9 December, 2024
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Order
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ORD_64861/2024
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Munich (DE) Local Di…
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EP1770912
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Art. 32 (1) a), c) EPGÜ
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Lokalkammer München UPC_CFI_755/2024
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 09. Dezember 2024
Leitsätze:
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- Art. 32 (1) a), c) EPGÜ eröffnen die sachliche Zuständigkeit des EPG für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, mit denen ein Antragsteller um Rechtsschutz vor drohenden (ausländischen) Prozessführungsund/oder Vollstreckungsverboten nachsucht.
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- Ein (ausländisches) Prozessführungs- und/oder Vollstreckungsverbot verstößt gegen den allgemeinen europäischen Justizgewährungsanspruch (Art. 47 EU-Charta). Die Verbote stehen auch im Widerspruch zum deutschen Justizgewährungsanspruch gem. Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG und sind als unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren.
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- Besondere Umstände im Sinne der Regel 211.5 VerfO lassen sich nicht nur mit einer (vermeintlich) langen Dauer der Beschaffung einer Sicherheit begründen.
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- Regel 213.1 VerfO eröffnet für das Gericht kein Ermessen.
ANTRAGSTELLERIN
Avago Technologies International Sales Pte. Limited, 1 Yishun Avenue 7, Singapore 768923, vertreten durch die Geschäftsführung, ebenda, vertreten durch:
Rechtsanwalt Schmidt-Bogatzky, EIP Rechtsanwälte, Breite Straße 2931, 40213 Düsseldorf, Deutschland.
ANTRAGSGEGNERIN
Realtek Semiconductor Corporation, No. 2 Innovation Road II, Hsinchu Science Park, Hsinchu 300, Taiwan, vertreten durch ihren CEO Huang, Yung-Fang, ebenda.
STREITPATENT
Europäisches Patent EP 1 770 912
SPRUCHKÖRPER / KAMMER
Spruchkörper 2 der Lokalkammer München
MITWIRKENDE RICHTERIN
Diese Entscheidung wurde durch die Vorsitzende Richterin Ulrike Voß (Berichterstatterin), den rechtlich qualifizierten Richter Dr. Daniel Voß und den rechtlich qualifizierten Richter Dr. Walter Schober erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
GEGENSTAND DES VERFAHRENS
Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen - R. 206 ff. VerfO
SACHVERHALT
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- Die Antragstellerin ist eingetragene Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 770 912 B1 mit dem Titel 'Verfahren und Vorrichtung zur Initialisierung von 10BASE-T Netzwerken' (nachfolgend: Streitpatent). Das Streitpatent, welches ausschließlich in Deutschland in Kraft steht, betrifft den 1000Base-T1 Automotive Ethernet Standard.
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- Das Streitpatent sieht die Antragstellerin durch Herstellung und Vertrieb des KFZ […] in der Bundesrepublik Deutschland verletzt, weshalb sie die […] und […] vor dem EPG in dem Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 (Lokalkammer München, Panel 2) unter anderem auf Unterlassung in Anspruch nimmt. In der Klageschrift vom 01.05.2024 stellte die Antragstellerin die ihrer Ansicht nach gegebene Patentverletzung anhand eines Chips des Lieferanten Marvell dar, welcher in dem […] verbaut sein soll. Die in Anspruch Genommenen treten der Klage u.a. mit Blick auf Komponenten der Antragsgegnerin mit dem Einwand der Erschöpfung entgegen.
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- Die Antragstellerin nimmt die […] und die […] zudem wegen der (vermeintlichen) Benutzung von weiteren Patenten vor deutschen Gerichten und dem EPG in Anspruch, so u.a. vor dem Landgericht München I (Az. 7 O 4992/22) wegen (behaupteter) Benutzung des Europäischen Patents EP 1 903 733. Dieses betrifft den 100Base-T1 Automotive Ethernet Standard. In diesem Verfahren ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf den 20.02.2025.
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- Die Antragsgegnerin ist ein Halbleiterhersteller mit Sitz in Taiwan. Sie und die Antragstellerin schlossen eine Lizenzvereinbarung, welche der Antragsgegnerin für ihre […]produkte eine Lizenz an den Patenten der Antragstellerin inklusive des Streitpatents einräumt (Anlage EIP 4). Die Lizenzvereinbarung […].
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- Mit Schriftsatz vom 31.10.2024 erhob die Antragsgegnerin vor dem Court of Chancery of the State of Delaware (USA) Klage gegen die Antragstellerin. Mit dieser Klage, die an den United States District Court for the District of Delaware verwiesen wurde, nimmt die Antragsgegnerin die Antragstellerin zunächst wegen eines angeblichen Verstoßes gegen eine Lizenzvereinbarung zwischen der Antragstellerin und […] in Anspruch (Anlage EIP 2). Sie stellt darüber hinaus die nachfolgend wiedergegebenen Anträge B. und C., wobei das Wort '[…]' in der öffentlich verfügbaren Fassung der US-Klage jeweils geschwärzt ist:
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'B. Permanently enjoining Avago Sales from breaching the License Agreement by pursuing claims against […] in Germany for infringing SEPs by using Realtek´s products;
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C. Permanently enjoining Avago Sales from enforcing any injunction it obtains in Germany against […].'
6. Auf Deutsch:
- 'B. Avago Sales dauerhaft zu untersagen, gegen die Lizenzvereinbarung zu verstoßen, indem sie in Deutschland Ansprüche gegen […] wegen der Verletzung von SEPs aufgrund der Verwendung von Realtek-Produkten geltend macht;
- C. Avago Sales dauerhaft zu untersagen, in Deutschland gegen […] erwirkte Unterlassungsanordnungen zu vollstrecken;'
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- In der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 2) trägt die Antragsgegnerin u.a. vor, die Antragstellerin habe gegen die Lizenzvereinbarung verstoßen, indem sie […] vor mehreren Gerichten in Deutschland wegen angeblicher Patentverletzung verklagte, weil diese die Schaltkreise der Antragsgegnerin in ihren Fahrzeugen verwendete. Hierdurch werde die Lizenz der Antragsgegnerin zur Nutzung der Patente der Antragstellerin vereitelt. Aber selbst wenn die Produkte der Antragsgegnerin nicht lizensiert wären, hätte die Antragstellerin eine Verpflichtung zu einer FRAND-gemäßen Lizenzierung ihrer Patente. Dieser Verpflichtung sei die Antragstellerin jedoch nicht nachgekommen. Die
deutschen Gerichte würden ihre Entscheidung bis zum 20.02.2025 fällen. Wenn am 20.02.2025 festgestellt werde, dass […] die Patente verletzt, werde die daraus resultierende Unterlassungsanordnung den Verkauf von […] in Europa und wahrscheinlich auch in den Vereinigten Staaten stoppen und auch die Lieferkette von […] dezimieren. Dies würde ihr, der Antragsgegnerin, immensen Schaden zufügen, nämlich den Verlust ihrer Zulieferbeziehungen. In Deutschland stünden ihr, der Antragsgegnerin, keine angemessenen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Deshalb habe sie einen Unterlassungsanspruch, der der Antragstellerin untersage, in Deutschland Ansprüche gegen […] wegen einer Verletzung durch die Nutzung von ihren Produkten geltend zu machen und/oder eine in Deutschland erwirkte Unterlassungsanordnung gegen […] zu vollstrecken.
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- Mit Schriftsatz vom 07.11.2024 reichte die Antragsgegnerin in dem US-amerikanischen Verfahren einen Beschleunigungsantrag ein (Anlage EIP 5). Sie beantragt mit diesem, einen Verhandlungstermin Anfang Februar 2025 zu bestimmen und eine Entscheidung des US-amerikanischen Gerichts jedenfalls noch vor dem 20.02.2025.
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- Am 22.11.2024 erließ das Landgericht München I (Az. 7 O 14547/24) eine einstweilige Verfügung ohne Anhörung der Antragsgegnerin, mit welcher der Antragsgegnerin untersagt wurde, die US-amerikanische Klage weiterzubetreiben, insbesondere in Bezug auf die Anträge B und C (Anlage EIP 1).
ANTRAG DER ANTRAGSTELLERIN
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- Die Antragstellerin beantragt gemäß Antragschrift vom 29.11.2024 in Verbindung mit dem Schriftsatz vom 05.12.2024:
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- Der Antragsgegnerin wird untersagt,
die Klage vom 31. Oktober 2024, die zunächst von ihr vor dem Court of Chancery of the State of Delaware (USA) (Anlage EIP 1) eingereicht wurde (Aktenzeichen 2024-1127-NAC), und die anschließend an den U.S. District Court of the District of Delaware verwiesen wurde (Aktenzeichen 1:24-cv-01235-GBW) weiterzubetreiben, insbesondere in Bezug auf die Anträge B und C, und auch sofern damit der Antragstellerin unmittelbar oder mittelbar verboten werden soll, die bei der Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts eingereichte Patentverletzungsklage vom 1. Mai 2024 (ACT_24735/2024) weiter zu betreiben oder um weitere Klageansprüche aus weiteren SEP der Antragstellerin zu erweitern oder weitere Verletzungsklagen wegen Verletzung von SEP aus dem Portfolio der Antragstellerin gegen die mit der oben genannten Klage in Anspruch genommenen Unternehmen des […]-Konzerns, nämlich […] und […], oder ihre
verbundenen Konzernunternehmen oder weitere Unternehmen des […]-Konzerns, bei einer Lokalkammer des EPG auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sowohl mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland als auch mit Wirkung für andere Mitgliedstaaten des EPGÜ zu erheben und zu betreiben ('Anti-Suit Injunction'); und
Unterlassungsurteile des EPG, die gegen die mit der oben genannten Klage in Anspruch genommenen Unternehmen des […]-Konzerns, nämlich […] und […], oder ihre verbundenen Konzernunternehmen oder weitere Unternehmen des […]Konzerns ergehen, in der Bundesrepublik Deutschland zu vollstrecken ('AntiEnforcement Injunction'), wobei diese Unterlassungsverpflichtung umfasst,
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- das Gebot, die Anträge auf Erlass einer Anti-Suit Injunction und einer AntiEnforcement Injunction vom 31. Oktober 2024, welche zunächst vor dem Court of Chancery of the State of Delaware (USA) (Anlage EIP 1) (Aktenzeichen 20241127-NAC) beantragt wurden, und die anschließend an den U.S. District Court of the District of Delaware verwiesen wurden (Aktenzeichen 1:24-cv-01235-GBW), unabhängig davon, bei welchem U.S. Gericht sie zum Zeitpunkt der Vollziehung dieser Entscheidung gerade anhängig sind, unverzüglich nach Zustellung dieses Verfügungsbeschlusses zurückzunehmen,
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-das Verbot, dieses Anti-Suit Injunctionund Anti-Enforcement InjunctionVerfahren, außer zum Zweck der Antragsrücknahme weiter zu betreiben,
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- das Verbot, für den Fall, dass in der Zwischenzeit die oben genannten Anti-Suit Injunction- und/oder Anti-Enforcement Injunction-Anordnungen ergehen, diese gegen die Antragstellerin zu vollstrecken, und
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- das Verbot, andere gleichwertige Maßnahmen zu beantragen, mit denen der Antragstellerin unmittelbar oder mittelbar verboten werden soll, ihre Patentrechte gegen Unternehmen des […]-Konzerns bei einer Lokalkammer des EPG auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sowohl mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland als auch mit Wirkung für andere Mitgliedstaaten des EPGÜ durchzusetzen.
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- Im Falle jeder Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Ziffer 1. hat die Antragsgegnerin an das Gericht ein (ggf. wiederholtes) Zwangsgeld in Höhe von bis zu EUR 100.000,00 für jeden Tag der Zuwiderhandlung zu zahlen.
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- Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu erstatten.
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- Die Anordnungen sind sofort wirksam und vollstreckbar.
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- Die Anordnungen ergehen ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin (Regel 206.3 VerfO).
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- Die Zustellung der hier beantragten Anordnung, sowie der Antragsschrift nebst Anlagen und englischer Übersetzungen an die Antragsgegnerin, wird im Wege der alternativen Zustellung durch formlose postalische Zusendung am Sitz der Antragsgegnerin, No. 2 Innovation Road II, Hsinchu Science Park, Hsinchu 300, Taiwan, und durch formlose elektronische Übermittlung an Frau , unter der geschäftlichen E-Mailadresse zugelassen (Regel 275.1 VerfO), wobei die Zustellung an dem Datum als erfolgt gilt, für das entweder, der beauftragte Versanddienstleister bestätigt hat, die im hiesigen Antrag genannten Unterlagen an der im hiesigen Antrag genannten Anschrift zugestellt zu haben oder, an dem die hier genannten Unterlagen per E-Mail an Frau erfolgreich abgesetzt wurden.
VORBRINGEN DER ANTRAGSTELLERIN
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- Die Antragstellerin trägt vor, sie habe am 01.11.2024 Kenntnis von der Klage der Antragsgegnerin vom 31.10.2024 erlangt.
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- Die Klage der Antragsgegnerin ziele auf ein umfassendes Klageund Vollstreckungsverbot ab. Würde das angerufene US-Gericht dem Klageantrag B. stattgeben, wäre hiervon auch das Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 erfasst. Im Ergebnis wäre die Antragstellerin gezwungen, ihre Patentverletzungsklagen gegen […] in Deutschland betreffend das EP 1 903 733 und das Streitpatent zurückzunehmen und weitere Patentverletzungsklagen gegen […] aus standardessentiellen Patenten (nachfolgend: SEP) in Deutschland und vor Gerichten des EPGÜ zu unterlassen bzw. zurückzunehmen. Ähnliches gelte für die Vollstreckung etwaiger Unterlassungsurteile gegen […] in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten des EPGÜ, und zwar unabhängig davon, ob sie SEP der Antragstellerin betreffen oder nicht. Denn der Klageantrag C. sei noch viel weitereichender. Demnach solle der Antragstellerin dauerhaft untersagt werden, in Deutschland und vor EPGÜ-Gerichten erwirkte Unterlassungen gegen […] zu vollstrecken, unabhängig davon, ob die Unterlassung auf der Verletzung eines SEP beruhe oder nicht, und ob die Antragsgegnerin überhaupt betroffen sei oder nicht. Dieses Vollstreckungsverbot betreffe daher sämtliche deutschen Patentverletzungsverfahren der Antragstellerin gegen […] sowie Verfahren vor dem EPG. Das Verbot solle sich auch auf Ansprüche wegen Patentverletzung durch Ethernet-Chips in […]-Produkten erstrecken, die nicht von der Antragsgegnerin, sondern von anderen Parteien wie Marvell geliefert werden.
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- Mit Blick auf Maßnahmen US-amerikanischer Gerichte sei von Bedeutung, dass etwaige US-amerikanische Anti-Suit Injuctions (nachfolgend: ASI) und Anti-Enforcement Injunctions (nachfolgend: AEI) sofort in den USA vollstreckbar seien. Würde sich die Antragstellerin den Maßnahmen widersetzen, würde dies nach US-amerikanischem Recht ein 'contempt of court' darstellen. Es würden erheblichen Geldbußen und unter Umständen sogar Ordnungshaft drohen, wie Anordnungen der letzten Jahre gezeigt hätten (Eidesstattliche Versicherung, Anlage EIP 6). Diese könnten nicht nur gegen die Antragstellerin, sondern jedenfalls auch gegen ihre Konzernmutter, Broadcom Inc., verhängt werden.
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- Die Begründungsversuche der Antragsgegnerin für die begehrten Klageund Vollstreckungsverbote seien offensichtlich unzutreffend und würden sich auch nicht aus der Lizenzvereinbarung ergeben. Es sei insbesondere festzuhalten, dass die Verfahren in Deutschland (national und EPG) das einzig richtige Forum seien, um die Frage nach einer etwaigen Erschöpfung der Patente der Antragstellerin mit Blick auf […] Fahrzeuge in Deutschland zu klären. Selbst wenn das US-Gericht feststellen sollte, dass die Antragsgegnerin eine Lizenz an den klageweise geltend gemachten Patenten der Antragstellerin haben sollte (wie nicht), so würde dies die Frage nach einer etwaigen Erschöpfung in Deutschland mit Blick auf […] Fahrzeuge nicht beantworten. Dies zeige eindeutig, dass es der Antragsgegnerin nicht darum gehe, ihre vermeintlichen Rechte aus der Lizenzvereinbarung durchzusetzen, sondern sie versuche, die Verfahren der Antragstellerin in Deutschland (nationale und EPG) zu Gunsten von […] mit rechtswidrigen Mitteln zu verhindern.
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- Die Antragstellerin begehre den Schutz solcher Patentverletzungsverfahren, die vor den deutschen Lokalkammern des EPG geführt und erhoben werden, unabhängig davon, ob es sich um Klageanträge mit Wirkung für andere Vertragsmitgliedstaaten (d. h. nicht in Deutschland) handele. ASI und AEI seien mit den europäischen Grundsätzen des Zivilprozessrechts unvereinbar. In jedem Fall verstießen sie gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (nachfolgend: Charta). Darüber hinaus sei das Verhalten der Antragsgegnerin nach deutschem materiellen Recht zu beurteilen. Ausländische Klage- und Vollstreckungsverbote verstießen gegen deutsches Recht, da in diesen ein rechtswidriger Eingriff in die geschützten Rechtsgüter der Antragstellerin liege. Ihr stehe deshalb ein deliktsrechtlicher Unterlassungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 i. V. m. § 1004 BGB zur Seite.
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- Zudem sei nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen, dass die Antragsgegnerin auch nicht davor zurückschrecken würde, die von ihr in den USA beantragten Klage- und Vollstreckungsverbote auch auf andere Vertragsmitgliedsstaaten auszuweiten, sollte sie es für nötig halten. Dass diese derzeit auf 'Deutschland' beschränkt seien, liege aller Wahrscheinlichkeit nach allein daran, dass die Antragstellerin ihre Rechte gegen […] derzeit nur vor deutschen Gerichten und deutschen Lokalkammern
des EPG geltend mache. Insofern bestehe aber auch für alle übrigen Vertragsmitgliedsstaaten eine Begehungsgefahr.
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- Die Anordnung der hier beantragten einstweiligen Maßnahmen sei in zeitlicher Hinsicht dringlich. Es bestehe eine konkrete Gefahr, dass das angerufene US-Gericht zeitnah die beantragte ASI und AEI erlasse. Die einstweilige Regelung sei auch sachlich dringend erforderlich, um erheblichen Schaden von der Antragstellerin abzuwenden. Der Antragstellerin könne nicht zugemutet werden erst die von der Antragsgegnerin beantragte US-Entscheidung abzuwarten, die sich mit Blick auf die drohenden, erheblichen Sanktionierungsmaßnahmen möglicherweise nicht mehr effektiv beseitigen ließe, weil die Antragstellerin unter dem Druck der Sanktionen die entsprechenden Klagen in Deutschland vor dem EPG zurücknehmen müsste. Der Erlass der hier beantragten Unterlassungsverfügung sei daher geboten, um der Antragstellerin einen effektiven Zugang zum Recht (und daher zu den Gerichten) weiterhin zu ermöglichen. Die Antragstellerin begehre folglich einstweiligen Rechtsschutz, weil im Kern die Durchsetzung von Patentrechten im hiesigen Forum in Gefahr sei. Vor diesem Hintergrund überwiege auch das Interesse der Antragstellerin an den beantragten einstweiligen Maßnahmen etwaige Interessen der Antragsgegnerin.
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- Aufgrund der besonderen Dringlichkeit sei dem Antrag der Antragstellerin ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin stattzugeben. Eine vorherige Anhörung der Antragsgegnerin würde den Zweck dieses Verfahrens sehr wahrscheinlich vereiteln. Eine Anhörung und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung würden, insbesondere auch mit Blick auf die anstehenden Feiertage zum Jahreswechsel, die Anordnung der hier beantragten Unterlassungsverfügung erheblich verzögern, so dass zu befürchten sei, dass das US-Gericht die ASI und AEI Maßnahmen vorher erlasse. Dies gelte umso mehr da davon auszugehen sei, dass die Antragsgegnerin das US-Gericht über das hiesige Verfahren informieren würde. Zudem sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin bei Kenntnis des hiesigen Verfügungsantrags umgehend selbst einstweilige Maßnahmen, eine sog. Temporary Restraining Order, ergreifen würde, um das hiesige Verfahren zu verhindern. Eine Anhörung sei auch nicht erforderlich. Denn die Position und die Rechtsmeinung der Antragsgegnerin sei aus ihrer US-Klage (Anlage EIP 2) bereits ersichtlich. Bei den Schriftsätzen, die im Rahmen des US-Verfahrens ausgetauscht worden seien, handele sich in diesem Zusammenhang um den einzigen 'Schriftverkehr' zwischen den Parteien. Die Klage der Antragsgegnerin in den USA sei insoweit ein 'Klageüberfall' gewesen. Sie, die Antragstellerin, habe nie beabsichtigt, gegen die Antragsgegnerin vorzugehen.
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- Die Antragstellerin bittet darum, keine Sicherheitsleistung anzuordnen. Es sei schon nicht ersichtlich, welcher Schaden der Antragsgegnerin durch die hier beantragten einstweiligen Maßnahmen überhaupt entstehen würde. Umgekehrt würde die Anordnung einer Sicherheitsleistung an die Antragsgegnerin das hiesige Verfahren erheblich verzögern. Hinterlegung oder Bankbürgschaft würden, auch mit Blick auf die bevorstehenden
Feiertage, aller Wahrscheinlichkeit mindestens drei bis vier Wochen in Anspruch nehmen. Dies bereits wegen der internen Prozesse bei der Antragstellerin (Eidesstattliche Versicherung Anlage EIP 7). Hinzu komme die Zeit, die für die (internationale) Überweisung des Hinterlegungsbetrags an die Hinterlegungsstelle, d.h. das Amtsgericht in Bayern, erforderlich sei.
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- Die Zuständigkeit des EPG ergebe sich aus Art. 32 (1) lit. c), 62 (1) EPGÜ, da die Antragstellerin einstweilige Maßnahmen im Zusammenhang mit einem beim EPG geltend gemachten Europäischen Patent begehre. […].
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- Die Antragstellerin sei auf eine alternative Zustellung angewiesen. Auch wenn eine Zustellung nach Regel 275.1 VerfO dem Grundsatz nach subsidiär sei, sei zu beachten, dass diese Norm dem Gericht ein pflichtgemäßes Ermessen einräume. Das Gericht könne demnach überprüfen, ob gute Gründe dafür vorliegen, nicht nach dem eigentlich vorgesehenen Verfahren zuzustellen. Regel 275.1 VerfO dürfe nicht zu eng verstanden werden, sofern die Umstände des Einzelfalls eine bestimmte Herangehensweise für einen effektiven Rechtsschutz andeuteten. Die Vorschrift werde auch dann subsidiär angewendet, wenn die vorrangigen Zustellungen nach den Regeln 271 ff. VerfO erkennbar erfolglos sein würden. Ein herkömmlicher Versuch der Zustellung nach Taiwan wäre praktisch aussichtslos.
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- Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die Antragsschrift vom 29.11.2024, den Schriftsatz der Antragstellerin vom 05.12.2024, die Klageschrift der Antragsgegnerin vom 31.10.2024 (Anlage EIP 2) und den Beschleunigungsantrag der Antragsgegnerin vom 07.11.2024 (Anlage EIP 5) Bezug genommen.
PROZESSGESCHEHEN
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- Die Antragstellerin hat den Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen am 29.11.2024 eingereicht. Am selben Tag hat sie überdies einen Antrag gem. Regel 262.2 VerfO im Hinblick auf die in der Antragsschrift vom 29.11.2024 grau markierten Informationen gestellt.
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- Die Berichterstatterin hat der Antragstellerin mit Anordnung vom 03.12.2024 Hinweise erteilt. Die Antragstellerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 05.12.2024 Stellung genommen. Auch insoweit hat die Antragstellerin einen Antrag gem. Regel 262.2 VerfO gestellt.
GRÜNDE DER ANORDNUNG
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- Der zulässige Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen ist begründet.
I.
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- Der Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen ist zulässig.
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- Die internationale Zuständigkeit des EPG folgt aus Art. 31 EPGÜ i. V. m. Art. 71b Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Der Erfolgsort der glaubhaft gemachten drohenden unerlaubten Handlung liegt im Zuständigkeitsgebiet des EPG.
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- Die sachliche Zuständigkeit des EPG für den Erlass der einstweiligen Maßnahmen (AASI und AEI) ergibt sich aus Art. 32 (1) EPGÜ.
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- Nach Art. 32 (1) c) EPGÜ besitzt das Gericht die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen auf Erlass von einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen und einstweiligen Verfügungen. Die dahingehende Zuständigkeit ist jedenfalls auf Klagen bezogen, die gemäß Art. 32 (1) a) EPGÜ in die ausschließliche Zuständigkeit des EPG fallen. Dies sind u.a. Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten.
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- Als eine Verletzung eines Patents ist nicht nur die rechtswidrige Benutzung eines Patents anzusehen, sondern auch ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Patentinhabers durch Untersagung der Geltendmachung seines Patentrechts (so auch: Grabinski/W.Tilmann, in Tilmann/Plasmann, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, 2. Aufl., Art. 32 Rn. 61a).
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- Eine derartige Verletzung des Eigentumsrechts der Antragstellerin steht vorliegend im Raum. Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrer Klage vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) vor den US-amerikanischen Gerichten den Erlass einer ASI und einer AEI. Der Antragstellerin soll die Geltendmachung auch des Streitpatents vor dem EPG (vor einer deutschen Lokalkammer des EPG) dauerhaft untersagt werden, gleichfalls soll die Durchsetzung etwaiger Entscheidungen des EPG (bzw. einer deutschen Lokalkammer des EPG) untersagt werden. Derartige Untersagungsmaßnahmen bzw. Prozessführungsverbote greifen in das Eigentumsrecht der Antragstellerin in Bezug auf das Streitpatent ein.
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- Die Zuständigkeit der Lokalkammer München ist auf Art. 33 Abs. (1) a) EPGÜ gestützt. Die Verletzung des Eigentumsrechts der Antragstellerin droht im Zuständigkeitsbereich der hiesigen Lokalkammer. Der Antragstellerin soll u.a. untersagt werden, die vor der Lokalkammer München anhängige Klage UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 nicht weiter zu betreiben bzw. insoweit erlassene Entscheidungen sollen nicht vollstreckt werden dürfen.
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- […] steht der Zuständigkeit des EPG bzw. der Lokalkammer München nicht entgegen. […]. Die Antragstellerin macht mit ihrem Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen […] Ansprüche wegen einer unerlaubten Handlung.
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- Schließlich ist auch keine Rechtshängigkeitssperre infolge des Verfahrens vor dem Landgericht München I (Az. 7 O 14547/24) eingetreten. Dieses Verfahren betrifft einen anderen Streitgegenstand. Vor dem Landgericht München I ist die drohende Verletzung des EP Patents EP 1 903 733 sowie der Zugang zur nationalen deutschen Gerichtsbarkeit streitgegenständlich. Vorliegend droht die Verletzung des Streitpatents infolge der drohenden Untersagung des Zugangs zum EPG.
II.
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- Der Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen ist gem. Art. 62 (1), (2) EPGÜ i. V. m. Regel 211 Abs. 1, 2, 3 VerfO begründet. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin zur Einleitung des Verfahrens berechtigt ist und ihre Rechte aus dem Streitpatent verletzt werden. Die im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus.
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- Die Antragstellerin ist entsprechend Regel 8 (5) VerfO als anspruchsberechtigt anzusehen. Sie ist im Register als Inhaberin des Streitpatents eingetragen.
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- Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin in ihren Rechten bezüglich des Streitpatents verletzt wird. Die Antragstellerin hat die drohende Verletzung ihres Eigentumsrechts in Bezug auf das Streitpatent und weiterer Patente durch die seitens der Antragsgegnerin vor dem US-amerikanischen Gericht gestellten Anträge B. und C. in der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) glaubhaft gemacht.
a.
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- Nach Art. 47 Abs. 1 EU-Charta hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Art. 47 Abs. 2 EU-Charta gibt jeder Person das Recht, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb
angemessener Frist verhandelt wird. Art. 47 EU-Charta verbürgt folglich auf europäischer Ebene einen allgemeinen Justizgewährungsanspruch, sprich den Zugang zu Gerichten. Gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Charta handelt es sich bei geistigem Eigentum um jedenfalls eigentumsähnliche Rechte, welche nach der Charta zu schützen sind. Folglich schützen Art. 47 Abs. 1 und 2 EU-Charta auch den Zugang einer Person zum EPG zwecks Geltendmachung einer (behaupteten) rechtswidrigen Benutzung eines Patents.
b.
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- Nach deutschem Recht, welches vorliegend gem. Art. 24 (1) e) EPGÜ Anwendung findet, gewähren Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG den allgemeinen Justizgewährungsanspruch. §§ 823 Abs. 1, 1004 (analog) BGB bieten eine materiell-rechtliche Grundlage zum Schutz des Eigentums, die sich nur mittels des soeben dargestellten verfassungsrechtlich geschützten rechtsstaatlichen Grundsatzes durchsetzen lässt.
c.
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- Die von der Antragsgegnerin mit der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) in dem US-amerikanischen Verfahren mit den Anträgen B. und C. beantragten ASI und AEI stellen sich bei ihrer Anordnung als umfassendes Prozessführungsverbot vor dem EPG und umfassendes Vollstreckungsverbot von Entscheidungen des EPG dar. Derartige Verbote verstoßen gegen die zuvor erörterten Justizgewährungsansprüche; es handelt sich um unerlaubte Eingriffe in das jedenfalls eigentumsähnliche Recht der Antragstellerin.
d.
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- Die Anträge B. und C. der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) betreffen auch das Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 und Verfahren vor dem EPG soweit sie vor einer deutschen Lokalkammer geltend gemacht werden. Dies ist zwar dem Wortlaut der Anträge B. und C. nicht ausdrücklich zu entnehmen, in denen lediglich von 'Verfahren gegen […] in Deutschland' die Rede ist. Dies könnte bei erster Betrachtung so verstanden werden, dass (nur) Verfahren vor den nationalen Gerichten bzw. der deutschen Gerichtsbarkeit erfasst werden sollen, nicht jedoch Verfahren vor dem EPG, bei dem es sich um ein gemeinsames, einheitliches europäisches Gericht der Vertragsmitgliedstaaten handelt. Auch wenn das EPG über eine dezentrale Struktur verfügt und verschiedene Kammern an verschiedenen Standorten in Vertragsmitgliedstaaten errichtet worden sind, gibt es kein 'deutsches EPG' oder ein 'EPG in Deutschland'. Die in Deutschland errichteten Lokalkammern des EPG sind auch kein Teil der deutschen Gerichtsbarkeit. Dafür, dass die Anträge B. und C. der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) nur das Verfahren vor dem Landgericht München I betreffen sollen, könnte darüber hinaus sprechen, dass die Antragsgegnerin in der Klageschrift auf den 20.02.2025 als Entscheidungsdatum der 'deutschen Gerichte' abstellt.
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- Gleichwohl erscheint es bei einer Gesamtbetrachtung aufgrund des objektiven Empfängerhorizonts wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin mit der gewählten Antragsformulierung auch das Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 und Verfahren vor dem EPG erfassen will. In der Klageschrift vom 31.10.2024 wird das Streitpatent ausdrücklich genannt (Anlage EIP 4, Rn. 158). Das Streitpatent wird allerdings nur vor der Lokalkammer München in dem Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 geltend gemacht. Die Antragsgegnerin führt zudem hinsichtlich der Klagen der Antragstellerin aus 'In April/May of 2024, Avago Sales sued […] in the Unified Patent Court ('UPC') in Germany, and in German courts, for infringement' (Anlage EIP 4, Rn. 73) und 'Avago Sales inappropriately sued […] in the UPC despite Realtek´s valid license' (Anlage EIP 4, Rn. 75). Zwischen den verschiedenen eingeklagten Patenten und/oder den Gerichtsbarkeiten wird sodann nicht weiter differenziert. In dem Beschleunigungsantrag vom 07.11.2024 wird das Streitpatent ebenfalls ausdrücklich genannt (Anlage EIP 6, Rn. 15) und die Klagen der Antragstellerin in gleicher Weise wie in der Klageschrift erwähnt (Anlage EIP 6, Rn. 32, 41). Eine weitere Differenzierung zwischen dem Patent, welches Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht München I ist, und dem Streitpatent wird auch in diesem Antrag nicht vorgenommen. Da das Streitpatent nur in Deutschland in Kraft steht, weshalb sich die Antragstellerin in dem genannten Verfahren vor dem EPG auch nur gegen (vermeintliche) Benutzungshandlungen in Deutschland wendet, ist es wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin mit der -als solchen ungenauen -Formulierung in den Anträgen B. und C. der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) auch das Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 und Verfahren vor dem EPG erfassen will. Sie hat in den Anträgen nur auf den Ort, an dem die Gerichte ansässig sind bzw. ihren Standort haben, abgestellt, jedoch keine Einschränkung auf eine (deutsche) Gerichtsbarkeit vorgenommen.
e.
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- Die Anträge B. und C. der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) sind des Weiteren gegen Verletzungsklagen aus allen SEPs der Antragstellerin, die sie beim EPG erheben will, gerichtet. Sie sind nicht beschränkt auf die von der Antragstellerin bislang vor dem EPG (oder den deutschen Gerichten) geltend gemachten Patente.
f.
-
- Die genannten Anträge der Antragsgegnerin sind allerdings insoweit beschränkt, als dass sie nur auf die Durchsetzung und Vollstreckung von Patentrechten in Deutschland zielen. Unabhängig von der Ungenauigkeit der seitens der Antragsgegnerin gewählten Formulierung, verdeutlicht diese unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4), dass hinsichtlich Verfahren, die die Antragstellerin wegen (vermeintlicher) Benutzung ihrer Patente vor einem anderen Gericht, das nicht zur deutschen Gerichtsbarkeit gehört oder dessen angerufener Standort sich außerhalb Deutschlands befindet, keine ASI und/oder AEI beantragt. Da keine
tatsächlichen Umstände vorgetragen und glaubhaft gemacht und auch sonst nicht ersichtlich sind, aus denen sich die Beantragung einer ASI und/oder AEI im Hinblick auf andere Länder ergibt, kann insoweit auch keine Erstbegehungsgefahr angenommen werden. Der Verweis der Antragstellerin auf die allgemeine Lebenserfahrung genügt insoweit nicht, zumal die Antragstellerin selbst vorträgt, dass sie selbst derzeit nur vor deutschen Gerichten und deutschen Lokalkammern des EPG Rechte geltend macht.
-
- Die gemäß Art. 62 (2) EPGÜ und Regel 211 Abs. 3 VerfO vorzunehmende Abwägung der Interessen der Parteien, in die sämtliche Umstände des Einzelfalls einzufließen haben, fällt vorliegend zu Gunsten der Antragstellerin aus. Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist sowohl zeitlich als auch objektiv dringlich. Es kann der Antragstellerin nicht zugemutet werden, mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zu warten (vgl. zum Erfordernis der objektiven Dringlichkeit bzw. sachlichen Erforderlichkeit: Lokalkammer Düsseldorf, Anordnung v. 31.10.2024, UPC_CFI_347/2024 - Valeo Electrification/Magna PT u.a.; Lokalkammer München, Anordnung v. 25.11.2024, UPC_CFI_443/2024 - Häfele/Kunststoff KG Nehl).
a.
-
- Die Anordnung der beantragten einstweiligen Maßnahmen ist in zeitlicher Hinsicht dringlich, R. 209.2 (b) VerfO.
-
- Die für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen notwendige zeitliche Dringlichkeit fehlt nur dann, wenn sich der Verletzte bei der Verfolgung seiner Ansprüche in einer solchen Weise nachlässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, dem Verletzten sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen, weswegen es auch nicht angemessen erscheint, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes zu gestatten (vgl. auch Lokalkammer München, UPC_CFI 443/2024, Entscheidung v. 25.11.2024 - Häfele/Kunststoff KG Nehl; Lokalkammer Düsseldorf, UPC_CFI_347/2024 - Valeo Electrification/Magna PT u.a). Ein nachlässiges und zögerliches Verhalten ist vorliegend nicht zu erkennen.
-
- Der Zeitraum des Zuwartens im Sinne von Regel 211.4 VerfO ist ab dem Tag zu bemessen, an dem ein Antragsteller von der Rechtsverletzung eine solche Kenntnis hat oder hätte haben müssen, die ihn in die Lage versetzt, einen Antrag auf einstweilige Maßnahmen nach Regel 206.2 VerfO erfolgversprechend zu stellen (Berufungsgericht, Anordnung v. 25.09.2024, UPC_CFI_182/2024 - Ortovox Sportartikel/Mammut Sports Group u.a.). Dem Vortrag der Antragstellerin zufolge erhielt sie am 01.11.2024 Kenntnis von der Klageschrift der Antragsgegnerin (Anlage EIP 4). Da diese auf den 31.10.2024 datiert, ist das Vorbringen der Antragstellerin glaubhaft. Ausgehend vom 01.11.2024 (oder dem frühestens möglichen Zeitpunkt, dem 31.10.2024) kann ein Antrag auf Erlass
einstweiliger Maßnahmen, der am 29.11.2024 bei Gericht eingegangen ist, nicht als zögerlich oder nachlässig angesehen werden.
-
- Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Antragstellerin vor dem Landgericht München I Tage zuvor einen ähnlichen Antrag eingereicht hat, der zum Beschluss des Landgerichts München I vom 22.11.2024 (Az. 7 O 14547/24, Anlage EIP 1) führte. Abgesehen davon, dass die Dringlichkeit im Hinblick auf jedes Verfahren gesondert zu betrachten ist, ist es der Antragstellerin zuzugestehen, die Reichweite des Beschlusses des Landgerichts München I zu überprüfen und die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Erlass einer Anti-ASI beim EPG verlässlich und ordnungsgemäß zu prüfen. Hierfür bedarf es eines gewissen Zeitraums, der jedenfalls vorliegend nicht überschritten ist. Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere, dass eine (gefestigte) Rechtsprechung des EPG zu dieser Thematik nicht existiert; Entscheidungen des EPG hierzu sind nicht veröffentlicht. Vielmehr handelt es sich - soweit ersichtlich - bei dem vorliegenden Antrag auf Erlass derartiger Maßnahmen um den ersten, der seitens des EPG zu entscheiden ist.
b.
-
- Der Erlass der einstweiligen Maßnahme ist auch objektiv dringlich. Er ist sachlich geboten und erforderlich. Die Antragstellerin kann nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden.
-
- Sollte das US-amerikanische Gericht die von der Antragsgegnerin beantragte ASI und/oder AEI erlassen, wären diese sofort in den USA vollstreckbar. Die Antragstellerin könnte sich - infolge der ihr drohenden Sanktionen bei Nichtbeachtung der Anordnungen des US-amerikanischen Gerichts - insbesondere gezwungen sehen, die vor der Lokalkammer München anhängige Klage UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 zurückzunehmen. Die ihrer Ansicht nach gegebene rechtswidrige Benutzung des Streitpatents durch die […] und die […] würde demzufolge einer gerichtlichen Kontrolle durch das zuständige Gericht entzogen. Auch die Frage, ob im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin an den […]-Konzern gelieferten Komponenten tatsächlich (in Deutschland) Erschöpfung eingetreten ist, könnte nicht geprüft werden. Etwaige Rechte der Antragstellerin, insbesondere solche auf Unterlassung der behaupteten Patentverletzung in Deutschland und Feststellung einer Schadenersatzpflicht bzw. das Recht auf Schadenersatz, könnten vor der Lokalkammer München bzw. dem EPG dann nicht durchgesetzt werden. Die Anträge B. und C. der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) sind zudem auf eine dauerhafte Untersagung von Klagen aus sämtlichen SEP der Antragstellerin vor einer Lokalkammer des EPG, die ihren Standort in Deutschland hat, und/oder gegen eine Vollstreckung aus Entscheidungen des EPG gerichtet, wobei die Vollstreckung sogar ohne Bezug zu den Komponenten der Antragsgegnerin untersagt werden soll. Würde sich die Antragstellerin an dahingehende ASI und/oder AEI halten (müssen), würde dieser Eingriff in ihr jedenfalls
eigentumsähnliches Recht zu einer (materiellen und finanziellen) Entwertung des Streitpatents bzw. der SEP führen, wodurch der Antragstellerin der Eintritt eines erheblichen Schadens droht.
-
- Der Antragstellerin droht auch dann ein erheblicher Schaden, wenn sie bei Anordnung der ASI und/oder AEI diese nicht beachten würde. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass das US-amerikanische Gericht bei Verstoß gegen eine angeordnete ASI und/oder AEI wahrscheinlich erhebliche Sanktionen verhängen wird. Dem glaubhaft gemachten Vortrag der Antragstellerin ist zu entnehmen, das US-amerikanische Gerichte in der Vergangenheit bei Missachtung des Gerichts Strafzahlungen in Höhe von bis zu USD 100.000,00 pro Tag der Zuwiderhandlung angeordnet haben, wobei sich diese Strafzahlungen ab bestimmten Zeitpunkten eines andauernden Verstoßes verdoppelt und vervierfachen können (Eidesstattliche Versicherung, Anlage EIP 6).
-
- Da die Anordnung der ASI und/oder die AEI in dem US-amerikanischen Verfahren in Anbetracht des Beschleunigungsantrages der Antragsgegnerin vom 07.11.2024 (Anlage EIP 5), der ausdrücklich auf den Verhandlungstermin vor dem Landgericht München I Bezug nimmt, und um eine gerichtliche Entscheidung jedenfalls vor diesem Termin bittet, zeitnah bevorsteht, kann die Antragstellerin nicht auf eine Hauptsacheklage vor dem EPG verwiesen werden. Eine solche könnte unter keinen Umständen bis zum 20.02.2025 vollständig durchgeführt werden; eine Entscheidung des Gerichts im Klageverfahren vor dem 20.02.2025 ist ausgeschlossen. Eine (endgültige) Unterlassungsanordnung des Gerichts, die Auswirkungen auf das US-amerikanische Gericht zeitigen könnte, käme folglich zu spät. Die Rechte der Antragstellerin würden mit einer Unterlassungsanordnung, die erst nach Anordnung der ASI und/oder AEI erlassen wird, jedoch allenfalls unzureichend gewahrt.
c.
-
- Bei der Interessensabwägung kann zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass die Antragsgegnerin an dem Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 nicht beteiligt ist und ihre Angaben in der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) bzw. dem Beschleunigungsantrag vom 07.11.2024 (Anlage EIP 5) zu etwaigen angemessenen Rechtsbehelfen sowie dem Umfang einer etwaigen Unterlassungsanordnung in diesem Verfahren jedenfalls missverständlich sind.
-
- Den Angaben der Antragsgegnerin und dem Vorbringen der […] und die […] in dem Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 zufolge sind die Kfz […] mit einer Komponente der Antragsgegnerin ausgestattet. Da der insoweit erhobene Einwand der Erschöpfung jedenfalls voraussetzt, dass diese Komponente (jedenfalls teilweise) von dem Streitpatent Gebrauch macht, wäre prinzipiell ein rechtliches Interesse der Antragsgegnerin anzunehmen, weshalb es der Antragsgegnerin offensteht, nach Regel
316 VerfO einen Antrag auf Streithilfe einzureichen. Ein Streithelfer wird gemäß Regel 317 VerfO grundsätzlich als Partei behandelt; die Antragsgegnerin hätte dem Vorbringen der Antragstellerin in dem Verfahren vor dem EPG mithin entgegentreten können und ihre Rechte umfassend verteidigen können. Ihr stand und steht mithin ein angemessener Rechtsbehelf zur Seite. Von diesem hat die Antragsgegnerin jedoch keinen Gebrauch gemacht.
-
- Die Antragstellerin stützt ihre Klage UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 auf eine Benutzung des Streitpatents in Deutschland. Die beantragten Rechtsfolgen, insbesondere auch eine etwaige Unterlassungsanordnung sind auf das Territorium Deutschlands beschränkt. Angesichts dessen erschließt sich nicht, weshalb, wie die Antragsgegnerin in ihrer Klageschrift und dem Beschleunigungsantrag vorträgt, bei Erlass einer Unterlassungsanordnung ein Verkaufsstopp 'in Europa und wahrscheinlich auch in den Vereinigten Staaten' drohen sollte. Ein solcher würde jedenfalls nicht unmittelbar aus der ausgeurteilten Unterlassung folgen. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang auf den 20.02.2025 Bezug nimmt, dem Tag, an dem vor dem Landgericht München I verhandelt wird, ändert dies nichts. Wie bereits ausgeführt, differenziert die Antragsgegnerin in der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) nicht deutlich zwischen dem Verfahren vor dem Landgericht München I und dem Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024. Sie trägt vielmehr vor, die 'deutschen Gerichte' würden bis zum 20.02.2025 entscheiden, wobei, wie bereits ausgeführt, unter 'deutsche Gerichte' auch die Lokalkammer München zu fassen ist. Aus dem genannten Datum kann folglich nicht der Schluss gezogen werden, die Antragsgegnerin argumentiere hinsichtlich der Folgen nur mit Blick auf das Verfahren vor dem Landgericht München I. Dies auch deshalb nicht, weil bei dieser Sichtweise jeder Vortrag zu dem Verfahren vor dem EPG fehlen würde, obgleich dieses Verfahren auch Grundlage der Anträge B. und C. der Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) sind.
d.
-
- Schließlich spricht auch die Abwägung der der Parteien möglicherweise drohenden Schäden für einen Erlass der einstweiligen Maßnahmen.
-
- Wenn der Antrag abgewiesen wird, besteht die glaubhaft gemachte Gefahr, dass die von der Antragsgegnerin beantragte ASI und/oder AEI angeordnet wird. Dies wäre mit den bereits unter b. dargestellten Konsequenzen für die Antragstellerin verbunden. Der Antragstellerin drohen demzufolge erhebliche Schäden.
-
- Werden die einstweiligen Maßnahmen erlassen, ist der Antragsgegnerin untersagt, die Anträge B. und C. ihrer Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 4) weiterzubetreiben. Dies beinhaltet u.a. die Rücknahme dieser Anträge. Zwar ist nicht auszuschließen, dass auch dies zu einem Schaden auf Seiten der Antragsgegnerin führen kann. Der ihr etwaig drohende Schaden ist indes weniger gravierend. Die Antragsgegnerin ist nicht an der
Durchsetzung ihrer Rechte aus der Lizenzvereinbarung gehindert. Das US-amerikanische Verfahren kann hinsichtlich der übrigen Klageanträge fortgeführt werden, so dass insbesondere die behauptete Verletzung der zwischen den Parteien geschlossene Lizenzvereinbarung überprüft werden würde. Die von der Antragstellerin beantragten einstweiligen Maßnahmen beziehen sich allein auf die beantragte ASI und AEI. Darüber hinaus wird die von der Antragstellerin behauptete Benutzung des Streitpatents in dem Verfahren UPC_CFI_208/2024 ACT 24735/2024 geprüft. Dies erfolgt einschließlich des erhobenen Einwands der Erschöpfung, sofern es auf diesen entscheidungserheblich ankommen sollte. Der Antragsgegnerin ist es zudem unbenommen, die […] und die […] in der Rechtsverteidigung zu unterstützen und/oder in dem Verfahren einen Streithilfeantrag zu stellen.
III.
-
- Die von der Antragstellerin beantragte Anordnung einstweiliger Maßnahmen ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerinnen erscheint vorliegend angemessen und geboten, R. 206.3, 209.2 (c) VerfO i. V. m. R. 212.1 VerfO.
-
- Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr ohne den Erlass einer ex-parteAnordnung aufgrund der mit der Einbeziehung der Gegenseite verbundenen Verzögerung wahrscheinlich ein nicht wiedergutzumachender Schaden droht. Die Antragsgegnerin hat ihren Sitz in Taiwan. Eine Zustellung des Antrags auf Erlass einstweiliger Maßnahmen würde jedenfalls einen solchen Zeitraum in Anspruch nehmen, der in Anbetracht des Beschleunigungsantrages der Antragsgegnerin in dem US-amerikanischen Verfahren (Anlage EIP 5) aller Voraussicht nach dazu führen würde, dass eine Entscheidung über den Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen erst nach einer Entscheidung des USamerikanischen Gerichts und etwaiger Anordnung der ASI und/oder AEI erfolgen könnte.
-
- Infolge des Beschleunigungsantrages der Antragsgegnerin vom 07.11.2024 (Anlage EIP 5) sowie des von der Antragstellerin behaupteten Umstandes, dass die Klageschrift vom 31.10.2024 (Anlage EIP 2) der einzige 'Schriftverkehr' der Parteien zu dieser Thematik gewesen ist, die Antragstellerin mithin von den Anträgen B. und C. 'überrascht' worden ist, ist es ebenfalls wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin selbst umgehend einstweilige Maßnahmen, eine sogenannte Temporary Restraining Order ergreifen würde. Das US-amerikanische Verfahren könnte folglich unter Verkürzung der Fristen noch weiter beschleunigt werden (vgl. Eidesstattliche Versicherung Anlage EIP3). Die Anhörung der Antragsgegnerin würde dann dazu führen, dass der hier geltend gemachte Schutz der Rechte der Antragstellerin verkürzt oder gar ausgehebelt würde.
-
- Angesichts dessen sowie vor dem Hintergrund, dass die Klageschrift der Antragsgegnerin vom 31.10.2024 (Anlage EIP 2) und der Beschleunigungsantrag vom 07.11.2024 (Anlage EIP 5) dem Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen als Anlagen beigefügt wurden, die Rechtsposition und Argumentation der Antragsgegnerin mit Blick auf eine ASI
und/oder AEI vom Gericht mithin berücksichtigt werden können, erscheint es vorliegend angezeigt, ausnahmsweise von einer vorherigen Anhörung der Antragsgegnerin abzusehen.
IV.
-
- Gemäß Regel 211.5 VerfO hat das Gericht die Erbringung einer Sicherheitsleistung anzuordnen, wenn die Anordnung einstweiliger Maßnahmen - wie hier - ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners erfolgt.
-
- Besondere Umstände, die vorliegend ausnahmsweise gegen eine solche Anordnung sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Es kann auf der Grundlage des vorgetragenen und glaubhaftgemachten Sachverhalts insbesondere nicht festgestellt werden, dass ein Schaden der Antragsgegnerin ausgeschlossen ist. Soweit die Antragstellerin argumentiert, die Anordnung einer Sicherheitsleistung würde die Wirksamkeit der begehrten Maßnahme verzögern, kann dem nicht gefolgt werden. Die von ihr vorgetragenen Verzögerungen durch interne Prozesse bei der Antragstellerin hat sie selbst in der Hand und selbst zu verantworten. Auch der Verweis auf die vermeintlichen Zeitläufe bei einer Hinterlegung der Sicherheit verfängt nicht. Die Hinterlegung einer Sicherheit gem. Regel 352 VerfO kann unmittelbar beim EPG erfolgen. Das EPG hat hierfür eigens eine Kontoverbindung eingerichtet. Die Daten der Kontoverbindung sind auf der Webseite des EPG veröffentlicht
-
- Die Sicherheitsleistung soll die Prozesskosten, andere Kosten wegen der Vollstreckung sowie eine mögliche Kompensation für entstandene oder wahrscheinlich entstehende Schäden abdecken, Regel 352.1 VerfO. Da sich die Höhe möglicher Vollstreckungsschäden im Zeitpunkt des Erlasses einer Anordnung für die Lokalkammer nur schwer abschätzen lassen, orientiert sich die Höhe der festgesetzten Sicherheitsleistung grundsätzlich an der Höhe des Streitwertes. Auch wenn der Streitwert nicht zwingend mit dem Schadensrisiko korrespondiert, bietet er jedenfalls einen Anhaltspunkt, welche wirtschaftliche Bedeutung die Antragstellerseite der Sache beimisst. Die Antragstellerin ist hierauf hingewiesen worden, hat indes zur konkreten Höhe der Sicherheit nichts weiter vorgetragen.
-
- Solange diese Sicherheit nicht erbracht ist, fehlt es an der Vollstreckbarkeit der Anordnung. Die Festsetzung von Zwangsgeldern (Art. 82 (4) EPGÜ, Regel 354.4 VerfO) kommt nur für Zuwiderhandlungen in Betracht, in deren Zeitpunkt die Sicherheitsleistung bereits erbracht und die betreffende Antragsgegnerin über die Erbringung der Sicherheitsleistung nachweislich in formalisierter Form unterrichtet wurde.
-
- Eine Kostengrundentscheidung ist vorliegend nicht zu treffen. Eine solche sieht die Verfahrensordnung lediglich im Hauptsacheverfahren (vgl. Regel 118.5 VerfO), nicht aber im Verfahren auf Anordnung vorläufiger Maßnahmen vor. Die Kosten des Eilverfahrens sind grundsätzlich im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Eine im Eilverfahren mögliche Anordnung einer vorläufigen Kostenerstattung (Regel 211.1 (d) VerfO) setzt einen entsprechenden bezifferten Antrag voraus. Ein solcher ist vorliegend nicht gestellt.
VI.
-
- Eine alternative Zustellung gem. Regel 275 Abs. 1 VerfO kann derzeit nicht zugelassen werden. Ein dahingehendes Ermessen ist derzeit nicht eröffnet.
-
- Eine alternative Zustellung erfordert nach dem Wortlaut der Regel 275.1 VerfO, dass eine 'Zustellung nach Abschnitten 1 und 2 nicht vorgenommen werden' konnte. Die alternative Zustellung ist demzufolge subsidiär; es muss zunächst ein (erfolgloser) Zustellversuch nach den jeweils einschlägigen Regeln unternommen worden sein (Berufungsgericht, UPC_CoA_69/2024, Anordnung v. 29.07.2024 - NEC/TCL; UPC CFI, Lokalkammer Hamburg, UPC_CFI_169/2024, Anordnung v. 18 April 2024 -Daedalus/Xiaomi; Lokalkammer Mannheim, UPC_CFI_ 219/2023, Anordnung v. 08.12.2023 -Panasonic/Xiaomi). Erst dann ist für das Gericht das Ermessen eröffnet, eine alternative Zustellung zuzulassen.
-
- Dieses gestufte Konzept gilt nicht nur für Anordnungen und/oder Entscheidungen in einer Hauptsacheklage, sondern auch für Anordnungen in einem Eilverfahren. Eine Differenzierung nach Verfahrensart ist weder Regel 275.1 VerfO noch den sonstigen Regelungen der VerfO zur Zustellung von Anordnungen oder Entscheidungen zu entnehmen. Sie entspricht auch nicht den (internationalen) Regelungen sowie Abkommen betreffend die Zustellung von gerichtlichen Anordnungen oder Entscheidungen. Das Erfordernis eines Zustellversuches nach den einschlägigen (internationalen) Normen hängt im Übrigen auch nicht davon ab, ob der Zustellversuch erfolgversprechend oder vermeintlich aussichtslos sein wird.
-
- Ein (erfolgloser) Zustellversuch gemäß Regel 276. 1 i. V. m. Regel 274 (a) (iii) VerfO ist bislang nicht unternommen worden.
VI.
-
- Der Bitte der Antragstellerin, von einer Fristsetzung mit Blick auf eine Hauptsacheklage abzusehen, kann nicht entsprochen werden. Regel 213.1 VerfO eröffnet kein Ermessen.
ANORDNUNG
- I. Der Antragsgegnerin wird untersagt,
die Klage vom 31. Oktober 2024, die zunächst von ihr vor dem Court of Chancery of the State of Delaware (USA) (Anlage EIP 1) eingereicht wurde (Aktenzeichen 20241127-NAC), und die anschließend an den U.S. District Court of the District of Delaware verwiesen wurde (Aktenzeichen 1:24-cv-01235-GBW) weiterzubetreiben, insbesondere in Bezug auf die Anträge B und C, und auch sofern damit der Antragstellerin unmittelbar oder mittelbar verboten werden soll, die bei der Lokalkammer München des Einheitlichen Patentgerichts eingereichte Patentverletzungsklage vom 1. Mai 2024 (ACT_24735/2024) weiter zu betreiben oder um weitere Klageansprüche aus weiteren SEP der Antragstellerin zu erweitern oder weitere Verletzungsklagen wegen Verletzung von SEP aus dem Portfolio der Antragstellerin gegen die mit der oben genannten Klage in Anspruch genommenen Unternehmen des […]-Konzerns, nämlich […] und […], oder ihre verbundenen Konzernunternehmen oder weitere Unternehmen des […]-Konzerns, bei einer Lokalkammer des EPG auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sowohl mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland als auch mit Wirkung für andere Mitgliedstaaten des EPGÜ zu erheben und zu betreiben ('Anti-Suit Injunction'); und
Unterlassungsurteile des EPG, die gegen die mit der oben genannten Klage in Anspruch genommenen Unternehmen des […]-Konzerns, nämlich […] und […], oder ihre verbundenen Konzernunternehmen oder weitere Unternehmen des […]-Konzerns ergehen, in der Bundesrepublik Deutschland zu vollstrecken ('Anti-Enforcement Injunction'), wobei diese Unterlassungsverpflichtung umfasst,
-
-das Gebot, die Anträge auf Erlass einer Anti-Suit Injunction und einer AntiEnforcement Injunction vom 31. Oktober 2024, welche zunächst vor dem Court of Chancery of the State of Delaware (USA) (Anlage EIP 1) (Aktenzeichen 2024-1127NAC) beantragt wurden, und die anschließend an den U.S. District Court of the District of Delaware verwiesen wurden (Aktenzeichen 1:24-cv-01235-GBW), unabhängig davon, bei welchem U.S. Gericht sie zum Zeitpunkt der Vollziehung dieser Entscheidung gerade anhängig sind, unverzüglich nach Zustellung dieses Verfügungsbeschlusses zurückzunehmen,
-
- das Verbot, dieses Anti-Suit Injunction- und Anti-Enforcement Injunction-Verfahren, außer zum Zweck der Antragsrücknahme weiter zu betreiben,
-
- das Verbot, für den Fall, dass in der Zwischenzeit die oben genannten Anti-Suit Injunction- und/oder Anti-Enforcement Injunction-Anordnungen ergehen, diese gegen die Antragstellerin zu vollstrecken, und
-
-das Verbot, andere gleichwertige Maßnahmen zu beantragen, mit denen der Antragstellerin unmittelbar oder mittelbar verboten werden soll, ihre Patentrechte gegen Unternehmen des […]-Konzerns bei einer Lokalkammer des EPG auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sowohl mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland als auch mit Wirkung für andere Mitgliedstaaten des EPGÜ durchzusetzen.
-
II. Im Falle jeder Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Ziffer 1. hat die Antragsgegnerin an das Gericht ein (ggf. wiederholtes) Zwangsgeld in Höhe von bis zu 100.000,00 € für jeden Tag der Zuwiderhandlung zu zahlen.
-
III. Die Anordnung ist nur vollstreckbar, wenn die Antragstellerin zugunsten der Antragsgegnerin eine Sicherheit in Form einer Hinterlegung oder Bankbürgschaft in Höhe von 500.000,00 € geleistet hat.
ANWEISUNG AN DIE (HILFS-)KANZLEI
Diese Anordnung ist gemeinsam mit der Antragsschrift vom 29.11.2024 und dem Schriftsatz vom 05.12.2024 nebst sämtlichen Anlagen gem. Regel 276. 1 i. V. m. Regel 274 (a) (iii) VerfO an die Antragsgegnerin Realtek Semiconductor Corporation, No. 2 Innovation Road II, Hsinchu Science Park, Hsinchu 300, Taiwan, vertreten durch ihren CEO Huang, Yung-Fang, zuzustellen.
HINWEIS AN DIE ANTRAGSTELLERIN
Wird das Hauptsacheverfahren nicht innerhalb einer Frist von höchstens 31 Kalendertagen oder 20 Arbeitstagen, je nachdem, welcher Zeitraum länger ist, ab dem Zeitpunkt der Zustellung an die jeweilige Antragsgegnerin eingeleitet, kann das Gericht auf Antrag der Antragsgegnerin anordnen, dass die vorliegende Anordnung aufgehoben wird oder anderweitig außer Kraft tritt (Art. 62 (5), 60 (8) EPGÜ, Regel 213.1 VerfO).
HINWEIS AN DIE ANTRAGSGEGNERIN
Die Antragsgegnerin kann innerhalb von 30 Tagen nach Vollziehung der Maßnahme eine Überprüfung der Anordnung beantragen (Art. 62 (5), 60 (6) EPGÜ, Regel 212.3, 197.3 VerfO).
INFORMATIONEN ZUR VOLLSTRECKUNG (ART. 82 EPGÜ, REGEL 352, 354 VERFO)
Die Vollstreckung der Entscheidung ist von der Leistung der Sicherheit abhängig. Eine beglaubigte Kopie der vollstreckbaren Anordnung wird vom Hilfskanzler auf Antrag der vollstreckenden Partei ausgestellt, Regel 69 RegR.
ANGABEN ZUR ANORDNUNG
Verfahrensnummer ACT_63549/2024 UPC-Nummer UPC_CFI_755/2024
Ulrike Voß Vorsitzende Richterin
Dr. Daniel Voß Rechtlich qualifizierter Richter
Dr. Walter Schober Rechtlich qualifizierter Richter
Für den Hilfskanzler
Ulrike Voß
Digital unterschrieben von Ulrike Voß Datum: 2024.12.08 12:52:22
+01'00'
Daniel Voß
Digital unterschrieben von Daniel Voß Datum: 2024.12.08 13:41:12 +01'00'
Walter Schober
Digital unterschrieben von Walter Schober Datum: 2024.12.08 15:58:03 +01'00'
Anja
Mittermeier
Digital unterschrieben von Anja Mittermeier Datum: 2024.12.09
09:31:45 +01'00'

Lokalkammer München UPC_CFI_755/2024
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 20. Dezember 2024
ANTRAGSTELLERIN
Avago Technologies International Sales Pte. Limited, 1 Yishun Avenue 7, Singapore 768923, vertreten durch die Geschäftsführung, ebenda, vertreten durch:
Rechtsanwalt Schmidt-Bogatzky, EIP Rechtsanwälte, Breite Straße 2931, 40213 Düsseldorf, Deutschland.
ANTRAGSGEGNERIN
Realtek Semiconductor Corporation, No. 2 Innovation Road II, Hsinchu Science Park, Hsinchu 300, Taiwan, vertreten durch ihren CEO Huang, Yung-Fang, ebenda.
STREITPATENT
Europäisches Patent EP 1 770 912
SPRUCHKÖRPER / KAMMER
Spruchkörper 2 der Lokalkammer München
MITWIRKENDE RICHTERIN
Diese Entscheidung wurde durch die Vorsitzende Richterin Ulrike Voß (Berichterstatterin), den rechtlich qualifizierten Richter Dr. Daniel Voß und den rechtlich qualifizierten Richter Dr. Walter Schober erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
GEGENSTAND DES VERFAHRENS
Berichtigung - Regel 353 VerfO
ANORDNUNG
Die Anordnung vom 9. Dezember 2024 wird gem. Regel 353 VerfO wie folgt berichtigt:
Randnummer 4, Satz 2:
'Sie und die Antragstellerin schlossen eine Lizenzvereinbarung, welche der Antragsgegnerin für ihre […]produkte eine Lizenz an den Patenten der Antragstellerin inklusive des Streitpatents einräumt (Anlage EIP 4).'
wird wie folgt geändert:
'Sie und die, bezogen auf einige Patente, Rechtsvorgängerin der Antragstellerin schlossen eine Lizenzvereinbarung, welche der Antragsgegnerin für ihre […]produkte eine Lizenz an den damaligen Patenten der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin einräumt (Anlage EIP 4).'
Randnummer 33, Satz 2:
'[…].'
wird wie folgt ergänzt:
'[…].'
Randnummer 59, Satz 6:
'Das US-amerikanische Verfahren kann hinsichtlich der übrigen Klageanträge fortgeführt werden, so dass insbesondere die behauptete Verletzung der zwischen den Parteien geschlossene Lizenzvereinbarung überprüft werden würde.'
wie folgt ergänzt (Ergänzung hervorgehoben):
'Das US-amerikanische Verfahren kann hinsichtlich der übrigen Klageanträge fortgeführt werden, so dass insbesondere die behauptete Verletzung der zwischen den Vertragsparteien geschlossene Lizenzvereinbarung überprüft werden würde.'
ANGABEN ZUR ANORDNUNG
Anordnung Nr. ORD_67540/2024 Verfahrensnummer ACT_63549/2024
UPC-Nummer: UPC_CFI_755/2024 Verfahrensantragsnummer: App_63549/2024
Ulrike Voß
Vorsitzende Richterin
Dr. Daniel Voß Rechtlich qualifizierter Richter
Dr. Walter Schober Rechtlich qualifizierter Richter
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