10 December, 2024
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Decision
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ORD_598533/2023
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Luxembourg (LU)
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EP4108782
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Art. 75(1) EPGÜ
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Aktenzeichen: APL_593120/2023
UPC_CoA_470/2023
Anordnung
des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 10. Dezember 2024 in dem Verfahren auf Verhängung von Zwangsgeldern
LEITSATZ
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- Die AuĬebung gemäß Art. 75(1) EPGÜ und R. 242.1 VerfO einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung erlassen worden ist, ist in der Regel rückwirkend. Die Anordnung wird aufgehoben, weil durch eine rechtskräŌige Anordnung des Berufungsgerichts festgestellt worden ist, dass die Anordnung nicht häƩe erlassen werden dürfen. Eine aufgehobene Anordnung ist daher als von Anfang an ohne rechtliche Wirkung zu betrachten. Daraus folgt, dass die AuĬebung einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung unter Androhung von Zwangsgeldern erlassen worden ist, die rechtliche Grundlage für jede nachfolgende Entscheidung, die die Zahlung von Zwangsgeldern anordnet, beseiƟgt, selbst wenn diese Entscheidung mutmaßliche Verstöße gegen die einstweilige Verfügung vor der AuĬebung betriŏ.
SCHLAGWÖRTER
Berufung; AuĬebung einer Anordnung; einstweilige Verfügung; Verhängung von Zwangsgeldern
BERUFUNGSKLÄGERINNEN (BEKLAGTE IM VERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ)
- NanoString Technologies Inc.
530 Fairview Ave N - 98109 - SeaƩle (WA) - USA
- NanoString Technologies Deutschland GmbH
Birketweg 31 - 80639 - München - Deutschland
NanoString Technologies Netherlands B.V.
Paasheuvelweg 25 - 1105 BP - Amsterdam - Niederlande
Im Folgenden: NanoString,
vertreten durch Rechtsanwälte Oliver Jan Jüngst und Dr. Moritz Schroeder (Bird & Bird)
BERUFUNGSBEKLAGTE (ANTRAGSTELLER IM VERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ)
6230 Stoneridge Mall Road - 94588-3260 - Pleasanton (CA) - USA
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- President and Fellows of Harvard College
Suite 727E, 1350 MassachuseƩs Avenue - 02138 - Cambridge (MA) - USA
Im Folgenden: 10x, vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Tilman Müller-Stoy (Bardehle Pagenberg)
VERFÜGUNGSPATENT
Europäisches Patent 4 108 782
SPRUCHKÖRPER UND ENTSCHEIDENDE RICHTER
Panel 1a
Klaus Grabinski, Präsident des Berufungsgerichts
Peter Blok, rechtlich qualifizierter Richter und BerichterstaƩer
Emmanuel Gougé, rechtlich qualifizierter Richter
Rainer Friedrich, technisch qualifizierter Richter
Cornelis Schüller, technisch qualifizierter Richter
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
BEANSTANDETE ANORDNUNG
- □ Anordnung des Gerichts erster Instanz, Lokalkammer München, vom 5. Dezember 2023
□ Aktenzeichen:
UPC_CFI_2/2023,
ACT_459746/2023
App_577241/2023
ORD_577437/2023
SACHVERHALT UND ANTRÄGE DER PARTEIEN
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- Am 1. Juni 2023 beantragte 10x bei der Lokalkammer München des Gerichts erster Instanz eine einstweilige Verfügung gegen NanoString wegen unmiƩelbarer und miƩelbarer Verletzung des europäischen Patents 4 108 782 (im Folgenden: das Verfügungspatent). 10x beantragte die Verhängung eines Zwangsgeldes für den Fall eines Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung.
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- Mit Anordnung vom 19. September 2023 gab das Gericht erster Instanz dem Antrag staƩ. Es wurde angeordnet, dass NanoString - zusammengefasst - es zu unterlassen hat, das Verfügungspatent unmiƩelbar oder miƩelbar zu verletzen (im Folgenden: die einstweilige Verfügung), und dass NanoString für jede einzelne Verletzung der einstweiligen Verfügung an das Gericht ein (gegebenenfalls wiederholtes) Zwangsgeld von bis zu 250.000 € zu zahlen hat.
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- Am 28. September 2023 stellte 10x bei der Lokalkammer München des Gerichts erster Instanz einen Antrag auf Verhängung von Zwangsgeldern gemäß Art. 82(4) des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: EPGÜ) und Regel 354.4 der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (im Folgenden: VerfO). 10x beantragte -zusammengefasst -, dass das Gericht NanoString zur Zahlung von Zwangsgeldern wegen Nichteinhaltung der einstweiligen Verfügung verurteilt.
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- Mit Anordnung vom 5. Dezember 2023 verhängte das Gericht erster Instanz ein Zwangsgeld in Höhe von 100.000 € gegen NanoString (im Folgenden: die beanstandete Anordnung). Das Gericht erster Instanz stellte fest, dass NanoString gegen die einstweilige Verfügung verstoßen hat, indem es i) das Verfügungspatent unmiƩelbar verletzte, indem es anbot, das patenƟerte Verfahren in seinem Labor in Amsterdam durchzuführen, und ii)
das Patent miƩelbar verletzte, indem es a) CosMx-Produkte auf seiner Webseite anbot, b) PräsentaƟonen dieser Produkte in Paris und Frankfurt ankündigte, c) die Dokumente "Instrument User Manual" und "Manual Slide PreparaƟon" auf seiner Webseite anbot und d) eine ProduktpräsentaƟonstour auf seiner Webseite anbot.
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- Auf Berufung von NanoString hob das Berufungsgericht mit Anordnung vom 26. Februar 2024 die Anordnung des Gerichts erster Instanz vom 19. September 2023 auf und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.
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- NanoString legte auch Berufung gegen die beanstandete Anordnung vom 5. Dezember 2023 ein und beantragte, dass das Berufungsgericht die beanstandete Anordnung auĬebt und 10x zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt. Die Berufungsgründe lassen sich wie folgt zusammenfassen:
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- Die AuĬebung der Unterlassungsanordnung vom 19. September 2023 beseiƟge die Grundlage für die beanstandete Anordnung.
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- NanoString habe die einstweilige Verfügung nicht verletzt.
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- Das Gericht erster Instanz habe es versäumt, zwischen den Beklagten zu unterscheiden.
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- Ein Zwangsgeld in Höhe von 100.000 € sei unverhältnismäßig. In ihrer Berufungsbegründung stellte NanoString einen zusätzlichen Antrag auf Anordnung der RückerstaƩung der 100.000 €, die NanoString dem Gericht gezahlt hat, um der beanstandeten Anordnung nachzukommen.
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- 10x hat auf die Berufung erwidert und beantragt, dass das Berufungsgericht die Berufung zurückweist. Die Berufungserwiderung lässt sich wie folgt zusammenfassen:
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- Die AuĬebung der Anordnung vom 19. September 2023 beeinflusse die rechtliche Grundlage für die beanstandete Anordnung nicht; NanoString habe die Anordnung verletzt, als sie noch in KraŌ gewesen sei.
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- Das Gericht erster Instanz habe zu Recht festgestellt, dass NanoString die einstweilige Verfügung verletzt habe.
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- Die Berufungsklägerinnen seien gesamtschuldnerisch für die Verletzung der einstweiligen Verfügung haŌbar.
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- Durch Anordnung vom 6. August 2024 hat das Berufungsgericht den von 10x gegen die Anordnung des Berufungsgerichts vom 26. Februar 2024 eingereichten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurückgewiesen.
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- Die Parteien einigten im vorliegenden Berufungsverfahren auf die mündliche Verhandlung zu verzichten. Am 6. November 2024 reichte NanoString ein weiterer SchriŌsatz ein, in der das Berufungsgericht über einige Neuerungen informiert wurde. 10x antwortete darauf mit einem SchriŌsatz vom 2. Dezember 2024.
GRÜNDE FÜR DIE ANORDNUNG
Keine Grundlage für die beanstandete Anordnung
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- Die AuĬebung gemäß Art. 75(1) EPGÜ und R. 242.1 VerfO einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung erlassen worden ist, ist in der Regel rückwirkend. Die Anordnung wird aufgehoben, weil durch eine rechtskräŌige Anordnung des Berufungsgerichts festgestellt wurde, dass die Anordnung nicht häƩe erlassen werden dürfen. Eine aufgehobene Anordnung ist daher als von Anfang an ohne rechtliche Wirkung zu betrachten. Daraus folgt, dass die AuĬebung einer Anordnung des Gerichts erster Instanz, mit der eine einstweilige Verfügung unter Androhung von Zwangsgeldern erlassen worden ist, die rechtliche Grundlage für jede nachfolgende Entscheidung, die die Zahlung von Zwangsgeldern anordnet, beseiƟgt, selbst wenn diese Entscheidung mutmaßliche Verstöße gegen die einstweilige Verfügung vor der AuĬebung betriŏ.
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- Diese Auslegung des EPGÜ und der Verfahrensordnung steht im Einklang mit der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geisƟgen Eigentums (im Folgenden: Richtlinie 2004/48). Nach ArƟkel 3 der Richtlinie 2004/48 müssen die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen MiƩel zur Sicherstellung der Durchsetzung der Rechte des geisƟgen Eigentums gerecht, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) hat klargestellt, dass der EU-Gesetzgeber damit beabsichƟgte, ein Gleichgewicht zwischen einem hohen Schutzniveau der Rechte des geisƟgen Eigentums und den Rechten und Freiheiten des Beklagten zu schaffen (EuGH, 11. Januar 2024, C473/22, ECLI:EU:C:2024:8, Mylan/Gilead, Rn. 44). Dementsprechend fordert die Richtlinie 2004/48 einerseits rasche und wirksame einstweilige Maßnahmen, um mutmaßliche Verletzungen zu verhindern, ohne dass der Antragsteller endgülƟge Beweise für die Verletzungen vorlegen muss. Andererseits hat der EU-Gesetzgeber verschiedene Rechtsinstrumente vorgesehen, die es ermöglichen, das Risiko, dass der Beklagte durch einstweilige Maßnahmen Schaden erleidet, umfassend zu mindern und so seinen Schutz sicherzustellen. So sehen beispielsweise Art. 7(4) und Art. 9(7) der Richtlinie 2004/48 Maßnahmen vor, die es dem Beklagten ermöglichen, Entschädigung zu verlangen, wenn die einstweiligen Maßnahmen aufgehoben werden (vgl. Art. 60(9) und Art. 62(5) UPCA). Die AuĬebung einer Zwangsgeldanordnung, die auf einer aufgehobenen einstweiligen Maßnahme basiert, steht im Einklang mit diesem Ziel.
Schlussfolgerung
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- Daraus folgt, dass die beanstandete Anordnung aufgehoben und die Anträge von 10x zurückgewiesen werden müssen. Die beanstandete Anordnung stützt sich auf die Anordnung vom 19. September 2023. Die AuĬebung der Anordnung von 19. September
durch die Anordnung des Berufungsgerichts vom 26. Februar 2024 entzieht diesem die Grundlage.
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- Als unterlegene Partei hat 10x die Kosten des Verfahrens in erster Instanz und im Berufungsverfahren zu tragen.
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- Das Berufungsgericht wird die Kanzlei anweisen, den von NanoString zur Erfüllung der beanstandeten Anordnung gezahlten Betrag zurückzuerstaƩen.
ANORDNUNG
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- Die beanstandete Anordnung wird aufgehoben;
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- Die Anträge von 10x werden zurückgewiesen;
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- 10x ist verpflichtet, die Kosten des Verfahrens in erster Instanz und im Berufungsverfahren zu tragen.
ANWEISUNGEN AN DIE KANZLEI
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- Die Kanzlei wird angewiesen, den von NanoString zur Erfüllung der beanstandeten Anordnung gezahlten Betrag zurückzuerstaƩen.
Diese Anordnung wurde am 10. Dezember 2024 erlassen.
Klaus Grabinski Präsident des Berufungsgerichts |
Peter Blok rechtlich qualifizierter Richter und Berichterstatter |
Emmanuel Gougé rechtlich qualifizierte Richter |
Rainer Friedrich technisch qualifizierter Richter |
Cornelis Schüller technisch qualifizierter Richter |
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