24 March, 2025
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Order
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ORD_14282/2025
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Luxembourg (LU)
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EP2661892
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R. 224.2 VerfO
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Aktenzeichen: UPC_CoA_835/2024 APL_67638/2024 App_13834/2025
Verfahrensanordnung
des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 24. März 2025
ANTRAGSTELLERINEN UND BERUFUNGSKLÄGERINNEN (BEKLAGTE IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ)
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- Amazon Europe Core S.à.r.l., (Société à responsabilité limitée), 38 avenue John F. Kennedy, L-1855 Luxembourg, vertreten durch Sanjay Balakrishnan, ebenda,
Berufungsklägerin zu 1)
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- Amazon EU S.à r.l., (Société à responsabilité limitée), 38 avenue John F. Kennedy, L-1855 Luxembourg, vertreten durch Jorrit van der Meulen, ebenda,
Berufungsklägerin zu 2)
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- Amazon.com, Inc., 410 Terry Avenue North, Seattle Washington 98109-5210, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch den "Registered Agent": c/o Corporation Service Company, 300 Deschutes way SW STE MC-CSC1, Tumwater, WA, 98501, United States of America,
Berufungsklägerin zu 3)
(im Folgende gemeinsam: ' Amazon ')
vertreten durch: Dr. Steffen Steininger, M.Jur., Rechtsanwalt und eingetragener Vertreter vor dem Einheitlichen Patentgericht und weitere eingetragene Vertreter vor dem Einheitlichen Patentgericht der Kanzlei Hogan Lovells International LLP,
BERUFUNGSBEKLAGTE (KLÄGERIN IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ)
Nokia Technologies Oy, Karakaari 7, 02610 Espoo, Finnland (im Folgenden ' Nokia "), vertreten durch Tim Smentkowski, Rechtsanwalt und eingetragener Vertreter vor dem Einheitlichen Patentgericht und weitere eingetragene Vertreter vor dem Einheitlichen Patentgericht der Kanzlei ARNOLD RUESS Rechtsanwälte PartmbB,
STREITPATENT EP 2 661 892
SPRUCHKÖRPER UND ENTSCHEIDENDE RICHTER
Diese Entscheidung wurde erlassen vom Spruchkörper 1a unter Mitwirkung von
Klaus Grabinski, Präsident des Berufungsgerichts, Peter Blok, rechtlich qualifizierter Richter, Emmanuel Gougé, Berichterstatter und rechtlich qualifizierter Richter.
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
BEANSTANDETE ANORDNUNG DES GERICHTS ERSTER INSTANZ
□ Anordnung der Lokalkammer München vom 16. Dezember 2024
□ Aktenzeichen: ORD_55998/2024, ACT_584119/2023, UPC_CFI_399/2023
KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS
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- Nokia hat Amazon wegen Verletzung des europäischen Patents 2 661 892 (nachfolgend: Streitpatent) vor der Lokalkammer (LK) München des Einheitlichen Patentgerichts in Anspruch genommen (ACT_584119/2023, UPC_CFI_399/2023). Amazon hält der Inanspruchnahme unter anderem den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand entgegen.
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- Am 29. Juli 2024 hat Amazon beantragt, Nokia die Vorlage von Lizenzverträgen aufzugeben, um den Zwangslizenzeinwand näher begründen zu können (App_44089/2024).
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- In ihrer Replik vom 3. Juni 2024 hat Nokia demgegenüber einen Antrag auf Vorlage bestimmter Lizenzverträge gegen sich selbst gestellt.
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- Die LK München hat mit Anordnung vom 4. Dezember 2024 die Vorlage von näher genannten Lizenzverträgen durch die Klägerin angeordnet, die sie mit einer weiteren Anordnung vom 19. Dezember als vertraulich eingestuft hat. Nokia hat diese Lizenzverträge zwischenzeitlich gegenüber Amazon offengelegt.
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- Mit Anordnung vom 16. Dezember 2024 hat die LK München den Antrag von Amazon auf Vorlage weiterer Lizenzverträge sowie von Lizenzgebührenabrechnungen zurückgewiesen (nachfolgend: angefochtene Anordnung) (ORD_55998/2024, ACT_584119/2023, UPC_CFI_399/2023).
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- Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2024 hat Amazon Berufung gegen die angefochtene Anordnung eingelegt und diese begründet. Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2025 hat Nokia die Berufungserwiderung eingereicht.
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- Mit Verfahrensanordnung vom 20. Februar 2025 hat das Berufungsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 26. März 2025 bestimmt.
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- Mit Schriftsatz vom 20. März 2025 hat Amazon beantragt, ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zur Berufungserwiderung vom 11. Februar 2025 einzuräumen, und für den Fall der Gewährung, die Stellungnahme ihrem Antrag angefügt.
BEGRÜNDUNG DER ANORDNUNG
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- Der Antrag von Amazon ist zurückzuweisen.
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- Nach der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (Teil 4, "Verfahren vor dem Berufungsgericht") ist das schriftliche Verfahren vor dem Berufungsgericht für den Berufungskläger auf die Einreichung einer Berufungsbegründung und für den Berufungsbeklagten auf die Einreichung einer Berufungserwiderung beschränkt.
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- Zusätzliche Berufungsgründe, die nicht innerhalb der in R. 224.2 VerfO für die Berufungsbegründung vorgesehenen Frist vorgebracht werden, sind nicht zulässig, R. 233.3 VerfO.
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- Daraus ergibt sich, dass ein weiterer Austausch von Schriftsätzen in der Verfahrensordnung des EPG nicht vorgesehen ist, es sei denn, dass eine Anschlussberufung gemäß R. 237 und 238 VerfO eingelegt wurde (siehe Berufungsgericht, 01. November 2024, ORD_58165/2024, App_57474/2024, Scandit AG v. Hand Held Products, Inc.).
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- Vor Abschluss des schriftlichen Verfahrens durch den Berichterstatter kann auf begründeten Antrag einer Partei ein weiterer Austausch von Schriftsätzen unter den in R. 36 VerfO festgelegten Bedingungen, die mutatis mutandis auch für das Rechtsmittelverfahren gelten, zugelassen werden.
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- Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens sehen weder das EPGÜ noch die Verfahrensordnung einen weiteren Austausch von Schriftsätzen oder schriftlichen Stellungnahmen vor.
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- Das Gericht kann jedoch in jedem Zeitpunkt des Verfahrens von Amts wegen oder auf begründeten Antrag einer Partei eine Verfahrensanordnung erlassen, mit der eine Partei aufgefordert wird, innerhalb der nach R. 9 VerfO festzulegenden Fristen einen Schritt zu unternehmen, eine Frage zu beantworten oder eine Klarstellung oder Beweismittel zu liefern (vgl. auch R. 332 VerfO).
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- In Ihrem Antrag bezieht sich Amazon insbesondere auf einen Lizenzvertrag, den sie spätestens am 22. Dezember 2024, also vor dem Einreichungsdatum der Berufungsbegründung, von Nokia erhalten hat, sowie auf eine Stellungnahme eines von ihr beauftragten Sachverständigen, die auf den 28. Januar 2025 datiert ist. Amazon macht geltend, dass sie zu beiden Vorgängen nicht innerhalb der Frist zur Begründung der Berufung gemäß R. 224.2(b) VerfO in Verbindung mit R. 220.1(c) VerfO habe vortragen können. Zudem möchte sie vielen Argumenten der Klägerin aus rechtlicher Perspektive entgegentreten, was aus ihrer Sicht der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dienlich sei.
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- Die von Amazon vorgebrachten Gründe rechtfertigen es nicht, ihr vor der auf den 26. März 2025 anberaumten mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben.
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- Der Verfahrensablauf vor dem Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts ist grundsätzlich so
ausgestaltet, dass der Berufungskläger die Berufung innerhalb der in R. 224.2 VerfO eingeräumten Frist zu begründen und der Berufungsbeklagte darauf innerhalb der in R. 235 VerfO eingeräumten Frist zu erwidern hat. Wenn das Gericht nicht die Vorlage weiterer schriftsätzlicher Stellungnahmen durch die Parteien im schriftlichen Verfahren oder im Zwischenverfahren anordnet, findet auf Grundlage dieses Vorbringens die mündliche Verhandlung statt, in der beide Parteien Gelegenheit haben, zu den gegenseitigen Standpunkten aus rechtlicher Sicht weiter Stellung zu nehmen.
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- Mit diesem Verfahren ist es grundsätzlich unvereinbar, Amazon wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben, um Argumenten der Berufungsbeklagten Nokia aus rechtlicher Sicht entgegenzutreten, da dafür gerade die mündliche Verhandlung vorgesehen ist. Amazon hätte bei antragsgemäßer Entscheidung zudem den Vorteil, vor der mündlichen Verhandlung zwei Mal schriftlich Stellung nehmen zu können, während die Berufungsbeklagte dazu nur einmal in der Berufungserwiderung Gelegenheit hatte. Das widerspräche dem Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit der Parteien, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist.
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- Amazon ist aber auch nicht Gelegenheit zu geben, weiter schriftlich hinsichtlich des Lizenzvertrages und der Stellungnahme des von ihr beauftragten Sachverständigen vorzutragen.
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- Zwar ist es zutreffend, dass sie nur wenige Tage Zeit gehabt hätte, um innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung nach R. 224.2(b) VerfO in Verbindung mit R. 220.1(c) VerfO auf den Lizenzvertrag einzugehen, da ihr dieser nach ihrem Vorbringen frühestens am 22. Dezember 2024 vorlag. Zudem ist es zutreffend, dass die Stellungnahme ihres Sachverständigen sich einerseits auf Vorbringen der Berufungsbeklagten in ihrer Berufungserwiderung vom 11. Februar 2025 bezieht und andererseits auf den 28. Januar 2025 datiert ist, so dass es der Berufungsklägerin insoweit sogar unmöglich war, die Stellungnahmen ihres Sachverständigen bereits mit der Berufungsbegründung vorzulegen.
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- Gleichwohl gebietet es auch hier der Grundsatz der fairen und ausgewogenen Verfahrensführung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, wie er in Art. 42(2) EPGÜ und Absatz 5 der Präambel der Verfahrensordnung niedergelegt ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der effizienten Verfahrensführung wie er in Art. 41(3) EPGÜ und Absatz 4 der Präambel der Verfahrensordnung vorgesehen ist, den Antrag von Amazon auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zurückzuweisen.
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- Denn Amazon hat nicht begründet und es ist für das Gericht auch sonst nicht nachvollziehbar, warum es ihren Antrag auf Zulassung einer schriftlichen Stellungnahme zu diesen beiden Umständen erst fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung und mehrere Wochen nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens gestellt hat, obwohl ihr beide Unterlagen seit dem 22. Dezember 2024 bzw. dem 28. Januar 2025 (bzw. wenige Tage später) vorlagen. Würde ihr insoweit Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben, müsste auch Nokia unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, was vor der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich ist.
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- Aus Gründen der Verfahrenseffizienz und auch um Verzögerungen des in der ersten Instanz vor der LK Düsseldorf anhängigen Verfahrens zu vermeiden, kommt zudem eine Verschiebung der auf den 26. März 2025 anberaumten mündlichen Verhandlung, auf die sich sowohl die Parteien als auch die Richter derzeit vorbereiten, nicht in Betracht.
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- Daraus folgt, dass unter Berücksichtigung der Grundsätze der Fairness, der Gerechtigkeit und der Effizienz Verfahrensführung sowie des Rechts auf rechtliches Gehör, der Antrag von Amazon keinen Erfolg haben kann.
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- Da die Rechte der Berufungsbeklagten durch diese Anordnung nicht betroffen sind und unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Antrag der Berufungsklägerin nur wenige Tage vor der auf den 26. März 2025 anberaumten mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, bestand keine Notwendigkeit die Berufungsbeklagte vor Erlass dieser Anordnung zu hören.
VERFAHRENSANORDNUNG
Der Antrag der Antragstellerinnen wird zurückgewiesen.
Diese Anordnung wird am 24. März 2025 erlassen.
Klaus Grabinski, Präsident des Berufungsgerichts,
Peter Blok, rechtlich qualifizierter Richter,
Emmanuel Gougé, rechtlich qualifizierter Richter und Berichterstatter
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