-
- 10XH-00188691:
-
- 10XH-00318522:
-
- 10XN653-00217345:
-
- 10XH-00328693:
-
- 10XH-00102643:
-
- 10XH-00102810:
-
- 10X595-00069411:
-
- 10XH-00047973:
-
- 10XH-00188216:
-
- 10XH-00331900:
-
- 10XH-00191977:
-
- 10XH-00050066:
-
- 10XH-00347093:
-
- Transkript der Deposition von Vice President, Spatial Business Leader & Product Management and Marketing bei der Klägerin zu 1);
-
- Transkript der Deposition von Chief Technology Officer der Klägerin zu 1);
-
- Transkript der Deposition von Executive Vice President and Chief Legal
-
Officer der Klägerin zu 1);
-
III. Der Beklagten wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten Dokumente vorzulegen, die gegenüber den US-Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten in dem das US-Parallelverfahren begleitenden Discovery-Verfahren offengelegt worden sind, wobei die Vorlage durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfolgen kann:
-
Transkript der Deposition eines Corporate Witness von Bio-Techne nebst Anlage 9 zum Transkript.
-
IV. sowie gemäß Regeln 190.1,191.2, 262A.1 VerfO anzuordnen,
dass es sich bei den Dokumenten, die Gegenstand der Vorlageanordnung der Lokalkammer sind, deren Inhalten sowie deren grau markierten Beschreibungen in dem Vorlageantrag der Beklagten vom 3. Juli 2024 um geheimhaltungsbedürftige Informationen handelt, die streng vertraulich zu behandeln sind und außerhalb des vorliegenden Rechtsstreits auch nach dessen Abschluss nicht genutzt oder offengelegt werden dürfen ('Geheimhaltungsbedürftige Informationen'). Die Geheimhaltungsbedürftigen Informationen dürfen nur den Prozessbevollmächtigten nebst ihrer Sekretariate zugänglich gemacht werden ('Outside Attorneys' Eyes
Only'), wie sie im CMS als Legal Team für diesen Rechtsstreit hinterlegt sind. Ein darüber hinausgehender Zugriff, insbesondere auch durch Mitarbeiter oder Vertreter der Parteien, auf die Geheimhaltungsbedürftigen Informationen ist für unzulässig zu erklären. Der Zugang zu den Geheimhaltungsbedürftigen Informationen durch die jeweiligen Prozessbevollmächtigten der Parteien in dem Verfahren vor dem U.S. District Court for the District of Delaware, Az. 1:22-cv-00595-MFK, bleibt hiervon unberührt.
Die Beklagte trägt vor, bestimmte Dokumente, die im parallelen US-Verfahren streitgegenständlich sind, auch im vorliegenden Verfahren als Beweismittel nutzen zu wollen. In der Discovery zum parallelen US-Verfahren habe die Beklagte bzw. hätten die USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten Kenntnis von Beweisen erlangt, die ihren Tatsachenvortrag zur Begründung ihrer vertraglichen und wettbewerbsrechtlichen Einwendungen untermauern würden. Mit dem zuständigen US-Gericht hätten sich die Parteien darauf verständigt, dass die Beklagte die Discovery-Dokumente, die sie im Verfahren vor der Lokalkammer als Beweismittel verwenden möchte, zunächst gegenüber den Klägerinnen und etwaig betroffenen Dritten identifiziert (Anlage QE 8). Im Anschluss hätten die Parteien darüber verhandelt, wie die Beklagte den Inhalt dieser von ihr ausgewählten Dokumente gegenüber der Lokalkammer in ihrem Vorlageantrag beschreiben darf.
Die im vorliegenden Antrag gewählten Beschreibungen der Inhalte der Dokumente, die Gegenstand des Vorlageantrags sind, seien auf diesem Weg zwischen den Parteien und mit BioTechne1 abgestimmt und wurden so auch dem US-Gericht vorgelegt. Weil einzelne Beschreibungen nach Auffassung der Klägerinnen sowie Bio-Technes vertrauliche und durch die in den USA geltende Protective Order (Anlage QE 2) geschützte Informationen enthalten, stellt die Beklagte parallel zum Vorlageantrag einen Antrag zum Schutz der in den Dokumenten und deren Beschreibungen enthaltenen Informationen, der darauf gerichtet ist, nur den Prozessbevollmächtigten der Parteien sowie ihren Sekretariaten den Zugriff auf die Beschreibungen zu gestatten. Die gleiche Beschränkung, also Zugriff nur durch die Prozessbevollmächtigten der Parteien und ihre Sekretariate, soll für die Dokumente gelten, deren Vorlage die Lokalkammer anordnet. Das entspricht der Designation dieser Dokumente unter der für das US-Verfahren geltenden Protective Order als 'OUTSIDE ATTORNEYS' EYES ONLY INFORMATION' (vgl. Anlage QE 2, Klauseln 2.9, 2.15, 5.3, 7.2, 9).
Gemäß Art. 59 Abs. 1 EPGÜ, Regel 190, 191 VerfO könne die Beklagte die Anordnung der Vorlage von Beweismitteln und die Übermittlung von Informationen in der Verfügungsgewalt der Gegenseite verlangen, wenn die Beklagt die begehrten Dokumente hinreichend bezeichnet und die ihr verfügbaren Beweismittel bereits vorgelegt hat, wobei es für die Übermittlung von Informationen nach Regel 191 VerfO ausreicht, dass die Beklagte diese Informationen zum Zwecke der Rechtsverfolgung vernünftigerweise benötigt, die also der Sachverhaltsaufklärung dienen. Hier komme hinzu, dass die Beklagte (über ihre dortigen Prozessbevollmächtigten) im Rahmen der US-Discovery bereits Zugang zu den genannten Dokumenten hat, diese allerdings wegen der dort geltenden Protective Order nicht für das hiesige Verfahren verwenden könne. Nach dem vom US-Gericht angeordneten Prozedere (Anlagen QE 5, QE 6, QE 7) und den darauffolgenden Vereinbarungen der Parteien kann die Beklagte diese Dokumente im hiesigen Verfahren verwenden, wenn die Lokalkammer eine entsprechende Anordnung trifft und eine entsprechende Geheimhaltungsanordnung erlässt, die den Zugang zu den als 'OUTSIDE
ATTORNEYS' EYES ONLY INFORMATION' designierten vertraulichen Informationen auf die Prozessbevollmächtigten der Parteien beschränkt.
Die Beklagte sei auf die Vorlage der Dokumente angewiesen, da die nichttechnischen Einwendungen, das rechtsmissbräuchliche Verhalten der Klägerinnen im Zusammenhang mit den Themenkomplexen, nämlich (1) dem Fehlverhalten der Klägerin zu 2) im Rahmen der Verhandlung und des Abschlusses des Lizenzvertrags mit der Beklagten und dessen Änderungen mit der Klägerin zu 1) zum Nachteil der Beklagten sowie das rechtsmissbräuchliche Zunichtemachen der Vorteile der Lizenz der Beklagten durch die gemeinsame Geltendmachung von Patentverletzungsklagen gegen die Beklagte und (2) dem rechtswidrigen Vorgehen der Klägerin zu 1) gegen die Beklagte unter Missbrauch ihrer beherrschenden Stellung auf dem Markt für SST-Technologie, nur durch die Vorlage hinreichend begründet werden könne.
Die in den Vorlageanträgen I. 1.-12. und II. 1.-7. bezeichneten Dokumente sowie Teile der Wortprotokolle (Transkripte) der (vertraulichen) Depositions gemäß I. 14.-18. sowie II. 22.-24. würden den Tatsachenvortrag der Beklagten (Klageerwiderung, S. 62 ff.) beweisen, wonach die Klägerin zu 2) in Kenntnis der den Lizenzvertrag mit der Beklagten verhandelt und abgeschlossen hat. Zudem ergebe sich aus den Dokumenten, dass der Klägerin zu 1) vor ihrem Erwerb von die Situation um die und dem zu ihrer Vermarktung abgeschlossenen Lizenzvertrag zwischen der Klägerin zu 2) und der Beklagten bekannt gewesen sei. Deshalb habe sie auf eine hingewirkt, wie sich aus den mit dem Vorlageantrag II. 1.-3- verlangten Dokumenten ergebe.
Die mit den Vorlageanträgen II. 8.-21. begehrten Dokumente sowie Teile der Wortprotokolle der (vertraulichen) Depositions gemäß I. 14.-18., II. 22.-24. und III. würden dem Nachweis der Tatsachengrundlage für die wettbewerbsrechtlich begründeten Einwendungen der Beklagten, einschließlich der von der Beklagten vorgenommenen Marktabgrenzung (Klageerwiderung, S. 71 ff.; 75 ff.) dienen, deren Richtigkeit die Klägerinnen in der Replik bestreiten. Aus den als Anlage QE 9 und QE 10 überreichten Notices of Deposition lasse sich zudem ablesen, dass Zeugen der Klägerinnen zu Fragen der Marktabgrenzung sowie die Zeugen der Klägerin zu 1) darüber hinaus auch zu ihrem Marktverhalten, also zu Preisund Bundling-Strategien sowie zu ihrer Kommunikation mit Kunden zu den Auswirkungen der Patentverletzungsverfahren auf die Lieferfähigkeit der Beklagten befragt wurden.
Die Klägerinnen treten einer Vorlageanordnung entgegen. Der ReadCoor-Lizenzvertrag inklusive seiner Änderungsvereinbarungen sei bereits vorgelegt worden, so dass eine behauptete Kollision von der Beklagten anhand dieser Dokumente erörtert werden könne. Soweit die Beklagte aus den begehrten Dokumenten eine Kenntnis ableiten könne, bestehe keine Beweisnot. Die Beklagte stütze ihren Vortrag auf die Behauptung, die (vgl. Klageerwiderung S. 6364). Die Beklagte behaupte, die Kenntnis der Klägerin zu 2) von der MERFISH-Technologie rühre daher, dass die Beklagte in den Verhandlungen für den Lizenzvertrag ihr Geschäftsmodell präsentiert hätte (vgl. Klageerwiderung S. 63). An diesen Vertragsverhandlungen sei die Beklagte jedoch selbst beteiligt gewesen. Darüber hinaus seien die Vorlageanträge erkennbar ungeeignet, die behauptete Kenntnis der Klägerin zu 2) zu belegen.
Die Vorlageanträge I. 4., 7. und 9. würden auf vermeintliche Einschätzungen zielen, dass es sich handele. Selbst wenn das zutreffen sollte, werde dadurch keine bewiesen. Zudem würde hierdurch keine Klärung herbeigeführt, welche Technologie bzw. welches Geschäftsmodell von der Beklagten vermeintlich zum Gegenstand der Gespräche zum Lizenzvertragsschluss gemacht worden sei.
Die Vorlageanträge I. 2., I. 3., I. 6., I. 10 und II. 1.-7. würden sich auf die Änderungen des ReadCoor-Lizenzvertrags beziehen. Die Beklagte möchte in der Änderung des Lizenzvertrages ein vermeintlich kollusives Zusammenwirken der Klägerinnen erblicken. Aber auch insoweit bestehe offensichtlich ebenfalls keine Beweisnot. Der ReadCoor-Lizenzvertrag und seine Änderungen seien vorgelegt worden (Anlagenkonvolut B 34). Die Beklagte sei also in der Lage, sogar das Ergebnis dieses vermeintlich kollusiven Zusammenwirkens zu betrachten. Für eine Bewertung einer angeblichen Kollision beider Verträge bedürfe es keiner Vorlage weiterer Dokumente, da die maßgeblichen Dokumente bereits vorliegen.
Ebenso wenig bestehe die Notwendigkeit die von Vorlageanträgen I. 14.-18. und II. 22.-24. umfassten Depositions im hiesigen Verfahren vorzulegen. Es fehle entweder an der Beweisnot oder an der Relevanz der Beweisfrage für das hiesige Verfahren.
Mit den Vorlageanträgen II. 8-21 und I. 14.-18., II. 22-24 sowie III. beantragt die Beklagte die Vorlage von Emails und Wortprotokollen sogenannter Depositions, die nach dem Vortrag der Beklagten dem 'Nachweis der Tatsachengrundlage für die vermeintlich wettbewerbsrechtlichen Einwendungen', der vermeintlich vorgenommenen Marktabgrenzung sowie zu 'Preis- und Bundlingstrategien' und der Kommunikation der Klägerin zu 1) mit ihren Kunden betreffend das hiesige Patentverletzungsverfahren dienen sollten. Die Vorlageanträge würden sich mit keiner der angeführten vermeintlichen Einwendungen oder darauf bezogener Tatsachenoder Beweisfragen begründen lassen, wobei die beiden Letzteren erst gar nicht von der Beklagten im Antrag benannt werden.
Dem tritt die Beklagte entgegen. Für keines der Beweisthemen, hinsichtlich dessen die Beklagte die Vorlage von Dokumenten durch die Klägerinnen beantragt hat, würden der Beklagten andere Beweismittel zur Verfügung stehen als die bereits vorgelegten. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf das von der Beklagten in der Klageerwiderung ausführlich vorgetragene kollusive Zusammenwirken der Klägerinnen zum Nachteil der Beklagten im Rahmen der Ausgestaltung des Lizenzvertrags zwischen der Beklagten und der Klägerin zu 2). Der Vergleich zwischen dem Lizenzvertrag der Beklagten mit der Klägerin zu 2) auf der einen und dem zwischenzeitlich aufgrund der Verfahrensanordnung vom 15. August 2024 als Anlage BP 34 vorgelegten Lizenzvertrag auf der anderen Seite belege den objektiven Tatbestand des den Klägerinnen vorgeworfenen Verhaltens. Die subjektive Komponente gelte es mit der von den Klägerinnen stammenden Korrespondenz zu belegen, weil sich nur aus ihr die Motivation, die Zielrichtung und das Bewusstsein der Klägerinnen, zum Nachteil der Beklagten zu handeln, sicher ableiten lasse (siehe die Beschreibung des Inhalts der Dokumente gemäß Vorlageanträgen I. 1.-4., 6.-7., 9., 11.-13.; II. 1., 3.-5.). Soweit die Klägerinnen zum Vorlageantrag I.13. meinen, dass es an einer Begründung des Vorlageantrags fehle, ergebe sich bereits aus der Beschreibung des Inhalts des angeforderten Dokuments, dass es die Motivation der Klägerinnen zur Schädigung der Beklagten belege.
Wenn die Klägerinnen meinen, die Beklagte könne anstelle der mit den Vorlageanträgen I. 1.-12, 14.-18. sowie II. 1.-7., 22.-24 angeforderten Dokumente auf 'ihre eigenen Dokumentationen zu den Vertragsverhandlungen wie Mitschriften, E-Mail-Austausch, schriftliche Zeugenaussagen etc.' zurückgreifen, wären diese Beweismittel offensichtlich nicht in gleicher Weise geeignet, den subjektiven Tatbestand des Verteidigungsvorbringens der Beklagten zu belegen. Wie die Klägerinnen selbst ausführen, könne die Beklagte damit lediglich belegen, dass die Klägerin zu 2) umfassend über ihre MERFISH-Technologie informiert war. Darum gehe es aber nicht, sondern darum, was hat. Über die Verhandlungen zwischen den Klägerinnen können die eigenen Dokumentationen der Beklagten naturgemäß nichts aussagen. Entsprechendes gilt für
die von der Beklagten beantragte Vorlage der Deposition-Transcripts, Vorlageanträge I. 14.-18. Die Transcripts geben Aussagen von Mitarbeitern der Klägerin zu 2) wieder, würden also einen unmittelbaren Eindruck von einem der Klägerin zu 2) zurechenbaren Wissen, der Einstellung und der Herangehensweise der in die Vorgänge involvierten Mitarbeiter der Klägerin zu 2) vermitteln.
GRÜNDE DER ANORDNUNG:
Der (dritte) Vorlageantrag ist zulässig und begründet.
I.
Gemäß Art. 59 Abs. 1 EPGÜ, Regel 190, 191 VerfO kann das Gericht, wenn eine Partei alle vernünftigerweise verfügbaren und plausiblen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und zur Begründung dieser Ansprüche Beweismittel bezeichnet hat, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei oder einer dritten Partei befinden, auf einen mit einer Begründung versehenen Antrag der Partei, welche die Beweismittel bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei oder die dritte Partei anordnen. Zum Schutz vertraulicher Informationen kann das Gericht anordnen, dass die Beweismittel nur bestimmten namentlich genannten Personen mitgeteilt werden und einer angemessenen Geheimhaltungspflicht unterliegen. Für die Übermittlung von Informationen nach Regel 191 VerfO reicht es aus, dass die Partei diese Informationen zum Zwecke der Rechtsverfolgung vernünftigerweise benötigt, die also der Sachverhaltsaufklärung dienen (vgl. Tilmann/Plassmann/Ahrens, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, 1. Auflage 2024, Regel 191 EPG-VerfO, Rn. 1).
Wie bereits in der Anordnung vom 15. August 2024 - ORD_33133/2024 in 32879/2024 ausgeführt, sind mit Blick auf die Art der zu begründenden Ansprüche auch solche umfasst, die sich nicht unmittelbar aus dem EPGÜ ergeben wie im vorliegenden Fall der Einwand des Rechtsmissbrauchs. Auf die dortigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
II.
-
- Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen für die Vorlage der begehrten Dokumente zur Begründung eines behaupteten Rechtsmissbrauchseinwands vor. Wie das Gericht bereits in der Anordnung vom 22. Oktober 2024 (ORD_49705/2024 in APP_49415/2024 im Rahmen eines Antrags nach Regel 333 VerfO) ausgeführt hat, können die dort auszugsweise wiedergegebenen Inhalte der beantragten und zugesprochenen Dokumente möglicherweise den Schluss zulassen,
dass Sollte sich entsprechendes den von der Beklagten genauer spezifizierten Dokumenten entnehmen lassen, könnte hierin möglicherweise ein Einwand des Rechtsmissbrauchs begründet liegen. , bietet jedenfalls einen Anhaltspunkt für einen vom Gericht zu beachtenden Rechtsmissbrauchseinwand. Gleiches gilt für die Dokumente, deren Vorlage die Beklagte beantragt hat, dass gerade auch die Patentverletzungsklage dazu dienen könnte, den Markt und potentielle Kunden zu verunsichern. Möglicherweise könnten die Kunden darauf verwiesen worden sein, dass die Beklagte aufgrund der gerichtlichen Auseinandersetzung aus dem Markt entfernt werden könnte und Produkte von der Beklagten in Zukunft nicht greifbar wären. Wäre dies der Fall, könnte auch hier - im Zusammenhang mit weiteren Tatsachen - ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liegen.
-
- Entsprechende Anhaltspunkte lassen sich auch den Ausführungen der Beklagten zu der nunmehr beantragten Vorlage der Dokumente entnehmen.
Wenn die in den Vorlageanträgen I. 1.-12. und II. 1.-7. bezeichneten Dokumente sowie Teile der Wortprotokolle (Transkripte) der (vertraulichen) Depositions gemäß I. 14.-18. sowie II. 22.-24. den Tatsachenvortrag der Beklagten (Klageerwiderung, S. 62 ff.) beweisen, wonach die Klägerin zu 2) in Kenntnis der den Lizenzvertrag mit der Beklagten verhandelt und abgeschlossen hat, kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Zusammenhang mit der hiesigen Patentverletzungsklage nicht ausgeschlossen werden. Entsprechendes gilt, wenn sich aus den Dokumenten ergibt, dass hingewirkt habe. Ggfs. kann mit diesen Dokumenten die subjektive Komponente mit der von den Klägerinnen stammenden Korrespondenz belegt werden, weil sich aus ihr die Motivation, die Zielrichtung und das Bewusstsein der Klägerinnen, zum Nachteil der Beklagten zu handeln, möglicherweise ableiten lassen kann. Denn die Beklagte kann damit nur belegen, dass hat. Über die Verhandlungen zwischen den Klägerinnen können die Dokumentationen der Beklagten nichts aussagen. Entsprechendes gilt für die von der Beklagten beantragte Vorlage der DepositionTranscripts, Vorlageanträge I. 14.-18. Die Transcripts geben Aussagen von Mitarbeitern der Klägerin zu 2) wieder, vermitteln also einen unmittelbaren Eindruck von einem der Klägerin zu 2) zurechenbaren Wissen, der Einstellung und der Herangehensweise der in die Vorgänge involvierten Mitarbeiter der Klägerin zu 2).
Gleiches gilt für die mit den Vorlageanträgen II. 8.-24. begehrten Dokumente sowie Teile der Wortprotokolle der (vertraulichen) Depositions gemäß I. 14.-18. und III.. Diese können dem Nachweis der Tatsachengrundlage für die wettbewerbsrechtlich begründeten Einwendungen der Beklagten, einschließlich der von der Beklagten vorgenommenen Marktabgrenzung (Klageerwiderung, S. 71 ff.; 75 ff.) dienen. Die Transcripts geben Aussagen von Mitarbeitern der Klägerin zu 2) wieder, vermitteln also einen unmittelbaren Eindruck von einem der Klägerin zu 2) zurechenbaren Wissen, der Einstellung und der Herangehensweise der in die Vorgänge involvierten Mitarbeiter der Klägerin zu 2). Eine weitere Konkretisierung des Inhalts der Dokumente ist der Beklagten aufgrund der zwischen den Parteien im US-Verfahren getroffenen Vereinbarung nicht möglich.
Dabei mögen nicht alle in den Vorlageanträgen identifizierten Dokumente einen unmittelbaren Schluss auf ein etwaiges rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerinnen zulassen. Eine Vorlage wird dennoch als notwendig erachtet, da sich ggfs. aus der Gesamtschau der Dokumente Argumente für oder gegen ein möglicherweise rechtsmissbräuchliches Verhalten finden.
-
- Die Vorlageanträge der Beklagten sind auch verhältnismäßig. Sämtliche der bezeichneten Dokumente liegen bereits in dem US-Verfahren vor und sind dort Beweismittel für die Ansprüche der Beklagten gegen die Klägerinnen. Eine erneute Vorlage auch im hiesigen Verfahren stellt daher keine übermäßige Belastung dar, sondern ist ohne weiteres möglich und stellt sicher, dass auch der hiesigen Lokalkammer der relevante Sachverhalt zur Kenntnis gelangt. Darüber hinaus wird den Geheimhaltungsinteressen der Klägerinnen durch entsprechende Anordnungen auf Geheimnisschutz nach Regel 262A VerfO hinreichend Rechnung getragen. Gemäß Anordnung vom 15. August 2024 (ORD_40053/2024, APP_39808/2024) wurden bereits im vorliegenden Vorlageantrag mitgeteilte Informationen dem Geheimnisschutz unterworfen.
Ein Antrag gemäß Art. 59 Abs. 1 EPGÜ und R. 190 VerfO setzt die Erforderlichkeit der Vorlage, eine Beweisnot, voraus (Tilman/Plassmann, Einheitspatent, 2024, Art. 59 EPGÜ, Rz. 7; Tilman/Plassmann/Ahrens, aaO, R. 190 EPGVerfO, Rz 25). Hinsichtlich dessen kann festgestellt werden, dass die Vorlage erforderlich ist. Die Beklagte hat keine andere Möglichkeit Kenntnis von den Dokumenten zu erlangen. Zwar könnte die Erstreckung der Protective Order des USVerfahrens mittels einer cross-use-Klausel auch auf das hiesige Verfahren erfolgen. Einem crossuse haben die Klägerinnen nicht zugestimmt. Die Beklagte ist nicht gehalten, anstelle ihrer Anträge auf Beweismittelvorlage nach Art. 59 Abs. 1 EPGÜ, Regel 190 VerfO vorrangig ein Beweiserlangungsverfahren in den USA durchzuführen. Ein solches Verfahren nach 35 U.S.C. § 1782 ist mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden. Die Möglichkeiten einer US-Discovery und eines Vorlageantrags im hiesigen Verfahren stehen selbstständig nebeneinander, ohne dass die Beklagte gezwungen wäre, vor der Geltendmachung der ihr nach dem anwendbaren Prozessrecht zustehenden Vorlageansprüche erst die Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihr das US-Recht bietet. Maßgeblich sind die Beweisregeln der hiesigen Verfahrensordnung.
ANORDNUNG:
- I. Der Klägerin zu 2) wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten Dokumente vorzulegen, die sie in dem das US-Parallelverfahren begleitenden DiscoveryVerfahren unter den jeweils genannten production numbers gegenüber den USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt hat, wobei die Vorlage durch die Beklagte selbst erfolgen kann:
-
HARV0017507:
-
HARV0025097:
-
HARV0191654:
-
HARV0025085:
-
HARV0025651:
-
HARV0164183:
-
HARV0017179:
-
HARV0179900:
-
HARV0179039:
-
HARV0007095:
-
HARV0014527:
-
HARV0019379:
-
HARV0005566:
-
- Transkript der Deposition von Executive Director Strategic Partnerships
- der Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von Managing Director of Business Development der Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von Chief Technology Development Officer
- der Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von Lecturer im Department of Genetics der Klägerin zu 2);
-
- Transkript der Deposition von Director of Technology Transactions bei der Klägerin zu 2).
- II. Der Klägerin zu 1) wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten Dokumente vorzulegen, die sie in dem das US-Parallelverfahren begleitenden DiscoveryVerfahren unter den jeweils genannten production numbers gegenüber den USVerfahrensbevollmächtigten der Beklagten offengelegt hat, wobei die Vorlage durch die Beklagte selbst erfolgen kann:
-
10XH-00318457:
-
10XH-00206864:
-
10X595-00068404:
-
10XH-00298619:
-
10XH-00336916:
-
10XH-00318458:
-
10XH-00318460:
-
10XH-00216150:
-
10XH-00188691:
-
10XH-00318522:
-
10XN653-00217345:
-
10XH-00328693:
-
10XH-00102643:
-
10XH-00102810:
-
10X595-00069411:
-
10XH-00047973:
-
10XH-00188216:
-
10XH-00331900:
-
10XH-00191977:
-
10XH-00050066:
-
10XH-00347093:
-
- Transkript der Deposition von Vice President, Spatial Business Leader & Product Management and Marketing bei der Klägerin zu 1);
-
- Transkript der Deposition von Chief Technology Officer der
- Klägerin zu 1);
-
- Transkript der Deposition von Executive Vice President and Chief Legal Officer der Klägerin zu 1);
- III. Der Beklagten wird aufgegeben, die nachfolgend näher bezeichneten Dokumente vorzulegen, die gegenüber den US-Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten in dem das US-Parallelverfahren begleitenden Discovery-Verfahren offengelegt worden sind, wobei die Vorlage durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfolgen kann:
- Transkript der Deposition eines Corporate Witness von Bio-Techne nebst Anlage 9 zum Transkript.
- IV. Die in den Ziffern I. bis III. angeordnete Vorlage hat - sofern kein Rechtsbehelf eingelegt wird - binnen 2 Wochen nach Maßgabe der Anordnung in Ziffer V. zu erfolgen.
V. Es wird angeordnet,
dass es sich bei den Dokumenten, die Gegenstand der Vorlageanordnung der Lokalkammer sind, deren Inhalten sowie deren grau markierten Beschreibungen in dem Vorlageantrag der Beklagten vom 3. Juli 2024 um geheimhaltungsbedürftige Informationen handelt, die streng vertraulich zu behandeln sind und außerhalb des vorliegenden Rechtsstreits auch nach dessen Abschluss nicht genutzt oder offengelegt werden dürfen ('Geheimhaltungsbedürftige Informationen').
- Die Geheimhaltungsbedürftigen Informationen dürfen nur den Prozessbevollmächtigten nebst ihrer Sekretariate zugänglich gemacht werden ('Outside Attorneys' Eyes Only'), wie sie im CMS als Legal Team für diesen Rechtsstreit hinterlegt sind. Ein darüber hinausgehender Zugriff, insbesondere auch durch Mitarbeiter oder Vertreter der Parteien, auf die Geheimhaltungsbedürftigen Informationen ist für unzulässig zu erklären. Der Zugang zu den Geheimhaltungsbedürftigen Informationen durch die jeweiligen Prozessbevollmächtigten der Parteien in dem Verfahren vor dem U.S. District Court for the District of Delaware, Az. 1:22-cv-00595-MFK, bleibt hiervon unberührt.
D ETAILS DER ANORDNUNG:
Anordnung Nr. ORD_59493/2024 im Verfahren ACT_460565/2023 UPC number: UPC_CFI_22/2023 Art des Vorgangs: Verletzungsklage Nr. des dazugehörigen Verfahrens: 39683/2024 Art des Antrags: Antrag auf Anordnung der Beweisvorlage (Regel 190 VO)
Sabine
Maria
Klepsch
Digital unterschrieben von Sabine Maria Klepsch Datum: 2024.11.01
12:16:08 +01'00'