17 June, 2025
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Order
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ORD_28780/2025
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Luxemburg (LU)
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EP3356109
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R. 223 VerfO
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Aktenzeichen: UPC_CoA_365/2025 APL_19216/2025 (Berufung) UPC_CoA_413/2025 (Gegenvorstellung) App_27069/2025 App_21951/2025 App_22825/2025
Anordnung
des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts vom 17. Juni 2025 betreffend eine Gegenvorstellung gegen die Ablehnung eines Antrags auf aufschiebende Wirkung
LEITSATZ:
Eine Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Antrags auf aufschiebende Wirkung gemäß R. 223 VerfO, mit der sich der Antragsteller lediglich gegen die in der ablehnenden Anordnung geäußerte Auffassung des Berufungsgerichts wendet, ist unzulässig.
SCHLAGWÖRTER:
-'Gegenvorstellung' gegen die Ablehnung eines Antrags auf aufschiebende Wirkung durch das Berufungsgericht (R. 223 VerfO)
BERUFUNGSKLÄGERIN/ANTRAGSTELLERIN UND BEKLAGTE IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ
Knaus Tabbert AG , Jandelsbrunn, Deutschland,
(im Folgenden: Knaus Tabbert)
vertreten durch: Rechtsanwalt Dr. Rüdiger Pansch und weitere Rechtsanwälte der Kanzlei Rospatt Rechtsanwälte PartGmbB, Düsseldorf, Deutschland
BERUFUNGSBEKLAGTE/ANTRAGSGEGNERINNEN UND KLÄGERINNEN IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER
INSTANZ
Yellow Sphere Innovations GmbH, Köln, Deutschland (im Folgenden: Yellow Sphere)
Erwin Härtwich, Allmersbach, Deutschland (im Folgenden: Härtwich)
vertreten durch: Rechtsanwalt Dr. Dirk Jestaedt, Krieger Mes & Graf von der Groeben Partnerschaft mbB, Düsseldorf, Deutschland
DRITTWIDERBEKLAGTE IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ
Alexander Christ , Köln, Deutschland (im Folgenden: Christ)
VERFAHRENSSPRACHE
Deutsch
SPRUCHKÖRPER UND ENTSCHEIDENDE RICHTER
Spruchkörper 2
Rian Kalden, rechtlich qualifizierte Richterin und Vorsitzende Richterin Ingeborg Simonsson, rechtlich qualifizierte Richterin Patricia Rombach, rechtlich qualifizierte Richterin und Berichterstatterin Marc van der Burg, technisch qualifizierter Richter Erwin Wismeth, technisch qualifizierter Richter
BEANSTANDETE ENTCHEIDUNG DES GERICHTS ERSTER INSTANZ
Datum: 10. April 2025, Lokalkammer Düsseldorf
Aktenzeichen des Gerichts erster Instanz: UPC_CFI_50/2024, ACT_6665/2024, ORD_68984/2024
STREITPATENT
EP 3 356 109
SACHVERHALT UND ANTRÄGE DER PARTEIEN
Yellow Sphere und Härtwich sind eingetragene Inhaber des Europäischen Patents 3 356 109 (Streitpatent), das einen Rahmen für ein Fahrzeug mit zumindest einem Strukturteil aus Schaumharz sowie Herstellungsverfahren dafür betrifft.
Knaus Tabbert vertrieb Wohnwagen unter der Bezeichnung 'Travelino', 'DESEO' und 'AZUR'. Yellow Sphere und Härtwich sind der Ansicht, dass die in den Wohnwagenmodellen 'AZUR' und 'DESEO' eingebauten Rahmen (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen) von der Lehre des Streitpatents Gebrauch machen. Sie haben deshalb Knaus Tabbert wegen Verletzung von Anspruch 1 des Streitpatents auf Unterlassung, Auskunft, Rückruf, Entfernung aus den Vertriebswegen, Schadensersatz und angemessene Entschädigung in Anspruch genommen.
Knaus Tabbert hat Widerklage auf Nichtigerklärung gegen Yellow Sphere und Härtwich erhoben.
Die Lokalkammer Düsseldorf hat mit der angefochtenen Entscheidung der Klage überwiegend stattgegeben, wohingegen die Widerklage auf Nichtigerklärung in der Sache erfolglos war. Die Lokalkammer hat Knaus Tabbert in Buchstabe C. des Tenors zusammengefasst aufgegeben:
I. patentverletzender Handlungen im Hinblick auf die angegriffenen Ausführungsformen in dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, der Italienischen Republik und der Republik Slowenien zu unterlassen;
II. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu 250.000 EUR zu zahlen;
III. Auskunft über die seit dem 8. September 2018 begangenen Verletzungshandlungen zu erteilen;
IV. die angegriffenen Ausführungsformen, welche seit dem 9. April 2022 ausgeliefert worden sind, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen nach der Zustellung der Mitteilung im Sinne von R. 118.8 S. 1 VerfO und gegebenenfalls der beglaubigten Übersetzung auf Kosten Knaus Tabberts, aus den Vertriebswegen zurückzurufen und endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen;
V. die im unmittelbaren und/oder mittelbaren [sic] und/oder im Eigentum von Knaus Tabbert befindlichen Ausführungsformen zu vernichten oder an einen von Yellow Sphere und Härtwich zu beauftragenden Gerichtsvollzieher herauszugeben;
VI. an Yellow Sphere und Härtwich einen Betrag in Höhe von 100.000 EUR als vorläufigen Schadensersatz zu zahlen;
VII. Yellow Sphere und Härtwich allen Schaden zu erstatten, der ihnen durch die patentverletzenden Handlungen in der Zeit seit dem 9. April 2022 entstanden ist und noch entstehen wird;
VIII. Yellow Sphere und Härtwich für die Zeit vom 8. September 2018 bis 8. April 2022 für patentverletzende Handlungen betreffend die Bundesrepublik Deutschland eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
In Buchstabe I des Tenors der Entscheidung hat die Lokalkammer die Obergrenze der erstattungsfähigen Vertreterkosten für die Klage und für die Nichtigkeitswiderklage auf 112.000 EUR festgesetzt.
Die Entscheidung enthält den Hinweis, dass die Anordnungen erst vollstreckbar sind, nachdem Yellow Sphere und Härtwich dem Gericht mitgeteilt haben, welchen Teil der Anordnungen sie zu vollstrecken beabsichtigen und eine beglaubigte Übersetzung der Anordnungen in die Amtssprache des Vertragsmitgliedstaates, in dem die Vollstreckung erfolgen soll, eingereicht haben und Knaus Tabbert die Mitteilung und die (jeweilige) beglaubigte Übersetzung zugestellt wurde.
Knaus Tabbert hat gegen die Entscheidung sowohl hinsichtlich der Verletzungsklage (APL_19216/2025 UPC_CoA_365/2025) als auch hinsichtlich der Widerklage auf Nichtigerklärung (APL_19338/2025, UPC_CoA_367/2025) Berufung eingelegt.
Anträge der Parteien
Knaus Tabbert hat am 8. Mai 2025 zusammengefasst eine Anordnung des Berufungsgerichts mit folgendem Inhalt beantragt:
I. Die Berufung gegen die angefochtene Entscheidung hat (hinsichtlich der Verletzungsklage) aufschiebende Wirkung.
II. Hilfsweise: Die Berufung gegen die angefochtene Entscheidung hat aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Anordnungen C.IV (Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen), C.V (Vernichtung), C.VI (vorläufiger Schadensersatz) und I. (erstattungsfähige Vertreterkosten).
III. Weiter hilfsweise: Die Vollstreckung der Anordnungen C.IV, C.V, C.VI und I. wird von der Stellung einer Sicherheit in wenigstens der von Knaus Tabbert angegebenen Höhe abhängig gemacht.
IV. Höchst hilfsweise: Das Verfahren wird gemäß R. 266.5 Satz 1 VerfO ausgesetzt und dem EuGH wird gemäß Art. 21 EPGÜ iVm Art. 267 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Gebietet es das Unionsrecht, insbesondere Art. 16 EU-Grundrechtscharta (Unternehmerische Freiheit), Art. 17 EU-Grundrechtscharta (Eigentumsrecht) und Art. 47 EU-Grundrechtscharta (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf), dass die Vollstreckung erstinstanzlicher Entscheidungen des EPG, vor allem Anordnungen auf Rückruf, Entfernung aus den Vertriebswegen und Vernichtung sowie Zahlung, grundsätzlich von einer Sicherheitsleistung gemäß Art. 82 Abs. 2 EPGÜ abhängig gemacht wird?
Mit Anordnung vom 21. Mai 2025 (App_21951/2025, ORD_24333/2025) hat das Berufungsgericht die Anträge zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich Knaus Tabbert mit einer auf R. 9.1 VerfO gestützten 'Gegenvorstellung'.
VORBRINGEN DER PARTEIEN
Zusammengefasst trägt Knaus Tabbert unter Wiederholung und Vertiefung des Vorbringens in dem Schriftsatz vom 8. Mai 2025 im Wesentlichen wie folgt vor:
-Die Gegenvorstellung sei aufgrund des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 EU--Grundrechtscharta zulässig. Es seien keine förmlichen Rechtsbehelfe gegeben. Knaus Tabbert habe jedoch weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder zumindest einer Vollstreckungssicherheit, die Yellow Sphere und Härtwich beizubringen hätten.
-Die Anordnung des Berufungsgerichts sei rechtsfehlerhaft.
-Es sei entgegen den Feststellungen des Berufungsgerichts weiterhin zu befürchten, dass die Vollstreckung aus der angefochtenen Entscheidung die Berufung gegenstandslos machen würde.
-Der Vortrag zur finanziellen Situation der Yellow Sphere und Härtwich sei nicht verspätet. Erst angesichts der Insolvenz der Freitec Kunststoffe GmbH im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor der Lokalkammer Düsseldorf habe Knaus Tabbert annehmen dürfen, dass der Antrag auf Anordnung der Sicherheitsleistung Aussicht auf Erfolg haben würde. Nur unter diesen Umständen sei es für Knaus Tabbert unter Abwägung aller Vor- und Nachteile geboten und zumutbar gewesen, den drohenden Vollstreckungsschaden offenzulegen.
-Es sei nicht ersichtlich, weshalb das Berufungsgericht eine Sicherheitsleistung gemäß Art. 82 Abs. 2 EPGÜ nicht auch im Kontext eines Antrags gemäß R. 223 VerfO anordnen könne. Die Gegenseite könne angehört werden.
-Das Berufungsgericht gehe in seiner Anordnung vom 21. Mai 2025 nicht auf den Vortrag ein, dass in Deutschland erstinstanzliche Urteile in der Hauptsache in Patentstreitsachen gemäß §§ 708 und 709 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sind. In Österreich seien erstinstanzliche Urteile in Patentstreitsachen gemäß § 1 Nr. 1 der österreichischen Exekutionsordnung (EO) zudem gar nicht vorläufig vollstreckbar. Angesichts dieser gesetzgeberischen Wertungen in Deutschland und Österreich, die der aktuellen Rechtslage im Kontext des EPGÜ diametral entgegenstehen, könne keine Rede davon sein, es gebe keine vernünftigen Zweifel an der vom Berufungsgericht vertretenen Auslegung des Art. 82 EPGÜ, wonach eine Sicherheit gemäß Art. 82 Abs. 2 EPGÜ grundsätzlich nicht anzuordnen sei.
-Diese Zweifel würden auch nicht durch die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung zu Art. 46 Abs. 3 EuGVVO bzw. Art. 9 Abs. 6 der Durchsetzungsrichtlinie ausgeräumt, da sich der EuGH nicht zu der hier relevanten Frage verhält, ob die Vollstreckung einer erstinstanzlichen Entscheidung des EPG grundsätzlich von der Leistung einer Sicherheit gemäß Art. 82 Abs. 2 EPGÜ abhängig zu machen sei.
-Vor diesem Hintergrund sei das Berufungsgericht aufgrund der C.I.L.F.I.T-Rechtsprechung verpflichtet, im vorliegenden Fall ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV an den EuGH zu richten.
GRÜNDE DER ANORDNUNG
I. Zulässigkeit
Die auf R. 9.1 VerfO gestützte Gegenvorstellung ist nicht statthaft. Nach R. 9.1 VerfO kann das Gericht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens von Amts wegen oder auf einen mit einer Begründung versehenen Antrag einer Partei prozessuale Maßnahmen anordnen, also beispielsweise verfügen, dass eine Partei innerhalb festzusetzender Fristen bestimme Schritte unternimmt, Fragen beantwortet oder Klarstellungen oder Beweismittel liefert. Die Regelung betrifft die Befugnis des Gerichts, innerhalb eines laufenden Verfahrens verfahrensleitende Anordnungen zu treffen. Aus ihr ergibt sich nicht die Befugnis, verfahrensabschließende Anordnungen zu ändern oder aufzuheben.
Zu Recht beruft sich Knaus Tabbert nicht auf R. 335 VerfO. Dort wird zwar die Befugnis des Gerichts geregelt, eine bereits erlassene Anordnung abzuändern. Diese Regelung betrifft jedoch nur verfahrensleitende Anordnungen.
Ohne Erfolg macht Knaus Tabbert geltend, die Zulässigkeit der Gegenvorstellung ergebe sich aus dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 EU-Grundrechtscharta (GRCh). Dies umfasst nicht das Recht auf Zugang zu zwei Gerichtsinstanzen, sondern nur zu einem Gericht (EuGH, Urteil vom 11. März 2015, C-464/13, C-465/13, ECLI:EU:C:2015:163, Europäische Schule München/Silvano Oberto, Barbara O´Leary, Rn. 73).
II. Begründetheit
Nur ergänzend merkt das Berufungsgericht an, dass die Gegenvorstellung, wäre sie zulässig, in der Sache keinen Erfolg hätte. Wie das Berufungsgericht bereits in der Anordnung vom 21. Mai 2025 ausgeführt hat, lässt die Vermögenssituation der Freitec Kunststoffe GmbH keine Rückschlüsse auf die finanzielle Situation von Härtwich und Yellow Sphere zu. Eine Verschlechterung der Vermögenssituation der Freitec Kunstoffe GmbH rechtfertigt es deshalb nicht, neuen Vortrag hinsichtlich der Vermögenssituation von Härtwich und Yellow Sphere zuzulassen. Vortrag zu Härtwichs und Yellow Spheres Vermögenssituation war Knaus Tabbert in erster Instanz ohne weiteres zumutbar und möglich. Geheimhaltungsinteressen Knaus Tabberts im Hinblick auf den drohenden Vollstreckungsschaden hätte durch eine Anordnung nach R. 262.2 VerfO und R. 262A VerfO Rechnung getragen werden können.
Die Gegendarstellung beruht darüber hinaus auf einem fehlerhaften Verständnis der Anordnung des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat in der Anordnung vom 21. Mai 2025 lediglich entschieden, dass Tatsachen, die im Verfahren vor dem Gericht erster Instanz hätten geltend gemacht werden können - wie hier die angeblich schlechte finanzielle Lage von Yellow Sphere - nicht berücksichtigt werden, wenn sie erstmals im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorgebracht werden (R. 222.2 VerfO). Auf die Rechtslage in Österreich und Deutschland kommt es für die Auslegung von Art. 82 Abs. 2 EPGÜ nicht entscheidend an, weil Art. 82 Abs. 2 EPGÜ eine eigenständige Regelung trifft, die autonom auszulegen ist.
III. Schlussfolgerung
Nach alledem ist der Antrag zurückzuweisen.
ANORDNUNG:
Die 'Gegenvorstellung' Knaus Tabberts wird zurückgewiesen.
Erlassen am 17. Juni 2025
Rian Kalden, rechtlich qualifizierte Richterin und Vorsitzende Richterin
Ingeborg Simonsson, rechtlich qualifizierte Richterin
Patricia Rombach, rechtlich qualifizierte Richterin und Berichterstatterin
Marc van der Burg, technisch qualifizierter Richter
Erwin Wismeth, technisch qualifizierter Richter
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